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Pop-Kultur-Festival Überschattet vom Israelhass

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Das Pop-Kultur-Festival 2021: Das Berliner Kollektiv Freak de l’Afrique in der Kulturbrauerei
Das Pop-Kultur-Festival 2021: Das Berliner Kollektiv Freak de l’Afrique in der Kulturbrauerei (Quelle: Camille Blake)

Eigentlich gibt es viele Gründe, das Pop-Kultur 2022 in Berlin zu feiern. Nach zwei Jahren Corona-Pause findet das internationale Festival für Kunst und Musik vom 24. bis zum 26. August in der Kulturbrauerei endlich wieder statt. Einige Arbeiten, die 2020 pandemiebedingt nicht gezeigt werden konnten, bekommen nun ein Publikum. Im Fokus dieses Jahr stehen auch queere und (post-)migrantische Künstler*innen, vor allem aus der afrikanischen Diaspora. Einem eurozentristischen Fokus etwas entgegenzusetzen, war stets ein wichtiges Anliegen des 2015 ins Leben gerufenen Festivals. Pop-Kultur will zudem möglichst barrierearm sein: So bietet das Festival eine „Inkluthek“ an, eine barrierefreie Online-Mediathek. Einige Konzerte und Panels werden vor Ort in Gebärdensprache übersetzt. Auch die Gebärdenpoetin Mila Hergert wird mit ihrer Gedicht-Performance „Schnauze voll“ auftreten.

Doch zwei Tage vor Festivalbeginn wird das Pop-Kultur 2022 vom Israelhass einer gezielten BDS-Kampagne überschattet. Schon wieder. BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) ist eine internationale antisemitische Kampagne, die von Terrororganisationen wie Hamas und der PFLP mitinitiiert wurde und Israel politisch, wirtschaftlich und kulturell isolieren will. Für die Boykott-Aktion gegen das Festival hat BDS sogar eine eigene Webseite und Plakate erstellt: „Partnered with Apartheid“, steht auf Postern im gleichen Stil der Festivalwerbung.

Der Plan geht auf: Am 22. August kündigten die Acts Trustfall und Lafawndah auf Instagram an, dass sie ihre Teilnahme am Festival kurzfristig abgesagt haben. Auch die ägyptisch-äthiopische Rapperin Alewya und der queere Sänger-Produzent Franky Gogo haben laut Veranstalter*innen ihre Auftritte mit Bezug auf die BDS-Kampagne abgesagt, allerdings ohne sich bislang dazu in den sozialen Medien zu äußern.

Die Statements von Trustfall und Lafawndah – eine Reihe Sharepics, die fast zeitgleich erschienen und optisch nahezu identisch sind – bestehen aus den üblichen antisemitischen Vorwürfen der BDS-Blase: Israel sei ein rassistischer, kindermordender Apartheidstaat, der offenbar alles Böse in der Welt verkörpert. Das palästinensische Volk hingegen sei nur ein unterdrücktes Opfer, ohne jegliche Verantwortung am Status Quo im Nahen Osten. Alle Nuancen und Komplexität eines erbitterten jahrzehntelangen Konflikts zum Trotz.

Der Londoner Künstler Trustfall kritisiert, das Pop-Kultur-Festival erhalte Fördermittel vom „israelischen Regime“. Da das Logo der israelischen Botschaft erst kurz vor Festivalbeginn auf der Website erschien, fühle er sich in eine Falle gelockt. Für den Berliner Kultursenator Klaus Lederer findet er scharfe Töne: Lederer habe das Festival nicht nur „ideologisch mit einem Apartheidstaat in Einklang“ gebracht, sondern zeige auch „ein breiteres Engagement für die anhaltende Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung“.

Das Thema „Palästina und Israel“ sei nicht kompliziert, behauptet Trustfall: „Ersteres ist ein enteignetes Volk, das in einem Freiluftgefängnis lebt, letzteres ist ein kolonialer Ethnostaat, dem die führenden Politiker der Welt einen moralischen Blankoscheck ausstellen“. Er ruft nicht nur andere Künstler*innen dazu auf, ihren Auftritt ebenfalls abzusagen, sondern auch Besucher*innen, sich vom Festival fernzuhalten.

Die Experimental-Musikerin Lafawndah aus Paris schreibt in ihrem Statement, sie sei gegen alle Formen von Rassismus und Diskriminierung – auch Antisemitismus. Das Pop-Kultur-Festival würde aber die Verbrechen Israels wie die Ermordung von palästinensischen Kindern „whitewashen“. Das Festival unterstütze „Rassismus, koloniale Brutalität und Mord“, so die Künstlerin weiter.

Lafawndah bezieht sich auf das höchst umstrittene Apartheid-Label von Amnesty International, Human Rights Watch und B’Tselem. Und sie kritisiert auch den BDS-Beschluss des Deutschen Bundestages, den sie umdeutet als eine Verurteilung von „Aufrufen der palästinensischen Gesellschaft, Israel nach internationalem Recht zur Rechenschaft zu ziehen“. Lafawndah fühlt sich auch offenbar von der Initiative GG 5.3 Weltoffenheit ermuntert, die 2020 den Bundestagsbeschluss zu BDS in einem offenen Brief kritisierte.

