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Wehrhafte Demokratie Engagement – lohnt das denn?

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Foto (Symbol): Holger Kulick

 

Eigentlich ist die Vielfalt unerschöpflich, wie man sich gegen Rechtsextremismus und Rassismus engagieren kann. Drei Beispiele sollen reichen: Schüler*innen können ihre Schulen als „Schule ohne Rassismus“ etikettieren. Dazu müssen sie dafür sorgen, dass mehr als 70 Prozent ihrer Mitschüler*innen eine Selbstverpflichtung unterschreiben, aktiv gegen Rassismus zu sein. Immerhin 375 Schulen tragen diese Auszeichnung schon bundesweit (2007) und die Warteliste beider Berliner Koordinierungsstelle der Aktion ist lang. Auch Arbeitnehmer*innen können sich in ihren Betrieben gegen Rechtsextremismus und Rassismus wehren. „Mach meinen Kumpel nicht an!“ heißt ein initiativreicher Verein in Düsseldorf, dem Vertreter aus dem DGB und von ver.di angehören. Und in Schwerin ist der Sitz einer Gewerkschaftsjugendinitiative, die sich www.rechtsweg-ausgeschlossen.de nennt, Konzerte gegen Rechts, Workshops und Diskussionen an Berufsschulen zum Thema organisiert. Drei Beispiele unter vielen? Oder viel zu wenigen?

Aufgeklärt und getan wird keineswegs wenig gegen Rechtsextremismus – auch von Einzelpersonen. Da vertreibt ein Braunschweiger Kleinunternehmer T-Shirts mit dem pfiffigen Aufdruck „Braun-schweig!“ im www.braun-schweig.de/onlineshop oder eine Berliner Schneiderin vertreibt kurze Röcke mit der Aufschrift: „Rock gegen Rechts“, um Flagge zu zeigen. In Verden schafften Schülersprecher für ihre Schulen braune Mülltonnen an, damit Schüler Neonazipropaganda gleich versenken können, die regelmäßig vor ihrem Schultor verteilt wird. Und in Pößneck druckte eine Bürgerinitiative – das abc-poessneck.de –  kleine gelbe Aufkleber, die auf Plakate und Buttons rechtsextremer Gruppen und Parteien gepappt werden. Die Aufschrift: „Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie ein Geschichtsbuch oder fragen Sie Ihre Großeltern“. Auch hier ist der Erfindergeist groß,  – doch ganz ehrlich: wie viele trauen sich ein T-Shirt in der Öffentlichkeit zu tragen, auf dem steht: „Schöner leben ohne Nazis“ oder „Mut-gegen-rechte-Gewalt“?

Auch wie man effektiv mutig sein kann, sich verhalten kann, wenn man Zeuge rassistischer Übergriffe wird, das wird kostenlos von Polizeidienststellen unterrichtet – „verhaltensorientierte Prävention“ heißt das beispielsweise in Berlin im Fachjargon. Dass man nicht unbedacht dazwischen gehen soll, wenn einer verprügelt wird, sondern Aufgaben an Schaulustige drumherum verteilen soll, wird da gelehrt, möglichst mit direkter Ansprache: „Hallo Sie im roten Pullover, bitte rufen Sie die Polizei, hallo Sie im gelben Hemd, holen Sie den Zugführer, und Sie mit der Brille, bitte helfen Sie mir…“. Doch wie viele helfen wirklich, wenn es darauf ankommt? Die meisten gucken lieber weg oder schauen betreten zu Boden, damit der hilfesuchende Blick des Opfers sie nicht kreuzt.

Auch Trainingskurse gibt es inzwischen, wo man lernen kann, wie man rechtsextremen Störtrupps entgegentreten kann, die sich anheischen, öffentliche Veranstaltungen zu stören um ihre ‚Wortergreifungsstrategie‘ zu trainieren. Genauso gibt es Ratgeber, wie man rechte Stammtischparolen entschärfen kann, zum Beispiel, indem man rechtsextreme Sprücheklopfer um konkrete Beispielen für ihre pauschalen Thesen bittet und in Nachfragen verstrickt.  Solches  Argumentationstraining kann man lernen, könnte man lernen, vieles weiß man eigentlich auch. Dass die meisten Ausländer in Deutschland auch solidarische Steuerzahler sind zum Beispiel und in ihrer Mehrheit keine Sozialschmarotzer, wie das Neonazis gern behaupten. Doch wer traut sich, wenn es drauf ankommt, wirklich Contra zu geben?

