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Schwerpunkt Rechtsterrorismus Welche Rolle spielen Online-Plattformen?

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Rechtsterroristische Inhalte auf Telegram. (Quelle: Screenshot)

Für Rechtsterroristen bietet das Internet nie zuvor gekannte, optimale Vernetzungsbedingungen. Die Journalistin Karolin Schwarz beschreibt sie in ihrem 2020 erschienenen Buch „Hasskrieger“ ausführlich und detailliert (vgl Belltower.News). Insbesondere die ineinander greifenden Netzwerke rechtspopulistischer, rechtsextremer und rechtsterroristischer Akteur*innen und ihre Online-Strategien verhelfen den Inhalten zur weitreichenden Verbreitung über den eigenen Nischenplatz im Netz hinaus.

Online-Plattformen erfüllen für Rechtsextreme und Rechtsterroristen verschiedene Aufgaben: Über große Plattformen wie Facebook, Instagram oder YouTube werden mit weniger radikalen Inhalten hauptsächlich neue Leute gewonnen und an die Szene gebunden. Die weitere Radikalisierung und Vernetzung geschieht dann oft auf „alternativen”, kleineren und weniger moderierten Plattformen, wo eine geringere Gefahr besteht, gesperrt zu werden.

Dabei gibt es kaum Plattformen, die nicht von rechtsextremen und rechtsterroristischen Netzwerken genutzt, werden. Die Studie „Das Online-Ökosystem rechtsextremer Akteure” der Wissenschaftler*innen Jakob Guhl, Julia Ebner und Jan Rau vom Instiute for Strategic Dialogue 2020 geht davon aus, „dass dieses toxische rechtsextreme Informations- und Kommunikationsökosystem den Boden für den rechtsextremen Terrorismus bereitet, der in den letzten fünf Jahren um 320 % zugenommen hat”. Das Netzwerk, von dem die Wissenschaftler*innen sprechen, begrenzt sich nicht auf einen Messenger-Dienst oder ein Imageboard. Vielmehr nutzen rechtsterroristische Gruppen eine Vielzahl verschiedenster Plattformen, die so Teil eines umfassenden rechtsterroristischen Kommunikationssystems werden, das eine Eigendynamik entwickelt. Die rechtsterroristische Online-Subkultur hat gelernt, wie sie auf Löschungen (Deplatforming) reagieren muss, wie sie möglichst anonym bleibt und trotz Exklusivität dennoch neue Mitglieder zu gewinnen versteht. Sie orientiert sich nicht an Ländergrenzen, sondern ist global aktiv. Die lose verknüpften, einander oft nicht bekannten Mitglieder, sogenannte „Anons“ (von Anonymität), finden ihre Gemeinsamkeit in den Ideologien, der gleichen (hauptsächlich englischen) Sprache und ihrer szeneinternen Codes. Dieser gemeinsame Nenner macht es ihnen einfach, sich als Subkultur zwischen den Plattformen zu
bewegen.

Nichtsdestotrotz haben einige Online-Plattformen eine bedeutsame Funktion in der rechtsterroristischen Subkultur:

Messenger-Dienste

Messenger dienen hauptsächlich der engeren Vernetzung. Interessierte und potenzielle Mitglieder werden in meistens geschlossene Gruppen eingeladen. Die verschlüsselten Chaträume ermöglichen den Nutzer*innen, weitestgehend anonym zu bleiben. Insbesondere Telegram hat sich als Messenger-Dienst erwiesen, der von der Rekrutierung neuer Mitglieder in offenen Kanälen bis zu konkreten Terrorplänen in geschlossenen Gruppen alles bietet. Andere Dienste wie Wire oder Riot kommen oftmals dann zum Einsatz, wenn Gruppen ihre Pläne konkretisieren. Diese digitalen Räume sind verschlüsselt und mit zusätzlichen Sicherheitsmechanismen ausgestattet, die das Aufspüren erheblich erschweren.

Zudem sind Messenger-Dienste auf Mobiltelefonen abrufbar und unterliegen keinen Algorithmen, sodass Nachrichten ungefiltert und ohne Umwege den privaten News-Channel bestimmen. Die konsumierten „Nachrichten” werden thematisch weiter eingeschränkt, und die direkte Kommunikation suggeriert eine enge Verbundenheit mit anderen Mitgliedern der Channels und Gruppen. Die rechtsterroristische Szene rückt dadurch enger zusammen und baut durch die Vernetzung zwischen den Channels und Gruppen ihr crossmediales Netzwerk weiter aus.

In der rechtsterroristischen Online-Subkultur verbreitete Messenger-Dienste sind: WhatsApp, Telegram, Wire, Element (ehemals „Riot“), Signal.

