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Saarland 2013 Eine Vielzahl rechter Aktivitäten von Lifestyle bis Parteien

Neonazis des Nationalen Widerstands Zweibrücken und der Sturmdivision Saar demonstrieren für den NS-Kriegsverbrecher Erich Priebke in Saarbrücken. (Quelle: K. Michel)

vom Netzwerk für Demokratie und Courage Saar e. V. (NDC Saar)

Im Saarpfalz-Kreis und im angrenzenden Raum fand vor allem ein Zwischenfall in Homburg breite mediale Beachtung, der sich bei einer Demonstration im Rahmen der neonazistischen „Fahrt der Erinnerung“ (zuvor in Primasens und Zweibrücken) abspielte: Clemens Lindemann, Landrat des Saarpfalz-Kreises, ließ das Abspielen aller drei Strophen des Deutschlandliedes durch Polizeikräfte unterbinden, worauf ein heftiger Wortwechsel folgte. Ricarda Riefling, NPD-Kader und zuvor in der Primasenser Zeitung als nette Nachbarin skizziert, schlug laut Medienberichten dabei Lindemann ins Gesicht und beschuldigte ihn im Nachgang selbst eines gewalttätigen Angriffs (weitere Informationen hier).

Demonstrationen der Naziszene dienen der Selbstvergewisserung

Kaum berichtet wurde hingegen, dass die NPD Westpfalz, der Nationale Widerstand Zweibrücken (NW Zweibrücken) und andere neonazistische Kameradschaften eine weit größere Anzahl von Demonstrationen realisieren konnten. Diese fanden vornehmlich im saarlandnahen Raum bei Zweibrücken, Primasens und Kaiserslautern statt und strahlten damit auf den Saarpfalz-Kreis und andere Landkreise aus. Die Strategie: Durch eine hohe Dichte an Demonstrationen Nicht-Rechte ermüden, damit Proteste verhindern und die eigenen Aktivitäten normalisieren. Die Kameradschaften Pfalz-Sturm aus Kaiserslautern und der NW Zweibrücken arbeiten dabei mit der NPD Westpfalz um Riefling zusammen. Die Strategie scheint aufzugehen: Längst gibt es nicht mehr gegen jede Neonazi-Demonstration Protest oder gar eine Gegendemonstration in Zweibrücken und Umgebung. Die Bedeutung der Demonstrationen ergibt sich dabei nicht aus der Anzahl erreichter Personen außerhalb des rechten Spektrums. Vielmehr muss die Bedeutung öffentlich-machtvoller Auftritte für die Selbstvergewisserung und Szenebindung rechter AkteurInnen berücksichtigt werden.

Anti-Antifa-Aktivitäten von „Volksfunk“

Wie stark Christian B., alias „Volksfunk“, in die örtlichen Strukturen eingebunden ist, mag Raum für Spekulationen geben. Fest steht aber, dass B. über lange Zeit unbehelligt Videos online stellte: Darin rief er zum „Outen“ von „Nazijägern“ und zum bewaffneten Kampf gegen das „Regime Bundesrepublik Deutschland“ auf, während er sich mit Deutschem Gruß und Hakenkreuzfahne präsentierte. Er veröffentlichte Namen und Adressen von gegen rechts engagierten Menschen und gab Anleitungen zum Bombenbau. Damit gewann „Volksfunk“ mehr als nur lokale Aufmerksamkeit; in mehreren Bundesländern wurde Anzeige gegen ihn erstattet. Erst nach medialem Druck wurde eine Hausdurchsuchung bei B. durchgeführt, bei der u.a. eine nicht scharfe Handgranate und mehrere Butterfly-Messer beschlagnahmt wurden. Die Videos von „Volksfunk“ sind indes noch immer online. B. wird zumeist bagatellisierend als verrückter Einzeltäter skizziert, der keinerlei Gefahr bedeute und nicht an die Szene angebunden sei. Seine Taten hingegen stellen für Nicht-Rechte ein deutliches Bedrohungsszenario dar und können zu einer Radikalisierung anderer rechter und Sympathisanten beitragen. Aktivitäten, wie diese von Christian B., firmieren unter dem Label „Anti-Antifa“: Das Ausspionieren von Nicht-Rechten, das Veröffentlichen ihrer Namen und der damit einhergehende Versuch, diese Menschen einzuschüchtern – ob sie jetzt in antifaschistischen Strukturen aktiv sind oder nicht.

