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Landtagswahl Sachsen-Anhalt Reaktionen Rechtsaußen

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Partystimmung: AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla telefoniert vor einer Pressekonferenz zur Landtagswahl in Sachsen-Anhalt
Partystimmung: AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla telefoniert vor einer Pressekonferenz zur Landtagswahl in Sachsen-Anhalt (Quelle: picture alliance/dpa/Kay Nietfeld)

Jubel aus dem Parteivorstand: Für Alice Weidel, Co-Vorsitzende der AfD, war das Ergebnis ihrer Partei bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt ein „unmissverständliches Zeichen“ für „einen klaren Politikwechsel“ – so schrieb die Spitzenkandidatin auf Bundesebene auf Twitter kurz nach den ersten Prognosen am Wahlabend. Stephan Brandner, stellvertretender Bundessprecher der AfD, bezeichnete die vorläufigen 20,8 Prozentpunkte für seine Partei als „fulminant“. Tino Chrupalla, Bundesvorsitzender der Partei, bezeichnete das Ergebnis bei Anne Will als „sensationell“. Auch Björn Höcke, der Rechtsaußen-Chef des Thüringer Landesverbandes, sprach von einer „Konsolidierung der AfD“ in Sachsen-Anhalt und einem „bedeutenden Ergebnis“.

Doch die überwiegend maskenlose Wahlparty der Rechtsradikalen zeigte ein wesentlich betrübteres Bild, von Euphorie war wenig zu spüren. Auch der Rest der Parteiführungsriege blieb nach der Wahl eher zurückhaltend. Auf Social Media äußerte sich Beatrix von Storch zur Wahl bislang gar nicht. Stattdessen ließ sie sich am Wahlsonntag nur mit einer Flasche Sternburg und dem Berliner Abgeordneten Karsten Woldeit fotografieren: Fernab des ostdeutschen Bundeslandes fand in einem „Festzelt“ auf einer Brache am Stadtrand der Berliner AfD-Parteitag statt.

Parteivorsitzender Jörg Meuthen widmete einen Tweet und Facebook-Post nicht seiner eigenen Partei, sondern lediglich den Grünen: Mit nur 5,9 Prozent für die „Ökosozialisten“ sei eine klare Absage an die Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock erteilt worden, so Meuthen. Ein Narrativ, das auch von anderen, wie dem rechtsalternativen Blogger „Neverforgetniki“, auf Twitter aufgegriffen wurde: „Ist das geil oder ist das geil?“, kommentierte er das bescheidene Ergebnis der Grünen. Auch in rechtsextremen Telegram-Kanälen war die Freude über den Verlust der progressiven Kräfte groß.

In einer schriftlichen Stellungnahme am Wahlabend an die Medien nannte Meuthen das Ergebnis seiner Partei „respektabel“ – was nun für Streit sorgt. Denn Meuthens Schadenfreude stößt nicht gerade auf Begeisterung bei seinen rechtsradikaleren Parteigenoss:innen in Sachsen-Anhalt. „Mit einem stärker in die Mitte zielenden, weniger allein auf Protest setzenden Wahlkampf wäre freilich auch ein noch deutlich stärkeres Ergebnis durchaus möglich gewesen“, fügte Meuthen hinzu. Auf Social Media sehen Anhänger:innen der AfD das Problem allerdings woanders.

Auf Twitter sorgt das starke Ergebnis der CDU, die nach den aktuellsten vorläufigen Rechnungen mit 37,1 Prozent einen klaren Sieg über die AfD lieferte, für Unmut unter Freund:innen der rechtsradikalen Partei. Wahlumfragen des umstrittenen Meinungsforschungsinstituts „Insa“ hatten ein knappes Ringen um den ersten Platz in Aussicht gestellt und sahen die AfD teilweise als Siegerin. Doch der große Durchbruch blieb aus, die AfD verlor sogar 3,5 Prozent im Vergleich zur Landtagswahl 2016. Viele sind daher enttäuscht: So erklärt ein AfD-naher Twitter-User den Erfolg der Union durch „ständige Medien-Diffamierungen der AfD als rechtsextrem und Nazi“. Ein anderer Nutzer schreibt: „Man kann das Ergebnis nicht mehr schönreden“ – denn trotz Korruptionsskandal, den „höchsten Steuern der Welt“, steigenden Spritpreisen und Stromkosten, sowie einem wachsenden „Migrationsanteil“ wählten Menschen in Sachsen-Anhalt „in Scharen“ immer noch die CDU.

Tomasz Froelich, Pressesprecher der AfD im Europaparlament und Co-Bundesvorsitzender der „Jungen Alternative“, sieht zwar „eine Bestätigung guter Arbeit“ der AfD, die Gewinne der CDU erklärt er aber mit einem „Kartellparteiencharakter“, der das Ziel habe, die AfD als stärkste Kraft zu verhindern. Ein User, der behauptet, seit Gründungsjahr AfD-Mitglied zu sein, twittert: „Man kann sich auch einen ‚Erfolg‘ in die Tasche lügen“. Er sieht die Schuld in Landesverbänden, die sich als „zerstrittenen Sauhaufen“ präsentiere. Klar wird: Das Narrativ eines „sensationellen Erfolgs“ bröckelt an der Basis.