Imageboards/Foren

Imageboards sind Foren, die keine Registrierung benötigen und in denen die Nutzer*innen anonym Beiträge, sogenannte „Threads“, erstellen und kommentieren können. Die Threads basieren größtenteils auf Bildern, die von anonymen Nutzer*innen kommentiert werden können – daher der Name. Jedes Imageboard bietet unterschiedliche „Unterforen“ an, in denen sich die Interessengemeinschaften zusammenschließen. Eine Moderation oder Kontrolle der Inhalte ist absichtlich kaum bis gar nicht vorhanden.

Eines der bekanntesten Imageboards ist 4Chan und dessen Unterforum /pol/ (Abkürzung für
„Political Incorrect“). In diesen Spalten wird offen rassistisch gehetzt, Mitglieder verehren dort
Rechtsterroristen oder produzieren rassistische Memes, die weiterverbreitet werden. Rechtsterroristische Unterforen, wie es sie auch auf 8kun, dem Nachfolger von 8Chan, gibt, bieten einen fließenden Übergang in das sogenannte Darknet. Zu den Aufforderungen, Terroranschläge gegen Minderheiten oder Akte der Massengewalt zu begehen, gibt es auch die entsprechenden Leitfäden inklusive Bomben- und Waffenbau. So kündigten beispielsweise die Rechtsterroristen von Christchurch, Poway, El Paso und Bærum die Taten ihrer Community zuvor auf Imageboards an.

Allerdings hat der Wegfall von 8Chan zu einer Abwanderung zum Telegram-Messenger geführt. Große Teile der rechtsterroristischen Online-Subkultur haben sich mittlerweile deutlich moderneren und userfreundlicheren Plattformen zugewandt.

In der rechtsterroristischen Online-Subkultur verbreitete Imageboards/Foren sind: 4Chan, 8kun, Endchan, Krautchan, Anon Café, Volkfront, Stormfront.

Soziale Netzwerke

Größere Soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter haben die Löschungen von rechtsterroristischen Kanälen zwar intensiviert, jedoch spielen sie immer noch eine wichtige Rolle für die rechtsterroristische Szene als Verbreitungs- und Rekrutierungsmedium. Das Live-Video des Rechtsterroristen von Christchurch erschien erstmalig auf Facebook und wurde anschließend weiterverbreitet. Auch die Rechtsterroristen von Poway und Bærum versuchten, ihre Taten live auf Facebook zu streamen – zum Glück erfolglos.

Die intensivierte Löschung solcher Inhalte hat eine Verlagerung auf alternative Netzwerke zur Folge. Nutzer*innen von Facebook oder des Kurznachrichtendiensts Twitter werden dazu aufgefordert, auf andere Portale wie VK, das in Russland begründete Äquivalent zu Facebook, oder Gab, auch als „Twitter für Rassisten“ bezeichnet, zu wechseln. Auf diese Weise kann eine Spirale in Gang gesetzt werden, die sich immer weiter in rechtsterroristischen Echokammern verliert.

Nichtsdestotrotz können Rechtsextreme und -terroristen auf den herkömmlichen Sozialen Medien ein größeres Publikum ansprechen. So zeigt eine Recherche von Correctiv, wie Rechtsextreme das unter Jugendlichen beliebte Netzwerk Instagram infiltrieren. Mit auf den ersten Blick harmlosen Hashtags unter ihren Beiträgen nutzen sie die Algorithmen, um ihre Inhalte unter anderen unterzubringen. Sobald diese geliked werden, zeigt der Algorithmus weitere ähnliche Inhalte an, sodass eine Echokammer entsteht, mit der Nutzer*innen unterschwellig an eine rechtsextreme Gesinnung herangeführt werden.

In der rechtsterroristischen Online-Subkultur verbreitete Soziale Netzwerke sind: Facebook, Twitter,  Instagram; VK: eine in Russland begründete Kopie von Facebook. Während regierungskritische Inhalte teilweise entfernt werden, bleiben rechtsextreme Inhalte auch deutscher Neonazis geduldet;  Gab: dem Kurznachrichtendienst Twitter nachempfunden. Gab hat bis auf die Gesetze der USA keine weiteren Inhaltseinschränkungen, weshalb es bei Nutzer*innen, die auf anderen Plattformen wie Twitter wegen Hasspostings blockiert wurden, beliebt ist. Voat: entwickelt als Alternative zu Reddit, um den Menschen eine Plattform zu bieten, die aufgrund von Hasspostings gesperrt wurden. Parler: ein Twitter ähnliches Soziales Netzwerk, das vor allem in den letzten zwei Jahren einen starken Zulauf unter Rechtsextremen zu verzeichnen hatte, die auf Twitter gesperrt wurden. Vor allem unter Trump-Sympathisanten ist es beliebt.