Saarbrücken ebenfalls im Mittelpunkt der rechten Aktivitäten

Am 29. Juli war in der Stadt eine Mahnwache für die Freilassung des mittlerweile verstorbenen NS-Kriegsverbrechers Erich Priebke angekündigt, der an diesem Tag seinen 100. Geburtstag beging. Die Mahnwache sollte im Nauwieser Viertel vor dem italienischen Konsulat abgehalten werden, da Priebke 1998 von einem italienischen Gericht als Kriegsverbrecher verurteilt wurde. Die Mahnwache wurde durch den „Freundeskreis Erich Priebke“ rund um Sascha Wagner und die Kameradschaft Sturmdivision Saar aus Dillingen getragen. Bei der Mahnwache waren denn auch Neonazis der Sturmdivision und des NW Zweibrücken vor Ort; insgesamt hatten 19 Neonazis den Weg nach Saarbrücken gefunden. Aufgrund des großen Gegenprotestes, wurde die Mahnwache vor die Tore der Europa-Galerie verlegt. Die GegendemonstrantInnen wollten diese deutliche neonazistische Präsenz an zentraler Stelle in Saarbrücken nicht hinnehmen und zogen vor die Europa-Galerie. Dort schlossen sich andere PassantInnen dem Protest spontan an, wodurch die Zahl der GegendemonstrantInnen auf deutlich über 250 Personen anstieg und der Demonstrationsverlauf unübersichtlicher wurde. Während des Gegenprotestes kam es zu Gewalt von Seiten der Neonazis. Daneben berichten andere GegendemonstrantInnen auch von einem Pfeffersprayeinsatz durch sichtlich überforderte Polizeikräfte, die die Neonazis schließlich mit Polizeiwagen zu einem Bahnhof außerhalb der Saarbrücker Innenstadt fahren mussten. Trotzt dieser Szenen blieb die Gegendemonstration weitgehend friedlich.

Daneben machte die rechtspopulistische Partei „Pro Deutschland“ im Zuge ihres Wahlkampfes Station in Saarbrücken. Die Kundgebung fand unter hoher Polizeipräsenz und lautem Gegenprotest im Nauwieser Viertel statt. Im Zuge der Kundgebung bezeichneten die RednerInnen von „Pro“ die GegendemonstrantInnen als „Bodensatz der Gesellschaft“ und relativierte die massenhafte Ermordung im System der Konzentrationslager durch Verweise auf Gewalttaten in anderen Ländern.

Antifa Saar enthüllt ein rechtes Clubhaus

Neben diesen Demonstrationen und Kundgebungen wurde ein klandestines Projekt enthüllt: Ein Flugblatt der Antifa Saar machte ein rechtes Clubhaus in Saarbrücken-Rußhütte öffentlich, das seit dem Frühjahr 2013 als Proberaum für Bands und Treffpunkt diente. Die Antifa Saar zieht Verknüpfungen dieser Lokalität zu Neonazi-Bands wie „Wolfsfront“ und „Jungsturm“ sowie zur elitären und gewaltaffinen internationalen Organisation der Hammerskin Nation, da auch Vollmitglieder der Hammerskin Nation in den Bands aktiv sind und als „treibende Kräfte“ hinter dem Clubhaus gesehen werden. Erst durch diese Veröffentlichung wurde dem Vermieter der Räumlichkeit die Gesinnung der rechten Mieter klar. Er kündigte ihnen fristlos.

Nazis wieder aktiv auf „Volksfesten“

Die „Emmes“ in Saarlouis, eines der größten „Volksfeste“ des Saarlandes, gab dieses Jahr nicht nur Anlass zum Feiern. Augenzeugen berichten von massivem Verteilen von Flyern durch Neonazis, in denen für die Jungen Nationaldemokratien (JN), die Jugendorganisation der NPD, geworben wird. In den Flyern wurde die „Identitäts-Kampagne“ forciert und antimuslimischer Rassismus propagiert: Völkisch-nationalistische, rassistische „Identität“ gegenüber „Multi-Kulti“: „(…) Nur gemeinsam sind wir stark gegen Kulturverfall und Islamisierung“, so der Flyer. Rechte Aufkleber wurden ebenso massiv verklebt und fanden bzw. finden sich in der gesamten Innenstadt. Wieder ein Zeichen für den Ruf der Stadt Saarlouis als relativ ruhiger Aktionsraum für Nazis im Saarland, da die Flyer laut Berichten völlig unbehelligt verteilt werden konnten. Im Landkreis Saarlouis ist zudem die Kameradschaft Sturmdivision Saar beheimatet.