Seit Jahren führt die BDS-Bewegung eine Kampagne gegen das Pop-Kultur-Festival (Quelle: Screenshot)

Die Vorwürfe der Künstler*innen wiegen schwer – entlarven sich aber schnell als absurd. Israel verfolgt einen geheimen Plan, ein Festival für experimentelle Kultur in Berlin zu finanzieren, um vom „Kindermord“ und „Apartheid“ zu Hause abzulenken? Und Kultursenator Lederer wolle das Festival mit diesem angeblichen „Apartheidstaat“ ideologisch in Einklang bringen und engagiere sich dafür, Palästinenser*innen zu unterdrücken? Krude Thesen, für die es keine Belege gibt.

Vor allem lesen sich die Statements der französischen und britischen Künstler*innen wie einstudierte Talking Points der BDS-Kampagne. Und sie zeigen, wie tief der Hass auf Israel sitzt: Nicht nur den jüdischen Staat wollen sie boykottieren, sondern jede Veranstaltung, die auch nur einen Schekel aus Jerusalem bekommt. Es geht ihnen nicht um eine leider bitter nötige Kritik verschiedener israelischer Regierungen, sondern um die Delegitimierung des israelischen Staates als rassistisches Unterfangen. Und das ist antisemitisch.

In Realität wird das Festival nicht von Israel finanziert, sondern durch die Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa, aus Mitteln des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) sowie aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) gefördert. Einzelne Künstler*innen können vom nationalen Kulturinstitut oder der Botschaft ihres Landes Unterstützung bei der Anreise oder auch für die Umsetzung ihrer Projekte erhalten, wie es in einer Stellungnahme des Festivals zur Boykott-Kampagne heißt – eine gängige Praxis im internationalen Kulturaustausch, betonen die Veranstalter*innen.

So hat die Kulturabteilung der israelischen Botschaft beim Pop-Kultur 2022 eine Auftragsarbeit mit einem Projektzuschuss von 5.000 Euro gefördert, wie sie auf Anfrage der Berliner Zeitung mitteilt. Es geht um „BĘÃTFÓØT feat. Kunty Klub“, ein israelisches Rave-Trio mit Unterstützung eines queeren Tanzensembles. Die Künstler*innen werden beim Festival zum allerersten Mal in Deutschland zu sehen sein. Auch staatliche Institutionen in Kanada und Belgien sollen Künstler*innen mit Zuschüssen unterstützen. Die Liste der weiteren Partnerschaften mit Medienhäusern und Unternehmen ist lang.

Gegen die Vorwürfe von Trustfall und Lafawndah will sich das Pop-Kultur-Festival nun verteidigen: Es habe die Logos zu staatlichen Zuschüssen erst online gestellt, nachdem alle genannten Institutionen ihre Unterstützung zugesagt hätten, heißt es weiter im Statement. Dass einzelne Künstler*innen Unterstützung von Kulturinstitutionen erhalten können, sei bereits mit den Booking-Angeboten im Dezember 2021 kommuniziert worden, kontert das Festival. „In der Kommunikation mit den Künstler*innen wird auf vorherige BDS-Kampagnen im Zusammenhang mit dem Festival hingewiesen“, so heißt es weiter.

Für die BDS-Kampagne alles nur Details. Denn es geht den Menschen dahinter darum, die Kulturszene zu spalten und das Thema des Israelboykotts hoch auf die Agenda zu platzieren. Mit den bisherigen Absagen scheint ihr Plan bisher ganz gut aufzugehen. Das sehr reale Leid der Palästinenser*innen hingegen wird die Boykott-Aktion nicht mindern. Seit ihrer Gründung 2005 konnte BDS den Verlauf des Nahostkonflikts kaum beeinflussen. Doch zumindest an Universitäten und in der Kulturbranche hat sich die Kampagne als umtriebige Akteurin erwiesen, die verschiedensten Themen kapert. Konzerte in Israel werden abgesagt, israelische Wissenschaftler*innen werden von Konferenzen in anderen Ländern ausgeladen und jüdische Künstler*innen werden aufgefordert, sich im Nahostkonflikt zu positionieren.

BDS hat das Pop-Kultur-Festival nicht zum ersten Mal im Visier: Bereits 2017, 2018 und 2019 wurde das Festival zum Ziel der antisemitischen Kampagne, die den jüdischen Staat wirtschaftlich, kulturell und politisch isolieren will. Auch damals unterstützte die israelische Botschaft einzelnen Künstler*innen, mit geringen, fast symbolischen Reisezuschüssen von 500 bis 1.200 Euro. BDS-Aktivist*innen gingen auf die eingeladenen Künstler*innen gezielt zu und setzten sie unter Druck, ihre Auftritte abzusagen. Mit Erfolg: Ein Coup landete BDS 2017 mit der Absage des Headliners Young Fathers aus Großbritannien. Ein Jahr später sagten zwölf Künstler*innen ab. Bei einer Podiumsdiskussion zum Thema Boykott beleidigten BDS-Aktivist*innen Kultursenator Lederer, es kam zu Störaktionen, „Apartheid“- und „Rassisten“-Rufen sowie kleinen Handgreiflichkeiten.

Ob es zu solchen Szenen dieses Jahr wiederkommen wird, bleibt abzuwarten. Doch der Schaden ist schon angerichtet. Und darunter leidet vor allem ein spannendes und innovatives Kulturfestival.

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