Videoplattformen

Bilder und Videos beeinflussen unser Denken mehr als Texte. Das machen sich auch Rechtsterroristen zu eigen. Videoinhalte sollen Emotionen auslösen und somit rechtsextreme und rechtsterroristische Inhalte leichter für ein Publikum zugänglich machen. Dabei bedient sich die Community popkultureller Elemente, die besonders junge Menschen ansprechen: Elektronische Musik wird mit nazistischer oder szenetypischer Ästhetik unterlegt, Livestreams von Rechtsextremen werden als geschmackloser vermeintlich „kindlicher Humor“ verbreitet, und rassistische und antisemitische Filme werden immer wieder über neu erstellte Accounts hochgeladen.

In der rechtsterroristischen Online-Subkultur verbreitete Videoplattformen sind: YouTube, Vimeo, BitChute, Bitube, DLive, Rumble, DonnerSender, Telegram.

Gaming-Plattformen

Die massiv sexistischen Shitstorms im Zuge der Gamergate-Affäre 2014 hat die Schattenseiten
der Gaming-Szene in den Fokus der Öffentlichkeit geholt. Der Antifeminismus und Frauenhass
in Teilen verschiedener Gaming-Communities hat der rechtsextremen Szene schnell neue Mitglieder beschert. Gaming-Plattformen werden vielfach genutzt, um Hass zu schüren und zu organisieren. Auf der Plattform Discord, die Gamer*innen vernetzen soll, finden sich rechtsterroristische Gruppen, die über Einladungslinks oder öffentlich zugänglich sind. Hier wurde auch die rechtsextreme Demonstration „Unite the Right”-Rally 2017 in Charlottesville organisiert, bei der ein Rechtsterrorist mit seinem Auto in Gegendemonstrant*innen fuhr und Heather Heyer tötete. Auf Steam, einer Spiele-Plattform, gibt es Gruppen, die rechtsterroristische Literatur oder entsprechende Ästhetik verbreiten. Der Rechtsterrorist von München chattete in einer SteamGruppe mit Gleichgesinnten. Einer seiner Chatpartner war der Rechtsterrorist von Aztec in New Mexico. Möglicherweise hätte der Anschlag verhindert werden können, wenn Behörden in den USA rechtzeitig von deutschen Ermittler*innen gewarnt worden wären. Interessengemeinschaften finden auf Steam zusammen und/oder modifizieren Spiele mit rechtsterroristischen Inhalten. Rechtsterroristen haben es dort vergleichsweise leicht, weil kaum moderiert wird. Twitch, eine Videoplattform für Gamer*innen, wirft zumindest einen Blick auf die großen content-creators. Jedoch streamte der Rechtsterrorist von Halle dort live seine Tat. Wie auch bei anderen live gestreamten Anschlägen wurde das Video anschließend über zahlreiche andere Kanäle verbreitet.

In der rechtsterroristischen Online-Subkultur verbreitete Gaming-Plattformen sind: Discord, Steam, Twitch.

Telegram / Terrorgram

Den Messenger-Dienst Telegram gibt es bereits seit 2013. Das Entwicklerteam kommt aus Russland, hat mittlerweile aber seinen Sitz nach Dubai verlegt. Ab 2015 diente Telegram als beliebtes Rekrutierungsmedium für den sogenannten „Islamischen Staat“, der sich damit vor allem an
junge Menschen richtete. Nach den dschihadistischen Anschlägen von Paris 2016, die auch
über den Messenger geplant wurden, und dem folgenden öffentlichen Druck sperrte Telegram
viele „IS”-Kontakte. In diesem Zug wurden auch Rechtsterroristen auf den Messenger aufmerksam. Zugleich wurden Aufrufe der eigenen Community lauter, von bisher genutzten Diensten wie Discord zu Telegram zu wechseln, weil erstere im Fokus von Ermittlungsbehörden oder zivilgesellschaftlichen Organisationen stünden. Das leicht zugängliche Netzwerk aus terroristischen Gruppen und Kanälen hat mittlerweile seinen eigenen Beinamen bekommen: Terrorgram. Gerade für die Bedürfnisse der rechtsterroristischen Online-Subkulturen hat Telegram viele Vorteile. Insbesondere den, dass es keine Moderation gibt und der Dienst über eine starke Verschlüsselung verfügt, die bei den richtigen Einstellungen ein hohes Maß an Anonymität sichert.

