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Rechtsextreme Strukturen Drohen Thüringen sächsische Verhältnisse?

www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / Foto: Transparent gesehen in Jena (Kulick)

Besonders im Nachbarland Thüringen schrillen seitdem die Alarmglocken. Denn im Superwahljahr 2009 finden hier nicht nur Europa- und Bundestagswahlen statt, sondern auch Kommunal- und Landtagswahlen. “Wir haben Grund zur Sorge und befürchten sächsische Verhältnisse“, so Wolfgang Nossen, Vorstandschef der ‚Mobilen Beratung in Thüringen’ (MOBIT). Nossen, der gleichzeitig Vorsitzender der jüdischen Landesgemeinde ist, nannte es “eine Horrorvision, wenn die NPD 2009 in den Landtag einziehen würde“. Thüringens DGB-Chef Steffen Lemme zeigte sich ebenso besorgt und warnte vor einem “bösen Erwachen“, wenn es nicht zu einer “strukturierten Gegenoffensive“ komme. Er forderte deshalb einen “Landesbeauftragten gegen Rechtsextremismus“, der nicht nur in der Staatskanzlei angesiedelt, sondern auch mit einem “ordentlichen Etat“ ausgestattet sein müsse.

NPD will Thüringen zu ihrer dritten Hochburg ausbauen

Die Befürchtung, die NPD könne in Thüringen ähnliche Wahlerfolge wie in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern erzielen, scheint durchaus begründet. Bei der Bundestagswahl am 18. September 2005 votierten hier immerhin 3,7 Prozent der Wähler für die rechtsextreme Partei. Im bundesweiten Vergleich lag sie damit auf Platz 2 – hinter Sachsen (4,9 Prozent) und noch vor Mecklenburg-Vorpommern (3,5 Prozent). Zudem schnitt sie im Freistaat erstmals deutlich besser ab als die konkurrieren Republikanern (REP), die nur noch auf 0,7 Prozent kamen.

Bei den Landtags- und Europawahlen 2004, die beide am 13. Juni stattfanden, war die Stimmverteilung im rechtsextremen Lager noch umgekehrt. Hier hatten die REP in Thüringen mit 2,0 bzw. 2,2 Prozent der Stimmen noch klar vor der NPD mit 1,6 bzw. 1,7 Prozent gelegen.

Die in den letzten Jahren bundesweit festzustellende Radikalisierung im rechten Wählerspektrum ist demnach auch im Freistaat auszumachen. Während die NPD erhebliche Zugewinne verzeichnet, verlieren nationalkonservative und rechtspopulistische Parteien mehr und mehr an Zuspruch.

NPD-Mitgliedschaft in Thüringen stark gestiegen

Doch nicht nur bei der Bundestagswahl 2005 konnte die NPD in Thüringen einen Achtungserfolg erzielen. Auch beim Aufbau ihrer Parteistrukturen kam sie in den vergangenen Jahren spürbar vorang. Sie ist heute die mit Abstand größte rechtsextreme Partei des Freistaates. Allein zwischen 2006 und 2007 stieg die Zahl ihrer Mitglieder um 170 auf rund 550 Personen. Von der Zahl seiner Anhänger her hat sich der Landesverband damit zu einem der größten in Deutschland entwickelt. Bezogen auf die Einwohnerzahl liegt er mit Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern sogar bundesweit an der Spitze. Im Ergebnis verfügt die NPD mittlerweile in allen Regionen des Landes über mehr oder weniger handlungsfähige Kreisverbände. Schwerpunkte ihrer Aktivitäten sind Erfurt-Sömmerda, Gotha, der Wartburgkreis, Gera und Jena.

Intensive Kooperation zwischen Neonazis und der NPD

Ein entscheidendes Moment der Parteientwicklung ist die besonders enge Kooperation der Thüringer NPD mit der neonazistischen Kameradschaftsszene, aus deren Reihen sie auch die meisten Neueintritte zu verzeichnen hatte. Im gerade vorgelegten Thüringer Verfassungsschutzbericht 2007 heißt es dazu: “Thüringen zählt zu den Bundesländern, in denen die Einbeziehung von Neonazis in die NPD am weitesten fortgeschritten ist. (…) Nahezu alle führenden Thüringer Neonazis sind zwischenzeitlich der NPD beigetreten, ein Großteil derer nimmt innerhalb der NPD Funktionen wahr. Alle Mitglieder des Landesvorstands und die meisten Kreisverbandsvorsitzenden entstammen ebenfalls dem neonazistischen Spektrum.“

Der Thüringer NPD ist es auf diese Weise gelungen, ein junges und aktionistisches Personenpotenzial für sich zu erschließen und in die Parteiarbeit einzubinden. Es bildet besonders in Wahlkampfzeiten eine wichtige Basis für flächendeckende Aktivitäten. Darüber hinaus ermöglicht es durch Infostände, Verteilaktionen, Kundgebungen und Demonstrationen eine relativ kontinuierliche Präsenz im politischen Alltag des Freistaates, die mit der “klassischen“ NPD-Mitgliedschaft so nicht zu erreichen wäre. Für die Etablierung und “Normalisierung“ der Partei auf kommunaler Ebene ist ihr Engagement deshalb gar nicht zu überschätzen.

