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Anti-asiatischer Rassismus in Deutschland Wie sich der Blick auf Asien in den letzten vier Jahrhunderten veränderte

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Aus dem Instagramkanal @ichbinkeinvirus, der anti-asiatischen Rassismus in der Coronavirus-Pandemie sichtbar macht. (Quelle: Screenshot)

Seit China in den 1980er Jahren damit begonnen hat, den Weltmarkt als Mittel zum nationalen Aufstieg zu benutzen, ist die Volksrepublik China (wieder) ein Projektionsfeld deutscher Hoffnungen und Sorgen. Mal als gigantischer Markt beschrieben, den deutsche Firmen zu erobern hätten, mal als Weltmacht und Gewinner der Globalisierung gefürchtet, wegen seines hohen Wirtschaftswachstums beneidet oder wegen seiner diktatorischen Politik in der Corona-Krise kritisiert oder gefeiert – wie immer haben diese Bilder vom „Fremden“ mehr mit denen zu tun, die sie entwerfen, als mit den Menschen, die als Projektionsfläche dienen. Die Veränderungen des Bildes von China und Chines*innen belegen dies eindrücklich.

Wie die Chines*innen „gelb“ wurden

Ein Reich der Harmonie, geführt von weisen Herrschern nach Gesetzen der reinen und unverfälschten Sittlichkeit, so zeichneten ab dem 17. Jahrhundert Berichte das Leben in China. Es erstrahlte hell gegenüber dem Europa nach dem Dreißigjährigen Krieg. Davor hatte eher ein phantastisches, ins Märchenhafte gleitende China-Bild vorgeherrscht. China wurde Mode und von den verschiedenen politischen und wissenschaftlichen Richtungen für sich benutzt: Die Aufklärer entdeckten in China das Gegenbild zur Enge des heimischen Absolutismus, während der aufgeklärte Absolutismus seine Herrschaft damit rechtfertigte, dass all die Vorzüge Chinas auch in Preußen verwirklicht seien.

Ende des 18. Jahrhunderts verdunkelte sich das Bildes der Chines*innen in der europäischen Wahrnehmung, damit einher ging, dass die Hautfarbe des weisen Gelehrten sowie der exotischen Fabelwesen nun als „gelb“ beschrieben wurden. Bis dahin hatten europäische Reisende die Hautfarbe der chinesischen Bevölkerung meistens „als weiß wie die eigene“ eingestuft. Exemplarisch lässt sich hieran zeigen, wie Rassismus Hautfarben schafft. Denn die Zuweisung der Farbe „gelb“ für Chines*innen, und später dann Asiat*innen allgemein, scheint auf die symbolische Farbe des Kaiserhauses von China zurückzugehen.

Mit der Herausbildung der kapitalistischen Produktionsweise in Europa wie auch den verlorenen Kriegen Chinas kamen neue, nun meist negative Bilder hinzu, ohne die alten Bilder in Gänze abzulösen. Während in den früheren Vorstellungen Stetigkeit und Harmonie Qualitäten Chinas waren, wurden diese nun im Rahmen des bürgerlichen Fortschrittsoptimismus negativ interpretiert.

Kolonialpolitik und Proletarisierung

Das chinesische Kaiserreich war seit den 1830er Jahren verstärkt in den Fokus der Großmächte geraten. Die erzwungene Überlassung des nordchinesischen „Pachtgebietes“ Jiaozhou 1897 stellte die erste koloniale Expansion Deutschlands dar, die unmittelbar mit dem deutschen Rechtsanspruch auf einen „Platz an der Sonne“ begründet wurde. Damit war Deutschland Vorreiter der kolonialen Expansion in China, die auch die gezielte Anwerbung von chinesischen Arbeitskräften führte – der so genannte „Kulihandel“ nahm es an Unmenschlichkeit durchaus mit dem zu diesem Zeitpunkt bereits verbotenen Sklavenhandel auf.

Es entwickelte sich ein neues Klischee vom „Kuli“, der zwar keinen Sinn für Hygiene habe, aber als anspruchs- und bedürfnisloser, harter, fleißiger und folgsamer Arbeiter gelte. Das weckte auch bei ostelbischen Großgrundbesitzern, die unter Arbeitskräftemangel litten, Begehrlichkeiten. Doch den Versuchen, chinesische Arbeiter ins Deutsche Reich zu holen, war kein Erfolg beschieden. Nicht nur hohe Frachtkosten und klimatische Unverträglichkeit oder Angst vor chinesischen Geheimbünden waren dabei bestimmend, sondern die Wahrnehmung als „gelbe Gefahr“.

Rassifizierung und gelbe Gefahr

Seit den 1850er Jahren hatten sich Vorstellungen über „Rasse“ und angebliche „Rasseeigenschaften“ in Europa verbreitet. Während die Abwertung vieler nicht-weißer Bevölkerungen selten zu Debatte stand, wurde über die Stellung der Asiat*innen energisch gestritten. Ihnen wurden durchaus Fleiß zugesprochen, allerdings das völlige Fehlen von Initiative und Individualität unterstellt. Ihre Kulturleistungen wurden nicht einfach ignoriert oder lächerlich gemacht, stattdessen wurde ihnen fleißiges Kopieren westlicher Errungenschaften vorgeworfen – oder eben Stillstand und Rückschritt, der sie gegenüber den „jungen Völkern“ des Westens ins Hintertreffen habe geraten lassen.