Einen weiterführenden Einblick gibt die 2020 erschienene Publikation „Alternative Wirklichkeiten“. Der von der Amadeu Antonio Stiftung herausgegebene Monitoring-Bericht beleuchtet rechts-alternative Medienstrategien (Download: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/publikationen/alternative-wirklichkeiten, vgl. Belltower.News)

Rechtsterroristische Kanäle sind öffentlich einsehbar und geben sich mit Namen, die u.a. „Terror“, „Hate“ oder „Accelarationist“ enthalten, auch als solche zu erkennen. Die Inhalte sind sich oft ähnlich – auch, weil sie teilweise die Inhalte der anderen Kanäle weiterleiten. Diese Weiterleitungen sind ein bewährtes Mittel in „Terrorgram“, um einzelnen Mitteilungen eine hohe Verbreitung zu garantieren. Es funktioniert dadurch mehr wie ein Soziales Netzwerk als nur wie ein Messenger-Dienst. Mit der Verherrlichung von Rechtsterroristen, rechtsterroristischer Ästhetik, ideologisiertem Hass und extremen Gewaltvideos wollen entsprechende Gruppen die Mitglieder zu rechtsterroristischem Handeln motivieren. Aber auch bekannte Terrorgruppen wie „Nationalist Social Order” oder „The Base” betreiben eigene Kanäle, über die sie ihre Propaganda vertreiben oder neue Mitglieder anzuwerben versuchen. So wurden Anfang des Jahres Mitglieder der akzelerationistischen „Atomwaffen Division“ (AWD) in den USA festgenommen, die fünf rassistische und antisemitische Morde begangen und weitere Terroranschläge geplant haben sollen. Anhänger der Gruppe waren auch in Deutschland aktiv, produzierten Propagandamaterial, das in der AWD-Telegramgruppe geteilt wurde, und verschickten Morddrohungen. Besonders junge Männer Anfang zwanzig, aber auch Minderjährige fühlen sich von den rechtsterroristischen Gruppen angesprochen. Gründer der rechtsterroristischen „Feuerkrieg Division“, die sich unter anderem an der „Atomwaffen Division“ orientiert, war ein gerade mal 13-Jähriger aus Estland, als Telegram-Administrator des englischen Ablegers wurde ein 16-Jähriger festgenommen.

Über offene Kanäle werden die Mitglieder dazu aufgerufen, selbst aktiv zu werden und sich bei einem bestimmten Kontakt zu melden. Haben sie dies getan, wird ihre Anfrage meist an geschlossene Gruppen weitergeleitet. Eine Recherche von Belltower.News hat gezeigt, wie die amerikanische Neonazi-Organisation „NSC 131“ auf diesem Weg deutsche Mitglieder angeworben und den Aufbau eines deutschen Ablegers unterstützt hat (vgl. Belltower.News).

Mit „Terrorgram“ hat die rechtsterroristische Subkultur ein eigenes Netzwerk innerhalb einer Plattform geschaffen. Es existieren Kanäle und Gruppen, die rechtsextreme Musik und rechtsterroristische Ästhetik in Form von Bildern, Stickern, Memes oder Gifs austauschen und dadurch die Szene stärken. Zwar hat der Messenger eine Funktion, um Inhalte zu melden, eingebaut, doch Löschungen sind bislang seltene Ausnahmen.

Trotz Meldung sind Videos wie das des Anschlags von Halle weiterhin online. Auch für den Fall einer Löschung haben rechtsterroristische Gruppen bereits Kanäle gegründet, die verkünden, wo der gelöschte Kanal mitsamt Archiv wiederauftaucht.

Seit der Covid-19-Pandemie ist die Zahl der Telegram-Nutzer*innen rasant gestiegen. Auch die rechtsterroristische Online-Subkultur profitiert davon. Innerhalb kürzester Zeit erlebten White Supremacy-Kanäle teilweise einen Zuwachs von 800 % innerhalb eines Monats. Über Kanäle mit teils tausenden Mitgliedern werden Verschwörungserzählungen über das Virus in die bestehende Flut rassistischer und antisemitischer Hassnachrichten eingeflochten. Insbesondere die Anzahl verschwörungsideologischer Telegram-Kanäle hat einen starken Zuwachs. Inwiefern
Menschen dadurch zu „Terrorgram“ weitergeleitet werden, wird zu beobachten sein.

 


Dieser Text ist ein Auszug aus der Broschüre „Rechtsterroristische Online-Subkulturen. Analysen und Handlungempfehlungen“ der Amadeu Antonio Stiftung, erschienen im Februar 2021.

Die Broschüre zum Download gibt es hier:

https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/publikationen/rechtsterroristische-online-subkulturen/

Mehr Texte aus der Broschüre auf Belltower.News:


 

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