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Das gescheiterte NPD-Verbotsverfahren

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NgN dokumentiert die Chronologie der Verbotsdebatte 2000-2006

Eine schwierige Frage, die gegenwärtig nicht zum ersten Mal diskutiert wird: Wäre es sinnvoll, die NPD als verfassungsfeindliche Partei zu verbieten, so wie das 1956 mit der KPD geschah? Damals hatte das Bundesverfassungsgericht nach 5-jahre langen Beratungen die moskauhörige Kommunistische Partei Deutschlands und alle ihre Nachfolgeorganisationen verboten, weil aus ihren Bekenntnissen zum Marxismus-Leninismus abgeleitet wurde, dass die KPD eine Dikatur anstrebe und die Abschaffung des Grundgesetzes plane, auch wenn dies für sie aktuell nicht auf der Tagesordnung stehe. In diesem Sinne flammt auch immer wieder die Debatte auf, die in ihrem Kern ebenso demokratiefeindliche NPD zu verbieten. Doch 2003 scheiterte ein solcher Vorstoß.

Die erste Debatte über ein NPD-Verbot und das Verbots-Verfahren 2000-2003

Auslöser für die erste Debatte
Drei Ereignisse im Jahr 2000 waren Auslöser für die erste Debatte über ein Verbot der NPD: Im Juni traten Rechtsextremisten in Dessau den Mosambikaner Alberto Adriano zu Tode. Einen Monat später wurden bei einem Sprengstoffanschlag auf eine Düsseldorfer S-Bahnstation neun jüdische Aussiedler aus Russland verletzt. Bis Ende Juli registrierte die Polizei insgesamt 394 Gewalttaten, die möglicherweise einen rechtsextremen Hintergrund aufwiesen. Dazu kam im Oktober 2000 ein Brandanschlag auf die Synagoge in Düsseldorf. Auch wenn sich in diesem Fall später zwei Araber als Täter herausstellten und der Anschlag auf die Düsseldorfer S-Bahn bis heute nicht aufgeklärt werden konnte, schienen alle diese Ereignisse zum damaligen Zeitpunkt eine beunruhigende Tendenz zu bestätigen: rechte Gewalt und rechtes Denken nahmen wieder zu. Gleichzeitig agierte die NPD als ideologischer Arm der alten und neuen Rechten zunehmend selbstbewusster.

Verlauf der Debatte

Als erster brachte deshalb Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) ein Verbot der NPD ins Gespräch. So forderte er Anfang August 2000 die Bundesregierung auf, die notwendigen Schritte für die Vorbereitung eines Verbotsantrags einzuleiten. Beckstein: „Wir dürfen nicht zulassen, dass unter dem Schutz des Parteienprinzips neonazistisches Gedankengut gefördert wird.“ Mitte August setzte sich auch Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) für einen gemeinsamen Verbotsantrag von Bundestag und Bundesrat ein. Dabei argumentierte er ähnlich wie Beckstein: Schröder betonte, er sei es leid, wenn legale Strukturen benutzt würden, um rechtsradikale Gewalttaten zu begehen.

Nach Auswertung entsprechender Unterlagen des bayrischen Verfassungsschutzes sah Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) Anfang Oktober die Weichen für einen Verbotsantrag gestellt. Als erstes Mitglied der Bundesregierung erklärte Schily, es lägen nunmehr genügend Anhaltspunkte dafür vor, dass die NPD in bedeutendem Maße gegen die Verfassung verstoße. Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Wolfgang Clement, sprach sich Ende Oktober 2000 in einem Gespräch mit dem „Deutschlandfunk“ ebenfalls für ein Verbot der NPD aus. Clement: „Was gegen die NPD spricht ist die wachsende Neigung zur Gewalttätigkeit. Es ist ja bezeichnend, dass Waffenfunde bei Mitgliedern der NPD sich häufen, die Gewaltneigung steigt. Was gegen die NPD spricht ist, dass sie Rechtsbruch fördert aus ihren Reihen heraus, dass bei ihren Demonstrationen Skinheads, Gewalttäter und Neonazis eine herausragende Rolle spielen. Das alles spricht gegen die NPD oder spricht dafür, diese Partei, die in meinen Augen keine ist, zu verbieten.“ Kurz nach Schilys Vorstoß befürworteten auch die meisten Länder-Ministerpräsidenten ein Verbotsverfahren. Nach der Bundesregierung und dem Bundesrat schloss sich bald darauf der Bundestag als drittes Verfassungsorgan dem Vorschlag an ? mit den Stimmen von SPD, Grünen und PDS.