Zu diesem Zeitpunkt begann sich die Vorstellung Chinas und seiner Bewohner als Gefahr durchzusetzen, wenn auch zunächst national sehr unterschiedlich. Gerade das, was Großgrundbesitzer so attraktiv an den chinesischen Arbeitskräften fanden, sollte gleichzeitig auch ihre besondere Bedrohlichkeit ausmachen: Ihre angeblich natürliche Anspruchslosigkeit, die in Verbindung mit dem „Menschenreichtum“ Asiens und der Fähigkeit, die moderne europäischer Technik zu kopieren, China zu einer möglichen ernstzunehmenden Konkurrenz auf dem Weltmarkt machte. Bis zum Boxerkrieg 1900 blieb diese These freilich der eher belächelte Privatspleen Wilhelm II. und einiger völkischer Theoretiker.

Doch als der Unmut weiter Teile der chinesischen Bevölkerung über die offensichtliche ausländische Expansionspolitik in gewaltsame Bewegungen gegen die westlichen Staatsangehörigen umschlug, reagierte gerade das Deutsche Reich mit einer martialischen Phraseologie. Im Zuge dessen blieb das Bild einer „Schreckensherrschaft der chinesischen Horden“ fortan Repertoire des anti-chinesischen Feindbildes. Die angeblich bewiesene „Tücke, Hinterlist und Mordlust“ der chinesischen Bevölkerung wurde nun rassifiziert und generell als Minderwertigkeit der „gelben Rasse“ interpretiert. Die Wirkung hiervon ließ nicht lange auf sich warten: Die deutschen Soldaten handelten im Boxerkrieg danach; ein Soldat schrieb später, er habe in China „eher einem Metzger, denn einem deutschen Soldaten ähnlich“ gesehen.

Alte und neue Bilder – China, Asien und seine Bevölkerungen

Viele Bilder über China und Chines*innen wurden nach 1911 neu besetzt und/oder umorganisiert, als die chinesische Republik neu in den Fokus der Weltöffentlichkeit geriet. Nach 1949 wurde manches davon mit anti-kommunistischen Zielsetzung gegen das maoistische China erneuert vorgebracht. Es trat zudem eine deutliche Differenzierung in der Betrachtung asiatischer Staaten und ihrer Bevölkerungen entlang der Spaltungen des Ost-Welt-Konfliktes ein. Die Projektionen des Verhassten wie Erwünschten blühten weiterhin. Während in Westdeutschland Japan und Südkorea als Verbündete geschätzt wurden, fielen China, Vietnam und andere Staaten in Ungnade.

Ganz anders in maoistischen Strömungen der 1970er Jahre, in denen Mao geradezu zum Säulenheiligen aufstieg. Japan wurde hingegen vorgeworfen, es kopiere lediglich westliche Produkte und baue hierauf sein Wirtschaftswachstum auf. Konservative entdeckten dagegen dort intakte Familien mit dem weisen Patriarchen an der Spitze, ein Modell, das in der BRD durch die „westliche Dekadenz“ und den Feminismus zerstört worden sei. Bilder von martialischen japanischen Traditionen, patriarchalen Strukturen in Unternehmen und die Aufopferungsbereitschaft der Japaner*innen, die im privaten Umgang als schwer zu deuten und ameisenhaft in der Pflichterfüllung dargestellt wurden, bevölkerten die Medien der BRD seit den 1960er Jahren.

Nach dem Ende der Block-Konfrontation differenzierte sich das Bild verschiedener asiatischer Staaten weiter aus, Asien blieb aber immer Projektionsfläche für die eigene Sehnsüchte und Ängste. So existiert weiterhin das sexistische Bild über die „unterwürfige“ asiatische, meist thailändische Frau in der Begehrensstruktur so mancher Männer, die sich die Geschlechterverhältnisse der 1950er Jahre zurückwünschen und dabei das Leiden, dass diese für die meisten Menschen bedeuteten, geflissentlich übersehen. Die zum Stereotyp gewordene Yoko Ono stellt dagegen ein Hassobjekt dar, sie habe aus weiblich/asiatisch gezeichneter Herrschsucht das Ende der Beatles eingeläutet. Asiatische Männer werden hingegen vielfach als „androgyn“ betrachtet, eine Eigenschaft, die im Rahmen der Hierarchie sexistischer Geschlechterpolarität als unattraktiv gilt. Die an die Wand gemalte Gefahr der chinesischen Konkurrenz verankerte wiederum die „Gelbe Gefahr“ als rassistisches Phantasma in der breiten Bevölkerung. Die anlässlich vermeintlicher Bespitzelung der deutschen Regierung oder deutscher Autofirmen bemühten Bilder von „gelben Spionen“ (Spiegel) bis „gelber Gefahr“ (Münchner Merkur) zeigen, dass solche Bilder noch immer virulent sind und bei entsprechenden politischen Konstellationen aufgefrischt und abgerufen werden können. Bisher letzte Episode stellt die Berichterstattung über das Corona-Virus dar, das, zum „Chinesischen Virus“ gemacht, zur Ausgrenzung von Asiat*innen oder Menschen, die für Asiat*innen gehalten werden, führte. Überhaupt ist im Zuge der Corona-Krise eine Renationalisierung zu beobachten. Obwohl eine weltweite Pandemie, wird verstärkt im Rahmen des Nationalen gedacht, so dass die Verlegung eines halben Dutzend an erkrankten Patient*innen aus Italien oder Frankreich in deutsche Kliniken bereits Schlagzeilen macht, während bar jedes wissenschaftlichen Nutzens an allen Grenzen wieder die Schlagbäume fallen. Mit den Folgen wird die Welt noch lange zu kämpfen haben.

Vgl.: Anti-asiatischer Rassismus – was ist das? bei der Amadeu Antonio Stiftung

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