Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Interview zu BDS „Antisemitismus wird dadurch salonfähiger“

Von|
„Boycott Apartheid Israel“: BDS-Unterstützerinnen auf einer „pro-palästinensischen“ Demonstration in Paris im Mai 2021
„Boycott Apartheid Israel“: BDS-Unterstützerinnen auf einer „pro-palästinensischen“ Demonstration in Paris im Mai 2021 (Quelle: picture alliance/Hans Lucas/Xose Bouzas)

This interview is also available in English.

Belltower.News: Herr Feuerherdt, die 2005 gegründete BDS-Bewegung will Israel als einzigen Staat boykottieren und isolieren. Das klingt doch wie die alte antisemitische Parole „Kauft nicht bei Juden“, oder?
Alex Feuerherdt: Im Kern ist und bleibt die Kampagne antisemitisch. Sie ist nichts anderes als die modernisierte Fassung der alten NS-Parole. Jetzt heißt es eben: „Kauft nicht beim Judenstaat“. Man muss sich ja immer fragen: Warum wird ausgerechnet Israel als einziges Land ausgesucht, gegen das man so eine Kampagne führt? Vor allem, wenn es so viele Kriege und Konflikte auf der Welt gibt – mit deutlich höheren Opferzahlen. Auch die israelische Regierung macht Fehler. Auch in Israel gibt es Rassismus – wie in allen anderen demokratischen Ländern. Doch die Kampagne gegen Israel ist weltweit einzigartig.

Kritik an der israelischen Politik ist also durchaus berechtigt?
Natürlich kann man ganz viel kritisieren. Aber BDS nimmt nicht eine konkrete Politik ins Visier, sondern die Existenz des jüdischen Staates als solche. Die Argumentation der BDS-Kampagne ist allerdings wirklich nichts Neues. Der alte Antisemitismus wird modernisiert – und von der individuellen Ebene „des Juden“ auf die Nationalstaatsebene projiziert. Der israelische Historiker Jacob Talmon hat es bereits in den 1970er-Jahren formuliert: Israel erscheint als „kollektiver Jude“ unter den Nationen. Das Land wird ausgesondert und zum Pariastaat gemacht: Der jüdische Staat wird dämonisiert, delegitimiert und mit Standards gemessen, die man an kein anderes Land auf dieser Welt anlegt. Und das ist antisemitisch: Denn ist es ist ein Angriff auf das wichtigste Symbol des modernen Judentums.

Schon vor der Staatsgründung Israels 1948 gab es einen Boykott der Arabischen Liga gegen Jüdinnen und Juden im britischen Mandatsgebiet Palästina, später gegen Israel.
Auch unter diesem Aspekt ist die BDS-Bewegung nichts grundlegend Neues. Der Boykott der Arabischen Liga dauerte viele Jahrzehnte und wurde mit einem eigenem „Boykottbüro“ organisiert. Die unmittelbaren wirtschaftlichen Erfolge haben sich allerdings in Grenzen gehalten – anders als beim Boykott gegen das Apartheidregime in Südafrika. Doch die Kampagne gegen Israel damals richtete auf der politischen Ebene einen großen Schaden an: Sie rief auch dazu auf, Unternehmen zu boykottieren, die Handel mit anderen Unternehmen trieben, die wiederum Geschäfte mit Israel machten – teilweise mit Erfolg.

Der Untertitel Ihres Buchs lautet: „Alter Hass in neuem Gewand“. Was ist also an der BDS-Bewegung neu?
Neu ist, dass das Ganze in einem menschenrechtlichen Jargon verpackt wird, um es dann eben als humanistisches und humanitäres Anliegen erscheinen zu lassen. Es gibt beispielsweise drei Kernforderungen von BDS. Bei der ersten heißt es: Die Besatzung und Kolonisierung allen arabischen Landes muss beendet werden. Das klingt zunächst nach einer menschenrechtlichen Forderung, bei der es um Freiheit und Selbstständigkeit geht. Aber es wird ja gar nicht gesagt, was konkret mit „allem arabischen Land“ gemeint ist. Nur das Westjordanland? Oder reden wir etwa über ganz Israel? Und das ist schon der erste Knackpunkt.

