Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Kommentar Antisemitischer Psychoterror ist keine Jugendsünde

Von|
Ende Mai hatten propalästinensische Aktivist*innen die Räume der Humboldt-Universität in Berlin besetzt und mit Anti-Israel-Slogans beschmiert. (Quelle: picture alliance/dpa/dpa-POOL | Jens Kalaene)

„Im Seminar sitzt mir eine Kommilitonin mit ,Fck Israel‘-Aufkleber gegenüber und analysiert ein Liebesgedicht aus dem 16. Jahrhundert“, beschreibt Tanya Yael Raab auf Instagram. „In jeder Kabine der Unitoilette sehe ich antisemitische Schmierereien. Durchgestrichene Davidsterne, ,From the River to the Sea’, Aufrufe zur Intifada. Immer wenn sie wieder entfernt werden, kommen nur Stunden später neue dazu.“

Das ist für Raab, wie auch für zahlreiche andere Jüdinnen und Juden, die an den Universitäten der Bundesrepublik eingeschrieben sind, längst Alltag. Tanya, eine junge Mutter und angehende Pädagogin aus Brandenburg an der Havel, führt deswegen Buch. Ihr Instagram-Profil @oy_jewish_mamma, mit dem sie ansonsten historische, kulturelle und religiöse Aspekte des Judentums feiert, agiert mittlerweile auch als persönliches Protokoll antisemitischer Erlebnisse. Es dient freilich auch als Ratgeber zum Beispiel für Opfer oder auch Augenzeugen eines judenfeindlichen Vorfalls. In ihrem Post zeigt sie, wie die Online-Meldung eines solchen Vorfalls an die Fachstelle Antisemitismus Brandenburg aussieht. Überdies gibt es Hinweise, Lageberichte und Updates.

„Gestern bin ich nicht zur Uni gegangen“, schreibt Tanya Ende Mai, „da jüdische Studierende gewarnt wurden, dass es eine antiisraelische Demo am Campus der Uni Potsdam geben würde. Das habe ich mir zum Anlass genommen, um über den Antisemitismus an meiner Uni ganz offen zu sprechen.“

Die Option, die Hochschule zu schwänzen, fällt selten leicht, aber der Überlebensinstinkt spielt mit. Elie Buecheler, ein prominenter Rabbiner an der Columbia University in New York, läutete neulich die Alarmglocken, als er die jüdische Studentenschaft via Whatsapp bat: „Kehrt so schnell wie möglich nach Hause zurück! Und bleibt dort, bis die Lage sich dramatisch verbessert!“ Denn es herrsche bei den pro-palästinensischen Aktionen an der Universität Anarchie.

Von Kriegskassen und Schlachtfeldern

Seit der israelischen Gegenoffensive in Gaza sind Universitätsgelände weltweit zu Schlachtfeldern geworden. Es wäre eine Verharmlosung, diese als nebensächliche Kriegsschauplätze zu bezeichnen. Denn an den höheren Bildungsstätten wurde Jahrzehnte lang radikal antiisraelische Propaganda verbreitet, teils unter dem Radar und teils offensichtlich im Rahmen akademischer Diskurse.

Besonders in den USA entstanden einschlägige Gruppierungen wie das Palestine Solidarity Movement (PSM) und die Students for Justice in Palestine (SJIP). Reichliche finanzielle Unterstützung gab und gibt es nach wie vor aus Katar und Saudi-Arabien, aber auch aus Silicon Valley. Eine Zeit lang sogar direkt aus der Wall Street. Die Ford Foundation griff ihnen mindestens bis 2011 unter die Armen. Potente Großspender ließen die Kriegskassen anschwellen, während die Dämonisierung und die Diffamierung des jüdischen Staates als „Apartheidregime“ einen Jahrgang nach dem anderen prägend beeinflussten.

So wunderte es nicht, dass alleine in den USA rund 200 Ableger der SJP den Hamas-Terrorangriff vom 7. Oktober als „historischen Sieg für den palästinensischen Widerstand“ feierten. An der George Washington University erklärten SJP-Anhänger*innen: „Wir lehnen die Unterscheidung zwischen ‚Zivilisten‘ und ‚Militanten‘ ab. Wir lehnen die Unterscheidung zwischen ‚Siedlern‘ und ‚Soldaten‘ ab. […] Ein Siedler ist ein Angreifer, ein Soldat und ein Besatzer, selbst wenn er an unseren besetzten Stränden faulenzt.“. Doch damit nicht genug: Kein Geringerer als Ajatollah Khamenei, oberster Führer des mörderischen Mullahstaates Iranische Republik Iran, lobt öffentlich auf der Plattform X das Verhalten der pro-palästinensischen Demonstrant*innen, die in den USA stets israelfeindlicher, stets illiberaler in Erscheinung treten.

