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Roger Waters auf Europatour Wenn Schweine fliegen

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Roger Waters: Die Speerspitze der Israelboykott-Bewegung
Roger Waters: Die Speerspitze der Israelboykott-Bewegung (Quelle: picture alliance/Chris Pizzello/Invision/AP)

Auf Konzerten von Roger Waters fliegen tatsächlich Schweine. Genauer gesagt: Ein gigantisches aufblasbares Schwein mit Davidstern sowie anderen Symbolen, die der ehemalige Pink-Floyd-Frontmann offenbar für böse hält – Dollarzeichen, Logos von Shell und McDonald’s oder Hammer und Sichel. B52-Bomber auf einem Bildschirm hinter der Band schießen auf das Schwein. Am Ende des Konzerts wird es in der Regel vom Publikum zerstört.

Fliegende Schweine – das passt zu Waters, der in einer Fantasiewelt zu leben scheint, der sich die Welt von Gaza bis Donbas einfach zurechtbiegt. Seinen Fans bietet er antiimperialistische Konsumkritik als Stadionentertainment. Aktuell für einen Ticketpreis von 450 Euro im Schnitt. Und das schwebende Tier, das auf seinen Konzerten in unterschiedlichen Versionen vorkommt, ist zu seinem Markenzeichen geworden. Das Schwein mit Davidstern war Teil seiner weltweiten „Wall“-Tour von 2010 bis 2013, die insgesamt rund vier Millionen Menschen besuchte. Und sie ist kein Einzelfall: Seit Jahren agiert der britische Sänger als Speerspitze der Israelboykott-Bewegung. Er ist der BDS-Promi schlechthin.

Dollars und Davidsterne: Für Waters Symbole des Bösen (Quelle: Screenshot/YouTube)

Im Interview mit der Berliner Zeitung im Februar 2023 wird Waters auf das Schwein angesprochen. Anlass des Gesprächs ist die bevorstehende Europatour, die „erste Abschiedstour“ des inzwischen 79-jährigen Briten. 39 Konzerte soll er dieses Jahr europaweit spielen, davon sechs in Deutschland. Im Mai soll er in der Berliner Mercedes-Benz-Arena auftreten. Doch die Forderungen, die Konzerte abzusagen, werden aufgrund seiner Äußerungen zu Israel und in letzter Zeit auch zur Ukraine immer lauter.

„Wish you’d stay away, Roger Waters!“, heißt es in Anspielung auf das Pink-Floyd-Lied in einem offenen Brief von Organisationen wie der jüdischen „WerteInitiative“, der Kampagne „Artists Against Antisemitism“, der „Deutsch-Israelische Gesellschaft“, der „Jüdischen Studierendenunion Deutschland“ und der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Das Bündnis wirft Waters vor, antisemitische Symbolik zu verwenden, und fordert die Absage aller Konzerte in Deutschland. Denn antisemitische Narrative würden eine zentrale Rolle in den Großveranstaltungen des Musikers spielen, der in den vergangenen Jahren vor allem als Protagonist der israelfeindlichen Agitation von sich reden gemacht habe.

Die Verschmelzung von Performance und Politik wird bei seiner aktuellen Tour in den USA besonders deutlich: „Wenn ihr hier seid, weil ihr Pink Floyd mögt, aber Roger Waters‘ Politik nicht ausstehen könnt, dann verpisst euch an die Bar“, steht laut Konzertbesucher*innen auf einem Banner über die Bühne als Begrüßung, wie die Jerusalem Post berichtet. Auch während vergangener Touren ließ er sich in Wutreden über Israel aus.

Pig Floyd

Waters‘ Antwort gegenüber der Berliner Zeitung tut wenig, um Vorwürfe des Antisemitismus zu entkräften. Das aufblasbare Schwein damals sei „theatralische Satire“, sei Ausdruck seiner Überzeugung, „dass die Entfesselung dieser Ideologien oder Produkte auf die Menschen vor Ort ein Akt der Aggression ist, das Gegenteil von Menschlichkeit, das Gegenteil von Liebe und Frieden“. In den falschen Händen könnten alle Ideologien, die diese Symbole und Produkte repräsentieren, böse sein, so Waters.