Die Vagheit der Forderungen ist also eine bewusste Strategie der BDS-Bewegung?
Definitiv. Es bleibt im Ungefähren – und das hat viel damit zu tun, dass Unterstützer:innen aus den USA und Europa nicht verschreckt werden sollen. Diese werden in dem Glauben gelassen, dass es nur um den Gazastreifen und das Westjordanland geht. Für palästinensische Organisationen ist jedoch vollkommen klar, dass mit „allem arabischen Land“ ganz Israel gemeint ist. Das heißt: Das Existenzrecht Israels wird negiert. Ein weiteres Beispiel: BDS fordert den Abriss der Mauer. Eine Welt ohne Mauer klingt super, wer wäre nicht dafür? Es wird aber überhaupt nicht erwähnt, warum es diese Sperranlagen zwischen dem Westjordanland und Israel gibt: Weil es in der zweiten „Intifada“ ab dem Jahr 2000 eine Flut von Selbstmordattentaten gegeben hat und Israel diese Sperranlagen errichtet hat, um sie zu verhindern – was auch gelungen ist. Doch das Sicherheitsbedürfnis Israels wird überhaupt nicht thematisiert.

Das Ziel der BDS-Kampagne ist also das Ende des jüdischen Staates im Nahen Osten?
In ihren Implikationen ja: Die dritte Kernforderung von BDS zum Beispiel ist ein Rückkehrrecht für alle palästinensischen Flüchtlinge auf israelisches Territorium – inklusive ihrer Nachkommen. Das sind inzwischen 5,6 Millionen Palästinenser:innen, was ein Ende des jüdischen Staates bedeuten würde. So soll auf demografischem Weg erreicht werden, was auf politischem und militärischem Wege nicht erreicht werden konnte. Was dabei nicht erwähnt wird: Der Teilungsplan der Vereinten Nationen von 1947, der auch die Gründung eines arabischen Staates vorsah, wurde von den arabischen Staaten abgelehnt. Einen Tag nach der Gründung Israels 1948 griffen sie den jüdischen Staat mit dem Ziel an, ihn gleich wieder von der Landkarte zu tilgen. Vor allem daraus ist die Flüchtlingsproblematik entstanden: Etwa 700.000 Palästinenser:innen verließen das Land, gleichzeitig gab es auch Hunderttausende jüdischer Flüchtlinge aus den benachbarten arabischen Ländern, die vertrieben wurden. Ihr Recht auf Rückkehr hat nie jemand gefordert. Auch das sollte man nicht vergessen, wenn man über diese Kernforderungen spricht.

Gerne wird behauptet, die BDS-Bewegung sei aus der palästinensischen Zivilgesellschaft entstanden. Stimmt das?
Das stimmt aus zwei Gründen nicht: Zum einen liegen die Wurzeln der Bewegung gar nicht in den palästinensischen Gebieten, sondern im südafrikanischen Durban bei der „Weltkonferenz gegen Rassismus“ der UNO im Jahr 2001. Parallel dazu fand ein NGO-Forum statt: Damals ist eine Erklärung beschlossen worden, die sehr viel von dem enthält, was dann später BDS-Inhalte werden sollten. Das Forum war eine Art antisemitisches Tribunal: Jüdische Teilnehmende wurden angegriffen und ausgeschlossen, auf dem Konferenzgelände wurden die „Protokolle der Weisen von Zion“ und andere antisemitische Pamphlete verteilt. Es war nichts anderes als ein Festival des Hasses gegen Israel. Die Wurzeln der Bewegung liegen auch bei europäischen, nicht zuletzt bei britischen und US-amerikanischen Intellektuellen und Akademiker:innen, die frühzeitig zum Boykott aufgerufen haben.