Verfahren gegen Neonazis eingestellt, Triumph für die rechte Szene

Neben diesen Aktivitäten war das Amtsgericht Saarlouis Schauplatz für zwei Gerichtsprozesse gegen Rechte. Am 15. und 24. Mai fand der Gerichtsprozess gegen Detlef Appel, NPD Brandenburg, statt. Appel wurde vorgeworfen, während der sog. „Deutschlandtour“ der NPD im Jahr 2012 in Saarlouis ein Auto in eine Gruppe GegendemonstrantInnen gelenkt zu haben. Marcus Großmann, ebenfalls ein Nazi-Kader, wurde in einem getrennten Verfahren (31. Juli) vorgeworfen, die GegendemonstrantInnen mit einem Feuerlöscher und einem Schirm angegriffen zu haben. Einige wurden dabei verletzt und mussten im Krankenhaus behandelt werden. Beide Verfahren wurden gegen Zahlungen relativ geringer Geldbeträge eingestellt, obwohl Großmann zum Zeitpunkt der Tat wegen ähnlicher Vergehen bereits verurteilt und noch auf Bewährung war. Die Einstellung der Verfahren löste bei den Betroffenen neonazistischer Gewalt bestürzte Reaktionen aus. Ein Triumph für den NPD-Anwalt Peter Richter, der während der Verfahren insbesondere die Gefahr der vermeintlich „linksextremen“ GegendemonstrantInnen (z.B. Ver.di-Jugend und Jusos) betont hatte. Die Verfahren wurden von einem Neonazi-Aufgebot durch Kameradschaften und NPD-Funktionäre (u.a. Peter Marx und Niels Kandar) begleitet, um nicht-rechte ZeugInnen einzuschüchtern.

Die rechte Szene ist lose verbunden, zeigt aber enorme Wirkung

Saarlandweit ist wie im vergangenen Jahr eine große, vor allem lose verkoppelte Szene zu beobachten, die allerdings deutliches Potential entfalten kann. Neben den beschriebenen Gruppen agiert eine große Zahl rechter „Freundeskreise“ und „Cliquen“ lokal gebunden an ihren jeweiligen Lebensmittelpunkten. Eine alle überwölbende und organisierende Struktur ist bisher nicht zu beobachten, wobei regionale „Bündnisse“ und Zusammenarbeit aber enorme Wirkung zeigen.

Die NPD Saar vermag diese Rolle nicht zu spielen, obwohl sie in Völklingen und Saarbrücken mit Sitzen im Stadtrat vertreten ist. Insbesondere in Völklingen und Saarlouis ist und bleibt die NPD aber mit Infoständen sehr präsent. Daneben hat das Personal der NPD-Saar Bedeutung für die bundesweite NPD: Der ehemalige saarländische NPD-Vorsitzende und Fraktionsvorsitzende im Stadtrat Völklingen, Frank Franz, ist nach dem Misserfolg bei den Landtagswahlen zum Bundespressesprecher der NPD avanciert. Des Weiteren kandidierte Peter Richter nicht nur auf der Liste der NPD für den Bundestag, sondern gilt auch als einer der Anwälte, die die NPD bei einem eventuellen Verbotsantrag juristisch vertreten sollen.

 

Das Erstarken der NPD

Ein Rückblick auf 2013 von der Fachberatungsstelle im Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus im Saarland

Was waren die wichtigsten Ereignisse in Eurem Bundesland 2013, bezogen auf Neonazi-Szene, Rassismus und Antisemitismus?

Wie bereits im vergangenen Jahr war auch in diesem Jahr die Universitätsstadt Homburg Ziel der Zweibrücker Kameradschaft (Rheinland-Pfalz), um eine Kundgebung durchzuführen. Für Schlagzeilen sorgte NPD-Kader Ricarda Riefling, die nach übereinstimmenden Augenzeugenberichten den Landrat Clemens Lindemann tätlich angegriffen hatte. Der Landrat wurde dabei leicht verletzt. Riefling, die laut Polizeiangabe einen Schwächeanfall erlitt, verkündete anschließend ihre ganz eigene Sichtweise: der Landrat Lindemann hätte sie brutal angegriffen. Auf rechtsextremen Internetseiten wurde die Aussage Rieflings zum Anlass genommen, um massiv gegen den Landrat zu hetzen und die Demokratie im Allgemeinen zu verunglimpfen. Die Justiz hat sich mittlerweile der Angelegenheit angenommen. Durch den Vorfall geriet die friedliche Gegendemonstration, zu der das Bündnis „Homburg – vielfältig statt einfältig“ aufgerufen hatte und an der 200 Bürgerinnen und Bürger teilnahmen, in der öffentlichen Wahrnehmung in den Hintergrund.