Der Davidstern, das Symbol des Judentums, als Akt der Aggression? Als Gegenteil von Menschlichkeit, von Liebe und Frieden? Als Verkörperung des Bösen? Auf einem Schwein, das im Judentum als unrein und nicht-koscher gilt und bereits im Mittelalter als antijüdische Schmähfigur verwendet wurde? Wohlwollend könnte man sagen: Auf dem aufblasbaren Schwein waren auch ein Kruzifix oder Stern und Halbmond zu sehen, seine Kritik richte sich an jede Religion. Sehr wohlwollend.

Denn Waters‘ regelrechte Obsession mit Israel, dem einzigen jüdischen Staat der Welt, seine langjährige und lautstarke Unterstützung der BDS-Kampagne, seine ständigen Vergleiche der israelischen Politik mit Nazideutschland oder der südafrikanischen Apartheid, entlarven ein tief sitzender, ideologisch gefestigter Hass. Ein Hass, den Waters immer wieder mit auf die Bühne bringt. Und ein Hass, der auch abseits ausverkaufter Konzerthallen seine politische Agenda bestimmt – durch Fernsehinterviews mit Hamas-TV oder Verschwörungsgeraune von mächtigen Juden, die im Hintergrund die Fäden der US-Politik ziehen würden. Antisemit will er nicht sein: Er habe jüdische Freund*innen, betont er immer wieder.

Propaganda und Putinversteherei

Inzwischen gibt sich Waters gerne auch als Putinversteher. Er verbreitet russische Propaganda, im Februar 2023 darf er sogar auf Einladung Russlands vor dem UN-Sicherheitsrat eine Rede halten. In einem Videoauftritt zusammen mit seinem Hund behauptet er, Putins Einmarsch in die Ukraine sei provoziert worden: „Deswegen verurteile ich auch die Provokateure auf das Schärfste.“ Im September 2022 schreibt Waters einen offenen Brief an die ukrainische First Lady Olena Selenska, den er auf seiner Webseite veröffentlichte: Er will den „extremen Nationalisten“, die die Ukraine regieren würden, die Verantwortung für den Krieg in die Schuhe schieben.

Oder es gibt das bereits erwähnte Interview mit der Berliner Zeitung, ein bizarres, wenig schmeichelhaftes Gespräch, das Waters in englischer Version ebenfalls auf seiner eigenen Webseite veröffentlicht hat, als sei er stolz darüber. Darin bedient er zahlreiche Kremlnarrative zum Krieg: Putin wolle einen Völkermord gegen die russischsprachige Bevölkerung im Donbas verhindern, wolle den Faschismus in der Ukraine bekämpfen. Er behauptet, Putin regiere behutsam, habe eine „militärische Spezialoperation“ gestartet. Oder dass die Maidan-Proteste 2014 von den USA orchestriert worden seien. Waters fragt sich, ob nicht US-Präsident Joe Biden ein größerer Gangster als Putin sei. Man könne nicht alles glauben, was man im Fernsehen sieht oder in den Zeitungen liest, so Waters. Er spricht von „Gehirnwäsche“ der westlichen Medien.

An einer Stelle beschreibt Waters seinen angeblichen Briefwechsel mit einem jungen ukrainischen Mädchen. „Ich höre dich. Ich verstehe deinen Schmerz“, will Waters ihr geschrieben haben. Die Teenagerin soll geantwortet haben, dass Waters sich in einem Punkt irrt: „Ich bin mir zu 200 Prozent sicher, dass es in der Ukraine keine Nazis gibt.“ „Es tut mir leid, Alina, aber da irrst du dich. Wie kannst du in der Ukraine leben und das nicht wissen?“, so seine seltsame Antwort. Ein 79-jähriger Mann schreibt einer ukrainischen Teenagerin, deren Heimat nach einem brutalen Angriffskrieg in Trümmern steht, um sie über Rechtsextreme im Land zu belehren, als würde das die verheerende Situation vor Ort irgendwie rechtfertigen.

