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Ausnahmezustand als Männerfantasie Patriarchale Geschlechterrollen und Krisennarrative

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Rechte Demonstration im September 2022 in Leipzig (Quelle: KA)

Dieser Text erschien zuerst im aktuellen Digital Report zum Thema“ Digitale Mobilisierung für den ‚Wutwunter’“ des Else Frenkel-Brunswik Instituts. Den gesamten Bericht können Sie hier nachlesen.

Die Corona-Pandemie, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und auch die drohende Energiekrise sind allesamt Gründe, besorgt auf die kommenden Monate zu blicken. So ist es durchaus nachvollziehbar, dass Menschen sowohl auf psychologischer als auch gesellschaftlicher Ebene nach Erklärungen und Halt suchen. Diese Krisenerlebnisse verstärken die Entgrenzungserfahrungen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen. Aus der Perspektive der Kritischen Theorie leisten diese Erfahrungen autoritären Charakterstrukturen Vorschub.

Radikalisierung des „Querdenken“-Milieus

Die Querdenken-Proteste haben gezeigt, dass sich das vielschichtige, deutschlandweit und breit in der Gesellschaft vorhandene autoritäre Potenzial mobilisieren lässt. Verschwörungsnarrative liefern in diesem Zusammenhang zumindest scheinbar Erklärungen für als bedrohlich und schwer begreifbar wahrgenommene Zustände.

Es ist deswegen nicht verwunderlich, dass Verschwörungserzählungen vor allem im Rahmen von Krisen Popularität erfahren. Oftmals bleibt es in rechtsoffenen bis rechtsradikalen Milieus nicht bei passiver Rezeption oder verbaler Reproduktion von Verschwörungsglauben. Der „Sturm auf den Reichstag“ war lediglich der Beginn einer gefährlichen Massenbewegung, deren Mitglieder offen gegen die Demokratie hetzen.

Mit den Lockerungen der Corona-Maßnahmen sanken die Zahlen der Teilnehmer*innen an Protestveranstaltungen, gleichzeitig kam es jedoch zu einer zunehmenden Radikalisierung des „harten Kerns“ der Szene. Berechtigte Sorgen über die Zukunft werden zu einer permanenten, apokalyptisch anmutenden Bedrohung verstärkt. Das Abonnement schon weniger Telegram-Gruppen und -Kanäle bedeutet Nachrichten zum katastrophalen Zustand der Weltlage im Minutentakt.

Gerade bei Personen, die sich seit Jahren in der Szene radikalisiert haben, handelt es sich um die einzige Form von Nachrichten, die noch konsumiert wird – traditionelle Medien werden schließlich als „Fake News“ abgelehnt. Im verschwörerisch raunenden Tenor der Nachrichten sieht sich der aufrecht kämpfende Querdenker einer übermächtigen Kabale gegenüber, deren Entscheidungen nichts weniger als den gesellschaftlichen Kollaps zur Folge haben. Der sogenannte „Heiße Herbst“ steht vor der Tür und reaktionäre Gruppierungen und Führungsfiguren der verschwörungsideologischen und bis zur offen extrem rechten Szene rufen zum Sturz der Regierung auf. Für viele aus dieser Szene ist dies jedoch weniger beängstigend als tatsächlich begrüßenswert.

Geschlechtsspezifische Aspekte

Verschwörungsideologisches Denken tritt in allen gesellschaftlichen Milieus auf. Jedoch gibt es spezifische Gründe, wieso diese Ideologien für Menschen interessant sind. So werden Männern andere Identitätsangebote in verschwörungsideologischen Narrativen geboten als Frauen. Die Politikwissenschaftlerin Nele Weiher analysiert, dass eine männliche Affinität zu Verschwörungsgläubigkeit in einer Krise der Männlichkeit zu verorten ist: „Basierend auf einfachen Erklärungsansätzen, klar definierten Schuldigen und einem Weltbild, in dem es keine Zufälle gibt, bieten Verschwörungstheorien Halt in einer Welt, die dynamisch ist und sich (zu) schnell wandelt. Mit diesem Wandel einher geht für einige Gruppen der Verlust von Privilegien und das Gefühl, marginalisiert zu werden“.

Gerade für Männer korrelierten demnach die etwa in der Pandemie erfahrenen Ohnmachtsgefühle mit dem Gefühl von Kränkung: Hilflosigkeit ist innerhalb einer männlichen Selbstwahrnehmung nicht vorgesehen. Das Gegenbild hierzu ist ein Ideal von Maskulinität, das auf emotionaler Kälte, Härte, Stärke, Kampfbereitschaft, Autorität, Führungsbereitschaft etc. basiert. Diese Männlichkeitsvorstellung basiert auf der vehementen Abspaltung und Verachtung alles auch nur ansatzweise weiblich und queer konnotierten, auch bei sich selbst. In der Regel geht das Nacheifern dieser Männlichkeitsideale mit einer brutalen Selbstzurichtung einher.

