Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Jung, männlich, antifeministisch Jordan Peterson bittet seine Fans in Berlin zur Kasse

Von|
Banner auf der Demo gegen den Auftritt von Jordan B. Peterson in Berlin (Quelle: Kira Ayyadi)

Am Donnerstag, den 29. September 2022, versammeln sich gegen 18 Uhr etwa 300 feministische Aktivist*innen auf dem Mehringdamm, Ecke Yorkstraße, in Berlin. Auf ihren Bannern ist zu lesen: „No Show für Racist Sexists“, „Smash the Patriarchy“ und „Choke on your Lobster“ – „Erstick an deinem Hummer“. „Wir wissen, wie man Hummer zubereitet“, sagt eine Rednerin wütend in ein Mikrofon, bevor sich der Demonstrationszug in Bewegung setzt. „Das Wasser ist bereits aufgesetzt.“

Es geht den Aktivist*innen hier nicht etwa um bessere Haltungsbedingungen für Meerestiere. Vielmehr wollen sie es nicht unkommentiert lassen, dass der Antifeminist und Alt-Right-Wegbereiter Jordan B. Peterson an diesem Abend im Berliner Veranstaltungsort Tempodrom vor tausenden Fans auftreten soll. Eine Internetpersönlichkeit, die mit seinen misogynen Theorien und seiner menschlichen Hummer-Allegorie an diesem Abend zu Recht rund 400 Kritiker*innen auf die Straße bringt.

Allmählich treffen auch die Anhänger von Peterson am Tempodrom ein. Schnell wird ersichtlich, dass die Fanschar zu großen Teilen aus jungen Männern besteht. Viele von ihnen haben sich ganz besonders herausgeputzt. Sie tragen Anzüge, Krawatten, Fliegen und Tweedjacken. Einige tragen, obwohl es bereits dämmert, schmale Sonnenbrillen. Andere versuchen, einen intellektuellen Habitus mit einem schmalen, locker um den Hals geschwungenen Schal zu unterstreichen. Einige gehen und stehen merkwürdig, es sieht anstrengend aus.

12 Regeln gegen das Chaos

Und dann dämmert es mir, wieso hier so viele junge Männer solch eine unnatürlich gerade Körperhaltung haben. Es ist eine von Petersons zwölf Regeln: „Stand up straight with your shoulders back“ (Steh aufrecht und mach die Schultern breit). 2018 veröffentlichte der kanadische ehemalige Psychologieprofessor aus Toronto seinen Lebensratgeber „12 Rules for Life: An Antidote to Chaos“. Das Buch wurde mit mehr als fünf Millionen verkauften Exemplaren zum Bestseller. Sein Versprechen ist, mit diesen 12 Regeln fürs Leben Ordnung ins Chaos bringen zu wollen. Die Regeln sind recht banal, lauten etwa „Räum dein Zimmer auf“ oder „Störe Kinder nicht beim Skateboard fahren“. Dahinter steht das Ziel, junge Männer zur Männlichkeit zu erziehen, also eigentlich: die Rettung der Männlichkeit. Ordnung ist in Petersons antifeministischer Welt allerdings nicht nur Ordnung, sondern auch das Symbol der Männlichkeit, während Chaos und Unordnung für das Weibliche stehen. Einige der jungen Fans, die mit ihren adretten Auftritten scheinbar Peterson imponieren wollen, kommen in Begleitung ihrer Freundinnen. Viele Menschen an diesem Abend sprechen Englisch. Auch einige PoC sind gekommen, dabei fällt Peterson immer wieder mit rassistischen Annahmen auf, vor allem weil er glaubt, dass verschiedene Ethnien unterschiedlich intelligent seien.

Die Stimmung vor dem Tempodrom ist euphorisch. Als die antifaschistische Gegendemo den Veranstaltungsort erreicht, schauen einige der Peterson-Fans überrascht. Unter all den anderen männlichen Fans fühlen sie sich aber sicher und rufen den Gegendemonstrant*innen Dinge zu. Ein junger Fan, er ist vielleicht 18 Jahre, schreit „Räum dein Zimmer auf“. Gelächter, anerkennende Blicke der anderen Männer. Sie scheinen ihm zu vermitteln: Jetzt hast du es ihnen aber richtig gezeigt. Schließlich ist das mit dem ordentlichen Zimmer eine der Peterson-Regeln.

