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Sieg der NPD Das gallische Dorf Stresow

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Es ist nicht so, dass es vorher keine gut gemeinten Ratschläge gab. Niemand würde sich im Ort finden lassen, der gegen die NPD Stellung bezieht, war so einer. Es würden sich auch keine Rechten im Ort finden, ein anderer. Es sei ein ganz ruhiges und normales Dorf. Doch ganz so normal ist Stresow dann doch nicht. Bei der Landtagswahl im März hat jeder Vierte die NPD gewählt. Die Rechten bekamen gute 25 Prozent. Rekord in Sachsen-Anhalt. Dafür muss es Gründe geben, auch wenn sie auf den ersten Blick unsichtbar sind.

Vielleicht kann der alte Mann in der Garage eine Antwort geben, der da seit Jahren jeden Tag sitzt und Laubsägearbeiten fertigt. Vielleicht die Ortsbürgermeisterin, auf die alle bei jeder Frage verweisen. Vielleicht auch der SPD-Landtagsabgeordnete aus dem Wahlkreis, der seine Fensterscheiben gegen Randale versichern lässt. Oder der Frührentner, dem der Krebs das halbe Gesicht zerfressen hat. Vielleicht weiß auch der ehemalige Polizeichef etwas, der Fußballspiele im Ort beobachten ließ. Der Ortsbürgermeister aus der Nachbargemeinde, der sich politisch in DDR-Zeiten zurückversetzt fühlt.

Das Wahlergebnis in Stresow erinnert an das gallische Dorf in den Asterix-Filmen. Nur, dass niemand mehr angreift. Die demokratischen Parteien haben entweder aufgegeben oder sind desillusioniert. Die Einwohner selbst nehmen das rechte Wahlergebnis seit Jahren als gegeben hin. Das Dörfchen ist umzingelt von Orten, in denen die NPD nicht derart Fuß fassen konnte. Die Rechten haben im Wahlkreis keinen Direktkandidaten. Sie machten sich nicht einmal die Mühe, in Stresow zu plakatieren. Nicht nötig. Sie haben sich eingeschlichen. Was ist schief gelaufen im 130-Einwohner-Dorf nahe Magdeburg?

Graffiti in Stresow

Östlich der kleinen Landstraße, die in den Ort führt, flattern die Netze der Fußballtore im Wind. Sie stehen auf einem Platz, der seit Jahren gemäht wird, auf dem aber niemand mehr spielt. Die Sonne geht auf. Von der Schweinemastanlage, eine kleine Fabrik, die von Weitem wie ein Ufo aussieht, weht der Geruch von Gülle. Es kläffen drei Köter. Eine Herde brauner Schafe sucht die ersten Gräser im Frühling. Geradezu steht ein mit Planken vernageltes Gutshaus. Die Straße ist menschenleer. Das Gutshaus und der Fußballplatz gelangten zu einer traurigen Berühmtheit. Auch wenn nicht gleich sichtbar wird, warum.

Das Fußballturnier

Vor drei Jahren wollten sich auf dem Platz Mitglieder aus der rechten Szene zu einem Fußballturnier treffen. Der Ortschaftsrat von Stresow hatte nichts dagegen, Polizei und Innenministerium schon. «Doch es gibt kein Gesetz, was das Fußballspielen verbietet», sagt Ortschefin Petra Jarosch. Sie verhandelte einen Deal: keine Parolen, keinen Alkohol und keine verfassungsfeindlichen Symbole. Das Turnier fand statt und im Ort warteten die Polizeitruppen. Auf dem Spielfeld stand auch der Stresower Denis W. Er wird von Innenexperten als Kopf einer bereits verbotenen Hooligan-Gruppe angesehen – und als Neonazi.

Der ehemalige Polizeichef Armin Friedrichs äußert sich mehr als zurückhaltend dazu. Beim Turnier blieb alles friedlich, aber noch heute regen sich die Stresower darüber auf. Über die ihrer Meinung nach zu hohe Polizeipräsenz. Seitdem spielte niemand mehr auf dem Platz – aber der Hass auf die Behörden und Politiker «da oben» ist geblieben. Auch die rechte Gesinnung von Denis W. ist geblieben. Er spielt immer noch Fußball, ist aktuell der beste Torschütze der Kreisliga. Trotz eines Vorfalls darf er zurzeit auf dem Platz stehen. Er soll während eines Spiels einen Gegner als «Judenschwein» beschimpft haben. Eine danach verhängte Sperre wurde nach einem Spiel aufgehoben. Im Juni gibt es in dieser Sache eine Gerichtsverhandlung gegen W.