„Aufstände der Anständigen“

Sicher, im Kollektiv fällt das leichter, als allein auf weiter Flur. Immer üblicher wird es in Städten und Gemeinden, dass sich Bündnisse gegen Rechtsextremismus zusammentun, um gegen Neonaziaufmärsche zu demonstrieren, sei es in Rüsselsheim, Waiblingen, Cottbus, Gräfenberg, Wunsiedel oder auch nur in einem Fußballstadion „rote Karte gegen Rassismus“- zeigend. Aber solche DFB-Aktionen oder Bürgerbündnisse, solche kleinen und großen „Aufstände der Anständigen“ bleiben oft nur singuläre Ereignisse, um Gewissen zu beruhigen: Einmal im Jahr, vielleicht zweimal wird gemeinsam demonstrativ aufgestanden gegen Rechtsextremismus. Aber danach, im Alltag? Wird sich wieder gesetzt. Statt einer Haltung, wird nur Symbolik gezeigt.

Sicherlich: In Zukunft wird Engagement sicher breiter werden, je mehr Aufklärung es über Neonazis gibt – und je mehr Rückendeckung  es ‚von oben’ gibt. In diesem Bewusstsein hat Bundesinnenminister Schäuble Mitte Juli an Feuerwehren, THW, DLRG und Sozialverbände appelliert, entschlossener gegen Neonazis Partei zu ergreifen. „Wir verstehen uns als Vorbilder für die uns anvertrauten jungen Menschen. Wir leben Zivilcourage und Engagement vor  und motivieren zu Demokratie und gesellschaftlicher Verantwortung. Deshalb hat Rechtsextremismus keinen Platz bei uns“, heißt es in einer gemeinsamen Selbstverpflichtung von Innenministern, Ministern und Verbändevorsitzenden (siehe: „Die Mitte ist gefragt“). Auf diese Weise Rechtsextremismus als Gefahr beim Namen zu nennen ohne im gleichen Atemzug vor Linksextremismus zu warnen, ist für Unionspolitiker ein Quantensprung.

Auch Bundeskanzlerin Merkel appelliert neuerdings in diesem Sinne: „Wir müssen uns einmischen, ganz egal, wo wir stehen“ – zuletzt in einem Interview mit der jüdischer Fachzeitschrift Tribüne: “Rechtsradikalismus und Extremismus muss man bekämpfen, indem man es von den Wurzeln her tut und nicht an den Blättern“, fordert die Kanzlerin. Dafür sei eine „mutige Gesellschaft“ gefragt: „Das erfordert ebenso die Zivilcourage von ganz normalen Bürger*innen wie auch den Einsatz jener, die in unserem Land Verantwortung tragen“. Ein schöner Satz. Der aber zugleich deutlicht macht, dass genau dies noch viel zu selten passiert. Oder zu halbherzig. Dabei wird aber auch übersehen, dass „von ganz normalen Bürger*innen“ und jenen, die Verantwortung tragen, nicht nur Zivilcourage erforderlich wäre, sondern auch die Einsicht, dass auch für die „ganz normalen Bürger*innen“ eine echte Demokratie, zu der auch explizit Minderheiten gehören, das bessere System ist.

Aber auch dort, wo engagierte Personen aktiv werden, wo „Rezeptbücher“ angewendet werden, ist Rechtsextremismus nicht automatisch am Ende. Für viele Engagierte ist das ein großes Frustphänomen, dass rechtsextreme Gewalt derzeit wieder zunimmt und die Zahl von Mitgliedern in der NPD weiter wächst. Obwohl die gesellschaftliche Aufklärung zugenommen hat.

Oder wird nur sichtbarer, was eh vorhanden ist, wenn man endlich offen darüber spricht?