Eine weitere rechtsextreme Kundgebung fand Ende Juli in Saarbrücken statt.  Anlass war der 100. Geburtstag des NS-Kriegsverbrechers Erich Priebke. Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren, traten bei dieser Kundgebung Rechtsextremisten aus dem Saarland und aus Rheinland-Pfalz gemeinsam in der Öffentlichkeit auf. Nichtsdestotrotz blieb die Gruppe mit 20 Rechtsextremen überschaubar. Zur Gegendemonstration versammelten sich rund 120 Bürgerinnen und Bürger.

Bereits im Februar wurden im Rahmen einer Großrazzia gegen die rechte Szene im Saarland gleich mehrere Personen festgenommen. Neben einigen tausend rechtsextremen CDs stieß die Polizei bei den Durchsuchungen auf Waffen sowie auf insgesamt 3,5 Kilogramm Drogen.

Bei der diesjährigen Bundestagswahl verzeichnete die NPD im Saarland einen Zuwachs von 0,5% und erzielte bei den Zweitstimmen ein Ergebnis von 1,7%. Dies stellt nicht nur das höchste Ergebnis der NPD in den westlichen Bundesländern dar, sondern ist zugleich bundesweit der höchste Stimmenzuwachs, den die NPD bei der Bundestagswahl erfuhr.

Auf der Landesliste der Saar-NPD zur Bundestagswahl fand sich auf Platz 3 Peter Richter wieder. Der Rechtsanwalt Peter Richter hat sich als Verteidiger von Udo Pastörs innerhalb der NPD mittlerweile einen Namen gemacht und ist als Prozessbevollmächtigter der NPD im Falle eines Verbotsverfahrens im Gespräch. Seit kurzem hat Richter eine weitere Mandantin mit NPD-Parteibuch: Ricarda Riefling.

Wie verhalten sich staatliche Stellen in der Arbeit gegen Rechts – in Bezug auf Förderung oder staatliche Verfolgung von Straftaten?

Auch in diesem Jahr stellte der saarländische Landtag 100.000 Euro für die Arbeit gegen Rechtsextremismus bzw. präventive Projekte zur Verfügung.

Wie sind die Erwartungen für 2014?

Traten in der Vergangenheit saarländische und rheinland-pfälzische Kameradschaften getrennt voneinander auf, scheint sich diese Trennung zunehmend aufzuheben. Dies zeigt nicht nur der gemeinsame Aufmarsch im Sommer dieses Jahres in Saarbrücken, sondern auch die Anwesenheit von saarländischen Kameradschaftsmitgliedern bei einer rechtsextremen Kundgebung in der benachbarten Pfalz. Auch scheint es Bestrebungen von Teilen der rechtsextremen Szene zu geben, sich in der Region verstärkt zu organisieren. Im kommenden Jahr wird sich zeigen, ob diese Entwicklungen sich fortsetzen oder lediglich eine vorübergehende Erscheinung waren.

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NPD-Funktionäre gründen Medien-Tarnverein

Für die NPD ist eine positive Außendarstellung äußerst wichtig. Die Partei versucht seit Jahren mit eigenen Regionalzeitungen in ein mediales Vakuum einzudringen und so die Berichterstattung selbst zu kontrollieren. In Thüringen gründeten NPD-Funktionäre nun sogar einen eigenen Verein: den „Thüringer Medienverbund e.V.“

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NPD-Verbot – Chance und Risiko

Die freiheitlich-demokratische Grundordnung abschaffen? Das will die NPD. Das weist ihr Parteiprogramm explizit aus, das betonen ihre Funktionär*innen bei vielfältigen Gelegenheiten. Gewalt? Verwenden Parteikader immer wieder, um ihrer Vorstellung Ausdruck zu verleihen, wer in ihrer Vision von Deutschland leben soll und wer nicht. Heute wird – nach Jahren der Diskussion – zumindest der Antrag für ein NPD-Verbot beim Bundesverfassungsgericht gestellt.

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