Der Neonazi wird im Ort sehr selten gesehen. Jedoch sollen seine und zwei weitere Familien die Meinung im Ort stark prägen. Und die ist rechts. Im Baumstamm am Dorfplatz ist frisch ein Hakenkreuz eingeritzt und an die Bushaltestelle wurden «HH» und «1488» geschmiert. Beides sind Symbole aus der rechten Szene. HH und 88 stehen für «Heil Hitler», das H ist der achte Buchstabe im Alphabet. 14 steht für die «14 words», die übersetzt heißen: Wir müssen die Zukunft der weißen Rasse sichern. Das Unsichtbare wird sichtbar.

Der Häuserstreit

Arnfried Jeschke sitzt in der Garage an seiner Laubsäge. Eingerahmte Bilder seiner vier Enkel hängen darüber, es dudelt Musik aus dem Lokalradio. «Es wurde noch viel zu wenig NPD gewählt», sagt der 71-Jährige. Auch wenn er selber nicht bei der Wahl war, die Politiker sollten den «Schuss ruhig hören». Seine kranke Frau liegt zu Hause im Bett, der Streit um die Pflegestufe zermürbt die Familie. Von seiner Rente können sie nicht leben. Auch nicht von den zusätzlichen 250 Euro monatlicher Stasiopferrente. Jeschke wirkt kränklich, seine Laubsägearbeiten verkauft er trotzdem auf Märkten, macht ein wenig Geld nebenbei.

Jeschke hat vier Kinder, die alle Stresow für einen Job verlassen haben. Er ist mit seiner Frau geblieben und wohnt in einem Haus, das sie nach langem Streit kaufen konnten. Der Streit um die Häuser ist das zweite große Thema im Ort. Stresow war einst ein Gut, mit Gutshaus und Arbeiterhäusern. Vor der Wende war alles Volkseigentum, die Menschen bewohnten die Häuser und richteten sie mit eigenem Geld und Aufwand her. Nach 1990 verwaltete sie die Treuhand und es entbrannte ein gut 15 Jahre dauernder Zwist über den Verkauf der Häuser.

Das hat einige Menschen vertrieben. Andere blieben und kämpften verbittert um einen guten Preis. Geld für Häuser, die sie mit ihrem eigenen Geld bereits saniert hatten. Bei der Landtagswahl vor 13 Jahren gaben sie aus Protest der rechten DVU ihre Stimmen. Heute steht das Gutshaus verlassen da. Ein Zaun drum herum, Büsche wuchern wild. Die Stallungen daneben verfallen. Häuser haben keine Besitzer mehr. In großen Teilen von Stresow könnten Filme gedreht werden, die in der Nachkriegszeit spielen. Die Kulisse ist da – und sie ist nicht unsichtbar.

Die Gebietsreform

Das weiß auch Matthias Graner. Er ist Landtagsabgeordneter der SPD und sitzt in einem hellen Büro mit Schaufenstern in Burg, der nahen Kreisstadt. Zur Wahl klebte er in seine Fenster Plakate gegen Neonazis und fragte extra nochmal bei seinem Versicherungsvertreter nach. Es ging alles gut. Doch das Ergebnis aus Stresow gefällt ihm auch nicht. Mit seinen Flyern ist er kurz vor der Wahl durch das Dörfchen gegangen, hat versucht, mit einigen Einwohnern am Gartenzaun ins Gespräch zu kommen. Kein Interesse. Zum Bürgergespräch in den Nachbarort Rietzel kamen gerade einmal vier Leute.

Graner ist überzeugter Demokrat. In seinem Büro hängt ein Foto von seinem Vorbild: Helmut Schmidt. Aber es sieht so aus, als ob in Stresow die Demokratie längst versagt hat. Kein Mitglied des Gemeinderats ist in einer Partei. Wenn eine Wahl bevorsteht, so kritisieren es die Einwohner, kennen sie die Politiker nur von den Plakaten. Wo sich alle zurückziehen, ist der beste Nährboden von extremistischen Gruppierungen. Ein Fußballspiel der NPD reißt die Leute mehr vom Hocker als ein Wahlstand der CDU. Der SPD-Abgeordnete will und kann dagegen nicht in Konkurrenz treten. Doch für Stresow kam es noch schlimmer.

