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Schleswig-Holstein 2017 Subkulturelle statt parteigebundene Rechte

Sieht aus wie hässliche Hüte, sind aber verpackte Weihnachtsmarkt-Poller: Auch in Schleswig-Holstein versuchen sich Rechtsextreme an einer "identitären" Aufmachung. (Quelle: Screenshot Facebook, 25.01.2018)

 

 

Übergriffe und Sachbeschädigungen

Im Jahr 2017 blieb das Thema Flucht und Asyl bzw. Rassismus das Kernthema der extremen Rechten im „echten Norden“. Neben Flyeraktionen und der Organisation in sozialen Netzwerken, kam es auch im vergangenen Jahr zu gezielten Sachbeschädigungen und Angriffen auf Geflüchtete. In den Fokus gerieten  aufgrund  ihrer  Tätigkeit  ebenso  Unterstützer*innen  von  geflüchteten  Menschen, Politiker*innen, sowie politische Gegner*innen. Öffentlich bekannt worden unter anderem der Angriff gegen die Unterkunft einer geflüchteten Familie in Tornesch oder rechte Graffiti an der Häuserfront einer Moschee in Husum. Kai Stoltmann von der Beratungsstelle zebra – Zentrum für Betroffene rechter Angriffe sagt dazu: „Wir beobachten einen schleichenden Übergang vom Alltagsrassismus zu solchen Sachbeschädigungen und tätlichen Angriffen. Häufig erzählen uns die Betroffenen von rassistischen Anfeindungen im Vorfeld der Angriffe.“

 

Landtag- und Bundestagswahl

2017 war Wahljahr für Schleswig-Holstein, neben der Bundestagswahl wurde auch ein neuer Landtag gewählt. Im Rahmen des Wahlkampfes wurden verschiedene extrem rechte Akteur*innen aktiv. Am 13. April 2017 störten zum Beispiel Mitglieder der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ eine Wahlkampfveranstaltung der Partei „Die Linke“ in Laboe mit einer Gegenkundgebung. Vor Ort, aber mit räumlichem Abstand, waren ebenso Vertreter*innen der neonazistischen Gruppierung „Bollstein Kiel“. Jene sind dann im Rahmen der Bundestagswahl wieder in Erscheinung getreten. Nach Informationen von „Aufstehen gegen Rassismus“ haben sie am 26. August 2017 als „Security“ eine Wahlkampfveranstaltung des Landesverbandes der „Alternativen für Deutschland“ in der Fußgängerzone von Kiel „beschützt“.

Kurz  nach  der  Bundestagswahl  kam  es  zu  einem  Angriff  auf  das  Regionalbüro  der  Linken  in  der Landeshauptstadt. Dabei wurden die Scheiben zerstört und Nachrichten hinterlassen wie „Anti-Antifa“ und „Die Linke = SED“. Auch der Wahlkampftruck der Linken wurde bei seinem Zwischenstop in Lübeck mit Hakenkreuzen und dem Schriftzug AFD besprüht. Aus Sicht der Betroffenenberatung zebra handelt es sich dabei um gezielte Einschüchterungsversuche, die sich landesweit gegen Lokalpolitiker richten.

Darüber hinaus konnten in allen Regionen vermehrt Aufkleber- und Plakatier Aktionen unter dem Tenor „Merkel muss weg“ bis hin zu „Volksverräter“ als Vorwurf an die demokratischen Parteien festgestellt werden, wie sie u.a. von der Gruppierung „1 Prozent“ vertrieben werden.

 

NPD

Durch die Neuorganisation der extremen Rechten verliert die NPD auch in Schleswig-Holstein weiter an Bedeutung. Auf einen Wahlantritt zur Landtagswahl  verzichtete die NPD gleich ganz. Zur Bundestagswahl konnten die nötigen Unterschriften für einen Wahlantritt nur mit bundesweiter Unterstützung und kurz vor Ablauf der Frist gesammelt werden. Führungspersonen der Bundes-NPD wie Frank Franz oder Ricarda Riefling reisten durch Schleswig-Holstein um den Wahlantritt im Land zu ermöglichen. Auch im Wahlkampf war die NPD in S-H nur mit auswärtiger Unterstützung handlungsfähig. Neben einer Kundgebungstour, u.a. in Bad Segeberg, Neumünster und Husum, die vom Bundesvorstand der  NPD organisiert wurde und bei der neben dem Spitzenkandidaten Marc Proch u.a. Sebastian Schmidtke und Frank Franz sprachen,  fanden nahezu keine öffentlichen Auftritte im Wahlkampf statt.  In Neumünster ist Marc Proch weiterhin Ratsherr für die NPD und nutzt in diesem Rahmen seine Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit und als Akteur der Lokalpolitik. Nach der Landtags- und Bundestagswahl schien sich der Ratsherr vor allem auf die politischen Gegner*innen zu konzentrieren und wütete zuletzt u.a. gegen das AJZ in Neumünster und die Bürgermeisterin von Seth, die durch ihr konsequentes Vorgehen eine nicht angemeldete rechtsextreme Veranstaltung am Volkstrauertag in ihrem Ort unterband.

