Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Psyops und Schuldabwehr Wie Sachsens extreme Rechte den 7. Oktober auffasst

(Quelle: Unsplash)

Der Überfall der Hamas auf Israel und die anschließenden Kämpfe im Gazastreifen hatten weltweite Auswirkungen. Die neue Ausgabe des EFBI Digital Reports beleuchtet die Reaktionen der extrem rechten Telegram-Szene in Sachsen auf die Ereignisse vom und nach dem 7. Oktober 2023. Wie wurden der terroristische Angriff der Hamas, die militärische Reaktion der israelischen Streitkräfte, aber auch die Solidaritätsdemonstrationen mit Palästina eingeordnet und kommentiert? Der Digitalreport 2024-01 besteht aus einem allgemeinen Teil zur Entwicklung der extrem rechten Kanäle und Gruppierungen und vier Beiträgen mit vertiefende Analysen zu Antisemitismus, antimuslimischem Rassismus, Verschwörungsnarrativen und der Bewertung pro-palästinensischer Proteste, die allesamt das Spannungsverhältnis aufzeigen, in dem sich extrem rechte Deutungsversuche des neu entflammten Nahostkonflikts bewegen. Der folgende Text ist einer dieser Hintergrundbeiträge.

In der extrem rechten und verschwörungsideologischen Online-Szene in Sachsen häufen sich antisemitische Äußerungen. Diese thematische Verschiebung ist eine Konsequenz des Nahostkonfliktes und der antidemokratischen Mobilisierungspraktik, Krisen eigennützig umzudeuten. Die Reaktionen auf den Nahostkonflikt sind jedoch, je nach Milieu und politischer Agenda, heterogen. Dennoch lässt sich eine stringente rote Linie nachzeichnen: Bei den Meinungsäußerungen auf den sächsischen Telegram-Kanälen handelt es sich um den Versuch, Juden*Jüdinnen verächtlich zu machen sowie Israel zu delegitimieren.

Was die Theorie sagt

Eine Vielzahl antisemitischer Diskurse im Online-Milieu Sachsens fußt auf bereits etablierten antisemitischen Stereotypen. So arbeiten beispielsweise tagesaktuelle Berichterstattungen über den Nahostkonflikt mit alten Narrativen und Chiffren, die zeitgemäß adaptiert werden. Klassische antisemitische Stereotype basieren auf der Vorstellung von einer vermeintlichen jüdischen Allmacht („Juden*Jüdinnen haben zu viel Macht“) oder Illoyalität („Juden*Jüdinnen verfolgen nur ihre jüdische Agenda“). Gleichzeitig lassen sich alte Erzählstränge erkennen, wie etwa das Blutmotiv („Kindermörder Israel“, „Adrenochrom“) oder der Antizionismus, der aktuell in der Gestalt des israel bezogenen Antisemitismus den Staat Israel dämonisiert und durch die Anwendung doppelter Standards delegitimiert. Eine weitere gängige Form des Antisemitismus ist der Schuldabwehrantisemitismus. Hierbei werden verschiedene Erzählungen bedient, um eine Auseinandersetzung mit der historischen Verantwortung Deutschlands zu verhindern. Auch der eigene Antisemitismus, den man heute noch reproduziert, wird so verdrängt.

Der Schuldabwehrantisemitismus reicht von der Forderung, den vermeintlichen „Schuldkult“ zu beenden, bis hin zu einer Täter-Opfer-Umkehr und der Relativierung oder sogar Leugnung des Holocaust. Im Folgenden werden ausgewählte aktuelle Narrativbeispiele aufgeführt und die Interdependenzen zwischen ihnen identifiziert.

Schuldabwehrantisemitismus und Holocaustleugnung

In der sächsischen Telegram-Szene der extrem Rechten wird Israel seit Jahren immer wieder beschuldigt, einen Genozid an den Palästinenser*innen zu begehen. Das Ziel dieser Unterstellung ist es, Juden*Jüdinnen einen (vermeintlichen) Opferstatus abzuerkennen.