Die Landesregierung beschloss eine Gebietsreform. Zahlreiche Dörfer wurden zusammengelegt. Stresow gehört jetzt zur Stadt Möckern, die ist flächenmäßig die drittgrößte Stadt in Deutschland geworden. Es gibt außer dem Schulbus nicht einmal eine Busverbindung von Stresow zum Verwaltungssitz. Laut Ortschefin Petra Jarosch waren alle dagegen. Es war eine Enteignung der letzten Möglichkeit der Mitbestimmung und traf sehr viele Orte in Sachsen-Anhalt. «Wir können im Gemeinderat jetzt noch entscheiden, ob eine Parkbank grün oder blau gestrichen wird», sagt sie. Auch Jarosch hat resigniert, will nicht wieder als Ortsbürgermeisterin antreten. Eine sichtbare Folge.

Die Nichtdemokratie

Ihr Kollege rutscht nervös auf seinem Stuhl im Bauamt umher. Horst Pötter ist Ortsbürgermeister der Nachbargemeinde Rietzel. Dort haben lediglich zwei Leute die NPD gewählt. «Ich kann ihnen keine Antwort geben, warum das so ist», sagt er. Die Dörfer seien Schlaforte. Mit Politik habe niemand etwas am Hut. Er selbst auch nicht, auch wenn er Mitglied der CDU ist. «Weil es sonst niemand anders macht.» Pötter weiß auch nicht, wer nach ihm den Posten übernimmt. Die Menschen haben mit sich zu tun – und von der Politik die Nase voll. Die Gebietsreform hat ihnen nur Nachteile gebracht: eine doppelt so teure Hundesteuer zum Beispiel. Das ist es, was von der Politik sichtbar bei den Menschen ankommt.

Wenn Horst Pötter am Kindertag jedem Kind eine Brause ausgeben möchte, muss er sich jetzt Sponsoren suchen. Die 675 Euro, die jährlich aus Möckern für das gesellschaftliche Leben zugeteilt werden, teilen sich die Feuerwehr, der Jugendklub und der Gesangsverein. «Es macht keinen Spaß mehr», sagt Pötter. Es sei wieder wie zu DDR-Zeiten. Damals habe man auch nichts mehr zu melden gehabt. So sieht das auch ein Stresower, der in seinem Garten steht. Es ist sein kleines Reich. Hinten hat der 55-Jährige seinen Hund begraben, vorne tollt der neue umher. Der Krebs hat dem Mann das halbe Gesicht zerfressen. Er gehe nicht zur Wahl, aber dass rechts gewählt wird, wisse doch jeder hier. Egal. Resignation.

In Stresow kommt einiges zusammen. Es wohnen drei Familien im Dorf, die zur rechten Szene gezählt werden. Es gibt Frustration über Politiker, die nie zuhörten oder da waren. Es gab zermürbende Zeiten im Streit um Eigentum und Geld ohne Rückhalt vom Staat. Es ist die Gebietsreform, die den Stresowern die letzte Mitbestimmung nahm, aber viele Unannehmlichkeiten brachte. Es ist die Tristesse im Umfeld einer Schweinemastanlage und zahlreicher verfallener Gebäude. Es sind die demokratischen Parteien, die sich nur in Zeiten der Wahl für das Dörfchen interessieren und ansonsten wegbleiben. Dazu kommen persönliche Probleme, Alter, Krankheit. Und einige wollen einfach nur ihre Ruhe haben.

Stresow ist ein besonderer Fall – ein Einzelfall. Aber er steht für die immer größer werdenden Auflösungserscheinungen der Demokratie in Deutschland. Und es besteht die Gefahr, dass er kein Einzelfall bleibt. Auch das wird immer sichtbarer.

Dieser Text erschien zuerst am 03.04.2011 auf news.de. Mit freundlicher Genehmigung des Autoren.

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Fotos: Björn Menzel / news.de

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