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Incels auf YouTube Misogynie als Massenentertainment

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Der Incel-Kanal "Wheat Waffles" hat inzwischen mehr als 112.000 Abonnenten auf YouTube
Der Incel-Kanal "Wheat Waffles" hat inzwischen mehr als 112.000 Abonnenten auf YouTube (Quelle: Screenshot/YouTube)

Die aktuelle Entwicklung der Incel-Community ist erschreckend. Das zeigt eine neue Studie vom Center for Countering Digital Hate. Wie das Forschungsteam nachweist, radikalisiert sich die Szene zusehends. Gerade in Bezug auf Misogynie, die Glorifizierung sexueller Gewalt und die Akzeptanz von Pädokriminalität ist eine besorgniserregende Tendenz zu beobachten.

Ein Forschungsaspekt der Studie war die Verbreitung von Incel-Inhalten auf der Plattform YouTube. Wie Recherchen innerhalb der Incel-Community ergeben haben, spielt die Videoplattform für viele Incels eine große Rolle dabei, die sogenannte „Blackpill“-Ideologie zu internalisieren. Zahlreiche Postings auf dem größten Incel-Forum verweisen auf spezifische „Content Creator“ aus der Szene, die Incels in ihrer verzerrten und frauenfeindlichen Weltsicht bestätigen. Neben Incel-Musikern, über die Belltower.News bereits berichtet hat, gibt es mehrere Kanäle, deren Betreiber sich zur Aufgabe gemacht haben, anhand von Videos die „Blackpill“ zu verbreiten.

Einige dieser YouTube-Kanäle aus der Incel-Community haben zwischen 12.000 und 112.000 Abonnenten. Was sie gemeinsam haben: Ihre Inhalte sind darauf ausgelegt, jungen Männern ein Bild von Frauen, der Gesellschaft und auch dem eigenen Körper zu vermitteln, das extrem düster ist. Der „Blackpill“-Ideologie zufolge ist schließlich das eigene Glück und der eigene Selbstwert immer an die Anerkennung von Frauen geknüpft, die sich für Incels primär in dem Zugang zu Sex artikulieren. Frauen würden Incels den Sex jedoch verwehren. Denn sie begehrten ausschließlich die „obersten 20 Prozent“ aller Männer. Unattraktiven Männern wie Incels könnten sie hingegen nur Verachtung entgegenbringen, und würden sie demzufolge zu einem Leben in sexloser Tristesse verdammen.

Dieser Vorstellung liegt ein ausgesprochen misogynes Frauenbild zugrunde. Die in der Incel-Szene als „Femoid“ oder „Hole“ bezeichneten Frauen sind inhärent triebhaft, hypergam und oberflächlich, ihr ganzes Denken ist davon bestimmt, Sex mit attraktiven Männern zu haben. Männer, die hingegen nicht den hegemonialen Schönheitsnormen entsprechen, würden in unserer vom Feminismus beherrschten Gesellschaft hingegen systematisch diskriminiert, sogar über den Dating-Markt hinaus. Kurz: wenn ein Mann nicht aussieht wie „Superman“-Darsteller Henry Cavill, ist er weitestgehend zum Scheitern verurteilt. Dies geht einher mit der Überzeugung, dass Männer eigentlich doch ein naturgegebenes Anrecht auf Sex hätten – ein zutiefst patriarchaler Gedanke.

Wheat Waffles

Ein Beispiel: Innerhalb der Incel-Community wird der seit September 2019 betriebene Kanal „Wheat Waffles“ wird in der Szene besonders zelebriert. Der Betreiber wird als „Held“ gefeiert, da er die fatalistische und misogyne „Blackpill“ auch für sogenannte „Normies“, also Menschen außerhalb der absurden Online-Community, schmackhaft machen kann. Dies spiegelt sich auch in den Abonnements des Kanals wieder: Mehr als 112.000 Menschen konsumieren die regelmäßig veröffentlichten Videos.

Der Fokus von „Wheat Waffles“ liegt auf der Auseinandersetzung mit „Looksmaxxing“ – also der Verbesserung des eigenen Aussehens, um die Chancen auf dem Dating-Markt zu steigern. Über 50 der insgesamt 91 Videos beschäftigen sich mit der Notwendigkeit eines ansprechenden Äußeren. Dies ist jedoch, das macht der Betreiber deutlich, nur Menschen vorbehalten die – anders als Incels – zumindest die Anlagen haben, ihre Attraktivität durch Sport, Mode oder plastische Chirurgie zu optimieren.