Und der zweite Grund?
Zivilgesellschaft klingt nach einer friedlichen Grassroots-Bewegung, die von unten kommt und zum Ziel hat, gewaltfrei irgendwelche demokratische Prozesse loszutreten. Das ist hier nicht der Fall. Man muss sich nur ansehen, welche Organisationen und Verbände das BDS-Gründungsmanifest im Juli 2005 unterschrieben haben: An erster Stelle stehen die „Palestinian National and Islamic Forces“. Wie der Name schon erahnen lässt, geht es hier nicht um eine gewaltfreie Organisation. Vielmehr ist es ein Zusammenschluss aller relevanter palästinensischer Organisationen und Parteien – darunter auch Terrororganisationen wie die Hamas und wie die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP). Diese Gruppen haben sich im Zuge der zweiten „Intifada“ in den frühen 2000er-Jahren zusammengeschlossen, um Aktivitäten – terroristische sowie politische – gegen Israel zu koordinieren. Mit Zivilgesellschaft hat das nichts zu tun.

BDS hat auch jüdische Unterstützer:innen. Sind sie auch antisemitisch?
Das kann teilweise schon so sein, auch wenn das natürlich komisch klingt. Aber es gibt auch Migrant:innen, die rassistisch sind, oder Frauen, die sexistisch sind – auch wenn das natürlich nicht der Mehrheit entspricht. In der BDS-Bewegung werden die wirklich sehr wenigen, aber dafür sehr lauten jüdischen Stimmen immer ganz bewusst nach vorne geschoben – als Kronzeug:innen, damit man einen Koscherstempel hat und Antisemitismus zurückweisen kann. Die wirklich erdrückende Mehrheit der Jüd:innen und Juden auf dieser Welt lehnt BDS aber vollkommen ab. Gleichzeitig muss man sagen: Nicht der Sprechort ist wichtig, sondern die Forderungen der Bewegung. Und sie sind in ihren Implikationen und Methoden antisemitisch.

Auch die Gewaltfreiheit der Kampagne wird von BDS-Unterstützer:innen immer wieder betont. Ist es nicht legitim, einen Staat friedlich zu boykottieren?
Natürlich gibt es die Frage, inwieweit Boykotte wirklich frei von Gewalt sind: Ist es ein gewaltfreier Protest oder eben eine Dämonisierung und Delegitimierung Israels, die einen klaren antisemitischen Anstrich hat? Eine im Kern antisemitische Kampagne kann per se schon überhaupt nicht gewaltfrei sein. Die Aggressivität, mit der BDS-Aktivist:innen vorgehen, spricht außerdem für sich: Sie stören Veranstaltungen massiv, brüllen jüdische und israelische Redner:innen nieder, attackieren Hochschullehrer:innen körperlich.

Die BDS-Kampagne fällt in vermeintlich linken und progressiven Kreisen oft auf fruchtbaren Boden: Sei es an anglo-amerikanischen Universitäten, in Teilen der queeren Community oder in der Berliner Technoszene. Warum eigentlich?
Über linken Antisemitismus kann man natürlich auch ein ganzes Buch schreiben – das hat Jeffrey Herf bereits getan. Einen Aspekt würde ich gerne hervorheben: Die Verirrungen des antiimperialistischen Weltbildes, das die Welt in Unterdrücker und Unterdrückte aufteilt, in Gut und Böse, Imperialisten und Ausgebeutete. Dieses Zerrbild ist letztlich auch die ideologische Grundlage der BDS-Bewegung und des linken Antisemitismus: Israel sei Täter, Palästina Opfer. Israel sei der deutlich Stärkere, der die Supermacht USA noch im Rücken habe. Es ist eine klassische Underdog-Geschichte. Der UN-Teilungsplan von 1947 für eine Zweistaatenlösung, die Vernichtungsversuche der arabischen Staaten nach der israelischen Staatsgründung 1948 oder die lange Geschichte des Antisemitismus im Nahen Osten – all das wird dabei ausgeblendet.