Zu diesem Zeitpunkt gab es aber auch Stimmen gegen ein NPD-Verbot. So sprachen sich einzelne Politiker von CDU, FDP und Grünen gegen ein Verbot aus. Sie sahen die Gefahr, dass ein solches Verbot andere rechtsextreme Parteien aufwerten würde. Guido Westerwelle (FDP) warnte außerdem davor, dass sich die NPD durch ein Verbotsverfahren als „Märtyrer“ in der rechtsextremen Szene aufspielen könnte. Und auch Volker Beck (Bündnis 90/Die Grünen) zweifelte den Sinn eines NPD-Verbots an. Beck stellte fest, dass es eine kulturelle Massenbasis für rechtsextreme Gedanken gebe und somit ein Verbot zwar einzelne Parteien aber nicht deren Ideologie treffen würde. Die Parteivorsitzende der Grünen, Renate Künast und der innenpolitische Sprecher der Partei, Cem Özdemir, warnten vor einer „vorübergehenden Entsorgung des Problems“ durch ein Verbot.

Bei den Grünen gab es aber auch Stimmen für ein Verbot der NPD. So sprach sich der grüne Umweltminister Jürgen Trittin für ein solches Verbot aus. Auch eine Mehrheit der Bevölkerung der Bundesrepublik spricht sich zu diesem Zeitpunkt für ein Verbot der NPD aus.
Die erste Debatte über ein NPD- Verbot und das Verbots-Verfahren 2000-2003

Verlauf des ersten Verbotsverfahrens

Im Dezember 2000 unterstützen SPD, CDU, Grüne und PDS den Antrag auf ein Verbot der NPD. Die grüne Bundestagsabgeordnete Annelie Buntenbach begründete den Schritt damals: „Die AntragstellerInnen sind mehrheitlich der Auffassung, dass das von den Verfassungsschutzbehörden gesammelte Material für den Nachweis ausreiche, die NPD sei mit der NSDAP ‚wesensverwandt‘ und sei nach ‚ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger‘ auf ‚aktiv-kämpferische, aggressive‘ Weise darauf aus, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden“. Die FDP lehnte ein Verbotsverfahren geschlossen ab. Der Antrag der Bundesregierung auf ein NPD-Verbot ging am 30. Januar 2001 beim Bundesverfassungsgericht ein. Am 30. März 2001 folgten die Anträge von Bundestag und Bundesrat. Einen Tag zuvor, am 29. März, hatte Bundesinnenminister Otto Schily bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2000 noch einmal die besondere Aggressivität der NPD in ihrem Kampf gegen die Verfassung der Bundesrepublik hervorgehoben. Der Bericht beweise laut Schily, dass die NPD ihren „Kampf um die Straße“ fortgesetzt habe.

Zahlreiche NPD-Mitglieder, darunter auch Funktionäre, seien im Jahr 2000 in rechtsextremistische Straftaten verwickelt gewesen. Außerdem bekenne sich die Partei offen zu ihrer Zusammenarbeit mit gewaltbereiten Neonazis. Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes bilde die NPD somit auch weiterhin eine Basis für eine organisierte Unterwanderung des demokratischen Rechtsstaates, für Antisemitismus und Rassismus, so Schily. Anfang Oktober 2001 entschieden die Verfassungsrichter, dass die drei Verbotsanträge „weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet“ seien. Damit nahmen die Anträge die erste Hürde. Ende des Jahres setzte das Gericht für Februar 2002 fünf Verhandlungstermine an. Für diese Termine wurden 14 „Auskunftspersonen“ eingeladen? überwiegend Funktionsträger der NPD. Am 22. Januar 2002 sagte das Verfassungsgericht die Februar-Termine allerdings wieder ab. Der Grund: Einer der 14 geladenen NPD-Funktionäre hatte sich als V-Mann entpuppt. In der Folgezeit mussten die drei Antragsteller Bundesrat, Bundestag und Bundesregierung die Existenz von weiteren V- Leuten in der NPD zugeben.

