Alternative Jugendkulturen und Strukturen bedürfen besonderer Anerkennung und Unterstützung, auch um jungen Menschen demokratische Angebote machen zu können und um Betroffene rechter Gewalt zu stärken. In der Praxis scheint es jedoch oft, als würden alternativen Projekten viele Hürden in den Weg gelegt werden. Ein Zustand, den einige junge Menschen in Grimma so nicht länger hinnehmen wollten.
Während es in größeren Städten umfangreiche Angebote der Jugend-, Geflüchteten- und Gemeinwesenarbeit gibt, sieht es im ländlichen Raum um Grimma eher mau aus. „In Grimma ist es ziemlich öde. Offene Angebote für Kinder und Jugendliche, aber auch für Erwachsene und ältere Menschen sind eher Mangelware,“ berichtet Chiara Dietze aus Grimma gegenüber Belltower.News.
Sie und ihre Mitstreiter:innen wollen ein Gegengewicht zum Jugendamt und zum Ausländeramt sein und zeigen, was es bedeutet, einen gesetzlichen Auftrag im Sinne der Menschen und nicht im Sinne der Institution umzusetzen. Chiara und weitere Freund:innen gründeten eine Firma, „Between The Lines“. Die gemeinnützige GmbH will eine unabhängige Finanzierungsstruktur für emanzipatorische Arbeit mit Jugendlichen und Geflüchteten im sächsischen Hinterland aufbauen.
„Mit unserem Engagement für die verschiedenen Arbeitsfelder der Firma verwirklichen wir unseren Traum von einem besseren Angebot für alle Menschen, die im Raum um Grimma leben und wirken“, so erklärt es Chiara Dietze. Sie wollen mit ihrer Firma einen Rahmen schaffen, um ins Gespräch zu kommen, Menschen zu vernetzen und Beratungsangebote zur Verfügung zu stellen. Unter anderem ein Büro in der Grimmaer Innenstadt soll dafür ein Ort sein.
Viele von den Aktivist:innen bei „Between The Lines“ engagierten sich vorher im antirassistischen Jugendprojekt „Dorf der Jugend“ an der Alten Spitzenfabrik in Grimma. Dort musst sie die Erfahrung machen, dass tatsächliche Partizipation von jungen Menschen weder gewünscht noch gewollt ist, weder von Kommunen noch von Trägern der Sozialen Arbeit, so beschreiben sie ihre Erlebnisse.
Niels Erlecke, Angestellter bei „Between The Lines“ erzählt: „Es sind nicht nur die Wahlergebnisse, die Angst machen können, sondern genauso der Umgang mit alternativen Strukturen und deren Arbeit.“ Die Erfahrungen aus der Arbeit an der Alten Spitzenfabrik hätten gezeigt, dass in der Stadt Grimma Engagement dringend notwendig sei.
Was Jugend und auch was Jugendarbeit ist, würde stets von Erwachsenen definiert, die eine bestimmte Norm vorgeben, in die es sich zu integrieren gilt, kritisiert Tobias Burdukat, der Geschäftsführer von „Between The Lines“ gegenüber Belltower.News. „Wir verstehen Emanzipation jedoch als eine Veränderung und Verbesserung der von Erwachsenen definierten Norm und diese Norm zu verändern bedeutet Gesellschaft zu verändern.“
Für die Interessen junger Menschen gibt es keine Lobby. „Wir möchten mit der Firma versuchen, dieses Loch zu stopfen und gleichzeitig versuchen auch ein anderes Modell eines Trägers der Sozialen Arbeit zu erproben. Was das Dorf der Jugend für die Jugendarbeit war, ist die Between the Lines gGmbH für das sogenannte Sozialmanagement,“ so Burdukat, der lange Zeit Sozialarbeiter im „Dorf der Jugend“ war.
2021 startete Burdukat mit einigen jungen Menschen eine große Spendenkampagne namens #hikefor, die von einer Alpenüberquerung begleitet wurde. Dank der zahlreichen Unterstützungen konnte das Spendenziel von 70.000 Euro erreicht werden. Seit Beginn des neuen Jahres ist „Between The Lines“ nicht nur eine gemeinnützige Gesellschaft, sondern ebenso Arbeitgeberin eine:r Streetworker:in, einer Person für die Gemeinwesensarbeit in Grimma und eine:r Netzwerkkoordinator:in am Runden Tisch Migration.
Es mag zunächst überraschen, dass in diesem Pilotprojekt Jugendliche und Geflüchtete zusammen gedacht werden. Burdukat erklärt, warum: „Weil beide Zielgruppen — Jugendliche wie auch Geflüchtete — in ein von Erwachsenen oder Deutschen vorgedachtes Normverständnis von einer Gesellschaft integriert werden sollen, ohne dabei Rücksicht darauf zu nehmen, ob sie dies überhaupt wollen.“ Beide Gruppen haben zudem das Potenzial unsere Gesellschaft zu verändern, weil sie in der Lage sind, anders und neu zu denken.
Wir wünschen „Between The Lines“ alles Gute für die Zukunft.