„Dieser erneute ‚Genozid‘ Israels ist zu viel – die Holocaust-Opfer-Erzählung zieht nicht mehr!! Die UN-Menschenrechtskommissare bezeichnen die Bombardierungen von Frauen, Kindern, Flüchtlingen, Verwundete ‚Massaker‘ und ‚Völkermord‘, aber in der BRD solidarisieren sich die Eliten mit diesen Verbrechen. ‚ Hört auf, Völkermordzu finanzieren‘ !!“. Beitrag in der Telegramgruppe „Bürgerbewegung Leipzig“

Allein die Formulierung „Holocaust-Opfer-Erzählung“ zweifelt die Existenz des Holocaust an. Zudem wird durch die Verwendung des Begriffs des Genozids, der völkerrechtlich klar definiert ist, suggeriert, dass Israel Kriegsverbrechen mit dem Ziel begehe, die Palästinenser*innen zu vernichten. Hier verschränkt sich die Holocaustrelativierung mit der Dämonisierung Israels.

Durch den Vorwurf des Genozids, der häufig als mindestens so schlimm wie der von den Deutschen verübte Holocaust bezeichnet wird, soll nicht nur die deutsche Schuld relativiert werden. Vielmehr hat sich in dieser Erzählung Israel derart schuldig gemacht, dass Juden*- Jüdinnen geradezu das Existenzrecht abgesprochen wird:

„ISRAEL entwickelt sich zum schlimmsten Holocaust Monster, dass es jemals auf Erden gab….!? Seit ca. 500 Jahren bestätigen die Juden immer und überall weltweit, was Marin Luther über diese Sorte Mensch gesagt hat !! Solange es ein Talmud auf Erden gibt, so lange wird es keinen frieden geben !!“. Beitrag in der Telegramgruppe „Bürgerbewegung Leipzig“

Der letzte Satz aus dem Zitat fordert in einer Umwegkommunikation die Vernichtung allen jüdischen Lebens, um „Frieden“ herzustellen. Dieser Logik folgend werden Juden*Jüdinnen auch als Verkörperung Satans dargestellt, damit weiter entmenschlicht und als das ultimativ Böse stilisiert, das einen „nuklearen Holocaust“ auszulösen beabsichtigt (Abb. 11)

Abbildung 11: Verschwörungserzählung über eine Inszenierung des 7. Oktobers 2023 und dem angeblichen Ziel eines Genozids durch Satan als Chiffre für Juden*Jüdinnen (Screenshot von Instagram)

Nichts ist Wie Es Scheint – Vorwurf jüdischer Psyops

Der gerade zitierte Post beinhaltet auch die Überzeugung, Israel habe die Bilder vom 7. Oktober 2023 inszeniert. Dabei werden Erzählstränge aus dem souveränistischen Milieu verschwörungsideologisch angereichert und es wird behauptet, das Massaker der Hamas wäre in Wahrheit eine jüdische psychologische Kriegsführungsoperation (PsyOp) gewesen. Antidemokrat*innen aus Sachsen wie die „Denken 02991 Lauta“-Gruppe behaupten beispielsweise:

„Der Krieg in Israel ist ein Betrug! Die Dinge sind nicht so, wie sie scheinen! Die meisten sind alte Aufnahmen, einige wurden mit CGI [Computer Generated Imagery Anm.d.Red] inszeniert. Krisenschauspieler wurden eingesetzt“. Beitrag in der Telegramgruppe „Denken 02991 Lauta“

Israel wird aber nicht nur unterstellt, eine Erzählung wie aus einem Film zu generieren, sondern es werden in diesem Kontext auch eindeutig konnotierte Schlagworte wie „dritter Weltkrieg“ oder „Kinderhandel“ genannt:

„Diese Geschichte hat so viele Wendungen! Es wird verwendet, um das Szenario des falschen dritten Weltkriegs zu fördern und zu stärken. Es wird verwendet, um Tunnel unter Israel und Kinderhandel zu reinigen. Es ist alles Teil des Films, um die Erzählung zu erschaffen, die wir wissen sollen!“

Ebenso verschwörungsideologisch eingefärbt ist die Erzählung über jüdische Spionage, die das Ziel verfolge, „falsche Wahrheiten“ zu verkaufen, um „Länder und Menschen gegenseitig aufzuhetzen“. In diesem Narrativ wird von einer „kommunistisch-zionistischen Bewegung“ gesprochen, die Krisen (Covid, Ukraine-Krieg), aber auch soziale Bewegungen (Klimabewegung, Black Lives Matter) instrumentalisiere, um westliche Gesellschaften zu spalten. Im Post wird ferner behauptet, dass es sich dabei um „Profiteure“ handele, „die Regisseure dieses großen Schauspiels” seien und die ein „Regiebuch“ für Katastropheninszenierungen einsetzen würden.

All diese Narrative teilen das Stereotyp von Juden*Jüdinnen als überproportional machtvolle Bevölkerungsgruppe, die subversiv und manipulierend agieren würde. Die israelische Regierung und Israel als Staat werden entsprechend als allmächtig und bedrohlich dargestellt und im Subtext schwingt die Annahme einer geheimen (jüdischen) Weltelite mit.

Wie Karten eingesetzt werden, um Israel zu delegitimieren

Im Nachgang des Terrorangriffs der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 sind in einschlägigen Telegram-Kanälen und Gruppen weitere Spielarten des israelbezogenen Antisemitismus zu beobachten. Dies geschieht einerseits durch die Verbreitung manipulierter Landkarten (Abb. 12), die glaubhaft machen sollen, dass es Pläne für die Schaffung eines „Großisrael“ bzw. „Greater Israel“ gibt. Israel habe demnach vor, zunächst die palästinensischen Gebiete und später auch Syrien sowie Teile von Irak und Ägypten zu annektieren.

Abbildung 12: Darstellung angeblicher Expansions-Bestrebungen Israels zu einem Grossisrael (Screenshot von Telegram)

Israel soll aber nicht nur beabsichtigen, territorial auf Kosten seiner Nachbarn zu wachsen, sondern realisiere laut der Telegram-Szene weitere niederträchtige Ziele, die allesamt zusammenhängen. In einem Post aus der Gruppe „Burgstädter Treffpunkt“ (Abb. 13) werden die angeblichen Expansionspläne mit der Verschwörungserzählung des „Großen Austausch“ in Verbindung gebracht.

Die Verwendung von „Sie“, was Juden*Jüdinnen und Israelis gleichsetzt und in gleichem Maße meint, suggeriert eine jüdische Verschwörung, die eine Migrationsbewegung in Gang setze. Die Darstellung Israels als Staat, der in Wahrheit beabsichtigt, sein Staatsgebiet zu vergrößern, um durch die damit ausgelöste millionenfache Flucht Europa „kulturell zu bereichern“, stellt israelbezogenen Antisemitismus dar, weil hier Israel dämonisiert und delegitimiert wird.

Neonazistische Solidarisierung mit Palästina

Für die Verbreitung antisemitischer Inhalte spielen vor allem auch neonazistische Aktivist*innen eine zentrale Rolle. Exemplarisch kann hier auf Michael Brück verwiesen werden, dessen antisemitischer Aktivismus bereits vor etlichen Jahren begann. Noch während seiner Dortmunder Zeit bei Die Rechte organisierte Brück israelfeindliche Kundgebungen und nahm an entsprechenden Demonstrationen teil. So ist Brück bei einer pro-palästinensischen Demonstration in Dortmund an vorderster Front zu sehen, was als subversive Taktik der Verschleierung des eigenen Antisemitismus durch den Deckmantel einer pro-palästinensischen Solidarisierung gedeutet werden kann. Seine antisemitische Gesinnung zeigt sich auch darin, dass er zu dieser Zeit einen Online-Shop mit dem Namen antisem.it betrieb.