Mit den „INSA“-Umfragen zeigen sich viele Anhänger:innen der Partei in den sozialen Netzwerken unzufrieden und desillusioniert: „Wie erklären Sie uns ein derart grotesk falsches #Umfrageergebnis?“ schreibt ein Nutzer auf Twitter. Ein anderer schreibt: „Vorgestern war die CDU noch bei 27 % und jetzt 36,9 %. Wer möchte uns hier für dumm verkaufen?“ Die Stimmendiskrepanz erklären manche mit Wahlbetrug – nach der Niederlage Donald Trumps ein beliebtes Narrativ von Rechtsradikalen, auch in Deutschland (vgl. Belltower.News). „Hat die CDU bei den US-Demokraten gelernt, wie man sowas macht“, fragt ein User. Auf Twitter trendete kurz nach der Wahl der Hashtag #Wahlbetrug. Zustimmung für dieses Narrativ kommt auch aus der „Querdenken“-Szene, „QAnon”-Blase sowie vom Ex-NPDler Carsten Jahn, der unter dem Pseudonym „Team Heimat“ ein 10-minütiges „Analyse“-Video zum Ergebnis am Wahlabend veröffentlichte, das am Montag fast 40.000 Aufrufe hatte. Auch auf der Plattform TikTok häufen sich die Vorwürfe einer angeblichen Wahlmanipulation zu Ungunsten Rechtsaußen.

Schon vor der Wahl fiel das Narrativ eines „Wahlbetrugs“ im AfD-Lager auf fruchtbaren Boden: Der Landtagsabgeordnete Thomas Rudy rief seine Anhänger:innen dazu auf, Wahllokale zu beobachten, „damit alles regulär läuft“. Auch der rechtsextreme Verein „Ein Prozent“ postete „Wahlbeobachter-Regeln“ auf Social Media, um die Briefwahl zu „sichern“ und Stimmen zu „retten“. Am Wahltag machte der Tweet eines vermeintlich „antifaschistischen“ Troll-Accounts in der rechtsalternativen Blase mehrfach die Runde: Er behauptete, viele „Antifaschisten“ zu kennen, die beim Auszählen der Stimmen helfen – und das werde „der AfD einen Schlag versetzen“. Der rechtsradikale Ex-AfDler André Poggenburg, ehemals Vorsitzender der AfD Sachsen-Anhalt, bevor er auf Druck des Bundesvorstandes aus der Partei austrat, bediente sich ebenfalls dem Narrativ, AfD-Stimmen seien „entwertet“ worden. Für einen Wahlbetrug oder -manipulation in Sachsen-Anhalt gibt es keine Belege.

Abseits der Twitter- und Facebook-Blase widmete der rechtsextreme Chef der „Identitären Bewegung“ (IB) in Österreich, Martin Sellner, der Landtagswahl ganze anderthalb Stunden in einem Livestream. Mit dem Ergebnis im rechten Lager gäbe es „nicht besonders viele Gründe, in Jubelgeschrei auszubrechen“, so Sellner. Auch sein Gast, der Ex-Co-Chef der IB Daniel Fiß, sei „geschockt“ gewesen, als die ersten Prognosen am Wahlabend veröffentlicht wurden. Fiß sieht die „INSA“-Umfrage ebenfalls für den starken Zuwachs der CDU verantwortlich, der zu einem „Mobilisierungsschub“ aus anderen Parteien führte, vermutlich „ganz stark aus der Linkspartei“ – in Wirklichkeit kam der Zuwachs vor allem von der AfD, SPD, Nicht-Wähler:innen und Zugezogenen. Mit rund 1000 Views blieb die Reichweite Sellners Wahlberichterstattung allerdings eher bescheiden.

In der Zwischenzeit ist die AfD Magdeburg offenbar mit der Facebook-Sperrung ihres Spitzenkandidaten beschäftigt: Am Wahltag wurde das Profil von Oliver Kirchner von Facebook deaktiviert. Die genauen Gründe sind noch unklar, die AfD Magdeburg redet von einem „Anschlag auf die Meinungsfreiheit“. Doch über sein noch nicht gesperrtes Twitter-Profil hat sich Kirchner gegen diesen vermeintlichen Anschlag auf die Meinungsfreiheit bislang nicht gewehrt und sich zur Sperrung nicht geäußert. Womöglich hat die Sperrung sogar gute Gründe, denn es wäre nicht das erste Mal, dass Kirchner für Kontroverse auf der Plattform sorgt: Im November 2017 wurde bekannt, dass Kirchner in einer geheimen Facebook-Gruppe mit 50 weiteren AfD-Mitgliedern war, in der unter anderem das Bild einer Anne-Frank-Pizzaschachtel mit der Aufschrift „Die Ofenfrische“ geteilt wurde. In einer anderen Facebook-Gruppe, in der Kirchner war, wurde offenbar die Shoah geleugnet.

Für diesen Spitzenkandidaten stimmten am Sonntag 20,8 Prozent in Sachsen-Anhalt.

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Die Querdenkerpartei „Die Basis“ ist mit 1,5 Prozent klar am selbst gesetzten Minimalziel, dem Einzug in den Magdeburger Landtag gescheitert. „WiR 2020“ erhielt sogar nur 0,2 Prozent der Stimmen. Mit zusammen 1,7 Prozent haben sie somit ungefähr das gleiche Ergebnis erzielt wie bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg im März.

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