Weiter zum Inhalt

Berlin „Die Pandemie ist ein Brandbeschleuniger für Antiziganismus“

Die Dokumentationsstelle Antiziganismus (DOSTA) von Amaro Foro e.V. veröffentlicht die Dokumentation antiziganistischer Vorfälle 2019 und 2020 in Berlin. Der Verein stellt fest: Corona hat behördlichen und medialen Antiziganismus befeuert, Leidtragende sind die als Rom:nja gelesenen Menschen.

 
Video der Dokumentationsstelle Antiziganismus (DOSTA) zu ihrer Arbeit. (Quelle: Screenshot YouTube)

„Menschen mit selbst- oder fremdzugeschriebenem Roma-Hintergrund sind in Deutschland von vielfältigen Ausschlüssen und Stigmatisierungen betroffen, auf struktureller und individueller Ebene. Auf diese ohnehin äußerst prekäre Situation hat die Corona-Pandemie wie ein Brandbeschleuniger gewirkt und zu öffentlichen Diffamierungen ebenso wie existenzbedrohlichen Lebenslagen geführt“, erklärt Georgi Ivanov, Vorstandsmitglied von Amaro Foro.

Die Dokumentationsstelle Antiziganismus (DOSTA) dokumentiert und analysiert antiziganistische Vorfälle in ganz Berlin. In den Jahren 2019 und 2020 waren einige Themen besonders dominant: In deutschen Behörden, besonders in Jobcentern, sind Menschen mit selbst- oder fremdzugeschriebenem Roma-Hintergrund einer systematischen und strukturellen Kriminalisierung ausgesetzt, die häufig zur rechtswidrigen Verweigerung von Leistungen führt. Polizei- und Ordnungsbehörden nehmen Rom*nja und dafür gehaltene Menschen immer wieder im Rahmen von Racial Profiling ins Visier; dabei wurden zahlreiche Rechtsverstöße seitens der Behörden dokumentiert.

„Viele unserer Klient*innen befinden sich ohnehin in äußerst prekären Lebenslagen und waren dadurch auch von den Folgen der Pandemie in gravierendem Maße betroffen. Sie haben überproportional häufig ihre Arbeit verloren, während der Zugang zu sozialen Leistungen gleichzeitig noch stärker erschwert wurde. Menschen in prekären Wohnverhältnissen waren zur Zeit des Homeschoolings auch vom Zugang zu Bildung über Monate de facto ausgeschlossen. Im Fall von Corona-Ausbrüchen in Häusern, die als Roma-Häuser gelabelt wurden, wurden die Bewohner*innen durch Politik und Medien stigmatisiert und ihnen als Leidtragenden wurde selbst die Schuld zugeschoben – ein uralter antiziganistischer Mechanismus. Wir beobachten die Entwicklungen deshalb mit großer Sorge“, kommentiert Mariela Nikolova, Vorstandsmitglied von Amaro Foro.

Vor allem die Kinder seien durch mangelnde und verzögerte Unterstützung monatelang um ihr Recht auf Bildung und ihre Teilhabe gebracht worden – zumal viele das Homeschooling sowieso unter beengten, erschwerten Bedingungen absolvieren mussten. Rom*nja wurden immer wieder in den Medien als „Pandemie-Treiber“ durch „Roma-Häuser“ von „Großfamilien“ dargestellt – wobei die ethnischen Zuschreibung in diesem Fall nur eine stigmatisierende Funktion hatte und tradierten Diskrminierungen von Roma als Krankheitstreibern bedienten. Selten wurde in der Berichterstattung Problemanalyse oder Löungsansätze thematisiert – etwa beengte Wohnverhältnisse oder Arbeit in kontaktintensiven Branchen wie Handel oder Restaurants.