Wegen seiner Äußerungen zur Ukraine wurden seine zwei geplanten Tour-Auftritte in Polen bereits im September 2022 abgesagt. Waters nennt die Absagen „ein Ausdruck von Russophobie“, behauptet, die Menschen in Polen seien offensichtlich empfänglich für „westliche Propaganda“. Nun fordern immer mehr Menschen in Deutschland, dass auch hier seine Konzerte ausfallen. Und auch da reagiert Waters ähnlich trotzig in verschwörungsideologischer Manier: Es seien „politische Lobbyaktivisten“, die das fordern, und nennt alleine die jüdische Aktivistin Malca Goldstein-Wolf.

Zu dieser ominösen „Lobby“ zählt allerdings inzwischen auch ein ehemaliger Bandkollege von Waters. Polly Samson, Ehefrau von Pink-Floyd-Gitarrist David Gilmour, die an den vergangenen zwei Alben der Band mitgewirkt hat, nannte Waters nach dem Interview mit der Berliner Zeitung „bis in seinen verfaulten Kern antisemitisch“ und einen „Putin-Apologeten“ auf Twitter. Sie bezeichnete ihn auch als „lügnerisch“, „misogyn“ und „größenwahnsinnig“. „Genug mit deinem Unsinn“, so Samson. Den Tweet teilte David Gilmour und schrieb dazu: „Jedes Wort [ist] nachweislich wahr“.

Ein kurzes Gedächtnis

Israel-Boykott, NS-Vergleiche und die mächtige jüdische Lobby – Leonard Kaminski ist alarmiert. Er ist Sprecher des jüdischen Vereins „WerteInitiative“ und Gründungsmitglied der RIAS (Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus). Auch er fordert eine Absage des Konzerts. „Damit liefert Waters fast das gesamte Repertoire des modernen Antisemitismus in seinen Aussagen und bei seinen Auftritten“, sagt er gegenüber Belltower.News.

Dass Waters sich antisemitisch äußert, ist nichts Neues, erinnert Kaminski. All das sei aber von Veranstaltern und Sponsoren schnell wieder vergessen worden. „Und das ist sinnbildlich für den Umgang mit Antisemitismus im Kunst- und Kulturbetrieb in Deutschland: Er wird übersehen, den Betroffenen werden nicht zugehört, er wird zu spät wahrgenommen, es wird nichts dagegen unternommen und dann Besserung für das nächste Mal versprochen“, so Kaminski weiter.

Auch Volker Beck kritisiert die geplanten Auftritte in Deutschland scharf. „Roger Waters präsentiert eine klassisch antisemitische Ikonografie kombiniert mit Israelhass“, sagt der Präsident der „Deutsch-Israelischen Gesellschaft“ gegenüber Belltower.News. Er fülle seit Jahrzehnten gigantische Musikhallen mit einem Programm, das mit antisemitischen Narrativen und Israelhass gespickt ist. Er fordere die Diskriminierung jüdisch-israelischer Künstlerinnen und Künstler aufgrund ihrer Herkunft. Oder er setze gleichzeitig diejenigen seiner Musiker-Kolleg*innen erfolgreich unter Druck, die in Israel auftreten wollen, so Beck weiter.

Keine Bühne in Frankfurt

Eine positive Entwicklung: Die Stadt Frankfurt am Main und das Land Hessen als Gesellschafter der Messe Frankfurt beschlossen am 24. Februar 2023, das Konzert in der dortigen Festhalle abzusagen. Denn Waters gelte als „einer der reichweitenstärksten Antisemiten der Welt“. Die Entscheidung wird aber womöglich eine teure: Waters könnte die Stadt auf 2,6 Millionen Euro verklagen, befürchtet die hessische Linkspartei.

„Daran sollten sich andere Veranstaltungsorte ein Beispiel nehmen“, sagt Kaminski zur Absage in Frankfurt. Auf eine Anfrage von Belltower.News reagierten die Mercedes-Benz-Arena in Berlin und die Lanxess-Arena in Köln, wo Waters auftreten soll, bis Redaktionsschluss allerdings nicht. Die Olympiahalle in München, die Waters am 21. Mai bespielen soll, will zuerst die Vollversammlung des Stadtrats abwarten, bevor sie sich dazu äußert: Dort wird ein Antrag des CSU-Politikers Manuel Pretzl behandelt, der eine Absage des Konzerts fordert. Gesellschafter des Veranstaltungsortes ist der Oberbürgermeister Münchens.

