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Buchtipp „Das Netzwerk der Identitären“

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"Das Netzwerk der Identitären" (Hrsg. Andreas Speit) ist im Christoph Links Verlag erschienen. (Quelle: Christoph Links Verlag)

Die „Identitäre Bewegung“ (IB) lebt wie keine andere rechtsextreme Gruppe von der Inszenierung. Ihre Aktionen sind meist schnell beendet, manche Auftritte dauern nur wenige Minuten – aber sie werden nach allen Regeln der Kunst in Szene gesetzt, insbesondere über die Soziale Medien. Die dortigen Bilder und Videos transportieren dann die Botschaft, aufbereitet in prägnanter und jugendaffiner Form, um gezielt junge Menschen für die Identitären zu begeistern. Das Ziel der Aktionen ist klar umrissen: Im vorpolitischen Raum soll darauf hingearbeitet werden, schrittweise eine Art Kulturrevolution von rechts umzusetzen. Es ist jene geschickte PR-Strategie, mit der sie ihr Ziel verfolgen, die der IB in den letzten Jahren einige mediale Aufmerksamkeit gesichert hat.

Doch diese Inszenierung ist im Grunde nur ein Instrument, mehr noch: Sie ist ein Teil dessen, was die IB bewusst transportieren möchte, worauf sie ihren Ruf begründet. Will man die IB tatsächlich als Gruppe fassen, muss man dagegen hinter die Fassade blicken – das heißt: Fragen nach der Ideologie stellen, die hier verbreitet werden soll. Genau das leistet ein neues Buch von Andreas Speit, herausgegeben unter dem Titel „Das Netzwerk der Identitären“. Auf 264 Seiten versammelt der Fachjournalist dort 13 Autoren, allesamt als renommierte Expert*innen bekannt, die sich seit Jahren journalistisch und/oder wissenschaftlich mit der sogenannten Neuen Rechten beschäftigen.

 

Moderne Inszenierung, altbekannte Inhalte

Von dieser Expertise profitiert die Publikation auf entscheidende Weise, denn durch die Autor*innen wird eine große thematische Vielfalt eingebracht, die eine fundierte Übersicht über alle relevanten Phänomene entstehen lässt. Neben einer detaillierten ideologischen Analyse betrachten die Expert*innen unter anderem auch das Agieren im Internet, die Verbindungen zu völkischen Familien, die Kontakte zur AfD oder die Aktivitäten in Halle, wo die IB ein eigenes Zentrum unterhält. Dabei wird schon auf den ersten Seiten mehr als deutlich, dass die moderne Inszenierung lediglich ein Vehikel ist, um altbekannte Inhalte der Neuen Rechten mit einem modernen Anstrich zu verkleiden.

Die „geistigen Grundlagen“ der IB liegen klar in der „Konservativen Revolution“ begründet – jener antidemokratischen Strömung der Weimarer Republik, die mit ihrem ständigen Agieren gegen die Demokratie als Wegbereiter des Nationalsozialismus gilt. Deren Ideologie ist heute prägend für die Neue Rechte, gerne auch mit der Lüge verteidigt, die „konservative Revolution“ wäre in Wahrheit ein Gegner des NS-Staates gewesen. Während die IB anfangs noch ein gewisses Mimikry betrieben habe, bekenne sie sich mittlerweile offen zu ihren historischen Vorbildern, analysiert Speit. Handlungsleitend für die aktuellen politischen Umtriebe ist demnach die Ideologie des Ethnopluralismus, eine rassistische Vorstellung, die lediglich homogene Gemeinschaften akzeptiere. Das münde, so die Autoren unter Berufung auf den Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber, zwangsläufig in einer Leugnung der universell gültigen Menschenrechte.

 

Enge Vernetzung, fließende Übergänge

Dass die deutsche IB aus der übrigen Neuen Rechten freundliche Unterstützung erfährt, ist da nur konsequent. Ursprünglich wurde das Konzept zwar aus Frankreich übernommen, doch bei der hiesigen Etablierung war vor allem Götz Kubitschek besonders hilfreich. Der Ex-Offizier hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, seine antidemokratische Ideologie möglichst breitenwirksam zu vermarkten. Er gründete unter anderem die neurechte Denkfabrik „Institut für Staatspolitik“ (IfS) und hat mit der „Konservativ Subversiven Aktion“ (KSA) einst selbst ein Konzept ins Leben gerufen, das (erfolglos) vieles von dem vorwegnahm, was die IB später auszeichnen sollte. Bis heute sei Kubitschek, obwohl selbst kein Mitglied der „Bewegung“, eine wichtige Figur: In seinem „Verlag Antaios“ erscheinen nicht nur die Bücher der Aktivisten, aus seinem Umfeld wird die Gruppe offenbar auch bei der Kontaktpflege und der Finanzierung unterstützt. Beim Kauf der Immobilie in Halle trat zum Beispiel Andreas Lichert, heute AfD-Politiker und einer von zwei Leitern des IfS, als Bevollmächtigter in Erscheinung. Erworben hat es hingegen Helmut Engelmann, Gründer der „Titurel-Stiftung“, die als Förderinstrument des IfS gilt. Neben der Haller IB-Gruppe nutzen auch der Verein „Ein Prozent“ und der AfD-Abgeordnete Hans-Thomas Tillschneider Räumlichkeiten in der Immobilie.

