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Michaela Dudley Die Merzgrenze ist erreicht

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Friedrich Merz, Vorsitzender der CDU. (Quelle: Wikimedia / Olaf Kosinsky / CC BY-SA 3.0)

„Wir wollen Brücken erhalten, Brücken aufbauen, dafür kämpfen wir, auch im EU-Parlament“, verlautbart zur Eröffnung des Parteitages Tino Chupralla, Bundessprecher der Alternative für Deutschland (AfD) und Vorsitzender der Bundestagsfraktion. Das klingt unbedenklich, vielmehr verantwortungsvoll. Es ist allerdings die Ankündigung einer Partei, die kein zukunftsfähiges Programm bietet, sondern auf unverhohlenen Geschichtsrevisionismus und xenophobe Stimmungsmache setzt.

Die Worte fielen letzten Freitag in Magdeburg, wo die AfD tagte, um sich, so zwischen Bier und Bratwurst, auf Brüssel vorzubereiten. Denn in der Metropole steht das von der AfD vermeintlich verhasste Europa-Parlament beheimatet. Die AfD kämpft einerseits für den „Dexit“, den Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union. Andererseits will sie sich dort selbst breitmachen, und zwar, wie am vergangenen Wochenende in Magdeburg beschlossen, als Teil der Rechtsaußen-EU-Fraktion „Identität und Demokratie“.

Ob in Sonnenberg oder bei den bundesweiten Sonntagsfragen, rast die AfD in letzter Zeit von einem Erfolg zum anderen. Bei einer INSA-Umfrage erreichte sie 22 Prozent, den für sie bisher höchsten Wert.

Schlingern und Schmusen

Die einstige Professorenpartei, die in diesem Jahr ihr zehntes Jubiläum feiert, ist also wahrhaftig eine Kraft, mit der man rechnen muss. Ignorieren geht nicht. Aber wie geht man mit ihr um? Ein gewisser Christdemokrat älteren Semesters gibt seine Meinung(en) dazu.

„Wenn in Thüringen ein Landrat und in Sachsen-Anhalt ein Bürgermeister von der AfD gewählt wird, dann sind das demokratische Wahlen. Natürlich muss in den Kommunalparlamenten dann auch nach Wegen gesucht werden, wie man gemeinsam die Stadt, das Land, den Landkreis gestaltet“, so meinte Friedrich Merz, Vorsitzender der CDU, im ZDF-Sommerinterview Ende Juli 2023.

Einerseits beinhalten die Überlegungen eine Anpassung an die herrschenden Gegebenheiten. Andererseits klang es nach Anbiederung. Die Kritik an Merz, auch aus den Reihen seiner eigenen Partei, ließ nicht lange auf sich warten. Yvonne Magwas, Vizepräsidentin des Bundestages und Mitglied im CDU-Präsidium, twitterte ablehnend: „Ob Ortschaftsrat oder Bundestag, rechtsradikal bleibt rechtsradikal. Für Christdemokraten sind Rechtsradikale IMMER Feind!“

So relativierte der CDU-Chef gleich am nächsten Tag: „Um es noch einmal klarzustellen, und ich habe es nie anders gesagt“, beteuerte Merz, „die Beschlusslage der CDU gilt. Es wird auch auf kommunaler Ebene keine Zusammenarbeit der CDU mit der AfD geben.“

Alles klar. Oder? Die Merz-Grenze wurde so oder so erreicht. Die Zahnpaste wurde herausgequetscht und kommt auch beim besten Willen nicht zurück in die Tube. Es bleibt nur, die Beißerchen damit zu putzen, um die Spuren von Kreide zu beseitigen, die der 67-Jährige Zwei-Meter-Mann fressen musste.

Allerdings hatte Merz die Rolle rückwärts schon in Kauf genommen, als er zu Hause in seinem Sauerländer Wahlkreis gegenüber dem Moderator Theo Koll saß. Kurz gesagt: Merz’ Patzer war eigentlich nach Plan. Denn es handelte sich um einen Versuchsballon. Mit weiteren Heiße-Luft-Nummern ist zu rechen. Eine Kollaboration zwischen CDU und AfD – auf lokaler Ebene und dann mal weiter schauen. Zuerst zwar nur als Option, aber diese Option solle von vorne herein möglichst optimiert sein. Was wären mögliche Schnittmengen? Gender-Gaga, Drag Queens und Patriotismus?