Ein Sprecher der Barclays-Arena in Hamburg, wo Waters am 7. Mai auftreten soll, sagt gegenüber Belltower.News: „Die Barclays Arena verurteilt jede Form des Antisemitismus“. Und: „Im konkreten Fall von Herrn Waters sind wir uns seiner öffentlichen Äußerungen und der damit verbundenen Berichterstattung bewusst.“ Allerdings habe sich die Arena grundsätzlich immer bemüht, Künstler*innen eine „offene Plattform“ und ein Umfeld zu bieten, „in dem sie ihre Ansichten unzensiert und unvoreingenommen äußern können.“ Die Barclays Arena plant, ihre vertraglichen Verpflichtungen mit dem Veranstalter des Waters-Konzerts zu erfüllen, heißt es weiter.

Alles von der Kunstfreiheit gedeckt?

Volker Beck gibt sich mit dieser Erklärungen nicht zufrieden: „Die Tour von Roger Waters ist eine Schande für die Veranstalter und Städte, die für so etwas ihre Räume zur Verfügung stellen. Roger Waters schadet dem Ansehen von Daimler-Benz, Lanxess und Barclays. Sie geben den Hallen ihren Namen, in denen Roger Waters seinen Judenhass zelebrieren will.“

Und zur Frage der Kunstfreiheit ist Leonard Kaminski ambivalent. „Die Freiheit, sich auch in der Kunst frei äußern zu dürfen – gut so! Waters und anderen antisemitischen Künstlern muss aber klar sein: Nur, weil man etwas sagen oder performen darf, macht es die Kunst nicht immun gegen Kritik und auch starke Ablehnung.“

„Keine Freiheit ist grenzenlos“, betont Volker Beck. „Jede Freiheit, so auch die Kunstfreiheit, findet ihre Grenze in der Menschenwürde und Rechten anderer.“ Auch wenn sich Roger Waters für seine antisemitischen Ausbrüche auf die Meinungs- und Kunstfreiheit berufen könne, könnten sich Maßnahmen gegen seine Hetze auf Verfassungsgüter wie die Menschenwürde und die freiheitlich-demokratische Grundordnung berufen, so Beck. „Staatliche Behörden sind grundsätzlich dazu verpflichtet, gegen Antisemitismus vorzugehen.“

Bis Waters‘ Schweine wieder fliegen könnten, bleiben noch zwei Wochen: Am 17. März beginnt seine Europatour in Lissabon. Anfang Mai soll Waters nach Deutschland kommen. Aber dass noch mehr Konzerte abgesagt werden, ist nicht unmöglich.

Update 10. März 2023: Auf Anfrage von Belltower.News verweist ein Sprecher des Olympiaparks in München, zu dem die Olympiahalle gehört, auf ein Statement des Oberbürgermeisters der Stadt: Er und der Aufsichtsrat des Olympiaparks distanzieren sich von den politischen Äußerungen und Ansichten Roger Waters‘. Das Konzert kann allerdings nicht einfach abgesagt werden, auch wenn die Auswirkungen einer Absage derzeit geprüft würden, heißt es. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof habe im so genannten „BDSVerfahren“ entschieden, dass die Landeshauptstadt München nicht dazu befugt sei, Bewerber*innen den Zugang zu ihren öffentlichen Einrichtungen allein wegen zu erwartender unerwünschter Meinungsäußerungen zu verwehren: „Der Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasse laut dem Gericht auch extremistische, rassistische oder antisemitische Äußerungen.“

Die Lanxess-Arena in Köln antwortet: Die Äußerungen von Roger Waters seien sehr problematisch. Aber: Sofern keine strafrechtlich relevanten Vorkommnisse wie Tatbestände der Volksverhetzung oder ähnliche Vergehen vorliegen, und eine Veranstaltung nicht Gegenstand behördlicher Beschränkungen oder Verbote ist, halten wir uns als Hallenbetreiber an die vertragliche Ausgangslage.

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