Wenn ein Mann jedoch eine „Sub Five“ ist, also auf der unteren Hälfte der Attraktivitäts-Skala von eins bis zehn zu verorten, dann kann er sich weibliche Zuneigung und somit ein glückliches Leben für immer abschminken. Denn, so macht der Betreiber des Kanals deutlich: Im Dating-Game ist der Mensch dem Menschen ein Wolf. Gerade Dating-Apps seien für den Durchschnitts-Mann der schlimmste Ort des gesamten Internets, während Frauen auf Plattformen wie Tinder oder Hinge mit Aufmerksamkeit und Komplimenten überschüttet würden. Das Elend von Männern, die keine Chads sind, liegt, so die messerscharfe Analyse, vor allem an der Verkommenheit des Weibes.

„Women only date up“, ist eine der wiederholten Behauptungen seiner Videos: Frauen begehren nur Männer, die ihnen gesellschaftlichen Vorteil verschaffen. Zudem seien Frauen viel zu sehr von ihrer eigenen Überlegenheit überzeugt: Selbst Frauen, die schon mehrere Sexpartner*innen hatten – und somit in den Augen von Incels bereits ihren „sexuellen Marktwert“ aufgebraucht hätten und ohnehin weitestgehend wertlos seien – würden sich als begehrenswerter einschätzen, als sie tatsächlich seien. Schuld daran tragen unter anderem Männern, die Frauen Zuneigung oder Anerkennung entgegenbringen, sogenannte „SIMPS“. Das Akronym steht für „Suckers Idolizing Mediocre Pussy“, ein Begriff, dem die Devaluierung von Frauen inhärent ist. Auch Feminismus und damit einhergehend weibliche Selbstachtung und Körperpositivität seien schuld daran, dass diese es wagen würden, nicht mit jedem dahergelaufenen Incel zu schlafen.

In mehreren Videos beklagt der Betreiber von „Wheat Waffles“, dass Männer zunehmend vereinsamen würden, weil die Ansprüche von Frauen an Beziehungen gestiegen sind. Seine Antwort auf die Einsamkeit von (unattraktiven) Männern ist jedoch weniger, die in der männlichen Sozialisation vermittelten Unfähigkeit emotional erfüllende Beziehungen zu knüpfen, zu hinterfragen, sondern eine ganze Reihe zynischer Aufreiß-Tipps. Neben dem Umzug in eine mittelgroße Stadt – dort sei die Konkurrenz nicht so groß, und es sei leichter Frauen in zum Beispiel Uni-Seminaren zu treffen – empfiehlt „Wheat Waffles“ „Moneymaxxing“ und „SEAmaxxing“: also das Anhäufen von Reichtum oder Sextourismus und Südostasien. Frauen, das ist der zugrundeliegende Gedanke, sind zwar unfähig unattraktive Männer zu lieben – aber wenn sich die Beziehung zu einem Herren von durchschnittlichem Äußeren finanziell lohnt, sind sie bereit, über ihren eigenen Schatten zu springen.

Incel TV

Noch fatalistischer ist der seit September 2018 aktive YouTube-Kanal „Incel TV“, der laut Selbstdarstellung die „Wichtigkeit von Aussehen, genetischer Bestimmung und der menschlichen Natur“ thematisiert. Er verzeichnet über 25.000 Abonnenten. Einer von ihnen: Der Attentäter von Plymouth, der im August 2021 fünf Menschen ermordete.

Der Betreiber, laut eigenen Angaben ein britischer „OIdcel“ mit indischem Migrationshintergrund, produziert Inhalte, die sich an sogenannte „Ethniccels“, also nichtweiße Incels richten. Die weit verbreitete Annahme, bei Incels würde es sich um eine weiße Subkultur halten, stimmt nicht – laut einer Umfrage auf dem größten Incel-Forum ist knapp die Hälfte der Mitglieder nicht weiß.

Auch der Betraiber von „Incel TV“ bespricht die drängenden Fragen unserer Zeit, zum Beispiel wieso Frauen nicht mit ihm schlafen wollen. Die Antwort lautet natürlich, dies klärt er in seinem populären Video „Die 10 Gebote der Blackpill“ auf, dass alles im Leben vom Aussehen determiniert wird, Frauen ein Gespür dafür haben, dass ein Mann ein Incel ist und ihn deswegen aus ihren tiefsten Inneren heraus verachten. „Looksmaxxing“ sei deswegen auch vergebliche Liebesmühe, gerade für Ethniccels.