Diese spezifische Form von Männlichkeit artikuliert sich regelmäßig in der Sehnsucht nach dem Ausnahmezustand. Die diesem Beitrag zugrunde liegende Analyse von über 300 Telegram-Gruppen und Kanälen mit Fokus auf dem Kanal „Prepper_Deutschland_Krisenvorsorger“ (über 19.000 Mitglieder) und der Gruppe „Deutschland Chat – Krisenvorsorge – Selbstversorgung – Eigenschutz – Ausrüstung – Jagdwesen – Heilmittel“ (über 2.500 Mit-
glieder) ergab eine besorgniserregende Faszination mit Krisenszenarien. Ausgehend von der vielfach analysierten engen Verknüpfung zwischen Faschismus und Männlichkeit ist es zwingend notwendig, auch hier eine geschlechtsspezifische Analyse anzuwenden.

Zwar sind genderbezogene Themen nicht das Hauptkampffeld der Querdenken-Bewegung und der im Umfeld agierenden Gruppierungen, dennoch werden diese immer wieder thematisiert – in der Regel auf antifeministische, biologistische Art und Weise. Dies manifestiert sich unter anderem in Transfeindlichkeit, der Ablehnung des Rechts auf Abtreibung, Hass gegen feministische Aktivistinnen, und regelmäßig auch in der Reproduktion stereotyper Geschlechterrollen.

Die Krise wird als Ereignis gesehen, in dem traditionelle Geschlechterrollen, die im Antifeminismus als von der immer jüdisch und weiblich bzw. queer konnotierten Moderne als entwendet begriffen werden, wieder an Relevanz gewinnen. Der Ausnahmezustand wird als Möglichkeit der Wiedergutmachung gekränkter Männlichkeit
ersehnt.

Kokettieren mit der Krise

Die Vehemenz, mit der auf Telegram der gesellschaftliche Kollaps prophezeit wird, lässt darauf schließen, dass dieser geradezu herbeigesehnt wird, um sich als Held und Kämpfer beweisen zu können. Regelmäßig wird mit Schreckensszenarien kokettiert. Vor allem in der QAnon-Szene geht dies häufig mit religiös aufgeladenen Apokalypse-Fantasien einher. Aufhänger ist derzeit vor allem das Thema Energiekrise: „Selbst die Mainstreammedien warnen in letzter Zeit immer häufiger vor einem großflächigen, langandauernden Stromausfall, einem sogenannten Blackout. Im Extremfall würde bei einem solchen Ereignis das gesammte [sic!] kontinentaleuropäische Stromnetz zusammenbrechen“, warnt der Kanal „Vereinigte Wahrheitsbewegung“ (27.08.2022).

Der Identitäre Martin Sellner prophezeit: „Dazu noch die fahrlässige Sanktionspolitik, deretwegen uns bald das Gas ausgehen könnte – und die sture „Energiewende“, die ohne Blackouts nicht kommen wird. Diese Irren regieren uns durch Bürgerkriege zurück in die Steinzeit!“ (Martin Sellner [TELEGRAMMELITE], 02.08.2022). Der Kanal „Soldaten & Reservisten“, dessen Abonnent*innen in der dazugehörigen Telegram-Gruppe regelmäßig extrem rechte Inhalte veröffentlichen, spinnt das Drohszenario noch etwas weiter:

„Die deutsche Verteidigungsministerin Christine Lambrecht und der Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn, kündigten eine neue Armeeeinheit mit dem Namen ‚Territoriales Kommando Bundeswehr (TerrFüKdoBw)‘ an, eine Art Gestapo, die ‚Ausweis bitte!‘ [sic!] Sitz ist Berlin. Nach Angaben der Bundeswehr übernimmt sie ‚die operative Führung nationaler Kräfte im Rahmen des Heimatschutzes, einschließlich der Amts- und Katastrophenhilfe sowie der Zivil-Militärischen [sic!] Zusammenarbeit‘.“ (02.08.2022)

