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Interview Hoyerswerda: „Rassismus ist hier Alltag“

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Diese hatten schon vor der Zuspitzung des Rassismus Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Nach Einbruch der Dunkelheit gingen sie nicht mehr auf die Straße. Das hieß Lebensgefahr. Die Polizei war überfordert, kam zu spät und wusste nicht, was sie tun sollte. Die meisten bedrohten Menschen wurden aus der Stadt vertrieben. Viele wurden mit Bussen „evakuiert“ – dabei hatten sie aber nicht die Wahl, wohin sie gebracht wurde. Hoyerswerda war eine Stadt im Osten des gerade wiedervereinigten Deutschlands. Doch auch in den anderen Städten der neuen Bundesländer fühlten sie sich nicht sicher. Viele verließen Deutschland nach dieser Verfolgungswelle Anfang der 1990er Jahre.

Wie geht Hoyerswerda heute mit dieser Geschichte um? Wir fragten Toni Schmidt von der Initiative „Pogrom 91“, die zu einer Demonstration zum Jahrestag am Samstag, den 17. September (2011), aufgerufen hat.

Mut: Ist das Pogrom von 1991 im heutigen Hoyerswerda (2011) präsent? Wie beschäftigt man sich damit?

Toni Schmidt: Bis vor fünf Jahren war das Pogrom gar nicht präsent. 2006 stellte man eine Stele in der Stadt auf. Ihre Inschrift war: „In Erinnerung an die extremistischen Ausschreitungen“. Heute gibt es eine Ausstellung, in der unkommentierte Polizeiberichte von damals abgedruckt sind und Bürgerinnen und Bürger aus Hoyerswerda sagen können, wie schön ihre Stadt ist. Der Landkreis macht zwar eine interkulturelle Woche, aber auf dieser ist das Pogrom von 1991 kein Thema. Statt dessen gibt es Vorträge wie „Extremismus in der Kommune“ oder einen von Christoph Wowtscherk von der Jungen Union, in dem er behaupten möchte, dass das Pogrom ein sozialer Protest war. In unserer Jugend, wir sind alle aus Hoyerswerda, haben wir nie etwas von dem Pogrom gehört. Weder in der Schule, noch in der Stadtbibliothek gab es dazu Informationen. Der Bürgermeister Stefan Skora entschuldigte sich vor kurzem für „damals“ öffentlich und wird seither mit Willy Brandt und seinem Kniefall verglichen. Kurzum: Das Pogrom wird verschwiegen oder relativiert. Betroffene fragt man in Hoyerswerda nicht.

Wie viele Täter wurden damals verurteilt? Welche Konsequenzen trugen sie davon?

Wir wissen, laut einer Broschüre vom Buchladen Georgi Dimitrof, dass drei Täter zu Haftstrafen von ein bis zwei Jahren verurteilt wurden. Die anderen erhielten, wenn überhaupt, nur Geldstrafen. Und am Mord an Mike Zerna 1993 waren Täter beteiligt, die damals schon angeklagt waren, aber nicht verurteilt wurden.

Euer Name „Pogrom 91“ ist sehr, sagen wir, deutlich. Warum habt ihr ihn gewählt?

Wir wollen, dass die Stadt einsieht, was passiert ist. Es war ein rassistisches Pogrom. Doch Hoyerswerda sieht sich selbst als Opfer der Medien sowie von Links- und Rechtsextremen. Der Begriff wurde verwaschen. Anfang der 1990er hieß es noch rassistisches Pogrom. Dann wandelte es sich langsam zu „rassistischen Ausschreitungen“, danach zu „Auseinandersetzung rechter Jugendlicher mit Ausländern“ und heute heißt es „extremistische Ausschreitungen“. Wir wollen, das klar benannt wird, was 1991 in Hoyerswerda passiert ist: ein rassistisches Pogrom.

Warum wollt Ihr am Samstag demonstrieren? Was sind Eure Forderungen?

Wir wollen, dass im Stadtbild an das Pogrom erinnert wird. Wir wollen den Betroffenen des Pogroms und auch der später rassistisch Ermordeten gedenken. Es soll ein Mahnmal in Hoyerswerda errichtet werden. Außerdem wollen wir auch die Rolle der Polizei von damals kritisieren. Schließlich werden heute unkommentierte Polizeiberichte in der Ausstellung der Stadt gezeigt. Doch damals hat die Polizei in den ersten Tagen zu spät eingegriffen. Das Recht auf Unversehrtheit der Vertragsarbeiterinnen und – arbeiter sowie der Flüchtlinge war nicht gewährleistet. Tage später war das SEK und Hundertschaften aus Leipzig in Hoyerswerda, doch die Angriffe fanden weiter statt. Obendrein wurde noch eine antirassistische Solidaritätsdemonstration von der Polizei bekämpft. Wir wollen uns gegen die Verharmlosung, gegen die revisionistische Stadtpolitik wenden.

Wäre solch ein Pogrom in Hoyerswerda immer noch möglich? Hat sich etwas geändert?

Ich persönlich denke, über einen Tag lang wäre so etwas in Hoyerswerda immer noch möglich. Der Rassismus ist hier Alltag. Es kann sein, dass man einen Vater im rassistischen T-Shirt mit seinem Kind auf dem Stadtfest trifft. Thor Steinar gehört zum normalen Stadtbild. Geändert hat sich, denke ich, die Wahrnehmung. Die Polizei würde schneller einschreiten und das ganze könnte nicht mehr über eine Woche lang stattfinden. Nur, und das ist der eigentliche Punkt, Hoyerswerda vergibt seit 1991 keine Plätze für Asylbewerberinnen und –bewerber mehr. Es gibt keine Heime mehr, vor denen das passieren könnte…

Vielen Dank für das Interview.

Das Interview führte Nora Winter.

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Das Interview ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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