Kernthema der NPD-Agitation blieb die Hetze gegen Geflüchtete. Zentrale Formel blieb in der öffentlichen Wahrnehmung „Asylflut stoppen“. Den Versuch der Abgrenzung zu rechtspopulistischen Akteuren als „wahre und erste nationale Kraft“ kann man als gescheitert ansehen.

Gleichzeitig ist im KV Herzogtum-Lauenburg und Stormarn zu beobachten, dass sich die NPD immer wieder abwertend gegenüber Initiativen für Demokratie oder Veranstaltungen gegen Rassismus positioniert und versucht, sich zugleich mit einer Kommentierung der Lokalpolitik in beiden Kreisen als „Kümmerer-Partei“ zu inszenieren. Auch wenn es keine Aufmärsche mehr im März in Lübeck gibt, wurde das Thema „Alliierte Kriegsverbrecher“ zudem auf einer Vortragsveranstaltung in Lübeck in Zusammenarbeit mit weiteren Rechtsextremen hochgehalten.

 

AFD

Bei der Landtagswahl konnte die AFD 5,9 % der Stimmen und fünf  Mandate erringen. Kurz nach dem Einzug in den Landtag wurde die Immunität des  Landtagsabgeordneten und AFD-Pressesprechers Volker Schnurrbusch im Juli 2017 aufgehoben, nachdem auf einer Facebook-Präsenz, für die er verantwortlich ist, Symbole der SA gepostet wurden. Mit der Wahl der neuen Landesvorsitzenden Doris von Sayn-Wittgenstein im Juli 2017 hat sich auch die AFD Schleswig-Holstein noch einmal weiter rechts positioniert. Kurz nach ihrer Kandidatur für den Bundesvorstand der AFD wurde bekannt, dass sie 2009 in einer Pressemitteilung als Vorstand des Vereins „Die Deutschen“, initiiert vom Staatsrechtler Klaus Sojka (Autor von: „Die BRD ist kein Staat“), benannt wurde. Zur Vereinsgründung ist es durch das Ableben von Initiator Klaus Sojka nicht gekommen.

 

Demonstrationspolitik

Die Seite „Neumünster wehrt sich“ musste Anfang 2017 glücklicherweise vom Netz gehen. Damit ist ein Tool der extremen Rechten, das bürgerliche Spektrum mit ins Boot zu holen und nicht zuletzt auch zu Demonstrationen und Aktionen zu mobilisieren, eingeschränkt worden. Als erfreulicher Nebeneffekt kann hier auch das Ausbleiben von Demonstrationen in Neumünster genannt werden. Bei einem der letzten Versuche, eine Demonstration in Neumünster durchzuführen, war im März neben dem Anmelder Enrico P. nur noch eine weitere Person erschienen und die Demonstration musste abgesagt werden.

Es gelang der rechtsextremen Szene in Schleswig-Holstein 2017 praktisch nicht, eigene Kundgebungen oder Demonstrationen zu organisieren. So fand der zwischen 2006 und 2012 jährlich durchgeführte Lübecker „Trauermarsch“ auch in diesem Jahr nicht statt.

Allerdings waren organisierte Neonazis durchaus auf rechtsextremen Demonstrationen außerhalb Schleswig-Holsteins anzutreffen. So besuchte Bollstein Kiel eine Demonstration in Dortmund zum Jahrestag des Verbotes des „Nationalen Widerstand Dortmund“. Ebenso waren Personen aus Schleswig Holstein u.a beim „Tag der Deutschen Zukunft“, am 1.Mai in Schwerin und Halle, oder bei einer Gedenkdemonstration für Rudolf Hess in Falkensee zugegen.

Weitere Aktionen der extremen Rechten in Schleswig Holstein konnten im Verborgenen organisiert und durchgeführt werden, so zum Beispiel das „Heldengedenken“ im November, Sonnenwendfeiern, Wanderungen und Gedenkaktionen. Beispielsweise beteiligten sich verschiedene rechtsextreme Akteure an der Aktion „Schwarze Kreuze“, mit einem Schwerpunkt in Nordfriesland.

 

„Freie Kräfte“

2017 vermehrt in Erscheinung getreten ist insbesondere die „Sektion Nordland“, eine Kameradschaft in der verschiedene rechtsextreme Akteure aus Niedersachsen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein organisiert sind. Mitglieder der Kameradschaft tauchten 2017 regelmäßig auf bundesweiten Veranstaltungen der extremen Rechten auf. Neben klassischen Kameradschaften wie der „Jugend für Pinneberg“, Kameradschaften aus dem Spektrum der Autonomen Nationalisten und an Rockern orientierten Bruderschaften, ist in Schleswig-Holstein auch die Identitäre Bewegung zunehmend aktiv und firmiert im Land einheitlich als IB Schleswig-Holstein.