Abbildung 13: Verschwörungserzählung vom „Grossen Austausch“ (Screenshot von Telegram)

Mittlerweile ist Michael Brück bei den Freien Sachsen aktiv und für deren Social-Media-Aktivitäten zuständig. Abseits der extrem rechten Kleinstpartei versucht er, sich eine eigene Telegram-Präsenz aufzubauen. Mitunter verarbeitet Brück auf seinem Kanal auch antisemitische Narrative. So hat Brück nach dem 7. Oktober 2023 eine Art Liveticker zum Nahostkonflikt auf Telegram betrieben, in welchem er über 27 Beiträge mit Bezugnahmen auf den Angriff und den daraus resultierenden Konflikt teilte. Brück zeichnet auf seinem Kanal ein pro-palästinensisches Bild, in dem er Israel als alleinigen Aggressor darstellt. Immer wieder greift er die Bombardierungen Gazas auf und betont zivile Opfer. In einem Post vom 17. Oktober 2023 spricht der extrem rechte Aktivist von einem Kriegsverbrechen, das seitens der israelischen Regierung gegen die Bevölkerung Gazas verübt werde. Dabei teilt er eine Desinformation, in der die Rede von mehr als „1000 Opfern“ in Folge eines Raketenangriffs auf ein christliches Krankenhaus ist. Diese Darstellung ist laut Medienberichten höchst zweifelhaft, weshalb eine so weitgehende Zuspitzung der Interpretation wohl vor allem dazu dienen soll, Israels Armee Kriegsverbrechen anzulasten. Bei Michael Brück wird das Narrativ der vermeintlichen israelischen Brutalität dann so ausformuliert: „Am Dienstagabend hat Israel das Baptistenkrankenhaus in Gaza angegriffenund vollständig zerstört, es soll über 1000 (!) Todesopfer geben. Dieses Vorgehen kann nur mit einem Wort bezeichnet werden: Kriegsverbrechen.“

Fazit

Der Antisemitismus erlebt seit dem 7. Oktober 2023 in ganz Deutschland eine Hochphase. So überrascht es nicht, dass diese Entwicklung auch in der sächsischen Telegram-Szene zu beobachten ist. Die hier herausgearbeiteten Narrative greifen dabei nahtlos ineinander. Der israelbezogene Antisemitismus, der dem Staat Israel unterstellt, Gebietszuwächse anzustreben und Migrationsströme auszulösen, geht über in die Erzählung von einer psychologischen Kriegsführung, die mit Schauspieler*innen und inszenierten Attentaten die Öffentlichkeit manipulieren soll. Bei der Sichtung der sächsischen Telegram-Gruppen und Kanäle wurde auch deutlich, wie verbreitet weiterhin alte antijudaistische Stereotype sind.

Die Erzählung von jüdischen Spion*innen soll die Vorstellung stärken, Juden*Jüdinnen seien seit jeher Spalter*innen gewesen. Die Gleichsetzung von Juden*Jüdinnen mit Satan oder die Darstellung der gesamten jüdischen Gemeinschaft als Feindbild einer christlichen Gesellschaft sind alt und finden sich heute unter anderem in der Verschwörungserzählung über den angeblich von Israel forcierten „Großen Austausch“ wieder. Auffällig ist nicht zuletzt auch, dass mit dem Krieg in Nahost wieder ein Anlass gefunden wurde, um Juden*Jüdinnen ungehemmt den Holocaust vorzuwerfen. Das Bedürfnis nach einem Ende einer Aufarbeitung der kollektiven wie individuellen Schuld und Verantwortung Deutschlands und der Deutschen wird hier besonders deutlich.

Weiterlesen

Eine Plattform der