Das Beispiel Sachsen-Anhalt

Beispiel Sachsen-Anhalt. Hier wird inzwischen sehr viel offener über Rechtsextremismus diskutiert, als noch vor Jahren – auch weil die Gefahr erkannt worden ist, wie sehr Demokratiefeindschaft damit einher geht. Die Wahlbeteiligung, sprich aktive Demokratiebeteiligung bei der letzten Landtagswahl in Sachsen-Anhalt 2006 lag nur noch bei 44 Prozent, bei der letzten Kreistagswahl im April 2007 sogar nur bei rund einem Drittel. Überzeugte Demokraten und ein Bewusstsein für demokratische Werte sind somit eine Mangelware. Zugleich werden hier pro Kopf der Bevölkerung die meisten rechtsextremen Gewalttaten verübt. Landesweit wird dagegen geworben. Mit dem Motto: “Hingucken! Für ein demokratisches und tolerantes Sachsen-Anhalt“ wirbt die Landesregierung in Werbespots und auf Plakatwänden und ihre Vertreter zeigen offen dazu Haltung. Selbst als Anfang August 2007 Magdeburgs oppositionelle Grüne dazu aufriefen, gegen einen Naziversand ausgerechnet im schmucken Hundertwasserhaus der Stadt zu demonstrieren, waren unter den anwesenden 150 Demonstranten sogar zwei damalige Minister: die Justizministerin des Landes Angela Kolb und Innenminister Holger Hövelmann. Ihr Prinzip: Haltung alleine ist noch kein ausreichendes Rezept, wenn nicht kontinuierliche solche Handlungen folgen.

Die beiden sachsen-anhaltinischen Minister spielen da sicherlich eine Ausnahmerolle, Innenminister Hövelmann unterstützt tatkräftig kleine und große Initiativen gegen Rechtsextremismus, nimmt engagiert an Podien teil und kämpft in der Innenministerkonferenz unermüdlich für ein NPD-Verbot. Justizministerin Kolb schärfte ihren Gerichten ein, Verfahren gegen Rechtsextreme nicht länger vor sich hindümpeln zu lassen und läuft bei Demonstrationen zivilgesellschaftlicher Gruppen gerne in der ersten Reihe mit. Am 3. August rief sie sogar einen Journalist*innenwettbewerb aus – für Journalisten, die fundiert über Rechtsextremismus berichten. Schülerzeitungsredakteure hatten sie auf die Idee gebracht. Als die Gymnasiasten aus Halberstadt kürzlich Briefmarken gegen Rechtsextremismus für einen privaten Postdienst entwarfen, dem das dann aber doch zu politisch wurde, orderte die Justizministerin die Aufkleber eben für ihre Ministeriumspost (siehe Foto). “Rechts ist eine Sackgasse“ steht dort jetzt auf einem abgebildeten Straßenschild zu lesen, nur geradeaus geht es Richtung Demokratie.

Was nicht funktioniert: Beschwichtigung, Verharmlosung, Ignorieren

Doch wenn solche Einfälle und Rezeptbücher gegen Neonazis Wirkung zeigen sollen, dann sind sie auch auf klare Signale von weiteren Vertretern der Gesellschaft angewiesen, die als Vorbild vorangehen. Nicht nur Politiker sind in dieser Rolle gefragt. Künstler, Sportler, Lehrer, Ärzte, Bäcker, Tankwarte ebenso, wichtig sind alle, die in ihren Kunden- oder Bezugsgruppen Einfluss haben. Und viele mehr. Das heißt noch einmal: die Mitte der Gesellschaft ist gefragt. Rührt sie sich nicht, empfinden das Neonazis als Rückendeckung. Sachsen-Anhalt hat als langjähriges Negativ-Beispiel gezeigt, was nicht funktioniert: Beschwichtigung, Verharmlosung, Ignorieren.

Dazu zählt auch jahrelang praktiziertes Herunterspielen rechter Gewalttaten auf Seiten von Gerichten: dass Schläger immer wieder auf Bewährung verurteilt wurden, auch wenn sie in der Bewährungszeit zuschlugen oder dass rassistische und rechtsextreme Täter-Motivation nicht thematisiert und hinterfragt wurde, führte dazu bei, dass sich rassistische Gewalt noch stärker breitmachen konnte. Denn es wurden Schlägern keine deutlichen Grenzen gesetzt. Das Problem wurde dadurch verstärkt, dass Polizeikräfte oft den Eindruck erweckten, eher daran interessiert zu sein, sich mit Betroffenen von rechtsextremer Gewalt auseinanderzusetzen, als mit den noch greifbaren Tätern – zuletzt beim Angriff Rechtsextremer auf Schauspieler des Nordharzer Städtebundtheaters am 9. Juni 2007.

