Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Demo in Altenburg Frieden, Freiheit, Verschwörungsideologie

Von|
(Quelle: Paul Podbielski)

„1933“ prangt in Frakturschrift auf einem Pullover, schwarz-weiß-rote Reichsfahnen wehen über der Menschenmenge und junge Kinder laufen neben Eltern, die Schilder wie „Keine Amnestie für Politiker“ tragen. Diese Szenen sind in den letzten Wochen und Monaten, insbesondere montags, keine Seltenheit in Ostdeutschland. Trotz der vielen Fahnen der „Freien Sachsen“, einer rechtsextremen Kleinstpartei, spielen sich diese Szenen in Thüringen ab. Genauer gesagt in Altenburg, einer kleinen Stadt an der Grenze zu Sachsen.

Nach Angaben der Polizei sammeln sich diesen Montag, dem 7. November 2022, bis zu 2.700 Personen auf dem Markt. Unter ihnen Gebhard Berger, welcher 2021 als Einzelbewerber für den Deutschen Bundestag kandidierte. Auch Thomas Gerlach wurde schon mehrfach bei rechten Versammlungen dieser Art in Altenburg gesichtet. Er und seine Frau sollen führende Akteur*innen der Coronaleugner-Proteste sein. Spannend ist das insbesondere, da Thomas Gerlach ein wichtiges Mitglied des militanten Neonazi-Netzwerkes Hammerskins ist und dem Umfeld des NSU zugeordnet werden kann.

Die Polizei ist nach eigenen Angaben diese Woche mit mehr Kräften im Einsatz als die Wochen zuvor. Konkret heißt das, dass ca. 20-30 Polizist*innen vor Ort sind, da mehr nicht benötigt würden.

Punkt 18 Uhr setzt sich die Menschenmenge mit dem Glockenschlag der Brüderkirche in Bewegung. Als Fronttransparent dient eine Deutschland-Fahne, auf welcher „Wir sind das Volk“ steht. Eingerahmt wird sie von einer Lichterkette und einer mit „Deutschland zuerst“ bedruckten gelben Stoffbahn.

Dahinter sind viele Fahnen und auch Schilder mit verschiedensten Forderungen und Motiven zu sehen. Meist geht es um Russlands Krieg in der Ukraine, dabei wird „dem Westen“ häufig die Schuld gegeben. Ein anderes beliebtes Thema ist die Energiekrise, aber auch Impfungen und der Hass gegen „die da oben“ findet sich auf den Schildern wieder. Auch typisch antisemitische Motive sind zu sehen. So trägt ein zwischen 30 und 40 Jahren alten Mann eine Abbildung, auf der eine Krake zu sehen ist, welche die Welt umspannt. In den Tentakeln hält sie sowohl eine Maske als auch eine Spritze. Daneben sind die Gesichter von den Grünenpolitiker*innen Robert Habeck und Annalena Baerbock gedruckt. Zu stören scheint das, genau wie die vielen rechten Symboliken, in Altenburg niemand. Typisch für solche Versammlungen.

Typisch ist auch die Zusammensetzung der Teilnehmer*innen: Geprägt wird der Protest vor allem von Erwachsenen zwischen 35 und 60 Jahren. Dennoch sind sowohl einige junge Erwachsene als auch Senior*innen dabei. Außerdem ist auch in Altenburg zu beobachten, dass einige Eltern ihre Kinder mitnehmen. Dabei scheint es egal zu sein, ob das Kind selbst Lust darauf hat. Auch sehr junge Kinder werden so Verschwörungserzählungen als auch einer für sie augenscheinlich unangenehmen Atmosphäre ausgesetzt.