Untermalt ist der Beitrag mit einem Bild schwer bewaffneter Soldaten. Noch deutlicher wird die extrem rechte und in Sachsen auf Telegram im gesamten Spektrum erfolgreiche Kleinstpartei Freie Sachsen. Ein 74.000-mal aufgerufener Beitrag beinhaltet einen eindeutigen Aufruf zum regressiven Umsturz: „Habeck droht: Energiekrise wird schlimmer als „Pandemie“! Das ist eine Kampfansage an alle Bürger: Nachdem die Regierung zwei Jahre die Bürger mit einer „Pandemie“ drangsaliert und in [sic!] ihrer Freiheit beraubt hat, geht es jetzt zur nächsten Angriffsstufe über. Nun soll die – selbstverschuldete (!) – Energiekrise als Begründung herhalten, um offenbar noch weitreichendere Eingriffe zu rechtfertigen. Würde die Bundesregierung eine vernünftige Außenpolitik führen, gäbe es eine solche Krise nicht. Würde unsere Politik eine sinnvolle Wirtschaftspolitik betreiben, statt vor grünen Klimajüngern zu kapitulieren und einen Kampf gegen den Wirtschaftsstandort Deutschland zu betreiben, gäbe es eine solche Krise auch nicht. Wir Bürger sollen für diesen Wahnsinn – wieder einmal – die Leidtragenden sein. Doch nicht mit uns!“ (22.06.2022)

Reaktionäre Geschlechtervorstellungen

Besonders vielsagend in Bezug auf das Verhältnis von Männlichkeit und Krisenfantasie ist der Artikel „Preppern – gestern als Verschwörungstheorie verspottet, heute vom Mainstream gefordert“ des Querdenken-Influencers Stefan Schubert, publiziert auf dem rechtsradikalen Blog „Jouwatch“: „Während der linke Mainstream Leitfäden für Gendersternchen verfasst und Toiletten für das dritte Geschlecht eingerichtet hat, haben die gleichen Protagonisten Prepper und Bürger mit Weitsicht wegen der Vorsorge für den nun eingetretenen Krisenfall mit Spott, Verachtung und den üblichen Nazi-Diffamierungen überzogen. Dabei sind Prepper, dies leitet sich vom englischen to be prepared ab, die scheinbar Einzigen im Land, die sich nicht vor unbequemen Wahrheiten gedrückt, sondern auch entsprechend konsequent vorgesorgt haben.“ (13.03.2022)

Ein Blick in die Gruppe „Deutschland Chat – Krisenvorsorge“ eröffnet tiefere Einblicke im Zeichen der Krise, deren unausweichliches Eintreten in zahlreichen Kommentaren hoffnungsvoll erwartet wird. Diese Sehnsucht wird immer wieder damit begründet, dass die Krise auch mit einer Wiederentdeckung traditioneller Geschlechterrollen einhergeht. Diese werden als positiver Gegenentwurf zu Feminismus, Queerness und alternativen Männlichkeitsentwürfen hochgehalten.

Der folgende Ausschnitt steht dabei stellvertretend für ähnliche Gespräche (die orthografischen Fehler in den Zitaten bleiben aufgrund ihrer Vielzahl ohne Hinweis):

HagediseDanubis, [08.10.2021, 09:16] [Antwort auf Rainer]: „Jap! Stricken, nähen, einkochen, backen, Vorräte für Winter vorbereiten war früher selbstverständlich für jede Frau. Genauso wie Tier schlachten und bauen für die Männer. Hab ein bisschen davon durch Beobachtung übernommen. Wie auch schlafen beim 8 Grad ins Haus. Vielleicht was das ganze die Vorbereitung für was wir jetzt erleben müssen. Und ein bisschen die anderen Menschen helfen da wo man kann. LG“

Rainer, [08.10.2021 09:22]: „Das hast Du sehr treffend beschrieben … aber so viel werden wir wahrscheinlich nicht helfen können weil 90 Prozent der Bevölkerung damit komplett überfordert sein werden, meine Vermutung…“

HagediseDanubis, [08.10.2021 09:29] [Antwort auf Rainer]: „Manche davon werden sich umbringen. Das zeigt auch die Krisen in anderen Ländern. Vermutlich auch die FFF Jugend.“

Verachtenswertes Gegenbild zu dem Endzeit-Helden ist hingegen der degenerierte, verweichlichte „neue Mann“, der sich impfen lässt oder gendert: „Die Koalition wählen, gendern, FFF unterstützen, in selbstgestrickten ungewaschenen lila Pullis mit “Atomkraft nein danke” Buttons herumlaufen, echte Männer blöd finden, weibliche Frauen blöd finden…“ (04.02.2022)