„Incel TV“, 2018 gegründet, verzeichnet 25.000 Abonnenten. Einer von ihnen war der Plymouth-Attentäter (Quelle: Screenshot/YouTube)

Während weiße Incels Frauen attestieren, sie wären besessen von dem Wunsch nach Sex mit hyperpotenten Schwarzen und arabischen Männern, ist der Hauptfokus von „Incel TV“ ist der Hass auf nichtweiße Frauen, der bei vielen Ethniccels auftritt. Der Betreiber führt an, dass Women of Colour allesamt weiße Männer begehren würden, da diese an der Spitze der Männlichkeitspyramide stehen würden.

Der Kanal zeigt zudem auf, welche absurden Blüten die Incel-Ideologie treiben kann. In einem Video über den Attentäter, der 2014 auf seinem Universitätscampus im kalifornischen Santa Barbara sechs Menschen ermordete, spricht er zwar über einen spezifischen Rassismus gegenüber Männern mit asiatischem Hintergrund – und leitet daraus ab, dass die Mutter des Täters durch ihre Ehe zu einem weißen Mann bereits riskiert hätte, einen potentiellen Incel zu gebären. Derartige Diskussionen sind in der Incel-Szene nicht neu: Auf „Looksmaxxing“-Foren wird häufiger darüber gesprochen, welche Beziehungen zwischen Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft „attraktive“ oder „unattraktive“ Kinder hervorbringen würden.

Das Sprechen über Rassismus bei „Incel TV“ ist sehr selektiv. Antischwarzer Rassismus ist in der kompletten Incel-Szene virulent vertreten und auch der Attentäter von Santa Barbara schreibt in seinem Manifest regelmäßig über seine Verachtung Schwarzen und lateinamerikanischen Menschen gegenüber.

Auf „Incel TV“ ist einerseits Hass auf Schwarze Frauen zu finden, die für den Kanalbetreiber allesamt und wenig überraschend triebhafte, degenerierte Weiber sind, über deren Erfahrungen mit Rassismus er sich lustig macht. Er behauptet auch, dass Incels von schlimmerer struktureller Diskriminierung betroffen seien als Schwarze Menschen. Deswegen, so das Fazit von „Incel TV“, seien alle Frauen, die für Black Lives Matter demonstrieren, aber nicht mit Incels schlafen, eigentlich Heuchlerinnen.

Dbdr

Ein populäres Phänomen innerhalb der Incel-Szene um zu „beweisen“, dass Frauen primär attraktive, aber charakterlich schwache Männer begehren, ist das sogenannte „Chadfishing“. Incels geben sich hier auf Dating-Apps als attraktive Männer aus und verhalten sich in nachfolgenden Gesprächen mit Frauen so gemein und herablassend wie möglich. Im schlimmsten Falle vereinbaren sie Dates mit ihren Opfern, demütigen die Frauen dann verbal und filmen die Interaktion, um sie zur Genugtuung ihrer Community online zu veröffentlichen.

So weit geht der Betreiber des Kanals „Dbdr“ mit seinen 12.100 Abonnenten nicht, aber er hat mehrere Videos, in denen er sich als Model ausgibt und Frauen auf der Dating-App Tinder kontaktiert. Die Gespräche, die er dort mit Frauen führt, haben ein Ziel: ihn in seiner „Blackpill“-Ideologie zu bestätigen. Dementsprechend sind die Gespräche aufgebaut: Er bombardiert Frauen mit manipulativen Fragen, was ihnen bei einem Partner am wichtigsten sei. Darunter Fragen wie „Würdest du einen Mann daten, der unter 1,70 groß ist?“ oder „Würdest du mit einem unattraktiven Typen ausgehen“.

12.100 Abonnenten stark: Der Incel-Kanal „Dbdr“ (Quelle: Screenshot/YouTube)

Bereits zu Beginn des Videos sagt er vorwegnehmend, sämtliche Frauen der Welt seien von dem Gedanken besessen, Sex mit Chads zu haben. Somit wird jegliche Interaktion mit ihnen unter dieser Prämisse betrachtet. Dies manifestiert sich auch in anderen Videos, in denen der YouTuber Anekdoten aus seinem Leben erzählt und mit ihnen seine „Blackpill“-Ideologie begründet. Die von ihm beschriebenen Erlebnisse sind jedoch exemplarisch für das Abrutschen in die Incel-Community.