Unter den Teilnehmenden fallen einige durch rechte Kleidung auf. So marschiert neben dem oben erwähnten „1933“-Pullover auch eine Person mit einer Jacke der Rechtsrock-Band „Die Lunikoff Verschwörung“. Teil dieser Band ist Michael Regener, der ehemaligen Sänger der verbotenen Band „Landser“. Und 2017 als auch 2018 trat sie bei „Rock gegen Überfremdung“ auf, einem Rechtsrock-Festival von Neonazis um Szenegröße Tommy Frenck.

Bereits nach einer guten halben Stunde kommt der Aufmarsch, begleitet vom Geräusch ihrer eigenen Trillerpfeifen, wieder am Markt an. Redebeiträge und Musik gibt es während der ganzen Zeit nicht. Dafür leuchten einige Teilnehmer*innen regelmäßig in beleuchtete und unbeleuchtete Fenster hinein, möglicherweise um die Aufmerksamkeit der Anwohner*innen zu erhalten. Ob sie sich damit beliebt machen, ist sehr zu bezweifeln, dennoch ist das ein Verhalten, welches regelmäßig bei den montäglichen Aufmärschen, nicht nur in Altenburg, zu beobachten ist.

Begrüßt werden sie auf dem Markt von einer ukrainischen Fahne, auf der der Schriftzug „Stop Putin Stop War“ zu lesen ist. Gehalten wird diese Fahne von Fabian (37), Kommunalpolitiker der Partei „Die Linke“, welcher damit bereits seit drei Wochen ein Zeichen gegen Verschwörungsmythen und für die Solidarität mit der Ukraine setzen will. Dafür wird er nach eigener Aussage bedroht und beleidigt. Eine Woche zuvor musste ein Versuch, diese Fahne zu stehlen, nur durch die Anwesenheit der Polizei verhindert werden. Auch diese Woche sind die Beamten damit beschäftigt, Fabian zu schützen. Darüber hinaus mussten sie an diesem Abend nur einen Zettel vom Kirchtor entfernen. Ein Teilnehmer der Versammlung hatte diesen, mit einer beleidigten Botschaft gegenüber dem Bürgermeister bedruckt, dort angebracht.

„Montag ab 17 Uhr halte ich mich von der Innenstadt fern“

Auch wenn die Versammlung diesen Montag im Vergleich zu Wurzen relativ friedlich verlief, so ist das nicht immer der Fall. So berichtet uns die Altenburgerin Luisa (32) [Name geändert], dass sie sich am 24. Oktober 2022 auf dem Markt aufgehalten hat, um die Versammlung von weitem zu beobachten. Daraufhin kam ein älterer Mann auf sie zu, ging sie körperlich an und drohte ihr schlimmere Gewalt an. Im Nachhinein tauchen Fotos von ihr in einschlägigen Telegram-Gruppen auf.

So etwas hat natürlich auch Auswirkungen auf das Leben in der Stadt: Luisa meidet die Altenburger Innenstadt mittlerweile montagabends. Kultureinrichtungen schließen eher, damit für ihre Besucher*innen und sie selbst keine Gefahr besteht. Und Eltern melden ihre Kinder von Musikschulen ab, um die Innenstadt zur Zeit des Protests zu meiden.

Weiterlesen

Bautzen Afmacher

Gruselgeschichte Halloween in Bautzen

Am Montagabend zogen rund 1.000 Menschen unter „Widerstand“-Rufen durch Bautzen. Es gibt nur wenige Journalist*innen, die aus der sächsischen Provinz von den Protesten zum „Heißen Herbst“ berichten. Auch in Bautzen wurden anwesende Journalist*innen von jungen Neonazis bedroht und an der Arbeit gehindert. Unser Bericht.

Von|
Das Haus mit dem Sonnenblumenmosaik: 30 Jahre später ein auffällig ruhiger Ort

Reportage Generation Lichtenhagen

Vor 30 Jahren brannte es im Sonnenblumenhaus. Eine multimediale Reportage über das Schicksal der Generation Lichtenhagen. Und das politische Erbe des Pogroms.

Von|
Eine Plattform der