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Autoritarismus-Studie Rechtsextreme Einstellungen im Westen auf dem Vormarsch

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Die Zufriedenheit mit der Demokratie sinkt. (Quelle: RechercheNetzwerk.Berlin)

Am Mittwoch, dem 13. November, wurde in Berlin die neue Leipziger Autoritarismus Studie „Vereint im Ressentiment“ vorgestellt. In einem Turnus von zwei Jahren stellen die Wissenschaftler*innen um die Studienleiter Prof. Dr. Oliver Decker und Prof. Dr. Elmar Brähler die Ergebnisse zu autoritären und demokratiefeindlichen Einstellungen der Bundesbürger*innen vor. Angesichts einer stets näher rückenden Bundestagswahl im Frühjahr 2025 gibt es kaum positive Ausblicke der Einstellungsforscher*innen: Die Sehnsucht nach einem starken „Führer“ wächst, gleichzeitig nimmt die Akzeptanz von Demokratie besonders im Osten dramatisch ab. Fast ein Drittel der befragten Westdeutschen fühlen sich durch Migrant*innen „überfremdet“, die Hälfte der Westdeutschen wertet Muslime pauschal ab. „Ausländerfeindlichkeit hat sich damit zu einem bundesweit geteilten Ressentiment entwickelt“, erklärt Elmar Brähler. Und auch antisemitische Einstellungen treten häufiger auf, besonders in Westdeutschland. „Die Studie erfasst in diesem Jahr vor allem in Westdeutschland eine deutliche atmosphärische Verschiebung“, stellt Oliver Decker fest. Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, merkt an: „Was wir hier sehen, ist eine gefährliche Normalisierung rechtsextremer und autoritärer Ideologien, die nicht nur in Ostdeutschland, sondern zunehmend auch im Westen an Boden gewinnen.“ Die Diskussion alleine auf ein mögliches AfD-Verbot zu beschränken, genüge nicht aus.

Der Wunsch nach einem starken „Führer“

15 Prozent der von den Wissenschaftler*innen Befragten stimmen der Aussage, unter bestimmten Umständen sei eine Diktatur die bessere Staatsform teilweise, also latent, zu. 4,3 Prozent unterstützen die Aussage explizit, stimmen ihr also manifest zu. In Ostdeutschland ist die Zustimmung etwas höher als im Westen.

Einen „Führer“, der „Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert“ wünschen sich immerhin 8,5 Prozent der Befragten manifest, 15,2 Prozent teilweise. Hier liegt der Wert in Westdeutschland höher als im Osten. Schließlich glauben 17,6 Prozent der in Deutschland wohnenden Menschen, dass Deutschland „eine einzige starke Partei“ brauche, welche „die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert“. Weitere gut 20 Prozent können dieser antipluralistischen Aussage teilweise zustimmen.

Die Atmosphäre im Westen verschlechtert sich

Der Aussage, dass man „Hitler heute als großen Staatsmann“ ansehen würde, wenn es die Judenvernichtung nicht gegeben hätte, stimmen zwar im Westen mit 6,3 Prozent etwas weniger Menschen zu als im Osten (7,8 Prozent), aber die latente Zustimmung (West: 15,6 Prozent; Ost: 10,6 Prozent) führt insgesamt zu deutlich höherer Zustimmung im Westen. 

„Endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl“ wünschen sich ein Drittel (32,3 Prozent) der Befragten voll und ganz und weitere 29,1 Prozent teilweise, wobei die Zustimmung im Osten stärker latenter (36,9), im Westen manifester (34,4 Prozent) ausfällt. Erschreckend: Nur eine Minderheit von knapp 40 Prozent in Ost wie West lehnt diese Aussage überwiegend oder voll und ganz ab.

Der Anteil derer mit einem geschlossen rechtsextremen Weltbild ist bundesweit auf rund 5 Prozent gestiegen (2022: 3 Prozent). Die manifesten rechtsextremen Einstellungen sind unter Menschen ohne Abitur deutlich höher als bei jenen mit Abitur und bei Männern höher als bei Frauen. Wenige dürfte überraschen, dass manifest rechtsextreme Einstellungen unter AfD-Wähler*innen am höchsten sind. Über die Hälfte der AfD-Wähler*innen (56,8 Prozent) haben ein geschlossen rechtsextremes Weltbild. Die Forscher*innen der Leipziger Autoritarismus-Studie bezweifeln dabei, dass diese Wähler*innen durch andere Parteien zurückgewonnen werden können. Gleichzeitig drohe den demokratischen Parteien durch die schwindende Abgrenzung nach rechts der Wähler*innenverlust. Ihre Wähler*innen seien zunehmend enttäuscht und orientierungslos durch ihren Gebrauch zentraler Motive rechtsextremer Rhetorik wie Sozialstaatsmissbrauch und angeblicher Überfremdung zur Rechtfertigung restriktiverer Migrationspolitik. Dies würde zu flüchtigeren Wahlentscheidungen und wechselnden Mehrheitsverhältnissen in den Parlamenten führen.

