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„Down the rabbit hole“ Psychologie der Verschwörungsideologie

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(Quelle: Pixabay)

Down the rabbit hole“ heißt eine neue Handreichung von No World Order, einem Projekt der Amadeu Antonio Stiftung und gibt Einblicke in Hintergründe, aktuelle Entwicklungen und Möglichkeiten der Intervention. Der folgene Text ist ein Auszug aus der Broschüre: Wie Verschwörungserzählungen das Leben in einer modernen, extrem komplexen Welt einfacher machen.

Viele Menschen gehen davon aus, dass es sich bei Verschwörungsideolog:innen nur um eine kleine Gruppe am Rande der Gesellschaft handeln würde. Verschwörungserzählungen sind aber weit verbreitet: So glauben laut einer Umfrage aus dem Jahr 2018 beispielsweise 17 % der Deutschen, dass die Wahrheit über Impfungen vor der Öffentlichkeit geheim gehalten wird. 24% denken, dass die CIA für den Mord an John F. Kennedy verantwortlich ist, und immerhin noch 7 % äußern die Vermutung, dass der französische Geheimdienst den Terroranschlag auf das Satiremagazin Charly Hebdo zu verantworten hat. Verschwörungstheorien finden sich aber nicht nur im europäischen oder amerikanischen Raum, es gibt sie in allen Gesellschaften: In Südkorea etwa glaubten 17 % der Bevölkerung, die USA würden hinter den Anschlägen von 9/11 stecken, in Jordanien vermuteten sogar 31 % Israel als Drahtzieher.

Der Glaube an Verschwörungsideologien aus psychologischer Sicht

Aber was ist der Glaube an Verschwörungsideologien aus psychologischer  Sicht? Es hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass die Zustimmung zu einer bestimmten Verschwörungserzählung am besten durch die Zustimmung zu einer anderen Verschwörungserzählung vorhersagbar wird. Wer also beispielsweise davon überzeugt ist, dass die US-amerikanische Regierung die seit dem Jahr 2010 anhaltende griechische Staatsschuldenkrise absichtlich ausgelöst habe, um einen Keil in die EU zu treiben, der:die glaubt auch eher, dass die Kondensstreifen im Himmel in Wahrheit Chemikalien sind, die gesprüht werden, um die Bevölkerung zu dezimieren („Chemtrails“).

Interessanterweise zeigt sich dieses Phänomen sogar für Erklärungsansätze, die sich gegenseitig logisch ausschließen. Britische Psycholog:innen haben dies in einer Reihe von Studien zeigen können: Menschen, die glaubten, dass Prinzessin Diana ihren eigenen Tod nur vorgetäuscht hat, waren gleichzeitig auch eher davon überzeugt, dass sie umgebracht worden war. Hier zeigt sich ein wichtiges Muster von Verschwörungsideolog:innen: Sie sind überzeugt, dass die „offizielle“ Erzählung falsch ist; wie genau es sich aber in Wirklichkeit zugetragen hat, darüber sie sind sie sich weniger im Klaren. Insgesamt lässt sich durch die oben beschriebenen Forschungsergebnisse davon ausgehen, dass es in Bezug auf den Glauben an Verschwörungsideologien so etwas wie eine kohärente Mentalität gibt, also ein stabiles Denk- und Verhaltensmuster, in dem sich Menschen voneinander unterscheiden. In der psychologischen Forschung wird deshalb von der sogenannten Verschwörungsmentalität gesprochen. Menschen mit ausgeprägter Verschwörungsmentalität sind beispielsweise davon überzeugt, dass ein paar mächtige Personengruppen über das Schicksal von Millionen von Menschen bestimmen und dass Politiker:innen und andere Führungspersönlichkeiten nur Marionetten der dahinterstehenden Mächte sind. Die Verschwörungsmentalität spiegelt also die generelle Tendenz von Menschen wider, alles als Ergebnis einer böswilligen Verschwörung zu betrachten. Der Glaube an Verschwörungsideologien ist dabei nicht mit Paranoia zu verwechseln, auch wenn es hier Überlappungen gibt. Paranoide Menschen sind misstrauisch gegenüber allem und allen. Sie haben das Gefühl, dass sie persönlich das Opfer von Verfolgung und Intrigen sind. Menschen, die Verschwörungstheorien befürworten, sind dabei spezifischer in ihrem Misstrauen: Sie sind der Ansicht, dass mächtige Gruppen der Gesellschaft insgesamt schaden wollen.

Warum glauben Menschen an Verschwörungsideologien?

In der Psychologie wird mittlerweile diskutiert, ob der Glaube an Verschwörungsideologien nicht sogar evolutionär verankert ist. Man geht davon aus, dass dieser Glaube für Menschen verschiedene Funktionen erfüllen kann. Nach einem der prominentesten Erklärungsansätze stimmen Menschen insbesondere dann Verschwörungstheorien zu, wenn sie einen Kontrollverlust erfahren. Einen Kontrollverlust erlebt man dann, wenn man selbst nicht mehr „Herr:in der Lage ist“, also keinen Einfluss auf Ereignisse nehmen kann: zum Beispiel eine plötzliche Trennung oder das Steckenbleiben in einem Lift, aber auch Arbeitslosigkeit oder gesellschaftliche Ereignisse, wie die Niederlage der bevorzugten Partei bei einer Wahl oder ein terroristischer Anschlag.