Auch „Dbdr“ wurde durch die „Redpill“ sozialisiert, beschreibt er. Diese Weltsicht, die in der misogynen Szene der sogegannten „Pick Up Artists“ verbreitet ist, vermittelt Männern, Frauen ließen sich durch bestimmte „Techniken“ verführen. Halten sich Redpiller also an das entsprechende Regelwerk, seien ihnen auch Dates garantiert.

Dies funktioniert jedoch in der realen Welt eher selten, wie die Erfahrungen von „Dbdr“ darlegen. Er schreibt darüber, in der Uni-Mensa oder auf Partys den „Cold Approach“ bei Frauen versucht hat, also das direkte Ansprechen. Vertreter dieser Herangehensweise unterschlagen jedoch, dass dies eher selten zum Erfolg führt, da Frauen ungerne von fremden Männern im öffentlichen Raum belästigt werden. Anstatt jedoch zu realisieren, dass die Methode des „Cold Approach“ inhärent problematisch ist, da sie davon ausgeht dass Frauen nur darauf warten von sexistischen Männern in Gespräche verwickelt zu werden, deren Ziel es ist, die Frau zum Sex zu überreden, sind Anhänger der „Blackpill“ der Ansicht, dass sie schlicht zu unattraktiv sind als dass die Techniken der „Pick Up Artists“ bei ihnen funktionieren würden.

Aus der narzisstischen Kränkung wird also eine allgemeingültige Weltsicht abgeleitet, so nach dem Motto: „Weil ich (aufgrund meines sexistischen Verhaltens) schlechte Erfahrungen mit Frauen gemacht habe, sind alle Frauen schlecht“. In der „Manosphere“ gibt es dafür einen Begriff: „AWALT“ – „all women are like that“.

Selbstviktimisierung, Verallgemeinerung, Misogynie

Auch auf kleineren Incel-Kanälen finden sich ähnliche Inhalte. Je kleiner der Kanal, desto radikaler und frauenfeindlicher sind in der Regel die dort getroffenen Aussagen. Die im deutschsprachigen Raum relevanten Incel-Kanäle existieren auf YouTube inzwischen nicht mehr, mutmaßlich wurden sie von der Plattform entfernt.

Ihnen allen sind jedoch mehrere Aspekte gemein: Täter-Opfer-Umkehr, Selbstviktimisierung und Frauenhass. Das Problem von Incels ist selbstverschuldet. Einerseits erwarten sie von Frauen, sie sollten Incels mit Zuneigung und Sex beschenken, und verurteilen sie, wenn dies nicht passiert Andererseits sprechen sie Frauen von vornherein ab, ihnen überhaupt Interesse und Zuneigung entgegen bringen zu können. Sie übertragen also ihre eigene Unsicherheit auf Frauen und bestrafen diese dafür.

Die hier aufgezählten YouTube-Kanäle vermitteln und bestärken diese gefährliche Ideologie des Frauenhasses. Dieser verbleibt schließlich nicht nur im Internet, sondern artikuliert sich regelmäßig in misogynen Gewalttaten. YouTube ist ein Ort, der einen ausgesprochen einfachen Zugriff auf Inhalte, die zu einer Radikalisierung in die Incel-Szene beitragen, ermöglicht. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, und vor allem Misogynie, sind trotz ihrer konkreten Auswirkungen auf die Sicherheit von Frauen und queeren Menschen nach wie vor weit auf der Plattform verbreitet. Das muss sich dringend ändern.

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Sounds zum Frauenhassen Incels und ihre Lieblingsmusiker

Musik dient dazu, sich von der Masse des Mainstreams abzugrenzen, der Identifikation mit der eigenen Szene und ihrer Weltanschauung. Kein Wunder, dass auch antifeministische Incels ihren ganz eigenen Musikgeschmack haben.

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Im Gespräch: Die Autorin Veronika Kracher

Interview mit Veronika Kracher „Incels sind die Spitze des patriarchalen Eisbergs“

„Incel“ steht für „involuntary celibate“ – zu Deutsch „unfreiwillig zölibatär“. So heißt eine globale Online-Community, in der Zehntausende frustrierte junge Männer ihrem grassierenden Frauenhass freien Lauf lassen. Die Autorin Veronika Kracher hat die Szene in ihrem am 6. November 2020 erscheinenden Buch „Incels: Geschichte, Sprache und Ideologie eines Online-Kults“ genauer untersucht. Im Gespräch mit Belltower.News erzählt sie, warum Antifeminismus die Einstiegsdroge in rechtsradikales Denken ist, Incels oft an Selbsthass leiden und die Incel-Szene lediglich die Spitze des patriarchalen Eisbergs ist.

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