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Propaganda aus der Dachstube Störtebeker-Netz

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Wenn Axel Möller glaubt, ihm sei mal wieder ein richtig guter Scherz gelungen, dann lässt er sich für einen Augenblick in seinen grauen, einst volkseigenen Sessel fallen und lacht schallend. Schnell aber richtet er sich dann wieder auf, drückt seinen Rücken ins Hohlkreuz, bis sich die nächste Gelegenheit bietet, sein zynisches Talent zu beweisen. Und wie. Die Proteste von Asylbewerbern gegen ihre Unterbringung nennt er einen „Negerauflauf“, Aktivisten gegen rechts „Gewohnheitsdenunzianten“. Wenn die Republik über den Fall Martin Hohmann oder der Bundestag über Antisemitismus diskutiert, dann findet es Axel Möller vor allem schade, dass der CDU-Bundestagsabgeordnete von dem „jüdischen Tätervolk in der Vergangenheit“ gesprochen hat. Die hasserfüllten Scherze des 39-Jährigen sind unter Deutschlands Rechtsextremisten gefragt, auch wenn ihn nur wenige kennen. Denn Axel Möller schreibt und verbreitet sie anonym, er wohnt im vorpommerschen Stralsund, aber seine Bühne ist das Internet. Fast täglich füttert er die Internetseiten des „Störtebeker-Netzes“. Mit jährlich zwischen drei und vier Millionen Zugriffen aus aller Welt gehört seine Homepage derzeit zu den rechtsextremen Top-Adressen im Netz. Möller ist Mitbegründer des „Störtebeker-Netzes“ und Autor fast aller Texte. Dies bestätigt der Verfassungsschutz. Möller will dazu zunächst nichts sagen, ist dann aber doch so eitel und selbstverliebt, dass es nur so aus ihm herausquillt: „Ich bin im Netz mit die Nummer eins“.

Stolz präsentiert Axel Möller auch die Listen mit den Zugriffszahlen auf das “ Störtebeker-Netz“. Mal sind es rund 15 000 am Tag, mal 22 000, am 16. September waren es 33 749 Zugriffe. Mitte September, als die Polizei in München eine rechte Terrorzelle aushob und 1,7 Kilogramm Sprengstoff fand, war die Neugierde der Kameraden offenbar groß. Von V-Leuten im „Störtebeker-Netz“ war an diesem Tag die Rede, von Wahlkampf und „angeblichen Todeslisten“. Möller kommt auch auf die „Machenschaften“ der israelischen Regierung in Palästina zu sprechen und fügt hämisch hinzu, man müsse sich nicht wundern, „wenn sich die Empörung darüber, dass sich Exponenten dieses Volkes auf obskuren Todeslisten irgendwelcher Spinner befinden, durchaus in relativen Grenzen hält“.

Was das „Störtebeker-Netz“ so erfolgreich macht, ist die Mischung. Möller verbreitet Meldungen der Szene, Aufrufe zu Demonstrationen und politische Kommentare. Anders als die meisten seiner rechten Mitstreiter im Netz verzichtet er völlig auf schwere Symbolik oder offene ideologische Pamphlete. Stattdessen kommt Möller im undogmatischen Plauderton daher. Das „Störtebeker-Netz“ will provozieren und unterhalten. Und so scheut Möller auch nicht davor zurück, über „Möchtegern-Nationalisten ohne politischen Sachverstand“ herzuziehen, den NPD-Wahlkampf als Flop zu outen oder die allwöchentlichen Demonstrationen des „nationalen Widerstandes“ als Wanderzirkus zu belächeln. Manchmal gibt Axel Möller auch Buchtipps, würdigt Ausstellungen oder veröffentlicht Nachrufe. Das traut man Axel Möller gar nicht zu. Meist trägt er eine braune Lederjacke und verwaschene schwarze Hosen. Bauchansatz und Doppelkinn sind nicht zu übersehen, aber Oberlippenbart und Scheitel sind immer akkurat gepflegt. Seit mehr als zehn Jahren ist Axel Möller in Vorpommern eine rechte Institution. Er war Mitglied der Republikaner und der NPD, inzwischen nennt er sich „freier Nationalist“. Gelegentlich organisiert er Demonstrationen, Infostände und Veranstaltungen. Ganz Stralsund kennt ihn, viele grüßen ihn, lassen ihn gewähren. Selbst als Axel Möller nach dem Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 eine amerikanische Fahne verbrannte, um seine Sympathie mit den Attentätern zu demonstrieren, regte sich in der Hansestadt niemand groß darüber auf.

Im „Störtebeker-Netz“ aber kämpft Möller ganz alleine. Keine Gruppe, keine Organisation, keine Partei steht hinter ihm. Technisch ist das kein Problem. Kosten entstehen kaum. Die Sperrung der Internet-Seiten ist unmöglich, weil der Server vermutlich in den USA steht. Wenn überhaupt von einer Redaktion die Rede sein kann, dann befindet sich diese in einer kleinen Dachwohnung eines tristen 50er Jahre-Baus am Rande der Stralsunder Altstadt. Zwischen einem alterslahmen Computer, einem mit Zeitschriften und Papieren übersäten Schreibtisch und voll gestopften Bücherregalen arbeitet Möller. Lexika, antiquarische Originalausgaben, umfangreiche Werkausgaben sind griffbereit. Gleich neben Hitlers „Mein Kampf“ stehen im Regal Marx und Machiavelli; Edgar Julius Jungs Kampfschrift gegen die Weimarer Republik „Die Herrschaft der Minderwertigen“ hat in seiner Bibliothek genauso ihren Platz wie Bücher von Goethe, Ibsen oder Schopenhauer. Selbst an Heinrich Heine findet Möller Gefallen, er begeistert sich für dessen „pralle Sprache“, nicht ohne zugleich darauf hinzuweisen, dass dieser ein „überheblicher Gegner Deutschlands“ gewesen sei. Möller verehrt auch die Wehrmacht. Gleich neben seinem Schreibtisch hängt ein Plakat mit der Aufschrift „Unsere Großväter waren Helden“, auch eine Reichskriegsfahne darf in Möllers kleinem Reich nicht fehlen.

