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Gastropolitik Rechtsaußen Von Angst vor Sojamilch zum Great Food Reset

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(Quelle: Instagram/Liverking)

Patriotismus und Nationaltümelei gehen über den Magen. Und nur wenige Dinge haben die Macht, Emotionen so zu wecken und zu polarisieren, wie Ernährung. Unterschiedlichste antidemokratische Milieus sind sich einig, dass Essen starke Gefühle entfachen kann. Nicht verwunderlich also, dass das Thema Essen in rechtsextremen Onlinesubkulturen, aber auch generell im größeren rechten Online-Ökosystem zu einem Politikum geworden ist. Präziser gesagt: zu einer Gastropolitik. Manche fürchten den geheimen Plan, alle zum Veganismus zu zwingen. Andere machen sich Angst vor ihrer Männlichkeit, die von Östrogen in Sojaprodukten in Gefahr sei.

Die Politisierung des Alltages stellt eine altbewährte rechtsextreme Strategie dar, die auf bereits existierende Gemeinschaften zurückgreift, diese infiltriert und radikalisiert. So infiltrieren Rechtsextreme politisch labile Milieus wie Prepper oder Fitnessfreaks, um diese gezielt mit demokratiefeindlichen Botschaften zu durchsetzen. Darüber hinaus gibt es schon sichtbare Überschneidungen zwischen den verschiedenen Gemeinschaften, wie zum Beispiel die der Prepper-Szene und der Akzelerationisten-Bewegung. Diese werden über gemeinsame Praktiken wie den Verzehr von Rohkost noch enger miteinander verbunden. Durch die voranschreitende Digitalisierung und dem Ausbau von Online-Gruppengemeinschaften und alternativen Plattformen wie Telegram ist es Demokratiefeind*innen gelungen, ein rechtsoffenes Online-Ökosystem aufzubauen, das Politik als Alltagsritual versteht, welches jeden Aspekt des Lebens umfasst.

Der Great Food Reset

Immer mehr Falschmeldungen, Verschwörungserzählungen und pseudowissenschaftliche Erkenntnisse über Essen füllen auf diese Weise den digitalen Debattenraum. Rechtsalternative und verschwörungsideologische Akteur*innen verbreiten unter anderem auf Instagram und Telegram Botschaften über eine vermeintlich bevorstehende Lebensmittelknappheit unter dem Deckmantel des „Great Reset“. Dabei wird auch der Krieg in der Ukraine als eine jüdische Verschwörung inszeniert, die das eigentliche Ziel verfolge, eine Nahrungsmittelkrise zu orchestrieren, um die Neue Weltordnung zu installieren.

In anderen Sphären, wie etwa bei der sogenannten „Identitären Bewegung“, erkennt man schon früh das zersetzende Potenzial einer solchen Gastropolitik. So nutzen neurechte Aktivist*innen, wie Martin Sellner im Sommer 2022, die niederländischen Bäuer*innenproteste, um Stimmung gegen den Staat zu machen, der verantwortlich gemacht wird für die vermeintliche Zerstörung des landwirtschaftlichen Betriebes der Viehzucht. Ähnlich zirkuliert gerade auf Telegram auch eine Veschwörungserzählung über Bill Gates‘ Investition in „synthetisches“ Fleisch. Verschwörungsideologische Kanäle wie „King Aether Reveals“, „The Rabbit Research“ oder „Technikus News“ lasten „Bill Synthetic Meats Gates“ eine geheime Agenda an, die es darauf abgesehen hat „echtes Fleisch“ durch „synthetisches“, also im Labor produziertes Fleisch zu ersetzen, um damit die Neue Weltordnung einzuleiten.

Wiederum andere wie die Querdenkerin Carola David Kistel sprechen über die sogenannte „Bug-Eating Agenda“ (Insekten-Essen Agenda) des World Economic Forum, die das Ziel verfolge, die menschliche Seele durch Insektenkonsum zu zerstören. Letztlich sinniert auch das verschwörungsideologische Magazin Rubikon über einen „Great Food Reset“ und behauptet, es sei ein politisch-machiavellisches Ziel der Eliten, das Essen der Zukunft vegan zu machen.

Diese exemplarischen Botschaften zeigen, wie gut sich die Online-Debatten über Lebensmittelknappheit in ein verschwörungsideologisches Weltbild wie dem „Great Reset“ integrieren lassen. Antidemokrat*innen argumentieren recht einstimmig, dass die Eliten versuchen, Fleisch und Milchprodukte aus der modernen Ernährung verschwinden zu lassen und dass „echtes“ Fleisch durch im Labor gezüchtetes Fleisch ersetzt wird. In ihrer dystopischen Vision der Zukunft wird Fleisch zu einem seltenen Luxusgut, das nur von einer Elite verzerrt wird, während die Allgemeinbevölkerung systematisch gezwungen ist, zu verzichten und sich von Käfern zu ernähren.