Esoterische Weltbilder und Aberglauben wiederum können als möglicher Ausgang aus der bedrückenden Realität interpretiert werden und sind im Westen weiter verbreitet als im Osten. 

Antisemitismus

Auch für Jüd*innen wird das gesellschaftliche Klima immer unangenehmer: Der Erzählung, dass der „Einfluss der Juden“ auch „heute noch“ zu groß sei, stimmen gesamtgesellschaftlich in der Befragung 23,2 Prozent, davon 9,2 Prozent manifest zu. Während es im Osten 5 Prozent sind, findet diese Aussage jeder zehnte Westdeutsche ausdrücklich zustimmungsfähig. Der abgefragte manifeste Antisemitismus ist hierbei also im Westen höher als im Osten. Durch die latente Zustimmung antisemitischer Aussagen im Osten wird dies jedoch wieder ausgeglichen. Männer und junge Erwachsene im Westen sind überproportional häufiger antisemitisch eingestellt.

Auch israelbezogener Antisemitismus wurde in der diesjährigen Autoritarismus-Studie abgefragt: Während 2022 noch 12,8 Prozent angaben, dass ihnen aufgrund der Politik Israels „die Juden immer unsympathischer“ würden, stimmen 2024 15,6 Prozent der Befragten dieser Gleichsetzung von Jüd*innen mit den politischen Handlungen des Staates Israel zu. 14 Prozent der Befragten halten den Nahostkonflikt für einen „Konflikt zwischen weißem Kolonialismus und unterdrückten Minderheiten“, ein weiteres Drittel stimmt dieser Aussage teilweise zu.

Mit solchen Aussagen wird nicht nur die Legitimität des Staates Israels angezweifelt, sondern auch die besondere Situation der Staatsgründung geleugnet. Schließlich war der Staat Israel sowohl ein Zufluchtsort für Jüd*innen nach der Shoah als auch ein sicherer Ort für arabische Jüd*innen. 

Rassismus: Ein Drittel sehen die Bundesrepublik durch die vielen Ausländer überfremdet“

Die Kategorie „Ausländerfeindlichkeit“, die Abwertung von als fremd markierten Menschen, ist seit der Erhebung der Daten 2002 im Osten stets höher als im Westen. Der Aussage „Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen“ stimmen 2024 mit 33,2 Prozent der Befragten, ein Drittel, manifest zu. In Ostdeutschland ist es mit 46,3 Prozent fast jeder Zweite. Insgesamt lehnt aber nur ein Drittel der Befragten – in Ost und West – die Aussage überwiegend oder voll und ganz ab. Wenn Arbeitsplätze knapp werden, wollen 24,8 Prozent der Befragten „die Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken“. Schließlich sehen 33,8 Prozent der Befragten die Bundesrepublik explizit, also manifest, „durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“, weitere 28,3 Prozent sehen das zumindest teilweise so. Nur eine Minderheit lehnt diese Aussage ab, im Osten sind es nur 26 Prozent. 

Starker Anstieg an geschlossen-rassistischem Weltbild

Die Wissenschaftler*innen weisen auf einen enormen Anstieg des geschlossenen ausländerfeindlichen Weltbildes im Westen hin: 2024 teilten 20 Prozent eine geschlossene Ausländerfeindlichkeit, was gegenüber 13 Prozent im Jahr 2022 ein deutlicher Anstieg ist. Wie bereits in ostdeutschen Bundesländern droht nun auch im Westen ausländerfeindliche, also rassistische, Ressentiments, zu einer hegemonialen Weltsicht zu werden.

Muslimfeindlichkeit und Antiziganismus

Die Leipziger Autoritarismus-Studie zeigt darüber hinaus, dass Antiziganismus und Muslimfeindschaft im Westen seit 2022 angestiegen sind. 2022 zeigten sich Westdeutsche nur zu einem Viertel bis einem Drittel bereit, Muslim*innen abzuwerten. Heute sind es knapp die Hälfte, während sich das Bild im Osten kaum verändert hat. Während 2022 noch ein Drittel der Westdeutschen angab, sich durch Muslim*innen in Deutschland „manchmal wie ein Fremder im eigenen Land“ zu fühlen, sind es 2024 Ost wie West fast die Hälfte. Muslim*innen generell die Zuwanderung nach Deutschland zu untersagen, begrüßen 2024 ein Drittel der Westdeutschen, während es 2022 weniger als ein Viertel war. Hier sind die Zustimmungsraten im Osten zwar etwas rückläufig, jedoch mit 43,2 Prozent auch in diesem Jahr noch deutlich höher als im Westen.