Axel Möller wuchs in einer vorpommerschen Kleinstadt auf, schon als Schüler interessierte er sich weniger für Lenin und die russische Revolution als für Napoleon und die Befreiungskriege. Nationalistische Generale und autoritäre Politiker sind seine Vorbilder und nicht, wie an der Polytechnischen Oberschule erwartet, internationalistische Sozialisten. Gleichzeitig aber sammelte er als FDJ-Agitator seiner Schule die ersten politischen Erfahrungen. Solange, bis er einmal an der falschen Stelle über seine Anleiterin lachte und aus der Grundorganisationsleitung geworfen wurde.

Der Fall der Mauer warf Axel Möller erst einmal aus der Bahn. Mal arbeitete er als Kellner oder Hausmeister; er ließ sich zum Bürokaufmann umschulen. Häufig aber war er arbeitslos. Seine Welt ist die Politik, immer tiefer geriet er in den Sog rechtsextremer Organisationen. Doch überall eckte er an; er störte sich an deren Erfolglosigkeit. Immer häufiger saß Axel Möller statt beim Kameradschaftsabend vor dem Computer. Die Anfänge des „Störtebeker-Netzes“ waren hölzern, die Szene belächelte den Möchtegern-Journalisten zunächst und verfolgte dann aber staunend dessen zunehmende Professionalität.

Mittlerweile scheint Möller süchtig nach dem Internet zu sein, süchtig nach der Anerkennung der vielen Fans, die ihm mailen, süchtig nach der anonymen Cyberwelt, die ihm ständig steigende Zugriffszahlen beschert. Im Internet scheint es weder Tabus noch kollektive Empörung zu geben, keinen Widerspruch und keine demokratische Kontrolle. Jeder kann dort Gleichgesinnte um sich scharen, ist seine Propaganda auch noch so widerlich.

Immer dann, wenn in Deutschland der Antisemitismusstreit tobt, läuft Möller zu wahrer Höchstform auf. Immer zweideutig, immer mit antisemitischen Untertönen, immer am Rande der strafbewehrten Volksverhetzung. Den CDU-Abgeordneten Martin Hohmann kürte er zum „Opfer des linken Mainstreams“, dessen Kritiker nennt er „Deutschland-Hasser“. Die „Zionistenlobby“ stehe immer isolierter da, schreibt er, der Zeitgeist sei „nicht länger einseitiges Monopol einer Menschenklasse, die noch nicht mal ein Prozent der Gesamtbevölkerung einnimmt“.

Fast täglich kreisen die Kommentare im „Störtebeker-Netz“ um Möllers Lieblingsthema: die Juden. Doch jetzt sitzt er in seiner Stube und will zum Holocaust dann eigentlich lieber doch nichts sagen, das interessiere ihn nicht, sagt er. Doch gleich darauf verrät er freudig das Pseudonym, unter dem er gelegentlich im Internet chattet: Theodor Fritsch. Dieser war nicht nur einer der wichtigsten Ideologen des nationalsozialistischen Antisemitismus, sondern auch Herausgeber der gefälschten „Protokolle der Weisen von Zion“, mit denen Hitler den Krieg gegen die Juden rechtfertigte. Fritschs „Handbuch der Judenfrage“ steht ganz selbstverständlich bei Axel Möller im Bücherregel, und dieses Pseudonym findet er richtig prima, lacht einmal mehr laut auf und klagt lediglich darüber, dass sich im Netz niemand über die Namenswahl empört.

Möller spielt mit der Sprache, etwa bei dem „Sommergesundheitstipp zur Zeckenbekämpfung: Am besten drauftreten und ganz schnell wegrennen.“ Als Gewaltaufruf will er dies nicht verstanden wissen, auch wenn ihm klar ist, dass linke Jugendliche in Skinhead-Kreisen „Zecken“ genannt werden. Solche „schändlichen Unterstellungen“ weist Axel Möller empört zurück. Aber wenn rechte Jugendliche derartige Aufrufe beim Wort nehmen, spricht er von „jugendlichem Überschwang“ und – frei nach Lenin – von den „Kinderkrankheiten der nationalen Bewegung“.

Axel Möller kennt seine Grenzen, vor allem jene, die ihm das Strafgesetzbuch setzt. Aus eigener Erfahrung. Zweimal bereits stand er wegen Volksverhetzung oder Leugnung des Holocaust vor Gericht. Einmal musste er etwa 450 Euro Strafe zahlen, weil er im Internet ein derbes antisemitisches Gedicht aus dem vergangenen Jahrhundert zitiert hatte.

Zum Abschluss des Prozesses gab ihm die Richterin den rechtlichen Hinweis, man dürfe solche Zitate nicht ohne Begleitkommentar veröffentlichen. Das hat sich Axel Möller gemerkt. Also schreibt er nun beispielsweise, ihm falle „nicht im mindesten ein“, die „perfiden Instrumente des nationalsozialistischen Terrors zu verharmlosen“, um gleich mit einem kräftigen „aber“ fortzufahren. Der Autor kann sich darauf verlassen, dass auch die gefährlichen Zwischentöne ihre Adressaten erreichen.

Erschienen in der Frankfurter Rundschau, 10.Dezember 2003

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