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“Unter Sachsen“ Auf Spurensuche im Problembundesland

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Martin Dulig (Stellvertretender Ministerpräsident Sachsens) bei der Buchvorstellung von "Unter Sachsen" in Berlin

 

Schon bei der Buchpremiere von “Unter Sachsen”, einem Sammelband von Matthias Meisner und Heike Kleffner, am 16. März in Dresden, versuchten Pegida-Repräsentanten, die Veranstaltung zu stören und Lutz Bachmann höchstpersönlich hatte sich für die Buchmesse in Leipzig angekündigt, kam dann aber doch nicht. Die Bereitschaft zur Diskussion von Seiten der CDU hielt sich in Grenzen.

Auch die Buchbesprechung in Berlin warf schon im Vorfeld einige Fragen auf. Die Veranstaltung war eigentlich in der sächsischen Landesvertretung geplant. Die hatte dem Verlag jedoch wieder abgesagt. Aus unklaren Gründen. Die Landesregierung erklärte die Absage zunächst damit, dass ihr Budget für das Jahr 2017 schon komplett verplant sei. Gegenüber der Tageszeitung “Freie Presse“ nannte man als Grund für die Absage, dass die Veranstaltung aufgrund terminlicher Überschneidung mit einer Bundesratssitzung am nächsten Tag nicht stattfinden könne. Dem Verlag wurde angeblich gar mitgeteilt, dass “die Veranstaltung nicht in die Planung passe und kein Interesse an einer Buchvorstellung dieser Art bestünde“. (Tagesspiegel)

Was der wahre Grund ist, bleibt offen. Umso bemerkenswerter, dass sich der Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz (CDU), dessen Wahlkreis sich in der Nähe von Chemnitz befindet, der Diskussion in Berlin stellte. Letztendlich nahm immerhin auch noch der stellvertretende Ministerpräsident Sachsens, Martin Dulig (SPD), an der Diskussion zur Vorstellung des Buches am 30. März in Berlin teil. In der Landesvertretung von Thüringen.

 

Stimmen aus der Zivilgesellschaft

Am Buch sind 52 Autor_innen beteiligt, die in Reportagen, Essays oder Zwischenrufen eine Bestandsaufnahme der gesellschaftlichen Stimmung in Sachsen wagen. Die Herausgeber_innen Heike Kleffner und Matthias Meisner lassen aber nicht nur Journalist_innen zu Wort kommen, sondern auch Menschen aus der Zivilgesellschaft, die ganz praktisch darstellen, wie sie die vergangenen Jahre erlebt haben.

Der Journalist Michael Bittner berichtet beispielhaft über Szenen aus seiner Jugend. In seinem Beitrag “Döner-Nazis“ beschreibt er den Alltagsrassismus in der sächsischen Provinz. Menschen mit asiatischem Migrationshintergrund bezeichnen die Jugendlichen im Ort ganz selbstverständlich als “Fidschis”. Den Kontakt mit den ansässigen Türken meiden sie, es sei denn, sie essen Döner. Was wiederum dafür ausreicht, zu behaupten, dass man gar kein Rassist sein könne. Auch der Autor teilte diese Ansichten. So lange, bis er studienbedingt aus der sächsischen Provinz nach Dresden zog.

 

Was sagen diese Geschichten über das Klima in Sachsen aus?

Martin Dulig, stellvertretender Ministerpräsident von Sachsen, wirkt nicht erfreut über das Buch: “Man muss es nicht gut finden, aber man muss sich damit auseinandersetzen.“ Tatsächlich sei das schlechte Image nicht das Problem, sondern die Ursachen, die dazu geführt haben. Und zwar schon seit den 1990igern und nicht erst seit Pegida. Dulig kritisiert dabei auch die Rolle der CDU im Umgang mit Rassismus. Die Partei vereinnahme den politischen Raum und weiche so der Auseinandersetzung aus. Seit der Wende stellt die CDU durchgehend den Ministerpräsidenten in Sachsen. Unter Ministerpräsident Kurt Biedenkopf konnte die CDU sogar von 1990 bis 2002 mit absoluter Mehrheit regieren. Von ihm stammt auch die fatale Aussage, die Sachsen seien “immun gegen Rechtsextremismus”. Der Status Quo zeigt das komplette Gegenteil. Martin Dulig berichtet, dass selbst Menschen, die schon lange in Sachsen lebten, plötzlich Rassismus erfahren. Zum Abschluss seines Redebeitrags fordert er, sich mit dem Problem auseinanderzusetzen: “Dieses Buch ist notwendig, wenn wir die richtigen Konsequenzen ziehen.“

 

Über die Rolle der CDU sind sich, bis auf den CDU-Abgeordneten Marco Wanderwitz, eigentlich alle Diskussionsteilnehmer_innen einig. Wanderwitz hat daher einen schwierigen Stand in der Debatte. Verleger Christopher Links kündigt ihn als Politiker an, der sich von Beginn an, klar von Pegida abgegrenzt habe.

Wanderwitz’ Erklärungen für Pegida und die rassistischen Angriffe, die immer wieder aus Sachsen gemeldet werden, scheinen aber eher ein Sinnbild dafür zu sein, dass die CDU sich schwer tut, Rassismus zu benennen und dagegen vorzugehen. Zum einen weist er darauf hin, dass das Problem auch in anderen Bundesländern vorliege. Zum anderen sei die mangelnde politische Bildung ein Problem. Die Wertevermittlung habe nach zwei aufeinanderfolgenden Diktaturen nicht funktioniert. Wieso sich daran in den letzten 25 Jahren CDU-Regierung nichts geändert hat, kann Wanderwitz nicht erklären. Spätestens als er den geringen Christenanteil der Bevölkerung in Sachsen als Grund für Rassismus nennt, stellt sich die Frage, ob Probleme und Ursachen in Sachsen wirklich bearbeitet werden.

 

“Das Problem heißt nicht Sachsen, das Problem heißt Rassismus“

Imran Ayata spricht sich in seinem  Beitrag in “Unter Sachsen“ für eine offene Gesellschaft aus. Das Problem Rassismus gehe alle etwas an, nicht nur Menschen in Sachsen. Es werde immer noch nach Ethnie, sexueller Orientierung und Kultur unterteilt, anstatt eine solidarische Gesellschaft für alle einzufordern. Außerdem sollte die Debatte verschoben werden. Anstatt die Diskussion nur auf ein Bundesland oder ein Phänomen wie Pegida zu reduzieren, sollte eher die Frage gestellt werden, welche Perspektive es für ein solidarisches Zusammenleben gebe. Auch Katja Kipping (Die Linke), die selber aus Dresden kommt, stimmt zu: “Das Problem heißt nicht Sachsen, das Problem heißt Rassismus“.

 

Wieso immer wieder Sachsen?

Klare Antworten oder Lösungen kann das Buch wohl nicht liefern. Soll es aber auch nicht. Es ist eine Bestandsaufnahme, die aus verschiedenen Perspektiven versucht zu erklären, was in Sachsen in den vergangenen Jahren passiert ist.Die Schlüsse aus den einzelnen Berichten müsse aber jeder selber ziehen, so Herausgeber Matthias Meisner.

Marco Wanderwitz vergleicht in seinem Abschluss-Statement die Flüchtlingssituation mit einer Lawine. Es gibt also noch viel zu tun. In Sachsen und im Rest von Deutschland.

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