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Der Pfarrer und die braunen Schafe – Die Gemeinde der Familie Apfel

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Wenn Pfarrer Ludger Kauder wieder für seine Nazis betet, dann so: »Es wäre genial, Herr, falls Du etwas von Deinem Geist zu uns schicken könntest. Hilf diesen Hirnlosen, den richtigen Weg zu finden!«

Denn Kauder hat die NPD im Haus.

Ludger Kauder, 47, ist ein heiterer Mann Gottes. Er sächselt ganz himmlisch, obwohl er aus Thüringen stammt. Die »Hirnlosen«, damit meint Riesas Priester Deutschlands bekannteste Neonazi-Familie; er meint NPD-Chef Holger Apfel und dessen Frau Jasmin, Mitglied im Bundesvorstand des Rings Nationaler Frauen. Die Apfels leben in Riesa. Und das ist Kauders Problem. Ein, wie er sagt, ziemlich braunes.

Denn diese Apfels gehören der Kirche an. Drei Kinder hat die Familie, sie sind alle katholisch getauft. Der älteste Sohn, neun Jahre alt, feierte jüngst seine Erstkommunion. Holger Apfel war dabei. Ein Nazi in der Kirche! »Erlöse uns von solchem Übel«, das hofft manchmal der bärtige Kauder. Das Übel, es heißt in diesem Fall Apfel.

Willkommen in St. Barbara, Riesas katholischer Pfarrei: 1573 Seelen, tief in der sächsischen Diaspora, auf halber Strecke zwischen Leipzig und Dresden. Wenig Glaube ist in Riesa, der alten Stahlstadt. Kirchenmüde wurde das Volk im Laufe von zwei Diktaturen. Es gibt manche verlorene Seele. Wer wüsste das besser als Kauder, der seit gut fünf Jahren auf die Menschen hier achtet. In einer Stadt, die das Leid mit den Nazis weit heftiger plagt als andere Orte der Region. Hier sitzen die Führungskader der NPD, weil die Rechtsextremen im Ort eine Propagandazentrale betreiben ? der Verlag Deutsche Stimme verschickt von dort aus seine Parteipostille ins ganze Land. Apfel, aus Hildesheim stammend, war einst Chefredakteur der Zeitung.

Der 41-Jährige, Fraktionschef der Partei in Sachsens Landtag; praktizierender Katholik seit früher Kindheit, ist getauft und gefirmt. Er ist ein Mann, der über »arrogante Wohlstandsneger« hetzt: So gleich wie vor Gott sind die Menschen vor der NPD eben nicht. Über Religion will Apfel nicht sprechen, sie gilt als unschick in seiner Partei, auch wenn es einen Arbeitskreis dafür gibt: »Christen in der NPD«. Niemand weiß so recht, was die Leute dort bereden. Aus der Kirche, vermeldet die Partei, sei ihr Chef bereits ausgetreten. Man muss bei seiner Frau nachfragen, um etwas über Apfels Glauben zu erfahren.

Jasmin Apfel, 28 Jahre alt, ist aktiver Kader in der rechtsextremen Szene, auf Kundgebungen oft an der Front, sie gilt als Erste Hausfrau der NPD. Sie hat, das sagt sie selbst, den Katholizismus zurück in Apfels Leben gebracht, als »aktives Kirchenmitglied«. Sonntags ist sie im Riesaer Gottesdienst, und manchmal nimmt sie den Mann mit dorthin. Sie bringt die Kinder zu Pfarrer Kauder, zum Gemeindekindergarten und Religionsunterricht. In der Weihnachtszeit, sagt Apfel, gehe stets auch ihr Mann mit in die Kirche. »Dass die Kinder getauft werden, war auch seiner Familie wichtig«, sagt sie.

Und Frau Apfel engagiert sich in Kauders Pfarrei. Etwa im Kinder-Liturgiekreis, wo sie hilft, Familiengottesdienste vorzubereiten. Neulich hat sie Plätzchen gebacken, mit dem Nachwuchs der Gemeinde. Ein Telefonat also mit ihr: Rechtsextremismus und Kirche ? wie passt das zusammen, Frau Apfel? »Warum sollte das nicht passen?«, fragt sie. »In der Kirche werde ich als Mensch akzeptiert. Dort handeln die Leute aus Nächstenliebe.«

Was tun, wenn Menschenfeinde Nächstenliebe einfordern?

Eine Crux ist das für Kauder ? was tun, wenn Menschenfeinde Nächstenliebe einfordern? Verweigern kann er sie ihnen nicht, auch wenn das vieles leichter machte. Was soll, das ist die Frage, eine Kirche tun, wenn ihr Rechtsextreme angehören?

