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Videospiel gegen Rassismus „Virtual Reality ermöglicht einen Perspektivenwechsel“

Rassistische Mikroaggressionen als Virtual Reality: Das neue Videospiel "Debug"
Rassistische Mikroaggressionen als Virtual Reality: Das neue Videospiel "Debug" (Quelle: Dario Morazán)

Das Interview führte Mick Prinz von Good Gaming – Well Played Democracy.

Belltower.News: In Ihrem neuen Spiel „Debuggeht es um Mikroaggressionen und Alltagsrassismus. Wie funktioniert das Spiel genau?

Dario Morazán: Das Spiel ist eine Virtual-Reality-Erfahrung (VR), die rassistische Mikroaggressionen für alle virtuell erlebbar macht. Zu Beginn wird dein „state of mind“ gescannt, ähnlich wie ein Virus-Scan am Computer. Stellt der Scan bei dir ein hohes Potenzial für Mikroaggressionen fest, wird „Debug“ gestartet. „Debug“ ist ein Fachbegriff aus der Coding-Sprache und bedeutet, Fehlfunktionen, also sogenannte Bugs, innerhalb eines Systems zu finden und zu beheben. In unserem Fall stehen Mikroaggressionen für diese Bugs. Um deinen persönlichen „state of mind“ von Bugs zu befreien, bewegst du dich durch virtuelle Welten und erlebst dabei selbst Mikroaggressionen, denen in der realen Welt ausschließlich rassifizierte Menschen ausgesetzt sind.

Was sind denn diese Mikroagressionen?

Das sind zum Beispiel Sätze wie „Wo kommst du her?“, „Wow, du sprichst aber gut Deutsch!“, oder „Du siehst so exotisch aus!“ – also wiederholte verbale oder verhaltensbasierte Angriffe auf rassifizierte Menschen. Sie vermitteln auf subtile Weise abwertende oder ausgrenzende Haltungen gegenüber stigmatisierten Menschen, unabhängig davon, ob das absichtlich oder unabsichtlich passiert. Mikroaggressionen sind ein subtiler Teil des systemischen Rassismus, durch den wir alle sozialisiert werden.

Und wie lernen Spielende durch Erfahrungen mit dieses Mikroaggressionen, ein rassistisches System zu hinterfragen?

Die Mikroaggressionen werden metaphorisch als Mücken dargestellt. Ein einzelner Mückenstich hat meist keine großen Auswirkungen. Bist du aber dein Leben lang mehrmals am Tag Mückenstichen bzw. Mikroaggressionen ausgesetzt, kann das verheerende Auswirkungen auf Stresslevel, Psyche und Gesundheit haben. Dadurch, dass du im Spiel die Mikroaggressionen selbst erleben kannst, lernst du, die Perspektive zu wechseln und Empathie zu entwickeln. Du wirst dich selbst und deine Rolle in unserem rassistischen System reflektieren. Wenn du bereit bist, ist das der Anfang einer sehr bereichernden rassismuskritischen Reise.

Warum haben Sie sich dabei für Virtual-Reality-Spiel entschieden? Sehen Sie hier großes Potenzial für die Vermittlung von Themen?

VR eignet sich gut für unser Spiel, da es einen Perspektivenwechsel ermöglicht. Menschen, die Rassismus nicht ausgesetzt sind, können mit „Debug“ eine Annäherung dessen erleben, womit rassifizierte Menschen täglich zu kämpfen haben. Weil VR so immersiv ist, wirkt es zudem lange nach, was Teilnehmer*innen dazu motiviert, sich mit dem Thema Rassismus auch in der realen Welt aktiv und selbstkritisch auseinanderzusetzen. Wir verfolgen auch ein Forschungsinteresse: Welches Potenzial hat VR für die Sensibilisierung und die nachhaltige Verhaltensänderung in Bezug auf Rassismus? Unsere bisherigen Erfahrungen mit Teilnehmer*innen haben gezeigt, dass VR ein tolles Medium sein kann, um Reflektion und Debatten anzustoßen.

In VR werden Geschichten und Situationen deutlich intensiver erlebt. Manche Spieler*innen können dabei die technische Umsetzung von VR nicht vertragen, für andere ist es zu „nah“ an der Realität. Wie gehen Sie mit dieser Herausforderung um?

Wir haben uns bewusst für surreale VR-Welten entschieden, statt möglichst nah an die Realität zu kommen. Das hat uns mehr künstlerischen Spielraum verschafft. Gleichzeitig war es uns wichtig, mit einer künstlerischen Interpretation unserer eigenen Rassismuserfahrungen zu arbeiten, da nicht alle Betroffenen die gleichen Erfahrungen machen und dabei gleich fühlen.

Wie reagieren Spieler*innen darauf?

Trotz des surrealen Charakters reagieren viele Teilnehmer*innen sehr emotional, weil es eine intensive Erfahrung ist. Darauf weisen wir die Teilnehmer*innen vor dem Start hin. Zur Reflektion können sie ihre Gefühle direkt nach der Erfahrung auf einer „feeling wall“ aufschreiben und mit anderen darüber in den Austausch kommen. Zusätzlich bieten wir Antirassismus-Workshops an, die auf dem Spiel aufbauen. Das funktioniert zum Beispiel in Unternehmen, Vereinen, Schulen oder Jugendeinrichtungen super, weil VR die meisten Menschen neugierig macht und der Workshop zusätzlichen Raum für Reflexion und Austausch über Alltagsrassismus schafft.

Wir sind auch neugierig. Wo lässt sich „Debug“ denn testen?

Unsere erste große Veranstaltung dieses Jahr war die re:publica in Berlin, mit ca. 21.000 Besucher*innen. Daraus haben wir viel mitnehmen können und das Spiel nochmal weiterentwickelt, basierend auf dem Feedback der Teilnehmer*innen. Als Nächstes stellen wir am 5. November auf der Museumsnacht in Köln aus. Und vom 25. bis 27. November sind wir auf dem Next Level Festival im UNESCO-Welterbe Zollverein in Essen. Die Workshops veranstalten wir auf Anfrage.

Weitere Infos zu „Debug“: https://www.debug-experience.com/

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