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Anschlag in Bratislava Vom Shitposter zum Rechtsterroristen

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Gedenken an die Opfer in Bratislava, Oktober 2022. (Quelle: MsNobody / CC BY-SA 4.0)

CN: Der Text thematisiert Antisemitismus und Queerfeindlichkeit.

Wer Antisemitismus begreifen will, muss sich dessen pathologische Natur vor Augen halten. Wie der Sozialpsychologe Rolf Pohl in dem Essay „Der antisemitische Wahn – Aktuelle Ansätze zur Psychoanalyse einer sozialen Pathologie“ analysiert, fühlt sich der Antisemit von Jüdinnen und Juden tatsächlich verfolgt, geradezu in seiner körperlichen Existenz bedroht. Die antisemitische Verschwörungsideologie fühlt sich für ihn wie eine tatsächliche Realität an: Jüdinnen und Juden steuerten sämtliche Geschicke der Welt, und ihr erklärtes Ziel sei es, weiße Menschen zu unterdrücken oder sie gar zu vernichten. Durch diese pathologische Projektion verlagern Antisemit*innen ihre eigenen Gewalt- und Mordfantasien auf ihre Opfer und legitimieren sie gleichermaßen. Der Gewaltakt erscheint so wie ein legitimer Akt, der Rebellion und Selbstverteidigung verkehrt. Rechtsterroristen wie die Täter von Poway, Halle oder Bratislava können sich so vor sich selbst als auch vor ihrer Community als aufrechte Krieger für ihr bedrohtes Volk inszenieren.

Eliminatorischer Antisemitismus und der Hass auf die Moderne

Das Manifest des Attentäters von Bratislava zeigt die fast schon paranoid anmutenden Züge von Antisemitismus deutlich auf. Er schreibt auf dutzenden Seiten über die Omnipotenz und -präsenz jüdischer Herrschaft und Kontrolle. Ein Beispiel: Das bundesweite Abtreibungsverbot in den USA sei in Wahrheit durch das „Zionist Occupied Government“ herbeigeführt worden, um zu einem Anstieg Schwarzer Geburtenraten beizutragen – was letztendlich zum „Großen Austausch“ beitragen würde. Der Hass gegen Jüdinnen und Juden ist der rote Faden, der sich durch das Werk des Täters zieht, sei es in der Form von Schimpfworten, Verschwörungserzählungen, Holocaust-Leugnung, Gewaltfantasien oder konkreten Anleitungen zu Terrorakten.

Antisemitismus ist sowohl historisch, als auch in aktuellen Diskursen regelmäßig mit LGBTQ-Feindlichkeit verwoben. Das Manifest des Attentäters, als auch seine Tat, die explizit gegen die queere Community gerichtet war, sind tragische Beweise für die Tödlichkeit queerfeindlicher Propaganda. Mehrere Seiten des Manifests sind gegen homosexuelle und vor allem transgeschlechtliche Menschen gerichtet; der Täter spricht ihnen die Existenzberechtigung ab, er pathologisiert und beschimpft sie.

Verachtung queerer Menschen

Eine Seite sticht heraus: Der Täter schreibt von einem transgeschlechtlichen Jungen, anscheinend aus seinem Bekanntenkreis. TikTok, ein solidarischer Freundeskreis, und natürlich die Propaganda der jüdischen Trans-Lobby hätten den Jugendlichen – der vom Täter konsequent misgendert wird – dazu gebracht, Testosteron zu nehmen und eine Masektomie durchführen zu lassen. Die Behauptung, soziale Medien würden Jugendliche in die Transgeschlechtlichkeit korrumpieren, ist sattsam bekannt und auch im bürgerlichen Spektrum weit verbreitet. Das Manifest des Täters führt die gesellschaftlich etablierte Transfeindlichkeit ideologisch konsequent fort, indem er schreibt, dass queere Menschen die Gesellschaft schwächen und „degenerieren“ würde. Die gegen trans Frauen gerichtete Hassbotschaften – „man sieht euch an eurer Knochenstruktur an, dass ihr trans seid, ihr werdet niemals eine richtige Frau sein“ – finden sich fast wortgleich in den Büchern, Artikeln und Tweets bürgerlich-konservativer Transfeind*innen.

Migration, Feminismus, queere Sichtbarkeit, Marxismus, und alle anderen Aspekte, die mit der Moderne assoziiert sind – all dies sind für den Täter von Bratislava Instrumente der jüdischen Herrschaft. Sie soll nicht nur die weiße Rasse schwächen, sondern, so zitiert er einen Post auf dem Imageboard 4chan, weiße Männer persönlich demütigen: „Der Feind will keine Pride-Paraden in deiner Straße, Drag Queens in deiner Werbung, deinen Sohn transgeschlechtlich, deine Eltern an Opioiden verstorben, deine Tochter in einer Beziehung mit jemandem anderer Herkunft [er verwendet jedoch einen rassistischen Begriff], oder dein Fleisch durch Käfer ersetzt während dich die Medien auslachen, weil er denkt, dass es irgendetwas bringt. Er will es, weil er weiß, dass du ihn nicht aufhalten kannst, weil er dich demütigen will. Es gibt keinen anderen Grund.“

Durch den Terrorakt zum Helden

Es ist nicht verwunderlich, dass es so oft weiße junge Männer sind, die sich online in die extreme Rechte radikalisieren. Weiße Männlichkeit basiert in rassistischen und patriarchalen Verhältnissen in der Regel auf der Abwertung des „Anderen“ – also People of Colour, Jüdinnen und Juden, Frauen und queeren Menschen. Emanzipationsbewegungen marginalisierter Menschen erschweren diese Identitätsbildung jedoch, weshalb sie von fragilen Männern als Kränkung und Bedrohung aufgefasst werden. Wie Klaus Theweleit in den „Männerfantasien“ argumentiert, ist das falsche Gefühl der Bedrohung durch die Moderne für faschistische Täter geradezu unaushaltbar. Dieser faschistische Tätertypus sieht also die eigene weiße Männlichkeit durch die Moderne entwendet. Gewalt – etwas ausgesprochen männlich Codiertes – gilt in der faschistischen Ideologie und den entsprechenden Communities jedoch als Möglichkeit, das eigene Mannsein unter Beweis zu stellen. Der Täter ist kein verweichlichter, feiger „Cuck“ mehr, sondern ein Soldat im Kampf gegen die Moderne.