»Darf man Nazis konfirmieren?«, so hieß ein Planspiel auf dem Evangelischen Kirchentag in Dresden 2011. Ausgerichtet war es von der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus. Mutig stritt die Runde, eine Antwort war kaum zu finden. Am Ende stand ein: »Ja. Aber…«

Und was sagt Pfarrer Kauder? Darf man Nazis etwa firmen? »Ja!«, ruft er entschlossen. »Natürlich! Es ist unsere Profession, dass wir uns um die Menschen kümmern. Auch Apfels muss ich die Türe öffnen.« Die Apfels hier zu haben, das sei doch Last und Chance zugleich.

Theologisch ist die Sache klar. Nicht bloß für Kauder gilt das Wort: Weise den Sünder nicht ab. Weise ihm den Weg! Die Frage ist, wie man das praktisch macht. »Da wird das Christsein zum Knochenjob!«, sagt Kauder.

Er könne die Apfels nicht aus der Kirche werfen. »Und ich will es auch nicht tun. Dass wir die NPD beschissen finden, wissen wir. Dass wir den Apfel dulden müssen, wissen wir aber auch.« Die Rechten zu verbannen könne keine Lösung sein.

„Sie werden in meiner Gegenwart nie rassistisch reden. Die sind aalglatt.“
Die eine Frage, sagt Kauder, habe er den Apfels schon öfter gestellt: »Eure Ideologie ist menschenverachtend. Wie kriegt ihr das mit dem Glauben zusammen?« Eine Antwort hätten sie nicht gefunden. »Sie fingen an, zu lavieren. Sie werden in meiner Gegenwart und überhaupt im Kirchenkreis auch nie rassistisch reden. Die sind aalglatt. Darauf trainiert, sich immer herauszuwinden.«

Sie müsse, sagt Jasmin Apfel dazu, eben sehr darauf achten, was sie in der Gemeinde sage. »Um den Kindern nicht zu schaden.«

Und deshalb scherzt der Geistliche. »Mir ist doch lieber, Frau Apfel backt bei uns Plätzchen, als dass sie draußen herumläuft.« Und dann ergänzt er lachend: »Das Einzige, das bei uns braun werden kann, ist der Schokoguss.« Denn wir sind wachsam, soll das heißen. Wir beobachten sie. Woanders gibt es diese Kontrolle nicht.

Kauder ist keiner, der die Nazis unterschätzt. Es war vor fast zehn Jahren, als er sein schlimmstes Erlebnis mit ihnen hatte. Damals musste er einen Mann beerdigen, der hatte aussteigen wollen aus der rechten Szene. Die eigenen Kameraden sollen ihn totgeschlagen haben. Kauder sagt, er sei deshalb schon lange ziemlich unerschrocken. »Wenn ich hier keine klaren Worte finde, wer soll es bitte dann tun?«

Es gärt jedoch in seiner Gemeinde. Nicht jeder will die Nazis tolerieren. Rechtsextreme im Gottesdienst! Manche grämt das. Es zerrt am inneren Frieden. »Dieser Apfel«, schimpft Markus Mütsch (CDU). Riesas Finanzbürgermeister ist ebenfalls Mitglied der Gemeinde. Müsse er, fragt Mütsch, diesem Clan denn wirklich auch im Gottesdienst ausgesetzt sein? Und der Pfarrgemeinderat debattierte bereits ? die Apfels gehörten ausgeschlossen! Eltern liefen Sturm. Mein Kind, fragten sie, soll mit Apfels Spross im Religionskurs sitzen? Herr Pfarrer, rief mancher, tun Sie doch was!

»Klar, dass die Leute Angst bekommen«, sagt verständig Ludger Kauder. Daher laute seine erste Regel: Niemals lassen wir Frau Apfel aus den Augen. Trifft sie auf Kinder, passen wir mit auf. Und kommt gar noch ihr Mann, dann sind wir doch erst recht ganz höllisch auf der Hut!

Ins Gesicht sagt es ihr niemand

Freilich, die Gläubigen schnitten die Mutter und sprächen mit ihr nur das Nötigste. Ins Gesicht sage ihr aber niemand: »Hier wollen wir euch nicht!« Nur beim Pfarrer beschwere man sich. Könne der nichts tun? ? Pfarrer, geht das? ? Pfarrer, machen Sie! Nein, sagt Kauder dann, er mache nichts. Wir müssen das aushalten, sagt er.