Öffentlich wahrnehmbar ist die IB insbesondere durch Sticker- und Plakataktionen in allen Regionen in S-H. Dabei ist hier von einer Radikalisierung der Szene zu sprechen.  Im Februar 2017 kam es im Zuge des Verklebens von Propaganda-Material der IB zu einem Angriff durch mutmaßliche IB-Mitglieder mit u.a. einem Messer – eine Person musste mit Stichverletzungen im Krankenhaus behandeln lassen.  Diese  Tat  ist  beispielhaft  für  die  Feststellung  von  Kai  Stoltmann,  der  auf  eine  Kontinuität  rechter Angriffe gegen politische Gegner*innen hinweist: „Mitglieder von gesellschaftlichen Initiativen, die sich aktiv gegen rechte Akteure wie die Identitäre Bewegung engagieren, stehen weiterhin stark unter Druck.  Insbesondere  im  ländlichen  Raum  kommt  es  immer  wieder  zu  Fällen  von  (versuchter) Körperverletzung.“

Die Identitäre Bewegung Schleswig-Holstein versucht durch kleine aber medial ausschlachtbare Aktionen aufzufallen, indem sie zum Beispiel die Barrieren beim Weihnachtsmarkt in Lübeck „verzieren“ und mit „Achtung Terrorgefahr“ versehen. Intern organisieren sie Wanderungen durch Schleswig-Holstein und politische Inputs. Des Weiteren gibt es gegenseitige Unterstützung und Zusammenarbeit, wie bei der Kundgebung gegen „die Linke“ in Laboe, mit den IB-Gruppen aus Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern. Als Teil der bundesweiten Vernetzung Identitärer Gruppen nehmen sie an Demonstrationen im ganzen Bundesgebiet teil.

 

Rechte Lebenswelt

Auch 2017 fanden zahlreiche rechtsextreme Musik-Veranstaltungen in Schleswig-Holstein statt. Das wahrscheinlich größte Konzert war ein Auftritt der neonazistischen Band „Kategorie C“ in Wahlstedt. Austragungsort war das Clubhaus „Bandido MC Northgate“. Neben Rechtsextremen aus Schleswig-Holstein, wie z.B. NPD Ratsherr Proch, reisten die Teilnehmer*innen u.a. aus Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg und Dänemark an.  Auch 2017 reisten Rechtsextreme aus Schleswig-Holstein sowohl als Besucher*innen als auch als Musiker*innen zu diversen Konzertveranstaltungen bundesweit als auch drüber hinaus.  So war der in Schleswig-Holstein verortete „Sturm18“-Versand z.B. beim „Rock für Identität“ in Themar vertreten.

In Neumünster bleibt der Szene-Treffpunkt als Kneipe „Titanic“ bestehen. Zwar ist immer noch die Bemühung zu verzeichnen, einem bürgerlich-nationalen Spektrum offenzustehen, allerdings mit ausbleibendem Erfolg.

Ende Januar 2017 wurde der Thor-Steinar-Laden „Tønsberg“ in Glinde geschlossen und ausgeräumt, seit 31.01.2017 ist der Laden nach über 5 Jahren, in denen er dauerhaft von der Initiative „Glinde gegen Rechts“ mit Mahnwachen und Kundgebungen begleitet wurde, Geschichte. Damit fällt ein Anlaufpunkt für Rechtsextreme in Schleswig-Holstein weg.

Im Zuge des Zweitliga-Spiels von Holstein Kiel gegen den FC Sankt Pauli kam es seitens einiger Fans von Holstein Kiel zu antisemitischen Anfeindungen der Gegner*innen. Die Fans des FC Sankt Pauli mobilisierte zu einem Zugtreffpunkt und aus der Fanszene der KSV Holstein wurde mit einem Bild geantwortet, welches diesen Zug direkt in das Vernichtungslager Auschwitz fahren ließ. Das Fanprojekt Holstein Kiel und einige Gruppen distanzierten sich von der antisemitischen Äußerung.

Allerdings ist nach dem Wegfallen zentraler Faninstitutionen, wie der Ultrà Gruppe Supside, ein Erstarken extrem rechter Anhänger*innen zu beobachten. So tritt die Gruppe „Nordmänner“ nun wieder im Stadion auf mit szenetypischer Kleidung und einer Zaunfahne im Stil der Reichskriegsflagge.

 

Reichsideologie

Auch in Schleswig-Holstein sind Gruppen und Einzelpersonen aus dem Spektrum der Reichsideologie aktiv. Das Innenministerium rechnet ca. 240 Personen den Reichsideolog*innen zu. Aus ihrer Szene gibt es immer wieder Anschreiben an Regierungs- und Nicht-Regierungsorganisationen. Vor allem Ämter haben sich mit Forderungen von Reichsbürger*innen auseinanderzusetzen. Dabei werden die Anfeindungen seitens dieser fortlaufend heftiger und konkreter. Anfang des Jahres 2017 (Februar) wurden bei einer Hausdurchsuchung im Kreis Pinneberg bei einem Sympathisanten der Szene Waffen gefunden. Um  den Reichsideolog*innen entgegenzuwirken  wurde in Schleswig- Holstein durch die Landeregierung das Waffenrecht verschärft und eine Gebühr erhoben für Menschen die ihren Pass bei der Behörde abgeben.

 

 

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