Insgesamt kann man sagen, dass je mehr Kontrolle Menschen über ihr Leben besitzen, desto zufriedener, gesünder und stressfreier sind sie insgesamt. Der Verlust von Kontrolle wird dagegen als bedrohlich erlebt und kann Stress und Angst hervorrufen. Menschen versuchen bei Kontrollverlust, Ordnung und Struktur wiederherzustellen, indem sie dort Muster erkennen, wo oftmals keine sind. Diese Mustererkennung geht sogar so weit, dass Menschen, die der Ansicht sind, dass das Leben von Verschwörungen bestimmt ist, eher Muster in zufälligen Buchstabenreihen wie „HTHHTTTTHH“ oder in abstrakten Gemälden sehen als Menschen, die nicht an Verschwörungsideologien glauben – wie in einer Studienreihe von einem internationalen Wissenschaftler:innen-Team gezeigt werden konnte.

Der Glaube an Verschwörungstheorien kann aber auch eher instrumenteller Natur sein, um sich so von der Masse abzuheben. Es hat sich gezeigt, dass Anhänger:innen von Verschwörungsideologien ein stärker ausgeprägtes Bedürfnis nach Einzigartigkeit aufweisen. Dies zeigt sich beispielsweise auch in Internetforen, wenn immer wieder Begriffe wie „Schlafschaf“ verwendet werden: Verschwörungsideolog:innen sehen die Wahrheit, während die Masse der Bevölkerung einfach blind der offiziellen Darstellung der Regierung folgt. Normalerweise haben Menschen die Tendenz, Mehrheitsmeinungen eher Glauben zu schenken. Anders scheint es bei Verschwörungsideolog:innen zu sein. In einer Studie wurden Versuchspersonen mit einer fiktiven Verschwörungserzählung konfrontiert. Menschen mit ausgeprägter Verschwörungsmentalität glaubten die Verschwörungserzählung insbesondere dann, wenn sie als unpopulär dargestellt wurde. Verschwörungsideolog:innen nehmen so eine Minderheitenposition ein und heben sich dadurch von der Masse ab.

Vielfach wird angenommen, dass Verschwörungsideologien vereinfachte Erklärungen für komplexe Ereignisse darstellen. Aus diesem Grund wurde lange versucht herauszufinden, ob Menschen, die Verschwörungsideologien anhängen, mehr kognitive Defizite aufweisen. Dies hat sich aber nur teilweise bestätigen können. Der Zusammenhang zwischen genereller Intelligenz und Verschwörungsmentalität existiert zwar, ist aber nur sehr klein. Wer allerdings einen niedrigeren Bildungsstand hat, glaubt auch eher an Verschwörungstheorien. Mehr Bildung führt nicht nur zu mehr Wissen, sondern vergrößert auch das Gefühl von Kontrolle. Menschen mit niedrigerem Bildungsstand, die an Verschwörungserzählungen glauben, tun dies also nicht deshalb, weil sie weniger intelligent sind, sondern weil sie sich machtlos fühlen.

Gesellschaftliche Folgen von Verschwörungsideologien

Die Verschwörungsmentalität kann als Misstrauen gegenüber denen verstanden werden, die in einer Gesellschaft als mächtig wahrgenommen werden. In einer Studie wurden Menschen mit einem angeblich neu entwickelten pflanzlich hergestellten Medikament konfrontiert. Der einen Hälfte der Teilnehmenden wurde gesagt, dass dieses Medikament von einer mächtigen
Gruppe hergestellt wurde, der anderen Hälfte wurde es
als Produkt einer kleinen Kooperative beschrieben. Verschwörungsideolog:innen bewerteten automatisch das Produkt der weniger mächtigen Kooperative als positiver, da sie glaubten, dass die mächtige Pharmafirma nur Böses im Sinn haben kann. Aus diesem Grund befürworten Verschwörungsideolog:innen auch eher alternative Heilmethoden und lehnen Impfungen ab, da diese für die mächtige und damit böswillige Pharmaindustrie stehen.

Solche Überzeugungen sind auch aus gesellschaftlicher Perspektive nicht harmlos. Der Glaube an Verschwörungsideologien führt zu problematischen Verhaltensweisen wie dem Rückzug aus demokratisch legitimierter Politik und Argwohn gegenüber ihren Institutionen. Dieses Misstrauen gegenüber „denen da oben“ kann irgendwann ebenfalls in Vorurteile oder sogar Hass umschlagen. Menschen, die Verschwörungsideologien anhängen, neigen eher dazu, Gewalt zu billigen, und sie sind auch eher bereit, Gewalt einzusetzen, um ihre Ziele zu erreichen. Das gilt sowohl für direkte physische Gewalt als auch in Bezug auf politische Gewalt. Wer annimmt, dass die Mächtigen die Bevölkerung hinters Licht führen, ist auch eher bereit, politisch mit harten Mitteln zu kämpfen. Demokratische Ansätze werden dabei verstärkt abgelehnt: Verschwörungsideolog:innen sind eher politisch zynisch, misstrauen der Demokratie und gehen auch weniger wählen als Menschen, die Verschwörungserzählungen für Unsinn halten.

Insgesamt lässt sich festhalten, dass es sich beim Glauben an Verschwörungsideologien um ein geschlossenes Weltbild handelt, das Hass, Gewalt und Radikalisierung befeuern kann. Insbesondere dann, wenn Menschen das Gefühl haben, Kontrolle zu verlieren, wird dieses Glaubenssystem aktiviert und verstärkt das Misstrauen in Demokratie und Gesellschaft.


Die neue Broschüre Down the rabbit hole — Verschwörungsideologien: Basiswissen und Handlungsstrategien können Sie hier herunterladen oder bestellen.

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