Rassistisches Klima und Gewalt

Fremdenfeindliche und rassistische Einstellungen sind im Freistaat allerdings nicht nur bei überzeugten Rechtsextremisten oder ihrer Wählerschaft zu finden. Sie reichen bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein. So kommt der jährlich im Auftrag der Thüringer Staatskanzlei erstellte ‚Thüringen Monitor’ für 2007 zu dem Ergebnis, dass 54 Prozent der Befragten der These eher oder völlig zustimmen, “dass die Bundesrepublik durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maße überfremdet“ sei. Immerhin noch fast die Hälfte (49 Prozent) teile eher oder völlig die Einschätzung, die “Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen“.

Bedenklich hohe Zustimmungswerte zu rassistischen Positionen hat auch das Bielefelder Forschungsprojekt “Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ ermittelt. Hier liegt Thüringen bei der Fremdenfeindlichkeit derzeit auf Platz 1 aller Bundesländer. Der Studie zugrunde liegen repräsentative Befragungen aus den Jahren 2002 bis 2006. Auch in den Bereichen Gewaltbilligung und Gewaltbereitschaft kamen für Thüringen überdurchschnittlich hohe Ergebnisse heraus.

Die aktuellen Statistiken über rechtsextreme Straf- und Gewalttaten scheinen diese Umfrageergebnisse zu bestätigen. Für das Jahr 2007 weist der Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz für Thüringen 61 Gewalttaten aus (2006: 55). Das Land liegt damit, bezogen auf die Einwohnerzahl, auf Platz drei aller Bundesländer – hinter Brandenburg und Sachsen-Anhalt, aber noch deutlich vor Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern.

Die Opferberatungsstellen in den ostdeutschen Bundesländern und Berlin kommen in ihrem gerade vorgelegten Jahresbericht 2007 zu vergleichbaren Fallzahlen. Ihnen wurden aus Thüringen insgesamt 67 rechtsextreme Gewalttaten (2006: 48) bekannt. Dabei gehen sie jedoch von einer hohen Dunkelziffer aus. Zudem rechnen sie für das Jahr 2007 noch mit Nachmeldungen.

NPD bereitet sich auf die Thüringer Kommunalwahlen 2009 vor

Die Thüringer NPD wird bei der Kommunalwahl 2009 erstmals versuchen, wenn nicht flächendeckend, so doch in ihren organisatorischen Zentren anzutreten. Bei der vorangegangenen Wahl am 27. Juni 2004 war es ihr lediglich gelungen, ein Mandat im Ortschaftsrat von Lobeda/Altstadt (Jena) zu gewinnen. Hier holte der NPD-Kandidat Ralf Wohlleben 121 Stimmen (5,83 Prozent). Wohlleben ist Kreisvorsitzender der NPD Jena. Im betreffenden Stadtteil befindet sich das sogenannte “Braune Haus“, das seit Jahren als eines der organisatorischen Zentren der Thüringer NPD und der Neonaziszene gilt.

Auch die Republikaner und die DVU erreichten 2004 jeweils nur ein Mandat. Mit 7,06 Prozent der Stimmen zog der REP-Landesvorsitzende Hans-Joachim Schneider in den Ortschaftsrat Neulobeda (Jena) ein. Der DVU-Kandidat Uwe Bäz-Dölle verteidigte mit 8,3 Prozent seinen Sitz im Stadtrat von Lauscha (Kreis Sonneberg). Eine flächendeckende Kandidatur erschien im Juni 2004 keiner der rechtsextremen Parteien Erfolg versprechend.

Um für die Kommunalwahl 2009 besser vorbereitet zu sein, fand diesmal bereits am 8. Dezember 2007, also rund eineinhalb Jahre vor dem Urnengang, ein NPD-Landesparteitag statt, auf dem die Weichen für den Wahlantritt gestellt werden sollten. Auch Parteichef Udo Voigt und Generalsekretär Peter Marx nahmen an dem Treffen teil. In seinem Leitantrag bemängelte der damalige Landesvorstand, dass viele Kreisverbände die angestrebte regionale Verankerung in der Vergangenheit vernachlässigt hätten. Als dringlichste Ziele wurden deshalb formuliert: der Ausbau der personellen und finanziellen Basis vor Ort, die Erhöhung des Bekanntheitsgrades möglicher Spitzenkandidaten sowie die Erlangung kommunalpolitischer Kompetenz. Darüber hinaus wurde deutlich, dass die Thüringer Kreisverbände aufgrund der angespannten finanziellen Lage der Partei keine große finanzielle Unterstützung für den Kommunalwahlkampf von Landes- und Bundesseite zu erwarten hätten.