Es sind enge Vernetzungen und fließende Übergänge wie diese, die sich durch das gesamte Buch ziehen, die einen Kreis schließen. Akribisch arbeitet es die vielfältigen Verbindungen sowie die gegenseitigen Kooperationen zwischen den einzelnen Akteuren und Organisationen des (neu)rechten Spektrums heraus, die alle auf ein Ziel hinarbeiten: Nämlich auf „die Zerstörung der demokratischen Kultur, das Ende der liberalen Gesellschaft.“ Auch der AfD gilt hier ein besonderes Augenmerk, schließlich kommt der rechtsextremen Partei als parlamentarischer Arm der neurechten Bewegungen durchaus eine spezielle Rolle zu.

Gegenüber der IB pflegt die AfD offiziell eine Abgrenzungsstrategie, sichtbar in Form eines Unvereinbarkeitsbeschlusses. In der Praxis sei das jedoch bedeutungslos, erläutert der Journalist Jean Philipp-Baeck in seinem Beitrag. Denn ungeachtet dessen würden AfD-Politiker IB-Aktivisten wie Martin Sellner zu bezahlten Vorträgen einladen oder IB-Unterstützer als Fraktionsmitarbeiter beschäftigen. Zudem nahmen Funktionäre aus dem Umfeld der AfD bzw. der Jungen Alternative wiederholt an Aktionen der IB teil. Von Seiten der AfD werde das, sobald es aufkommt, meist konsequent bagatellisiert oder schlicht geleugnet. Es ist dann oft von angeblichen privaten Unternehmungen die Rede, heißt es. In der Abgrenzung sieht Baeck rein taktische Gründe: Man wolle einerseits bürgerliche Wähler beruhigen, andererseits einer drohenden Beobachtung durch den Verfassungsschutz keine zusätzliche Nahrung liefern. Inhaltlich aber sei man derselben Meinung.

 

Detailliertes, kenntnisreiches Gesamtbild

Im Zusammenspiel der einzelnen Beiträge entsteht so ein detailliertes, äußerst kenntnisreiches und fachkundiges Gesamtbild über die IB, das gute Chancen haben dürfte, sich als Standardwerk zu etablieren. Natürlich ist nicht alles gleichermaßen gelungen. Auch wenn die meisten Beiträge eine konstant hohe Qualität aufweisen, gibt es teilweise doch ein sichtbares Gefälle. Das Kapitel zu Osteuropa etwa bleibt insgesamt oberflächlich und erreicht längst nicht die Durchdringungstiefe anderer Beiträge, zum Beispiel wenn die russisch/ukrainische Situation in einer äußerst knappen Seite abgefertigt wird. Bei den Kontakten zwischen AfD und IB hätte man sich wiederum gewünscht, der gelungene Beitrag möge noch viel ausführlicher ausfallen, mit noch mehr Beispielen angereichert werden – zumal wenn man die politische Bedeutung der AfD bedenkt.

Doch den positiven Gesamteindruck trügt das kaum, auch weil das Buch viele Aspekte beleuchtet, die bisher nicht breiter thematisiert wurden. Vor allem aber unterscheidet sich „Das Netzwerk der Identitären“ wohltuend von vielen gescheiterten medialen Versuchen, das Phänomen der IB und der Neuen Rechten im Allgemeinen zu durchdringen: Es ist nämlich gerade nicht beseelt von dem Wunsch, den Lesern die Seele des radikalen Antidemokraten mittels der hundertsten Homestory nahezubringen, die abgesehen von ein bisschen Ziegen hier, ein bisschen „schwarzer Ritter“ da keinen tieferen Erkenntnisgewinn liefert. Sondern es leistet seriöse, fundierte journalistische Arbeit, indem die Autor*innen Aktionen beobachten und Originalquellen analysieren, ohne der Neuen Rechten auf den Leim zu gehen. Und so gelingt ihnen dann tatsächlich, woran bisher viele gescheitert sind: Deutlich aufzuzeigen, dass die IB und die Neue Rechte in strategischer Kooperation auf die Beseitigung dieser demokratischen Gesellschaft hinarbeiten, dass sie also ihre Äußerungen durchaus ernst meinen. Das allein lohnt die Lektüre.

Andreas Speit (Hrsg.): Das Netzwerk der Identitären – Ideologie und Aktionen der Neuen Rechten, Berlin 2018, Ch. Links Verlag, 264 Seiten, 18,00 Euro

 

P.S. aus der Belltower.News-Redaktion: Das Kapitel zur IB im Internet schrieb BTN-Chefredakteurin Simone Rafael.

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