Gegen Rechtsextremismus wird überdies nichts erreicht, wenn sich nach rechtsextremen Angriffen politische Vertreter eher um den Ruf ihres Ortes Sorge machen als um die Opfer oder um die Gewaltbereitschaft der Rechtsradikalen. Das jüngste Beispiel aus dem sächsischen Mügeln am 18. August 2007 zeugt davon. Bis zu 50 Jugendliche jagten acht Inder durch den Ort. Doch der Bürgermeister sträubte sich zunächst, von Rechtsextremismus oder Rassismus zu reden, auch Sachsens Ministerpräsident wiegelte ab: „Es steht außer Frage, dass man solche Vorfälle nicht auf die leichte Schulter nehmen kann, aber man sollte auch nicht jede Auseinandersetzung zwischen Deutschen und Ausländern sofort unter dem Stichwort Ausländerfeindlichkeit verbuchen“, beschwichtigte er am 21.8.2007 gegenüber Spiegel Online.

Doch genau solche Beschwichtung zählt zu den Faktoren, die dazu beitragen, dass sich rechte Gewalt und rechtextreme Ideologie weiter verbreiten, verfestigen und sogar strukturieren können. In Sachsen-Anhalt ist das jetzt begriffen worden, fast zu spät.

Die Gefahr instrumentalisierter Menschenfeindlichkeit

Die neue Devise aus Sachsen-Anhalt: Rechter Ideologie und rechter Gewalt Grenzen zu setzen ist unerlässlich. Als Voraussetzung dazu muss man sie offen beim Namen nennen, dort, wo sie passiert. Eine Schwierigkeit in Deutschland ist jedoch, dass viele Elemente rechtsextremer Ideologie auch in der gesellschaftlichen Mitte Akzeptanz finden und auf fruchtbaren Boden fallen. Die von Neonazis angenommene „klammheimliche Freude“ manches Bürgers über Taten gegen Ausländer ist solch ein Problem. „Menschenfeindlichkeit“, wie sie der Bielefelder Professor Wilhelm Heitmeyer definiert,  ist keine Eigenschaft bekennender Neonazis alleine. Nimmt die Politik dies auf, fühlen sich Rechtsextreme besonders bestätigt.

Bekanntes Beispiel davon ist die Reaktion auf rechte Gewalt auf Seiten der Politik in den frühen neunziger Jahren. Nach den Pogromen in Hoyerswerda und Rostock, den Angriffen in Solingen und Mölln, die sich gegen so genannten ’’Fremde’’ richteten, wurden einerseits solche Angriffe von den Parteien und der Gesellschaft verurteilt, aber zugleich auch im Sinne der Angreifer Politik gemacht, in dem deren Prämisse akzeptiert wurde, dass ’’zu viele Ausländer’’ in Deutschland seien oder nach Deutschland kämen. Dementsprechend wurden die Einschränkungen für Asylsuchenden so stark verschärft, dass sich die Zahl von Asylanträgen innerhalb der letzen zehn Jahre von rund 100.000 in 1998 auf 20.000 in 2006 reduzierte. Knapp über ein Prozent der Anträge wird zurzeit anerkannt. Der Staat ging letztlich davon aus, auf diese Weise rechtsextremes Handeln zu entschärfen. Das misslang, denn viele Rechtsextreme fühlten sich bestätigt. Politik in der gesellschaftlichen Mitte muss sich daher viel expliziter und bewusster von rechtsextremen Ideen distanzieren, um Rezepten gegen Rechtsextremismus Wirksamkeit zu verleihen.

Denn nur eine engagierte Gesellschaft, die fähig ist, in Vielfalt und Demokratie ihre Stärke zu erkennen, dass heißt, nur eine Gesellschaft, die sich selbst angegriffen sieht, wenn ein Schwarzer, ein jüdischer Kindergarten, ein türkischer Imbiss oder ein Heim für Flüchtlinge angegriffen wird, nur eine solche Gesellschaft bleibt gegen rechtsextreme Ideologie immun. Aber solange auch die Mitte der Gesellschaft ethnische, soziale, und religiöse Minderheiten nur als Beiwerk behandelt, das es nur zu tolerieren gilt, das aber nicht dazugehört, solange behält Rechtsextremismus beste Chancen, sich immer wieder und immer weiter auszubreiten.

Demokratie, das ist eine ihrer wichtigsten Anliegen, garantiert Vielfalt. Doch demokratische Werte, die nicht gelebt werden, machen Rezeptbücher gegen Demokratiefeinde wirkungslos.

Holger Kulick und Andrés Nader

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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