Bei aller Liebe für die Realpolitik, aber let’s get real! Fakt ist, das Bundesamt für Verfassungsschutz erkennt in der AfD einen „rechtsextremistischen Verdachtsfall“. Zudem wurde die AfD-Jugendorganisation Junge Alternative, als „gesichert rechtsextrem“ hochgestuft und wird entsprechend beobachtet.

Die Brandmauer bröckelt

Merz, Mitglied und einstiger Vorsitzende der Atlantik-Brücke, will nun mit einer Partei zusammenarbeiten, die dem West-Bündnis den Hintern zudrehen will? Und was ist mit

dem 1987 von Franz Josef Strauß erlassenen Diktat, dass es rechts von der CDU/CSU keine demokratisch legitimierte Partei geben dürfe?  Es war auch Merz selbst, der ungeachtet all seiner populistischen Neigungen davon sprach, die Brandmauer gegen rechts aufrecht zu erhalten. Doch diese Brandmauer bröckelt, und die Tatsache, dass die CDU nur einen einstelligen Vorsprung gegenüber der AfD genießt, lässt den Machtmensch an der Spitze der Union den Feueratem des Drachen spüren.

„Die CDU wird nicht umhinkommen, das unsinnige Kontaktverbot zur AfD aufzuheben“, so Alice Weidel, Co-Vorsitzende der AfD. Es führe die CDU in die linke Falle und machte sie zum Spielball der Grünen. Dazu spottet Chrupralla, Merz wolle Chef der AfD sein.

Schon gibt es auf kommunaler Eben etliche Beispiele der Zusammenarbeit mit der AfD, und zwar seitens verschiedener Parteien. 2020 in Forst in der brandenburgischen Lausitz trat Ingo Paescke, Fraktionschef der Linken, gemeinsam mit der AfD vor die Presse. Wohl nicht ohne Konsequenzen. Wegen des Tabubruches flog Paeschke aus der Linkspartei.

Die Zusammenarbeit kommt auch im Westen vor, und zwar in den „besten“ Familien. In Rheinland-Pfalz bildete die Gemeinderätin Monika Schirdewahn 2019 eine Fraktionsgemeinschaft mit einem AfD-Vertreter. Dieser war übrigens Schirdewahns Ehemann. Inhaltlich ging es um die Trinkwasserversorgung, aber Schirdewahn blieb auf dem Trockenen sitzen. Denn sie wurde aus der CDU ausgeschlossen Das geschah wiederum noch vor Merz und noch vor der Bekanntgabe seiner in der Sommerpause artikulierten Frühlingsgefühlen.

Widersprüche und die Weggabelung

Nicht nur bei Merz selbst sind Widersprüche erkennbar. Laut einer aktuellen Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut Civey für den SPIEGEL durchführte, würden sich mehr als 40 Prozent der Deutschen eine Kooperation zwischen Union und AfD wünschen, zumindest was die Kommunalpolitik beträfe. Zum Vergleich: Nahezu alle AfD-Anhänger*innen wären froh, wenn die Union mit ihnen ohne Berührungsängste in den Kommunen zusammenarbeiten würden. Sicherlich spielen die Träume der AfD, den Ritterschlag der Legitimation zu erlangen, auch eine Rolle. Andererseits hegen nicht wenige in der CDU/CSU-Konstellation Hoffnungen darauf, ihre konservativen Volksparteien könnten die rechtsextreme AfD gleichsam mit links einverleiben. Diese ist jedoch eine fatale Fehlschätzung. Jegliche Zusammenarbeit mit einer Blut-und-Boden-Partei droht, einen politischen Flurschaden anzurichten. Wir befinden uns an einer Weggabelung und dürfen nicht nach rechts gehen. Zuviel steht auf Messers Schneide.

Foto: Wikimedia / Olaf Kosinsky / CC BY-SA 3.0

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Armin Laschet

Michaela Dudley Laschet uns beten – Ja und Armin

In einer Scheltrede gegen die AfD katapultiert sich ein Christdemokrat aus der Vergessenheit. Dabei setzt er sich mit der Vergangenheit gehörig auseinander. Darin lege vielmehr die Vorstufe zur Entwicklung einer zukunftstauglichen Politik, so unsere Kolumnistin Michaela Dudley. In dem verbalen Vorstoß des CDUlers erkennt sie lobenswerte Ansätze. Sie betont allerdings, eine konservative Volkspartei müsse sich in Wort und Tat von der Vaterlandsverehrung verabschieden und anstatt dessen die Vielfalt würdigen.

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