Ende Februar 2003 legte das Verfassungsgericht den 18. März als Termin für die Bekanntgabe zum Verfahrensfortgang fest. An diesem Tag verkündete das Gericht dann, dass drei der sieben beteiligten Richter die Fortsetzung des Verfahrens abgelehnt haben. Damit war das erste Verbotsverfahren gegen die NPD gescheitert.

Die neue Debatte über ein NPD- Verbot 2005 und 2006

Auslöser für die neue Debatte
Wie bei der ersten Debatte gab es auch für die aktuelle Diskussion mehrere Auslöser. Im sächsischen Landtag sorgte die NPD gezielt für öffentlichkeitswirksame Provokationen. Zu einem Eklat kam es im Januar 2005, als NPD-Abgeordnete sich zunächst einer Gedenkminute für die Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft entzogen und dann in einer aktuellen Stunde die Alliierten als „Massenmörder“ bezichtigten und als Verantwortliche für einen „Bomben-Holocaust“, der nicht im Zusammenhang mit der Machtergreifung Hitlers und dem von den Nationalsozialisten entfesselten Zweiten Weltkrieg zu sehen sei. Doch eine solche Leugnung oder Rechtfertigung der Verbrechen des Naziregimes gilt als Volksverhetzung und ist nach § 130 StGB strafbar, so dass daraufhin ein Strafverfahren eingeleitet wurde.

Eineinhalb Jahre später flammte die NPD-Verbotsdebatte erneut auf, als während der Landtagswahlkämpfe in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin im September 2006 Wahlhelfer demokratischer Parteien von Rechtsextremisten bedroht und zusammengeschlagen wurden Außerdem störten Rechtsextreme gezielt und massiv Wahlveranstaltungen der demokratischen Parteien. Bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern zog die NPD schließlich mit 7,3 % in den Schweriner Landtag ein und in Berlin ist die Partei seitdem in vier Bezirksverordnetenversammlungen vertreten.

Verlauf der Debatte: Der Eklat im Sächsischen Landtag

Nach dem Eklat im sächsischen Landtag Ende Januar 2005 betonte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans- Jürgen Papier, dass die Einstellung des NPD-Verbotsverfahrens im Jahr 2003 „keine Vorentscheidung über künftige Verbotsanträge“ darstelle. Außerdem stellte Papier ausdrücklich fest, dass das Verfassungsgericht in dem gescheiterten Verfahren „keine Entscheidung über die Frage der Verfassungswidrigkeit der NPD getroffen“ habe. Papiers Stellvertreter Winfried Hassemer unterstütze diese Haltung. Allerdings wies er auch darauf hin, dass die Antragsteller bei einem erneuten Anlauf dafür sorgen müssten, dass kurz vor und während eines Verfahrens Spitzel aus den Führungsgremien der NPD abgezogen oder zumindest abgeschaltet werden. Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD, kündigte an, ein neues Verfahren zu prüfen. Der DGB- Bundesvorstand sprach sich für ein NPD- Verbot aus: „Die NPD hat sich mit ihrem Auftreten im Sächsischen Landtag zum 60. Jahrestag der Zerstörung Dresdens wieder einmal als parlamentarischer ‚Brückenkopf‘ des menschenverachtenden Rechtsextremismus erwiesen. Ihre politischen Ziele sind eindeutig antidemokratisch und rassistisch. Der DGB fordert daher die Politik auf, eindeutig ein Verbot rechtsextremer Parteien anzustreben.“ Gleichzeitig rief der Gewerkschaftsbund aber auch „alle Demokraten in den Parlamenten und in der Gesellschaft? dazu auf, „sich mit rechtextremen Gedankengut und Verhaltensweisen offensiv politisch auseinandersetzen“. Auch der CDU- Generalsekretär Volker Kauder sprach sich für einen neuen Anlauf des NPD- Verbots aus. Er forderte die Bundesregierung allerdings dazu auf, dafür zu sorgen, „daß ein solcher Antrag Erfolg hat“.