Ein ähnliches Bild zeichnet sich auch beim Thema Antiziganismus. In Ostdeutschland zeigt rund die Hälfte der Befragten ausdrücklich Ressentiments gegen Sinti*zze und Rom*nija, indem sie ihnen beispielsweise zuschreibt, zur „Kriminalität zu neigen“. Auch im Westen ist der Wert von 39 Prozent auf rund 47 Prozent deutlich angestiegen.

Sozialdarwinismus, Transfeindlichkeit und Antifeminismus

Knapp 8 Prozent der Befragten halten die Deutschen anderen Völkern überlegen, 17 Prozent denken dies teilweise. 9 Prozent meinen, dass es „wertvolles und unwertes Leben“ gibt, 10,5 Prozent halten die Aussage für teilweise richtig. Dabei liegt die manifeste Zustimmung im Osten durchgehend niedriger.

Erstmalig wurden dieses Jahr auch Einstellungen zu Transfeindlichkeit gemessen. 40 Prozent der Westdeutschen und 58,5 Prozent der Ostdeutschen stimmen der Aussage zu, dass in Deutschland Toleranz gegenüber Transsexuellen „übertrieben“ sei. 

Im Osten denkt ein Drittel (32,2 Prozent), dass Frauen in ihren Schilderungen von sexualisierter Gewalt zum eigenen Vorteil übertreiben würden. Im Westen ist es jede*r Fünfte (17,2 Prozent). 21,3 Prozent aller Befragten finden zudem, dass „durch den Feminismus die gesellschaftliche Harmonie und Ordnung gestört“ wird. Im Osten stimmt fast jede*r Dritte dieser Aussage zu.

 Zufriedenheit mit der Demokratie nimmt ab – besonders im Osten

Die Zufriedenheit mit der Idee Demokratie hat in Deutschland im Vergleich zur vorigen Befragung 2022 abgenommen (2024: 90,4 Prozent; 2022: 94,3 Prozent). Besonders in ostdeutschen Bundesländern ermittelten die Forscher*innen einen rapiden Abstieg der Akzeptanz vom demokratischen Konzept. 2022 sprachen sich noch 53,5 Prozent der Ostdeutschen für die Demokratie, so wie sie in Deutschland funktioniert, sind es in der diesjährigen Erhebung nur noch 29,7 Prozent. Nur zum Start der Erhebung 2006 fiel dieser Wert mit 27,7 Prozent noch niedriger aus. Aber auch in Westdeutschland ist die Akzeptanz rückläufig: nur noch 46 Prozent sind hier mit der Auslegung der Staatsform zufrieden, gegenüber 57,7 Prozent im Jahr 2022. 

Zwar wird die „Idee der Demokratie“ noch von 90 Prozent der Deutschen befürwortet, dies ist jedoch der niedrigste Wert seit 2006. Während die Zustimmung mit rund 95 Prozent in Ostdeutschland immer noch hoch ist, sackt die Zustimmung zur Demokratie in Westdeutschland von 94 Prozent auf 90 Prozent ab.

Gewalt als Mittel der Problemlösung wird bundesweit von jedem Zweiten (47,8 Prozent) akzeptiert, im Osten ist autoritäre Aggression mit 63 Prozent deutlich höher als der Bundesdurchschnitt. 

Was bleibt?

Die Zahlen der Autoritarismus-Studie belegen, was wohl viele Menschen aus marginalisierten Gruppen bereits am eigenen Leib erfahren: Das gesellschaftliche Klima wird kälter. Die Ablehnung gegen Migrant*innen generell, gegen Muslim*innen, gegen Jüd*innen, gegen Sint*ezza und Rom*njija, gegen queeres Leben ist für Betroffene seit einiger Zeit spürbar. Nun belegen auch die Daten der Einstellungs-Forscher*innen, dass Ressentiments gegen Minderheiten zugenommen haben. 

Die aktuellen Daten zeigen einmal mehr, dass demokratiefeindliche Einstellungen wie Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus keinesfalls nur Probleme der sogenannten politischen Ränder sind. Vielmehr finden wir diese autoritären und völkischen Tendenzen in der breiten Gesellschaft wieder.

„Wenn grundlegende demokratische Prinzipien wie Minderheitenschutz, Gewaltenteilung und das staatliche Gewaltmonopol immer stärker infrage gestellt werden, ist das ein Weckruf für die Politik, sich nicht nur an Demokratiefeinden abzuarbeiten, sondern mit einem tragfähigen Gesellschaftsentwurf für das Vertrauen in die Demokratie einzutreten“, warnt Timo Reinfrank. „Jetzt ist der Moment, den Kopf nicht in den Sand zu stecken, sondern unsere Demokratie aktiv zu verteidigen – an der Wahlurne, in der Schule oder auch im persönlichen Umfeld.“

 

 

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