Deutsche Erkenntnisse: 1938 ist heute

„Keine Juden mehr an deutschen Hochschulen“, so die Schlagzeile der Studierendenzeitung Die Bewegung, die 1938 feiert, dass das Wunschziel erreicht worden sei. Solche Schlachtparolen aus der NS-Zeit erscheinen heute fast wieder aktuell.

Denn bislang wurde eine sehr ausschlaggebende Tatsache oft ausgeklammert: Die treibende Kraft hinter der „Säuberung“ deutscher Universitäten von jüdischen Wissenschaftler*innen und Studierenden damals war weder die Fakultät noch die Verwaltung, sondern eigentlich die Studierendenschaft selbst. Denn bereits vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 drängten studentische „Aktivist*innen“ die Behörden dazu, jüdische Dozierende und Studierende zu verdrängen und spielten so eine entscheidende Rolle bei der Umwandlung des deutschen Hochschulwesens in ein Werkzeug des Dritten Reiches.

Das gibt zu denken, und zwar vor allem, wenn man die eher erbärmliche Reaktion der hiesigen Hochschulleitungen wahrnimmt. Als die neue Welle des Antisemitismus die Buchstabensuppe der Berliner Bildungsstätten erreichte, ob FU, HU, TU oder UdK, war kaum jemand darauf vorbereitet. Durch den Hausfriedensbruch an den Hochschulen wollten pro-palästinensische Akteur*innen Israel als „illegale Besatzungsmacht“ anprangern, ohne sich selbst an geltendes Recht zu halten. Anstatt gleich Hausrecht durchzusetzen, machten die Universitäten zuerst einen Kniefall vor den Aktivist*innen. Die widerrechtlichen Eindringlinge wurden also nicht nur erduldet, sondern als Verhandlungspartner*innen beehrt. Zugleich ließ man jüdische Studierende im Stich. Die Räumung der Camps durch die Polizei, sorgte bei vielen Fakultätsangehörigen dagegen für Empörung. Allerdings erwecken die Hochschulleitungen immer noch nicht den Eindruck, den Ernst der Bedrohungslage für jüdische Studierende so richtig begriffen zu haben.

Auch Politiker*innen wirken überfordert und unterkühlt, wie die Causa Lahav Shapira zeigt. Shapira, ein jüdischer Student an der Freien Universität Berlin, wurde Anfang Februar am Rosenthaler Platz zusammengeschlagen und mit Knochenbrüchen und Gehirnblutungen ins Krankenhaus eingeliefert. Der mutmaßliche Angreifer ist ein pro-palästinensischen Kommilitone. Die jüdische Gemeinde fordert, den Tatverdächtigen, im Falle einer Verurteilung, von der Universität zu verweisen. Allerdings hielt Berlins Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) gleich dagegen: „Exmatrikulation aus politischen Gründen lehne ich auch grundsätzlich ab.“

Aus politischen Gründen? Die relativierende Aussage war ein weiterer Schlag ins Gesicht des Geschädigten Shapira. Die Wissenschaft lebe von Austausch, fügte Czyborra sogar hinzu.

Von Schlagabtauschen auch. Bei antisemitischer Gewalt, ob physisch oder psychisch, handelt es sich mitnichten um Bagatellen und Bubenstreiche. Nach anhaltender Kritik lenkte Czyborra also ein und unterstützte die Wiedereinführung des Ordnungsrechtes, wonach die Zwangsexmatrikulation in solchen Fällen möglich sein soll. Wiederum gibt es Vertreter der Landes-Asten-Konferenz und Gewerkschaften, die ebenjene Verschärfung der Handhabe der Hochschulen als übertriebene Symbolpolitik abstempeln,

Parallellaufend stellen sich rund 130 Beschäftigte der Technischen Universität Berlin hinter ihre Präsidentin, Prof. Dr.  Geraldine Rauch. Auch als Mathematikerin erweckte Rauch den Eindruck, eins und eins nicht zusammenzählen zu können, als sie im Mai einen gewissen Post auf X geliket hat. Dieser zeigte ein Plakat, auf dem der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu auf eindeutig antisemitische Weise mit einem Hakenkreuz dargestellt war. Wo Rauch ist, ist auch Feuer?

„Wir sind an einem Wendepunkt“, warnt Hanna Veiler. Die Mittzwanzigerin ist seit 2023 Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD), die als Interessenvertretung von ca. 25.000 jungen Menschen bundesweit agiert. Veiler, kürzlich von der Europäischen Kommission mit dem Preis Frau Europas ausgezeichnet, mahnt in einem Interview mit der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ): „Die Universitäten sind an dem Punkt angelangt, wo sie zeigen müssen, ob all diese Solidarität mit Jüdinnen und Juden nur Floskeln sind. Oder ob sie wirklich im Stande sind, zu handeln, und ob sie wirklich handeln wollen.“

Es sind deutliche Worte. Keine Sonntagsrede, sondern Alltagserkenntnisse Direktbetroffener. Und eins ist sicher: Eine Geschichte, die sich wiederholt, beinhaltet keine sicherere Zukunft.

Weiterlesen

Eine Plattform der