Menschen wie die Apfels nicht gleich zu verstoßen ? dies ist der Kurs des ganzen Bistums. Natürlich sagt Joachim Reinelt, Bischof von Meißen-Dresden: »Rechtsradikale Gesinnung hat in unserer Kirche keinen Platz.« Neonazis müsse »auf allen Ebenen wachsam entgegengetreten werden, auch in unseren Pfarreien«. Man wolle jedoch nicht ? und da denkt Reinelt wohl an Riesa ? »über einzelne Verwandte von Rechtsextremisten oder ganze Familien den Stab brechen«. Denn: »Sippenhaft, wie im NS-Staat praktiziert, gibt es bei uns nicht.« Es bleibe Aufgabe der Pfarrer und Gemeinden, vor Ort Mut und Zivilcourage zu beweisen.

Das will Reinelts Mann in Riesa, Ludger Kauder, gerne tun. Unsere Türe steht offen, sagt Kauder. Gerade für die Sünder.

„Wer mit Apfels nichts zu tun haben will, überlässt ihnen das Feld“

Selbst durch Apfels Tür schritt Kauder schon. Der Pfarrer besuchte die Familie zu Hause, zur Vorbereitung der Erstkommunion. Das sei so üblich, das mache er immer. Die Stadt zerriss sich danach das Maul. »Herr Pfarrer war bei ?n Radikalen!« Kauder sagt dazu, er sei ja auch Gefängnisseelsorger. In Zeithain, dem großen Männerknast. Dies sei eben seine Pflicht, hinzugehen, wo es schmerzhaft ist. »Im Knast triffst du Vergewaltiger«, sagt Kauder. »Und weißt genau, dass deren Schuld keiner wegdiskutieren kann. Und doch wäre ich froh, wenn sie den Weg zurück ins Licht finden würden.« Das wünscht er sich auch für die Apfels.

Eine Sorge bloß hat er: dass die Familie ihn nur zu sich einlädt, um gesellschaftsfähig zu bleiben. Um sagen zu können: Seht her, sogar der Pfarrer besucht uns! So schlimm können wir ja wohl nicht sein! Dass man ihn instrumentalisiert. Da müsse er achtsam sein. Aber seine Arbeit ? die werde er tun.

Kauders Problem ist jenes, das die Gesellschaft immer quält. Was macht man, wenn die Braunen versuchen, sich hier und dort zu engagieren? Wenn sie, wie die Riesaer NPD-Frau Ines Schreiber, als Schöffen an Amtsgerichte drängen? »Die Nazis«, sagt Kauder, »setzen dort an, wo kein anderer die Arbeit machen will. Da wittern sie ihre Möglichkeit. Die schenken Glühwein aus vorm Plattenbau.«

Dabei sei doch das denkbar Schlimmste: dass Menschen immer, wenn Apfels auftauchten, selbst die Flucht ergriffen. »Wenn die Pädagogin sagt: Ich kündige hier, wenn die uns ihre Kinder bringen. Denn wer mit Apfels nichts zu tun haben will, überlässt ihnen das Feld. Nur wer ihnen begegnet, kann ihnen auch etwas entgegensetzen.«

Der Pfarrer sitzt nun am Mittagstisch. In Riesas Zentrum, Lessingstraße. Hier war mal ein Offizierskasino ? bis nach dem Ersten Weltkrieg. Dann wurde es zur Kirche geweiht. Es gibt scharfe Gemüsesuppe bei Kauder, »die macht den Kopf schön frei.« Seine Mitarbeiter essen mit. »Im Fall der Apfels sind wir als Christen gefragt!« Das sagt Wolfgang Breitling, der Hausmeister. Er ist Mitglied im Pfarrgemeinderat. »Wir müssen die Familie zu uns ziehen! Sie im christlichen Glauben wachsen lassen. Ihnen unser Weltbild zeigen!«

Was könne denn ein Mensch dafür, dass zwei Neonazis seine Eltern seien

Und wenn schon die Eltern nicht mehr zu retten seien, sagt Kauder, dann doch wenigstens die Kinder! Was könne denn ein Mensch dafür, dass zwei Neonazis seine Eltern seien.

Es gibt eine Geschichte, von der man sich in der Gemeinde erzählt: Im Religionskurs lehrte des Pfarrers Assistent die Kinder ein jüdisches Liedchen, um die Wurzeln des Glaubens erfahrbar zu machen. Auch ein Kind der Apfels sang begeistert mit. Das sind sie, Kauders kleine Hoffnungen. Dass ein frommes Shalom Chaverim den Weg ins Haus von dieser Familie findet. Dann hätte sich doch jede Mühe gelohnt.

Dieser Artikel erschien zuerst am 19.01.2012 bei ZEIT online. Mit freundlicher Genehmigung.

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