Die neue Debatte über ein NPD-Verbot 2005 und 2006

Paul Spiegel, damaliger Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, warnte dagegen: „Man soll nicht glauben, dass durch Aktionismus das Problem des Rechtsextremismus gelöst wird“. Ein weiteres Verbotsverfahren lehne er zwar nicht generell ab, allerdings mahnte Spiegel ähnlich wie Kauder, dass dieses sehr sorgfältig geprüft werden müsse. Außerdem betonte der Präsident des Zentralrats, dass mit einem Verbot Rechtsextremismus, Antisemitismus und die bei vielen NPD- Wählern anzutreffende Unwissenheit über die Vergangenheit Deutschlands nicht beseitigt seien. Spiegel: „Das Verbot der NPD wird am besten ausgesprochen durch die Wähler.“

Bayerns Innenminister Günter Beckstein ? im Jahr 2000 Initiator des Verbotsverbotsverfahrens? verwies auf die hohen Hürden, die das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung 2003 für ein Parteienverbot gelegt habe. Außerdem betonte der CSU- Politiker, es sei derzeit schwierig, der NPD eine „massive kämpferische Haltung gegen die Verfassung nachzuweisen“ . Aus diesen Gründen lehnte Beckstein ein neues Verbotsverfahren gegen die NPD ab. Auch der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), im Jahr 2000 ebenfalls Befürworter eines NPD- Verbots, sah kaum Chancen für ein neues Verbotsverfahren. Zwar würden die Möglichkeiten dafür weiterhin geprüft, aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt sei er „sehr skeptisch“, sagte Schily. Denn: Die Zusammensetzung des betreffenden Senats beim Bundesverfassungsgericht habe sich nicht geändert. Da sei er sich mit Bundeskanzler Gerhard Schröder völlig einig.

Die Grünen standen zu diesem Zeitpunkt ebenfalls einem neuen NPD-Verbotsverfahren skeptisch gegenüber. So sagte der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, er halte das „Risiko eines neuen Verbotsverfahrens für zu hoch“, da seines Wissens die Ämter für Verfassungsschutz ihre Beobachtungspraxis bei der NPD „nicht fundamental geändert“ hätten. Gemeint war hiermit die Arbeit von V- Männern in der NPD. Außerdem warnte Beck davor, dass ein neues Verfahren gegen die NPD der Partei nicht „nur erneut Aufmerksamkeit sichern“ sondern im Falle eines Scheiterns „womöglich einen weiteren Sieg schenken“ könnte . Ähnlich argumentierte auch der Vize-Vorsitzende des Dresdner Hannah-Arendt-Instituts, Uwe Backes: Dieser warnte davor, dass durch „die Auseinandersetzung mit der NPD nicht nur aufgeklärt, sondern auch angelockt“ werde. Die Dauerpräsenz der Partei in den Medien habe auch den ungewollten Effekt einer monatelangen kostenlosen Werbekampagne.

Wie Beck verwies auch der Präsident des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes, Hartwig Möller, auf die V- Mann- Problematik: „In einem Parteiverbotverfahren muss die Verfassungswidrigkeit durch eine aggressiv-kämpferische Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung belegt werden“, so Möller. Mit Material aus offenen Quellen sei dieser Nachweis aber äußerst schwer zu führen, gab er zu bedenken. Denn: Die NPD werde während eines Verbotsverfahrens versuchen, jede verfassungsfeindliche Aktivität in der Öffentlichkeit zu vermeiden. Um die verfassungsfeindlichen, rassistischen und antisemitischen Pläne zu erkennen und zu bekämpfen, „brauchen wir Insider-Informationen von V-Leuten“. Auch Geheimdienstler hatten zuvor darauf hingewiesen, dass V-Leute in den Reihen der Rechtsextremen notwendig seien, um verfassungsfeindliche Pläne zu erkennen.

Verlauf der Debatte: Der Wahlkampf in Mecklenburg- Vorpommern und Berlin

Angriffe von mutmaßlichen Rechtsextremisten auf Wahlkämpfer in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern im Spätsommer 2006 entfachten vor allem in der SPD die Debatte über ein Verbot der NPD neu. Sowohl SPD als auch CDU hatten Übergriffe von Neonazis gemeldet. Ende August 2006 sprachen sich die SPD-Fraktionschefs in Bund und Ländern für einen erneuten Anlauf zu einem NPD-Verbot aus. Peter Struck, Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion im Bundestag, forderte das Bundesinnenministerium und die Landesämter für Verfassungsschutz auf, die Voraussetzungen für ein neues Verbotsverfahren zu prüfen. Auch die Jugendorganisation der SPD sprach sich für ein neues NPD-Verbotsverfahren aus? in Berlin waren kurz zuvor zwei Wahlhelfer der Jusos von Rechtsextremisten zusammengeschlagen worden. „Es müssen alle Möglichkeiten genutzt werden, um diese nazistische und aggressive Organisation zu zerschlagen“ , so der Bundesvorsitzende der SPD- Jugendorganisation, Björn Böhning.