Berlins Justizsenator Dr. Dirk Behrendt begrüßt den Bericht: „Sint*izze und Rom*nja sind die wohl am stärksten diskriminierte Minderheit in Europa. Ich halte es für unerlässlich, die konkreten Fälle aufzuzeigen und zu dokumentieren, wie es durch DOSTA stattfindet. Nur anhand der konkreten Fälle kann gezeigt werden, was Ausgrenzung und Benachteiligung wirklich bedeutet und warum es so wichtig ist, diese Diskriminierung zu bekämpfen.“

Dabei geht ein Arbeitsauftrag auch direkt an Berliner Behörden: Die meisten Diskriminierungsfälle wurden im Umgang mit Behörden gemeldet, die etwa Anträge nicht annahmen, die sie hätten annehmen müssen, oder Betrugsversuche unterstellten.

Amaro Foro e.V. ist ein transkultureller Jugendverband von Rom*nja und Nicht-Rom*nja. Gemeinsam engagieren wir uns gegen Antiziganismus und für Teilhabe und Chancengerechtigkeit. Wir organisieren Bildungs- und Freizeitangebote für Jugendliche, bieten praktische Unterstützung im sozialen Bereich an und sensibilisieren in der Bildungsarbeit und in der politischen Debatte zum Thema Antiziganismus. „Amaro Foro“ ist Romanes und bedeutet „Unsere Stadt“.

Die Dokumentationsstelle Antiziganismus (DOSTA) existiert bei Amaro Foro seit 2014 und ist bundesweit das einzige Projekt dieser Art. Wir dokumentieren antiziganistische Vorfälle in Berlin in allen Lebensbereichen und veröffentlichen unsere Auswertungen. Mit gezielter Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit machen wir auf Antiziganismus aufmerksam und sensibilisieren politische und soziale Akteure ebenso wie die Medien.

Hier geht es zum ganzen Bericht:

https://amaroforo.de/wp-content/uploads/2021/07/DOSTA-Auswertung19_20.pdf

 

Belltower.News macht gemeinnützigen Journalismus, denn wir klären auf und machen das Wissen von Expert*innen zu Antisemitismus, Rassismus und
Rechtsextremismus und allen anderen Themen der Amadeu Antonio Stiftung für ein breites Publikum zugänglich.
Unsere Reportagen, Recherchen und Hintergründe sollen immer frei verfügbar sein und nie hinter einer Paywall verschwinden.
Dafür brauchen wir aber auch Ihre Hilfe.
Bitte unterstützen Sie unseren Journalismus, Sie helfen damit der digitalen Zivilgesellschaft!

Weiterlesen

morgenthau

Lagebild Antisemitismus Krisen mit antisemitischen Bauplänen

Die extreme Rechte versucht stets, antisemitische Verschwörungserzählungen in der Gesellschaft zu streuen- in der sogenannten Migrationskrise, in der Klima-, Corona-, Ukraine- und zuletzt in der Energie- und Versorgungskrise . Jede dieser Krisen bildete eigene Verschwörungserzählungen heraus, die an die neue Situation angepasst einem antisemitischen Bauplan folgen.

Von
rassismus tötet Seite3-06Juni-1920x822-1920x576

Chronik KW 29 Rechte Gewalt in dieser Woche

Wöchentlich stellen wir rechtsextreme, rassistische und antisemitische Gewalttaten bundesweit zusammen, um einen kleinen Überblick über die Alltäglichkeit rechter Gewalt zu geben. Zwar ist die Chronik absolut unvollständig, soll aber das Ausmaß klarmachen und wichtige Vorkommnisse enthalten.

Von
Halle Synagoge

Halle-Prozess „Nebenklägerin zu sein bedeutet für mich, die Deutungshoheit über meine Erinnerung zu haben“

Die Rabbinerin Rebecca Blady ist eine der 40 Nebenkläger*innen im Prozess gegen Stephan B. Ein Gespräch über verlorenes Vertrauen, familiäres Trauma und die Rolle der Nebenklage im anstehenden Gerichtsverfahren.

Von

Schlagen Sie Wissenswertes in unserem Lexikon nach.