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Dresden – bald No-Go-Area für schwarze Menschen?

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Erinnerung an den in Dresden ermordeten Flüchtling Khaled Bahray durch eine Gedenk-Demonstration am 18.01.2015 in Dresden. (Quelle: Matthias Groß)

„Er hat die Sahara-Wu?ste u?berlebt, er hat den Ozean u?berlebt, in Dresden wollte er nur schnell Zigaretten holen“, schallt es über den Platz vor der Dresdner Frauenkirche. Gerade ist die Demonstration in Gedenken an den getöteten Khaled Idris Bahray aus Eritrea im Zentrum von Dresden angekommen. Organisiert haben sie die Freund_innen und Bekannten des Getöteten selbst, gemeinsam mit Dresdner Aktivist_innen aus dem studentischen und antirassistischen Umfeld. Über 3000 Menschen protestieren hier gegen die rassistische Stimmung, von der die Landeshauptstadt seit Wochen geprägt wird. Und sie wollen erinnern, an ihren Freund und Bruder, der unter bisher noch ungeklärten Umständen durch Messerstiche ums Leben kam. Die Demonstration wurde von Freunden des Getöteten angefu?hrt, die „No Racism“ und „Ich bin Khaled“ riefen, zahlreiche Menschen trugen Schilder mit Porträtbildern des 20-Jährigen.

Inzwischen sind neue Details bekannt, die den Verdacht auf eine rassistische Gewalttat stärken. Am Montag Abend hatte der Flüchtling aus Eritrea seine Wohnung verlassen, weil er schnell einkaufen wollte. Zur gleichen Zeit befanden sich 25.000 Menschen auf der regelmäßigen Montagsdemonstration von Pegida, die in Dresden ein neues Klima des Hasses auf Muslime und Asylsuchende geschürt hat. In der Vorwoche hatten Unbekannte Hakenkreuze an die Wohnungstür der Flüchtlinge geschmiert. Wiederholt wurde auch gegen die Tür getreten und die Fahrräder der Bewohner gestohlen. Die Eritreer berichten auf der Demonstration von Anfeindungen und drohenden Blicken auf den Straßen im Viertel.

Polizeiermittlung „wirkt dilettantisch“

Nachdem Khaled Bahray tot aufgefunden wurde, erklärte die Polizei zunächst, man gehe nicht von Fremdeinwirkung aus, ermittle aber in alle Richtungen. Eine Obduktion ergab die Todesursache durch Messerstiche in Brust und Hals. Erst 30 Stunden und nachdem der Fundort schon von zahlreichen Passant_innen, Journalist_innen und Schaulustigen begangen worden war, begann daraufhin die Spurensicherung ihre Arbeit. Der Bundestagsabgeordnete Volker Beck (Grüne) stellte deshalb gegen die Dresdner Polizei eine Anzeige wegen „Strafvereitelung im Amt“, er bezeichnete das Verhalten der Polizei als „dilettantisch“. Und weiter: „Gerade bei Tötungsdelikten trifft die Strafverfolgungsbehörden die Pflicht, besonders gewissenhaft zu ermitteln. Dies dürfte den Verantwortlichen bei Polizei und Staatsanwaltschaft auch bekannt sein. Damit besteht der Verdacht, dass sie wissentlich gehandelt haben.“

Für mich als (Ex-)Dresdnerin wirkt das Verhalten der Polizei nicht neu. Als 1991 der Mosambikaner Jorge Gomondai von Neonazis aus einer fahrenden Straßenbahn gestoßen wurde und an den Folgen der Verletzungen verstarb, ermittelte die Polizei auch nur langsam, wichtige Beweise wurden vernichtet, Zeug_innen nicht oder zu spät gehört. Beobachter_innen fürchten, dass sich ähnliches wiederholen wird. Sachsens Polizei scheint aus dem Auffliegen des Nationalsozialistischen Untergrunds NSU wenig gelernt zu haben. Aktuell ist sich die Polizei nicht einmal sicher, ob der Fundort des Toten auch der Tatort war. Zwar wurden sämtliche Mitbewohner des Ermordeten mit einem Polizeiwagen abgeholt und zur Vernehmung ins Präsidium gebracht – von deutschen Anwohner_innen, die Hinweise geben könnten, ist bisher nichts bekannt.