Der SPD-Abgeordnete Klaus Uwe Benneter warnte allerdings: „Es darf nicht noch einmal einen Schuss in die Luft geben. Der nächste Schuss muss sitzen“. Denn: Das Verfahren vor drei Jahren sei ein „fürchterlicher Rohrkrepierer“ gewesen. „Ich warne alle davor, sich aus der hohlen Hand noch einmal diesem Thema zu nähern“, sagte Bennetter . Ähnlich begründete auch der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Wolfgang Bosbach, seine Skepsis gegenüber einem neuen NPD- Verbot: „Der Staat kann sich eine weitere Blamage nicht leisten (?) Mir ist nicht bekannt, daß sich die Lage seitdem grundsätzlich geändert hat.“

Verlauf der Debatte: Nach den Wahlen in Mecklenburg- Vorpommern und Berlin am 17. September

Nach dem Einzug der NPD in den Schweriner Landtag und in vier Berliner Bezirksverordnetenversammlungen regte der SPD-Fraktionschef Peter Struck erneut Gespräche über ein mögliches NPD-Verbot an. Gemeinsam mit Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) wolle er die Chancen für ein Verbotsverfahren ausloten, so Struck. Unterstützung fand dieser Vorstoß vom SPD-Landeschef von Mecklenburg? Vorpommern, Till Backhaus. Allerdings warnte dieser: „Es muß vieles dabei bedacht werden (?). Es gibt hohe Hürden, die Demokratie darf dabei nicht Schaden nehmen“. Auch Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sprach sich für einen neuen Anlauf für ein NPD-Verbotsverfahren aus: „Es ist unerträglich, daß die Neonazis dank des Parteienprivilegs mit einer nicht zu überbietenden Dreistigkeit auftreten und daß sie öffentliche Gelder für Büros und andere Infrastruktur etwa aus der Wahlkampfkostenerstattung kassieren“. Gleichzeitig forderte Wowereit die Innenminister von Bund und Ländern auf, diesmal einen Verbotsantrag so sorgfältig vorzubereiten, daß er nicht erneut vom Bundesverfassungsgericht gekippt wird: „Diesen Triumph dürfen wir der NPD nicht gönnen“. Wowereit räumte allerdings ein, dass man mit einem Verbot der NPD rechtes Gedankengut nicht beseitigen könne.

Auch der Vorsitzende der Linksfraktion.PDS im Sächsischen Landtag, Peter Porsch, begrüßte einen neuen Anlauf für ein NPD-Verbotsverfahren: „Mit den Reden der NPD-Abgeordneten im Sächsischen Landtag liegt neues Material für ein Verbotsverfahren gegen die NPD vor. In der Zwischenzeit hat sich dieses Material durch Auftritte von NPD-Rednern im Parlament weiter angehäuft. Zugleich sind wir allein in Sachsen mehr als ein Dutzend Mal im Jahr mit unerträglichen Nazi-Aufmärschen in immer mehr Städten konfrontiert, die vor Gerichten mit Verweis auf die Gesetzeslage oft genug rechtlichen Schutz erfahren. Eine ernsthafte Prüfung eines neuen Verfahrens mit dem Ziel des Verbots der NPD ist daher längst überfällig, zumal das erste Verfahren nur an V-Leuten des Verfassungsschutzes gescheitert ist.?

