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Kommentar Verwaltung, Zivilgesellschaft, Politik – Neues aus einem Spannungsverhältnis

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Manchmal sind es die kleinen Hinweise, die aufhorchen lassen. In einer mündlichen Anfrage der SPD wird der Staatssekretär  des Bundesfamilienministeriums gefragt, ob es richtig sei, dass staatlich geförderte Demokratieprojekte angehalten seien, ihre Öffentlichkeitsarbeit vorab der Verwaltung zur Kontrolle vorzulegen. Die Antwort lässt Interpretationen zu. Hervorgehoben wird ein Bedarf an gemeinsamer Abstimmung. Das klingt freundlicher, ist letztendlich aber doch staatliche Kontrolle. Die Diskussion der letzten Monate um die Erklärungsverpflichtung der Projekte sowie diese scheinbar kleinen Hinweise legen es nahe, dass das Verhältnis zwischen Verwaltung, Zivilgesellschaft und Politik neu justiert werden soll.

Zu 100 Prozent finanziell vom Staat abhängig

In der Theorie ist alles so schön einfach und geordnet. Die Politik bestimmt die Rahmenbedingungen. Die Verwaltung führt den Willen der Politik aus. Die Zivilgesellschaft ist per definitionem staatsfern, in der Realität der besonders ostdeutschen Demokratieprojekte gegen Rechtsextremismus oft aber zu nahezu 100 Prozent finanziell vom Staat abhängig. In Amerika zum Beispiel ist das anders. Dort leben solche Initiativen und Stiftungen von Spenden, der Wirtschaft und dem Engagement der Bürgerinnen und Bürger. Die politische Theorie blickt dann auch eher nach Amerika denn nach Ostdeutschland, wenn sie die Funktionen der Zivilgesellschaft für die Demokratie bestimmt. In ihren Vereinen und Projekten sollen Bürger*innen Demokratie leben und lernen. Sie sollen Leerfelder staatlichen Handelns füllen. Vor allem sollen sie aber auch Staat und Politik mit neuen Ideen, gesellschaftlichen Themenentwicklungen und alternativen Handlungsvorstellungen füttern. Die konstruktive Kritik gehört deshalb genauso zur Zivilgesellschaft wie der Entwurf neuer gesellschaftlicher Werte und politischer Ideen.

Offensiver Machtkampf

In der aktuellen Debatte wird nun oftmals von wissenschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Seite geklagt, dass die Bürokratie die Zivilgesellschaft unnötig gängele und es offensichtlich nicht verstanden worden sei, dass die Zivilgesellschaft nicht der verlängerte Arm der Bürokratie (zu günstigeren Preisen) sei. Ich denke, dass das Gegenteil der Fall ist. Eben weil Teile der Bürokratie verstanden haben, was die Zivilgesellschaft sein kann, setzt sie auf eine „härtere Gangart“ und verstärkte Kontrollen. Politik ist immer auch Machtkampf. Eine starke Zivilgesellschaft schränkt die Macht des Staates ein. Das wurde verstanden und der Machtkampf nunmehr offensiv verstärkt. Für diese Interpretation spricht das vorrangige Anliegen, die öffentliche Artikulation der Zivilgesellschaft zu kontrollieren. Zivilgesellschaft braucht jedoch die Freiheit der öffentlichen Artikulation, um ihren Funktionen gerecht zu werden. Über den Weg der finanziellen Abhängigkeit wird diese Freiheit nun von Seiten der Verwaltung aktiv beschnitten. Das ist in Hinsicht auf unsere demokratische Kultur höchst problematisch. Was ist nun zu tun?

Der Liberalismus schweigt

In der aktuellen Debatte spielt die Politik in Form der Abgeordneten nur eine untergeordnete Rolle. Zwar gibt es hier und da eine Solidarisierung mit der Zivilgesellschaft. Sie erfolgt jedoch vor allem aus den Reihen der Opposition. Ihr Interesse scheint eher Klientelpflege und die Routine der Regierungskritik zu sein. Ein parteiübergreifendes Handeln gibt es nicht. Wo ist zum Beispiel die Stimme der Freidemokraten, die sich gemäß ihres Grundsatzprogramms als Hüter der freiheitlichen Bürgergesellschaft begreifen, deren Handeln doch gerade massiv beschränkt wird? Gibt es eigentlich ein urliberaleres Thema als dieses Verhältnis zwischen Staat und Bürger? Die Antwort der FDP dazu ist Schweigen aus Regierungssolidarität. Es fehlt der Zivilgesellschaft an der deutlichen und parteiübergreifenden Unterstützung aus den Reihen der Politik. Zentrale Fragen der Demokratie eignen sich nur begrenzt zur Parteipolitik. Wer eine aktive Bürgergesellschaft für demokratisch nötig hält, sollte sich mit den zivilgesellschaftlichen Initiativen solidarisieren, gerade und ausdrücklich auch wenn er in Einzelpunkten mit deren Sichtweisen nicht übereinstimmt. Das gehört zum Pluralismus dazu. Zu den Mitteln der Politik gehört es, dass sie die Regeln der Verwaltung bestimmt und dieser Vorgaben macht. In der Praxis hingegen ist oft die Politik die getriebene Seite. Sie sonnt sich der Ankündigung positiver Programme und vernachlässigt die Liebe zum Detail. Das schafft den Freiraum der Bürokratie, die dann ihre Interessen innerhalb des programmatischen Rahmens durchzusetzen versteht.

Ein positives Manifest

Von Seiten der Zivilgesellschaft ist es natürlich nötig, dass berechtigten oder unberechtigten Verdächtigungen der Demokratieferne in den eigenen Reihen unbedingt entgegenzutreten ist. Schnüffelaufrufe sind dazu sicherlich ein ungeeignetes Mittel. Wie wäre es aber zum Beispiel mit einem positiven Manifest, in der die eigenen Werte, Mittel und Methoden offensiv und öffentlich vertreten werden? Unabdingbar ist natürlich auch die finanzielle Zusicherung, mit öffentlichen Geldern vorsichtig, umsichtig und vor allem auch transparent umzugehen. Kontrollen müssen jederzeit möglich sein. Das dürfte selbstverständlich sein.

Interessenlage der Bürokratie

Und die Verwaltung? Natürlich ist der Appell an die Demokratiefreude der Beteiligten nötig. Der differenzierte Blick in das Innenleben zeigt dann ja auch, dass es innerhalb des Systems zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter mit ehrlichem Demokratiebewusstsein gibt. Das Handeln der Bürokratie ergibt sich jedoch aus der Eigenlogik der systemischen Verknüpfung. Die Einschränkung der Zivilgesellschaft ist aus Sicht der Bürokratie nicht systemwidrig, sondern ergibt sich aus ihrer Interessenslage, möglicher Kritik präventiv zu begegnen und vor allem auch keine Konkurrenz zu ihr aktiv selbst zu züchten. Wenn die Zivilgesellschaft dem erfolgreich begegnen will, braucht sie die aktive Unterstützung von Seiten der Politik, der Medien, der Wissenschaft und der Öffentlichkeit. Sie ist im Machtkampf alleine unterlegen. Ihre finanzielle Abhängigkeit macht sie leicht angreifbar und verletzlich. Perspektivisch wird dann dieser Aspekt auch über die Etablierung oder Nicht-Etablierung einer ehrlichen und gut aufgestellten Zivilgesellschaft entscheiden.

Der Extremismusforscher Dierk Borstel ist Professor für praxisorientierte Politikwissenschaften an der Fachhochschule Dortmund. 

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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