In Dresden herrscht der Hass – Migrant_innen bleiben montags zu Hause

Auf einer Zwischenkundgebung hatte eine junge Kurdin, die selbst vor Weihnachten von mutmaßlichen Pegida-Teilnehmern angegriffen worden war, berichtet, dass immer mehr Migrant_innen montags das Haus nicht mehr verlassen. Und auch an anderen Tagen vermehrten Anfeindungen ausgesetzt sind. Ali Moradi vom Sächsischen Flüchtlingsrat erzählt gegenüber dem Spiegel von einem Klima der Angst: „Teilweise trauen sich Muslima nicht mehr Kopftuch zu tragen, sie bedecken ihr Haar lieber mit Wintermützen.“ Auch auf der Demonstration erklären Freunde des Getöteten: „Menschen stehen auf, wenn wir uns in der Straßenbahn neben sie setzen. Sie sagen, dass sie uns töten wollen.“ Wie viele andere verlassen sie das Haus in der Dunkelheit nicht mehr.

Es leben nicht viele Migrant_innen in Dresden, die Stadt hat einen Ausländeranteil von 2,4 Prozent. Unter ihnen sind knapp 2000 Flüchtlinge, zwei Drittel leben in dezentralen Wohngemeinschaften, so wie Khaled Bahray. Das ist gut, es erleichtert die Integration in die Gesellschaft, das zwischenmenschliche Kennenlernen und die Akzeptanz der Zugezogenen in der Nachbarschaft. Und es gewährleistet Eigenständigkeit für die meist erwachsenen Flüchtlinge. Trotz der vergleichsweise guten Wohnsituation wollen immer mehr von ihnen die Stadt Dresden verlassen. Sie haben spätestens seit dem Tod des Eritreers große Angst, selbst zum Opfer zu werden, wie eine Mitarbeiterin von der RAA Opferberatung Dresden unterstreicht. Unvergessen ist auch der Angriff auf eine Gruppe alevitische Jugendlicher, zu denen die Rednerin gehörte. Nach der vorweihnachtlichen Pegida-Kundgebung wurden die Jugendlichen auf der nahen Einkaufsmeile „Prager Straße“ von mutmaßlichen Pegida-Besuchern angegriffen, gejagt und verletzt. Die lokalen Medien spielten den Fall herunter, die Polizei weigerte sich zunächst die Anzeige eines an diesem Abend verletzten Mädchens aufzunehmen (ngn berichtete).

Im Internet bricht sich der Hass ungefiltert Bahn

Von außerhalb nachvollziehen kann man die Erlebnisse der Dresdner Migrant_innen, wenn man die Kommentarspalten unter Artikeln über die Tod von Khaled Bahray liest. Auf einem Mikroblog wurden viele zusammengestellt. Der Kommentar „Wenn die sich so unwohl fühlen und Angst haben, können sie doch wieder abdampfen!“ ist dabei noch einer der netteren Äußerungen. Andere meinen, dass in Afrika jeden Tag genügend Menschen sterben und wenn „hier ein Asyli hops geht, ist das Geschrei groß“. Alle Zitate werden mit Screenshots belegt. Man kennt das, bei der Anonymität im Netz ist die Hemmschwelle niedrig, die Menschenverachtung in die Tasten zu hauen.

Durch die wöchentlichen Pegida-Hassparaden ist sie aber auch im städtischen Zusammenleben gesunken. Laut der Opferberatung des RAA Sachsen sind die rassistischen Gewalttaten in den letzten Monaten eklatant angestiegen. Auch bundesweit verzeichnete die Amadeu Antonio Stiftung einen Anstieg. Da, wo man sich als „das Volk“ fühlt und seine Meinung durch viele tausend Menschen legitimiert weiß, werden aus den Hetzreden eines Stephan Simon bei Pegida Taten seiner Rezipient_innen.