Auch der im Mai dieses Jahres neu gewählte Landesvorstand unterstrich mittlerweile die Bedeutung der Kommunalwahl 2009. Auf seiner konstituierenden Sitzung fällte er einstimmig den Beschluss, “dass alle Verbände der NPD und ihre Mitglieder ausschließlich unter der Flagge der NPD bei den kommenden Kommunalwahlen antreten“.

Regionen mit überdurchschnittlich hohen NPD-Wahlergebnissen waren bei der Bundestagswahl 2005 unter anderem die Landkreise Saalfeld-Rudolstadt (5,0 Prozent), Sonneberg und das Altenburger Land (4,5 Prozent), das Weimarer Land (4,4 Prozent), der Saale-Orla-Kreis, der Ilm-Kreis, der Kreis Greiz und der Wartburgkreis (4,1 Prozent) sowie der Kyffhäuserkreis (4,0 Prozent). Bereits bei den Europa- und Landtagswahlen 2004 lag sie hier über dem Landesdurchschnitt.

Derzeit spricht vieles dafür, dass die NPD im kommenden Frühjahr in eine Reihe Thüringer Kommunalparlamente einziehen wird. Häufig genügt schon ein Stimmanteil von etwa zwei Prozent, um ein Kreistags- oder ein Stadtratsmandat einer kreisfreien Stadt zu erreichen. Ein Ergebnis, das für die NPD vielerorts durchaus realistisch erscheint, zumal sich die Partei nach eigenen Angaben auf ihre Hochburgen konzentrieren will. Auch die zu erwartend niedrige Wahlbeteiligung könnte ihr in die Hände spielen.

Wahlantritt der NPD bei den Landtagswahlen 2009 wahrscheinlich

In der rechtextremen Szene Thüringens hat es in den zurückliegenden Monaten erhitzte Debatten um einen Antritt der NPD zur Landtagswahl im Herbst 2009 gegeben. Denn laut des Anfang 2005 zwischen der NPD und der DVU geschlossenen ‚Deutschlandpaktes’ ist diese Wahl eigentlich der DVU vorbehalten. Besonders in der militanten Kameradschaftsszene trifft dies jedoch auf scharfe Kritik. Sie signalisiert, ausschließlich eine Kandidatur der NPD unterstützen zu wollen und begründet dies mit der national-konservativen Ausrichtung der DVU und ihren mangelnden Erfolgsaussichten im Freistaat. Auf dem NPD-Landesparteitag am 8. Dezember 2007 unterstrich ein Redner der Thüringer Kameradschaften diese Position: “Es ist kein Geheimnis, dass die DVU in Thüringen nicht in der Lage sein wird, einen flächendeckenden und glaubwürdigen Wahlkampf für eine Landtagswahl hier mit landeseigenen Kräften zu gestalten! (…) Dies kann in Thüringen sowohl personell als auch logistisch nur von der NPD bewerkstelligt werden und die Unterstützung weiter Teile des parteifreien Spektrums wird auch nur bei einem Wahlantritt der Nationaldemokraten zum gemeinsamen Wahlkampf zur Verfügung stehen!“ Laut Verfassungsschutz zählt der DVU-Landesverband gegenwärtig noch etwa 50 Mitglieder. Aktivitäten, zumal regionaler oder überregionaler Art, seinen in letzter Zeit so gut wie nicht zu verzeichnen gewesen.

Dennoch hat NPD-Chef Udo Voigt wiederholt deutlich gemacht, für ihn sei ein Wahlantritt der NPD nur nach einer einvernehmlichen Lösung mit der DVU denkbar. Ein erstes öffentliches Signal in dieser Richtung gab es im Rahmen einer DVU-Grußbotschaft auf dem NPD-Bundesparteitag Ende Mai in Bamberg. Eine offizielle Entscheidung soll jedoch erst bei Gesprächen im September fallen, heißt es aus Parteikreisen.

Eine weitere Unbekannte ist aus Sicht der NPD das Verhalten der Thüringer Republikaner. Denn anders als die Landesverbände der DVU und der ‚Deutschen Partei’ (DP) haben die REP Wahlabsprachen mit der NPD bisher kategorisch abgelehnt. Für die Landtagswahl könnte dies von großer Bedeutung sein. Denn sollten die REP wie bisher in Konkurrenz zur NPD antreten, dann spricht vieles dafür, dass sie ihr entscheidende Prozentpunkte zur Überwindung der 5-Prozent-Hürde streitig machen werden.

Carsten Hübner

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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