Die Schlangen für den Einlass sind lang. Im Inneren des Tempodroms ist die Stimmung noch aufgeregter. Die jungen Männer stehen herum und unterhalten sich. Sie sind ganz offensichtlich sehr aufgeregt, heute ihr großes Idol zu treffen. Einer fragt sich, ob er auch über die Proteste im Iran sprechen wird, andere Fachsimpeln über seine Bücher, arbeiten die jeweiligen vielen Vor- und wenigen Nachteile heraus. Ein junger Mann sagt über Petersons erstes Buch, „Maps of Meaning“, dass es „life changing“ für ihn war. Allerdings habe er beim ersten Mal lesen nichts verstanden. Es brauche schon eine mehrmalige Lektüre, um das ganze vermeintliche Wissen Petersons zu verstehen. „Peterson hat mein Leben gerettet, echt“. So viel Bewunderung an diesem Abend für Peterson. Er ist ihr Held, ihr Vaterfigur, er gibt den jungen Männern vermeintlich Halt in einer modernen Gesellschaft. Er gibt jungen Männern einen vermeintlichen Sinn im Leben, nämlich die Rückbesinnung auf alte Traditionen.

Der Mensch als Hummer

Peterson glaubt, Geschlechter- und Klassenhierarchien seien von Natur aus bestimmt. Jeder sei seines Glückes Schmied. An Unterschiede durch soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Faktoren glaubt er nicht. Als absurde Allegorie für das menschliche sozial Verhalten zieht Peterson in seinen zwölf Regeln das Verhalten von Hummern heran. Mit einem biologistischen und sozialdarwinistischen Blick versucht er zu erklären, dass Hummer wie Menschen in Hierarchien existierten. Je höher ein Hummer in der Hierarchie aufsteige, desto höher sei sein Serotoninspiegel. Einen niedrigeren Serotoningehalt beim Hummer setzt Peterson mit schwachen Verlierer-Hummern gleich. Und die Verlierer-Hummer, genau wie die Verlierer-Männer, die mit wenig Serotonin im Körper, bekämen keine Frauen ab, weil Frauen und weibliche Hummer sich fast ausschließlich mit dominanten Gewinner-Männern und Gewinner-Hummern paarten. Aufgrund dieser sozialdarwinistischen Weltsicht will Peterson mehr Männer zu Alpha-Männern machen. Also zu jenen, die in der Paarungspyramide ganz oben sind, die Gewinner. Denn nur diese starken Männer bekämen ja eine Frau ab.

„Petersons Fans sind hier, weil sie ein eklatantes Problem mit einer besseren, egalitären, solidarisch verwalteten Welt haben. Weil sie Frauen hassen“, sagt die Autorin und Expertin zu antifeministischen Themen, Veronika Kracher, in einer Rede auf der Gegendemonstration. „Weil sie queere und antirassistische Emanzipation hassen, weil sie sich als von allem erdenklichen gesellschaftlichen und politischem Fortschritt in ihrer Identität als weißer, heterosexueller Typ so bedroht fühlen, dass sie glauben, dass jemand wie Peterson ihnen Schutz und Sicherheit gibt.“

Fans werden zur Kasse gebeten

Im Tempodrom gehen immer mehr junge Männer zu ihren Plätzen. Die Tickets sind ausverkauft, sie kosten bis zu 80 Euro. Über 4.000 Menschen passen in den Saal. Ein junger Mann sagt, jetzt, da Peterson mal in Deutschland sei, musste er einfach kommen, auch, wenn der Eintrittspreis so hoch ist. Das konnte er sich einfach nicht entgehen lassen.

Durch Lautsprecher ertönt klassische, epochale Musik. Das Publikum ist aufgeregt und angespannt. Es soll endlich losgehen. Doch bevor der große antifeministische Guru die Bühne betritt, spielt zunächst noch der Gitarrist David Thomas Cotter ein paar Stücke. Er sagt, er wolle mit seiner Musik etwas Ordnung in das Chaos bringen. Das Publikum jubelt – ‘ja, männliche Ordnung ins weibliche Chaos‘. Schließlich betritt Petersons Ehefrau, Tammy Peterson, die Bühne. Sie kündigt ihren Mann an und nennt ihn durchgängig „Dr. Peterson“. Doch zunächst macht sie noch Werbung für die App ihres Sohnes und kündigt ein Projekt der gemeinsamen Tochter an. Sie ist gerade dabei, eine Online-Universität zu gründen – Überraschung: die „Jordan B. Peterson University“. Nach der Veranstaltung gibt es zudem noch die Möglichkeit für ein Meet-and-Greet mit Peterson persönlich, in dem junge Männer ihren ganz persönlichen Rat vom Guru erhalten können. Das persönliche Treffen kostet 200 Euro. Über hundert Fans haben sich angemeldet. Ein signiertes Peterson-Poster kostet 40 Euro. Die Kuh muss halt richtig gemolken werden.