Nicht verwunderlich also, dass auch Rechtsextreme rumoren, dass vegane oder pflanzenbasierte Alternativen von Fleisch und Milchprodukte schädlich seien und sogar die sexuelle Fortpflanzungsfähigkeit aufgrund von Hormonen beeinflussen.

Soy Boys, die Alt-Right und 4Chan

In der rechtsalternativen Online-Blase kursieren seit 2016 die Begriffe „Soy Boy“ und „Soja Sören“. Damit sind Männer gemeint, die Sojaprodukte wie Milch konsumieren. In ihrer Vision sind diese Männer verweichlicht und verweiblichte „Betamännchen“, die gefügig das Essen ihrer Frauen konsumieren und dabei nicht wissen, dass ihr Testosteronspiegel darunter leiden würde. So wird Sojaprodukten in Online-Sphären fälschlich nachgesagt, dass sie den Östrogenspiegel von Männern erhöhen und damit auch den körpereigenen Testosteronspiegel senken.

Die exzentrische Anti-Soja-Verschwörung nimmt ihren Anfang auf dem Imageboard 4Chan im Jahr 2016. Sie wird schnell danach von Verschwörungsideolog*innen wie Paul Thomas Watson von „Info Wars“, Alex Jones berühmter Plattform, übernommen. In kürzester Zeit wird der Sojaverzehr zu einer regelrechten rechtsalternativen Obsession: Immer mehr einflussreiche Alt-Right-Influencer*innen bezeichnen sich selbst als „Anti-Östrogen-Aktivisten“ und setzen auf „östrogenfreie“ Ernährung.

Leberkönige, urtümliche Fleischfresser und Konsorten

Nichts polarisiert aber online so stark wie der Fleischkonsum. In rechtsalternativen Milieus wird der Fleischkonsum als Äußerung konservativer, traditioneller Männlichkeit in Abgrenzung zu dem als verweiblicht angesehenen Veganismus oder Vegetarianismus betrachtet. Dabei huldigen Rechte ihrer Liebe zu rotem Fleisch schon seit langem. Der Fleischverzehr aus Sicht von Rechtsextremen ist historisch tradiert und hängt stark zusammen mit der Korrelation des gesunden Körpers als gesunde Nation.

Moderne Einflüsse und Lebensmittel werden abgelehnt und durch „urtümliche​​“ Ernährungsphilosophien ersetzt. Eine solche alternative Ernährungsphilosophie ist auch der sogenannte Carnivorismus oder Fleischfresserei. Anhänger*innen verzichten dabei oft auf den Verzehr von Gemüse und Früchten und legen Wert auf eine Ernährung, die maßgeblich aus dem Konsum von rotem Fleisch besteht.

Schon längst sind Konservative und Reaktionäre beim Thema Carnivorismus mit an Bord, hauptsächlich um Klimaaktivist*innen zu ärgern, da die Produktion von Rind oder Schwein Unmengen an Treibhausgase freisetzt. Darüber hinaus ist der Fleischkonsum für viele Konservative Teil ihres Status und ihrer Identität. So verzerren einige bekannte Gesichter wie Tucker Carlson von Fox-News oder ein Donald Trump demonstrativ Steaks, um dadurch auch ihre Macht zu zeigen.

Verschwörungsideolog*innen und Rechtsalternative verzehren Fleisch auch als Symbol ihrer Männlichkeit. So auch Brian Johnson alias „Liver-King“ (Leberkönig), der mit seiner „Primal“-Diät (urtümliche Diät) die Ernährung des Steinzeitmenschen popularisieren möchte. Der Leberkönig und seine Familie, die er Liver-Clan nennt, ernähren sich ausschließlich von rohem Fleisch, am besten Organe – frisch vom Schlachter. 1,7 Millionen Menschen folgen dem urtümlichen eberfressenden König auf Instagram und gucken dabei zu, wie er Knochenmark, Rinderherzen, Lungen und andere Produkte im Live-Feed verspeist.

Darüber hinaus ist der Liver-King auch ein begnadeter Verschwörungsideologe, für den Covid-19 auch nur ein Hoax ist. Immer wieder lassen sich Ähnlichkeiten zu rechtsextremen Ideen und Weltbildern bei solchen Influencer*innen feststellen, gleichwohl wenn ein Brian Johnson sicherlich selbst keiner ist. Das Problem ist jedoch, dass Figuren wie der Leberkönig oder auch Jordan Peterson, der sich bekanntlich hauptsächlich von Fleisch ernährt, eine Scharnierfunktion erfüllen zu Ideologien, die weitaus gefährlicher sind. Sie sind nützliche Idioten für Demokratiefeind*innen.

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