Auch in der deutschen Linken gibt es israelbezogenen Antisemitismus – trotz oder vielleicht gerade wegen der Shoah…
Aus deutschen Linken werden gerne linke Deutsche, wenn es um Juden und Israel geht. In dieser Hinsicht unterscheiden sie sich gar nicht so grundsätzlich von ihren Vorfahren, die sie vorgeblich bekämpfen. Man hat sich durch eine sogenannte „Israelkritik“, mit unheilbar gutem Gewissen, eine Möglichkeit geschaffen, auf eine vermeintlich politisch korrekte Art antisemitisch sein zu können. Die Tatsache, dass Israel als jüdischer Staat existiert, weist auch gerade in Deutschland die Linke auf ihre Niederlage gegen die Nazis hin, die sie nicht hatten verhindern können.

Die Bilanz mehr als 15 Jahren nach dem BDS-Aufruf 2005: Was hat die Kampagne tatsächlich erreicht – und welche Erfolge hatte sie bislang für die Palästinenser:innen?
Den Palästinenser:innen hat es gar nichts gebracht. Es hat ihnen eher geschadet als genützt: Die kleinen „ökonomischen Erfolge“ der Kampagne führten zum Beispiel teilweise dazu, dass Palästinenser:innen in Israel oder im Westjordanland ihren Arbeitsplatz verloren. Ökonomisch hat BDS aber für Israel im Prinzip keine Rolle gespielt. Doch die Kampagne konnte auf der politischen Ebene und im kulturellen Bereich Schaden anrichten. Es hat eine neue Form von Antisemitismus salonfähiger gemacht und zu einer Normalisierung des israelbezogenen Antisemitismus und insgesamt zu einem Anwachsen des Antisemitismus beigetragen: Jüdinnen und Juden gerade an Hochschulen müssen zunehmend in einem Klima der Angst leben. Das gehört zur Bilanz von BDS wesentlich dazu.

Foto: Peter Neubauer

Im Gespräch: Alex Feuerherdt ist freier Publizist und veröffentlicht regelmäßig zu den Themen Israel, Nahostkonflikt, Antisemitismus und Fußball. Er schreibt u.a. für die Jungle World, konkret, die Jüdische Allgemeine und n-tv.de. Er betreibt zudem den Blog „Lizas Welt“. 2020 erschien sein Buch „Die Israel-Boykottbewegung: Alter Hass in neuem Gewand“, das er mit dem Politikwissenschaftler und Leiter des Nahost-Thinktanks „Mena Watch“ Florian Markl schrieb, im Verlag „Hentrich & Hentrich“.

Weiterlesen

Freund oder Feind? Im „Index Palestine“: werden Kultureinrichtungen entweder als „supporter“, „pro-Zionist“ oder „silent“ abgestempelt.

Israelboykott BDS-Liste denunziert „prozionistische“ Kultureinrichtungen

Die BDS-nahe Initiative „Index Palestine“ hat eine Liste internationaler Kultureinrichtungen und Kunstkollektive erstellt, um zwischen „Supporter“ der „palästinensischen Befreiungsbewegung“ und „Pro-Zionsts“ zu unterscheiden. Um auf der Liste zu landen, reicht schon ein Herzemoji.

Von|
Greta Thunberg, Luisa Neubauer und andere Schüler:innen auf einer Klimademonstration von „Fridays for Future“ in Berlin 2019

Klimabewegung trifft Nahostkonflikt Fridays for Hamas?

Auf Social Media teilte der internationale Account von „Fridays for Future“ eine antisemitische Sharepic-Reihe zum Nahostkonflikt. Der deutsche Ableger der Klimabewegung distanzierte sich davon schnell. Doch der Vorfall war kein Ausrutscher.

Von|
Eine Plattform der