Lebensratgeber eines rein Fleischessenden ehemaligen Drogensüchtigen

Schließlich hat Peterson seine gut bezahlte Stelle an der Universität in Toronto aufgegeben. In einem Gastbeitrag vom Januar 2022 schäumt er nur so vor Wut und schreibt von einer „entsetzlichen Ideologie“, die gerade Universitäten zerstöre und von dort ausgehend die gesamte Kultur. „Vielfalt, Inklusivität und Gerechtigkeit – diese linksradikale Dreifaltigkeit – zerstört uns“. Und auch sonst lief es lange Zeit nicht besonders gut bei Peterson. 2016 begann Peterson auf Anraten seiner Tochter, Mikhaila, eine strikte Diät aus ausschließlich Fleisch, Salz und Wasser durchzuziehen. „Carnivore Diet“ nennt sich diese Fleischfresserdiät. In den Weihnachtsferien 2016 erkrankte die ganze Familie nach einem Essen. Nach eigenen Angaben konnte Peterson wochenlang kaum schlafen. Deshalb nahm er Benzodiazepin. So begann die Benzodiazepin- und 2019 dann die Ketaminabhängigkeit. Die Drogensucht trieb ihn zu einem Entzug nach Russland. Dort wurde er für kurze Zeit in ein künstliches Koma versetzt. Danach litt Jordan Peterson an neurologischen Schäden, er konnte sich nicht mehr alleine anziehen, geschweige denn schreiben. Offenbar hat er aber einen Weg gefunden, diesen Zustand zu überwinden: 2021 folgte dann noch ein Buch, mit noch mehr Regeln: „Beyond Order: 12 More Rules for Life“.

Als Peterson am Abend schließlich die Bühne betritt, jubelt das Publikum. Es gibt Standing Ovations. Und dann fängt er an zu reden und zu reden und zu reden. Seine Frau sitzt unterdessen regungslos auf einem der beiden Sofas, die auf der Bühne aufgebaut wurden. Ab und zu geht ein Raunen durch das Publikum, manchmal ein Lachen, dann, wenn Peterson Andeutungen über die (linken) Medien oder über vermeintlich linke ideologische Indoktrination macht. Seine angeblichen Weisheiten untermalt der Selbsthilferatgeber mit starken Körpergesten. Das Publikum ist begeistern. Er hat sie vollends in seinen Bann gezogen. Peterson spricht über die Pläne seines neuen Buchs, darüber, dass er am Mittag noch das Holocaustmahnmal besucht habe. Er spricht über Journalisten, Alt-Right-Unterstützer, darüber, dass man Stärke zeigen müsste, die Bibel und ganz viel über Mythen. Denn in alten Mythen, so Peterson, sei ganz viel Wahrheit versteckt. Die meisten seiner Fans könnten ihm wohl stundenlang zuhören, einige brachten Diktiergeräte mit, um die Veranstaltung aufzuzeichnen. Ich kann mir das selbstverliebte Gerede dieses alten Mannes nicht länger antun. Ich nehme meinen Rucksack und gehe aus dem Saal. Für viele wohl ein Affront, während eines Vortrags vom großen Jordan B. Peterson einfach zu gehen. Sie verstehen einfach nicht, dass Peterson hier Phrasen drischt und vor sich hinplaudert, dabei aber eine nachdenkliche Miene aufsetzt, so dass alles mit Bedeutung aufgeladen scheint.

Weiterlesen

Jordan B. Peterson - 12 Rules for Life Tour

Erziehung zum Alpha-Mann Wer ist Jordan Peterson?

Alpha-Männer, Hummer und Benzos: Jordan Peterson bereitet mit seinem sozialdarwinistischen und misogynen Biologismus das intellektuelle Fundament der Alt-Right und der „neuen“ Rechten. Am Donnerstag soll er in Berlin sprechen. Wer ist der Psychologieprofessor aus Kanada und warum ist er so gefährlich?

Von|
20180710-AltRight-IDZ-87408

Ideologie Was ist die Alt-Right? Kompakt erklärt.

Die amerikanische Alt-Right hat es mit Rassismus, Antisemitismus und menschenfeindlicher Rethorik bis ins Weiße Haus geschafft. Für die sogenannte „Neue Rechte“ in Deutschland und Europa ist sie dadurch zum Stichwortgeber und Vorbild geworden. Was macht die Bewegung so gefährlich und was steckt hinter ihrer Ideologie?

Von|
Eine Plattform der