Demonstrationen auch in Berlin und Leipzig

Auch Robert Kusche von der RAA Opferberatung teilte mit, dass in der derzeitigen Stimmung in Dresden die Möglichkeit eines rassistischen Tatmotivs nun gewissenhaft geprüft werden müsse. Ebenso fordern Demonstrant_innen dies in Berlin und Leipzig. Am Sonntag zogen 3.000 Menschen durch Berlin, um auf die rassistischen Zustände aufmerksam zu machen und Sicherheit für Flüchtlinge zu fordern. Auch in Leipzig fanden sich 600 Freund_innen und Unterstützer_innen zu einer Mahnwache zusammen, legten Blumen nieder und zündeten Kerzen an. Gemeinsam verteilten sie die drei Forderungen der anderen Eritreer aus Dresden. Sie erwarten eine lückenlose Aufklärung des Falles sowie eine gerechte Bestrafung. Und sie wünschen sich, in einer Umgebung zu leben, in der sie sich nicht um ihre Sicherheit fürchten müssen und wo sie auf Offenheit und Solidarität stoßen. Diese und andere Forderungen wollte die Demonstration auch an die Mitglieder des sächsischen Landtags überreichen. Die Polizei sperrte den Landtag weiträumig ab und ließ die Demonstration nur entfernt vorbei ziehen. Trotzdem kam der SPD-Abgeordnete Albrecht Pallas und nahm die Forderungen entgegen. Es ist die Art, die aufstößt. Lutz Bachmann und seine Pegida-Organisator_innen wurden im Landtag empfangen, gegen die Gedenkdemonstration wird weiträumig abgesperrt. Trotzdem verlasen Freunde des Getöteten eine Erklärung darüber, wie sich ihr Leben in Dresden gestaltet. Diese ist auch Teil des Demonstrationsaufrufs und kann hier nachgelesen werden. 

Am Ende unterhalte ich mich mit Jan Seidel, dem Sprecher des Organisationsbündnisses. Ihm ist neben der Aufklärung der Tat und ihrem Hintergrund vor allem die Frage wichtig, ob es jemanden wundern wu?rde, wenn die Tat einen rassistischen Hintergrund hätte. „Aufgrund der momentanen Stimmung in Dresden ist diese Frage klar mit Nein zu beantworten. Nein es wu?rde niemanden wundern, wenn dem so wäre. Und das ist ein Armutszeugnis fu?r die derzeitigen Dresdner Zustände in Politik und Gesellschaft.“

Mehr im Internet:

Tod eines Asylbewerbers – Wer war Khaled Bahray? (Tagesschau.de)

Gewalt im Umfeld von Pegida (Netz-gegen-nazis.de)

Interview: Hetzjagd auf Migranten in Dresden (Alternative Dresden News)

„Gerade bei Tötungsdelikten trifft die Strafverfolgungsbehörden die Pflicht, besonders gewissenhaft zu ermitteln. Dies dürfte den Verantwortlichen bei Polizei und Staatsanwaltschaft auch bekannt sein. Damit besteht der Verdacht, dass sie wissentlich gehandelt haben.“ (Volker Beck in Mopo24)

 

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Im Gespräch: Der Investigativjournalist und Autor Aiko Kempen. Er arbeitet u.a. für das ARD-Magazin Monitor, seine Artikel sind in SZ-Magazin, Zeit Online, taz und Vice erschienen. Zuvor leitete er die Online-Redaktion des Leipziger Magazins kreuzer.

Interview mit Aiko Kempen „Rechtsextreme fühlen sich in der Polizei viel zu sicher“

Ein Spiegelbild der Gesellschaft? Der Autor und Journalist Aiko Kempen findet, dass die Polizei besser als die Gesellschaft sein soll. Doch von diesem Ziel sind wir noch weit entfernt: Darum geht es in seinem neuen Buch „Auf dem rechten Weg? Rassisten und Neonazis in der deutschen Polizei“. Ein Gespräch über polizeiliche Machokultur, die keine Kritik toleriert, und eine blaue Mauer des Schweigens, die keine Rechtsextreme sehen will.

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