Weibliche Gruppenmitglieder überlegen wiederum, einen Prepper-Kanal für Frauen zu gründen, in dem darüber gesprochen werden soll, ob der Thermomix mit einer Powerstation betrieben werden könne (13.09.2022). Ebenfalls charakteristisch ist der sozialdarwinistische Bezug auf Stärke und Kampfbereitschaft, immer einhergehend mit der Verachtung des Schwächeren. Die Verachtung von Schwäche ist ein wiederkehrendes Element in Prepper-Gruppen. In über 500 Nachrichten zu unterschiedlichen Waffen tauschen sich zum Beispiel die Gruppenmitglieder über die Vorteile von Armbrüsten gegenüber Pistolen aus. Der Obsession mit der Fähigkeit, sich verteidigen zu können, liegt ein grundlegend menschenfeindliches Weltbild zugrunde: Eine solidarische Welt, in der der Mensch dem anderen Menschen nicht Wolf ist, scheint hier unvorstellbar. Stattdessen wird der eigene Wunsch nach dem Ausüben von Gewalt mit einem garantierten Bedrohungsszenario gerechtfertigt. Innerhalb patriarchaler Verhältnisse ist Gewalt ausgesprochen männlich konnotiert – es ist also naheliegend, dass die Fähigkeit, den Abzug zu drücken, als Beweis für die adäquate Performance von Männlichkeit verstanden wird. Ein Gruppenmitglied formuliert die Ideologie der Bewegung zusammenfassend folgendermaßen: „Vorbereitet zu sein bedeutet auch mental vorbereitet zu sein. D.h. mental stark zu sein. Ihr macht euch hier gegenseitig verrückt. Die Spirale eure mentalen Stärke geht immer weiter nach unten statt nach oben. Unverantwortlich wird es dann, wenn man andere mit nach unten zieht!“ (01.10.2022)

Gekränkte Männlichkeit

Für den faschistischen Typus Mann bedeutet die Moderne die permanente Kränkung. Anstatt jene Anerkennung zu erhalten, die ihm vermeintlich aufgrund von Geschlecht oder Hautfarbe zusteht, erfährt er Entfremdung von seiner Arbeit und (zunehmend) Kritik an seiner Vorherrschaft. Der Ausnahmezustand erscheint ihm verlockend, da er sich als starker und stoischer Antiheld oder gar Anführer seines Überlebendengrüppchens sehen kann, als eine Figur, die popkulturell regelmäßig in ausgesprochen erfolgreichen Franchises wie „Mad Max“ oder „The Walking Dead“ reproduziert wird. In dem gerade von faschistischen Männern regelmäßig falsch interpretierten Film „Fight Club“ schwärmt der Charakter Tyler Durden, Anführer einer männerbündischen Terrororganisation in einer Zukunft, in der Männer wieder Männer sein können und Elche jagen auf den verwaisten Autobahnen Amerikas. Sie sind nicht mehr verweichlicht durch die moderne Gesellschaft, sondern müssen jeden Tag aufs Neue ihre Stärke beweisen.

Der britische Journalist und Filmwissenschaftler Kim Newman kommentiert in seinem 2000 neu aufgelegten Buch „Apocalypse Movies – The End of the World in Cinema“, dass die Sehnsucht nach dem Ausnahmezustand Ausdruck eines „Halbwunsches nach dem Abstieg in eine Barbarei ‚alle gegen alle‘ sei, einhergehend mit der Vernichtung all der langweiligen Menschen auf der Welt“. Dies beschreibt sowohl die Verachtung, die autoritäre Persönlichkeiten den „Schlafschafen“ entgegenbringen, als auch die Kränkung, einem regulären Leben mit Lohnarbeit, Supermarktbesuchen und anderen Alltäglichkeiten nachgehen zu müssen, recht gut. Den Sturz in die Barbarei, in der sie sich glauben, endlich beweisen zu können, scheint ihnen die attraktive Alternative.

Es gibt durchaus andere Mittel und Wege, die momentane Krisensituation zu überwinden, als den gesellschaftlichen Kollaps herbeizusehnen: durch das Sprechen über legitime Ängste, durch Solidarität und durch progressive Kritik an jenen Herrschaftsverhältnissen, die Mitschuld an der momentanen gesellschaftlichen Lage haben. All dies ist für autoritäre Persönlichkeiten, deren einziger Ausweg aus der Krise die faschistische Heldenfantasie ist, jedoch ungenügend, da es keine narzisstische und identitäre Befriedigung verspricht. Eine Auseinandersetzung mit den regressiven Reaktionen auf die Krise muss deren sozialpsychologische und geschlechtsspezifische Hintergründe mit einbeziehen und hierfür grundlegende Antworten parat haben.

Dieser Text erschien zuerst im aktuellen Digital Report zum Thema“ Digitale Mobilisierung für den ‚Wutwunter'“ des Else Frenkel-Brunswik Instituts. Den gesamten Bericht können Sie hier nachlesen.

 

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