Die neue Debatte über ein NPD Verbot 2005 und 2006

Auch der Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan Kramer, zeigte sich persönlich nicht überzeugt von der Idee eines neuen Verbotsverfahrens gegen die NPD. Kramer: „Es gibt im Zentralrat Stimmen, die für ein Verbotsverfahren plädieren, und solche, die dagegen sind. Mehrheitlich sind wir für ein kombiniertes Vorgehen: Sollte sich herausstellen, dass genug Beweise vorliegen, um ein Verfahren erfolgreich abzuschließen, dann sollte man es auch einleiten.“ Gleichzeitig warnte er aber: „Solange wir Gefahr laufen, möglicherweise ein zweites Mal zu scheitern, was noch verheerendere politische Auswirkungen hätte als beim ersten Mal, dann sollte man es lassen.“ Er persönlich halte aber grundsätzlich von solchen Verboten nichts, so Kramer weiter. Denn: Es treibe die Akteure nicht nur in den Untergrund, sondern möglicherweise auch einfach in neue Strukturen. Das sei dann alter Wein in neuen Schläuchen. Außerdem werde durch ein Verbot das Gedankengut, „für das die NPD Resonanzboden und Initiator ist, nicht aus der Welt [ge]schaff[t]“. Demokratie habe nun einmal mit Grundprinzipien zu tun, die „nicht immer einfach und angenehm sind. Wir würden uns als Demokraten disqualifizieren, wenn wir diese Spielregeln permanent danach änderten, wie sie uns im Alltagsgeschäft gefallen. Wir müssen mit den Mitteln der Demokratie – und ich denke, sie hat genug Mittel ? vorgehen“.

FDP-Generalsekretär Dirk Niebel wandte sich ebenfalls gegen ein erneutes NPD-Verbotsverfahren. Man müsse sich mit „Rattenfängern politisch auseinander setzen“, betonte er. Ähnlich argumentierte der Brandenburger FDP-Landesvorsitzende Heinz Lanfermann: Zusätzliche Arbeitsplätze, eine gute Bildung und mehr Eigenverantwortung stärkten die Demokratie. Aufgeregte Empörung über die Wahlerfolge von Rechtsradikalen brächten extremistischen Parteien eher mehr Zulauf . Und auch der Generalsekretär der CDU in Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz Caffier, warnte: „Wir wissen, daß die NPD aus dem letzen Verbotsverfahren eher gestärkt als geschwächt hervorging“. Es komme eher darauf an, „sich mit allen Mitteln der demokratischen Parteien im künftigen Landtag gemeinsam mit der NPD auseinanderzusetzen“. Der sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) betonte ebenfalls, daß Verbote nicht die Hauptform der gesellschaftlichen Auseinandersetzung sein könnten

Generalbundesanwältin Monika Harms nannte einen neuen Anlauf zum einem Verbotsverfahren „nicht sehr erfolgsträchtig“. Einen Grund für das Erstarken der Rechtsradikalen sah sie darin, dass sich die großen Parteien „um manche Problemfelder nicht genug kümmern“. Der Rechtsexperte und Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Beck, stimmte der Generalbundesanwältin mit ihrer Einschätzung über die Chancen eines neuen Verbotes zu. Nach dem Wahlerfolg der NPD in Mecklenburg-Vorpommern erneut über ein Verbot der Partei nachzudenken, sei als politisches Signal gut gemeint, „aber keine kluge und Erfolg versprechende Strategie“. Beck verwies in diesem Zusammenhang auch wieder auf das V-Mann-Problem: „Nach der aktuellen Rechtslage müssten rechtzeitig vor einem neuen Verfahren sämtliche V-Leute in der NPD abgeschaltet werden.“ Wolfgang Bosbach stellte sich ebenfalls hinter Harms. Es gebe keine neue juristische Lage, so der CDU- Politiker.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) Nordrhein-Westfalen lehnte ebenfalls ein Verbot der rechtsextremen NPD ab. „Der Ruf nach dem Verfassungsgericht ändert nichts in den Köpfen der Menschen, die fremdenfeindlichen oder nationalistischen Parolen auf den Leim gehen“, sagte der GdP-Landesvorsitzende Frank Richter. Vielmehr müsse den Rechtsradikalen mit überzeugenden politischen Konzepten das Wasser abgegraben werden.

Auch eine große Mehrheit der Bundesbürger lehnt rechtsextreme Parteien ab, ist aber gegen Parteienverbote. Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos im September 2006 zufolge, glauben 86 Prozent der Deutschen, dass rechtsextreme Parteien nicht durch Verbote zu bekämpfen sind.

Dieser Text stammt aus dem Online-Dossier zum Thema Rechtsextremismus der Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de/rechtsextremismus
Erstveröffentlicht am 8.11.2007

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