Zwei Menschen sind diesem antisemitischen und queerfeindlichen Hass zum Opfer gefallen: Juraj V. und Matúš H. Es sollte ein konkreter Angriff auf die LGBTQ-Community sein, um deren Mitglieder zu verstören und zu verängstigen, schrieb ihr Mörder in seinem Text.

Einer der zentralen Aspekte der von „Lone Wolf“-Tätern begangenen rechtsterroristischen Akten ist es, den Terroristen zum „Saint“, also Heiligen und Helden der Community aufsteigen zu lassen. Dass der Täter in seinem Manifest in einem Abschnitt über die eigene Radikalisierung aufklärt, erscheint auf den ersten Blick paradox. Doch sowohl das Manifest als auch die Social-Media-Präsenz des 19-Jährigen zeigen auf, dass der junge Mann sich selbst als jemanden sieht, der andere zu Gewalttaten inspirieren und Vorschläge zur Durchführung geben möchte. (Wir haben uns bewusst dafür entschieden, nicht explizit über die Teile des Manifests zu schreiben, in denen er Anleitungen zu Anschlägen gibt.)

Vom Shitposter zum Rechtsterroristen

Offensichtlich ist die Radikalisierung des Täters durch das Internet. Er schreibt darüber, dass die Meme-Kultur der Alt-Right, als auch die frauenfeindliche „Manosphere“ Radikalisierungsfaktoren in seiner Biographie waren. Er bezieht sich konkret auf die Verschwörungerzählung der „Redpill“, die sich gegen Feminismus und den immer jüdisch konnotierten „Kulturmarxismus“ wendet. Erweckungsmoment sei jedoch der Anschlag auf die Moschee in Christchurch gewesen: „Das Video hat so so anders angefühlt als der meiste andere Content, den ich bisher gesehen hatte.“ Weiterer Inspirationsmoment war der antisemitische Anschlag auf die Synagoge im US-amerikanischen Poway 2019. Auch dieser Anschlag wurde mit dem „Großen Austausch“ begründet. Innerhalb von nur wenigen Jahren entwickelte sich der Täter von einem Internet-Troll zu einem akzelerationistischen Terroristen. Es ist noch nicht abzuschätzen, welche Wellen der Anschlag von Christchurch tatsächlich geschlagen hat, wie viele potentielle Täter durch das Video, die Manifeste, die Imageboards radikalisiert werden.

Hauptaspekt des Manifests ist es, andere zu motivieren, es ihm nachzutun. Immer wieder verurteilt er Rechtsradikale, die (noch) nicht zur Tat schreiten oder zu sehr der „Blackpill“ verfallen seien. Einzelne könnten, so seine Großmachtfantasie, durchaus den Lauf der Geschichte verändern, wenn sie nur die Gelegenheit beim Schopfe und die Waffe am Abzug packen würden. Dies ist nicht nur ein ahistorisches Verständnis von Geschichte, sondern die klassisch faschistisch-männliche Heldenerzählung, die als Trost- und Heilsversprechen für den gekränkten und vereinzelten jungen Mann dienen soll. Er appelliert konkret an depressive und suizidale Menschen: Sie hätten nichts mehr zu verlieren – und seien deswegen perfekte Soldaten im faschistischen Kampf.

Dies zeigt die instrumentelle Betrachtung faschistischer Bewegungen auf die einzelne Person, die lediglich als Figur im „Rassenkrieg“ betrachtet wird. Alle in diesem herbeigesehnten Kampf irrelevanten Persönlichkeitsaspekte, als auch Verbindungen zu geliebten Menschen müssen abgespaltet werden; das gibt auch der Täter offen in seinem Manifest zu. Er gibt sogar Tipps, wie die emotionale Verrohung, die Dehumanisierung der eigenen Psyche als auch der designierten Opfer, leichter vonstattengehen kann. Es ist naheliegend, dass er mit anderen Akzelerationisten vernetzt war, oder zumindest deren Inhalte konsumiert hat: Er bezieht sich neben „Klassikern“ akzelerationistischer Literatur wie „Siege“ oder den „Turner Diaries“ auch auf eine vergleichsweise neue Publikation, die im Juli 2022 auf Terrorgram-Kanälen veröffentlicht wurde und bedankt sich explizit bei einem „Terrorgram Collective“.

Das Bittere ist, dass der Täter aus seinen Vernichtungsfantasien online keinen Hehl gemacht hatte. Auf seinem Twitter-Account hatte der zweifache Mörder über Monate hinweg antisemitisches und queerfeindliches Material veröffentlicht, vieles davon als Meme in Anime-Ästhetik. In den Tagen vor seinem Anschlag schrieb er: „Ich habe meine Entscheidung getroffen“ und „Es wird passieren“. Wären die Behörden oder die Mitleser*innen aufmerksamer gewesen, hätte dieser Anschlag vielleicht sogar verhindert werden können. Online veröffentlichte Vernichtungsfantasien sind kein infantiles „Shitposting“ oder Provokation „just for the lulz“, sondern immer wieder Vorzeichen für ganz konkrete Gewalttaten.

Das Titelfoto wird veröffentlicht unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0.

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