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Good Gaming – Well played Democracy Digital Streetwork – Aufsuchende Jugend(sozial)arbeit in Videospielcommunitys

(Quelle: pixabay / DtheDelinquent)

Der Fokus in der Prävention lag bislang vielfach auf Mikrotransaktionen und Suchtverhalten. Die Organisation und innere Logik von Gaming-Communitys wird oftmals ausgeblendet. Dabei sind sie wichtige Lebenswelten von Jugendlichen. Spielen ist nicht mehr stationär gebunden, sondern wurde durch mobile Endgeräte delokalisiert. Gamer:innen sind Influencer:innen für junge Menschen und wichtige Keyplayer in der Meinungsbildung. Digital Streetwork ist ein Zugang, der die positiven Aspekte digitaler Lebenswelten fokussiert und hier lebenswelt- und ressourcenorientiert gemeinsam aktiv wird. Insbesondere Jugendliche werden dabei als Expert:innen gesehen und nicht als vermeintliche Opfer, denen es zu helfen gilt.

Pädagogische Standards

Digital Streetwork arbeitet nach gängigen und wichtigen pädagogischen Standards. Das SGB VIII bildet dabei den Rahmen, denn Streetwork ist darin als pädagogische Disziplin der Sozialen Arbeit, genau genommen als eine Art der Kontaktaufnahme aus der Mobilen Jugendarbeit, festgelegt. Die Adressat:innengruppe sind junge Menschen zwischen 12 und 27 Jahren. In erster Linie wird Digital Streetwork als eine mögliche Methode der Radikalisierungs- bzw. Extremismusprävention und der demokratischen, menschenrechtsorientierten Bildung im Online-Bereich eingesetzt. Das bedeutet, dass wir uns insbesondere an den Präventionsbegriffen nach Peter Rieker („Rechtsextremismus: Prävention und Intervention. Ein Überblick über Ansätze, Befunde und Entwicklungsbedarf“) orientieren. Des Weiteren können die drei handlungsleitenden Prinzipien des Beutelsbacher Konsens als Grundlage dienen, auch wenn Digital Streetwork außerschulisch tätig ist: Überwältigungsverbot, Kontroversitätsgebot und Adressat:innenorientierung helfen dabei, sich sowohl in einem sicheren (politischen) Rahmen zu bewegen als auch pädagogisch professionell zu handeln. Gleichzeitig wollen wir aber nicht akzeptierend arbeiten, sondern auf problematische Aussagen, Positionen und Haltungen aufmerksam machen und konfrontativ vorgehen. Denn wir wollen dazu beitragen, dass die Gaming-Subkultur gesellschaftlich ernst genommen wird, und die digitale Zivilgesellschaft in ihr fördern. Gaming-Communitys sollen nicht stigmatisiert, sondern Chancen und Möglichkeiten aufgezeigt werden. Unsere Grundhaltung ist also pro Gaming-Subkultur und zugleich contra Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (GMF), Hassrede und Rechtsextremismus in Gaming-Kontexten. Das Projekt sieht sich in einer Art Vermittler:innenrolle. Dies spiegelt sich auch in der pädagogischen Haltung von Digital Streetwork wider: offen, neugierig, bedürfnisorientiert – aber gleichzeitig problematische Inhalte ansprechen, zum Thema machen und nicht ausblenden. Getreu dem Motto: „Nicht du bist problematisch, sondern der Inhalt deines Posts ist es.“

Interaktion und Plattformwahl

Die Profile von Good Gaming – Well Played Democracy sind in Spieleforen, Kommentarspalten von Videos, in Diskussionen und in Chats unterwegs. Insbesondere für Foren kamen die bisherigen Erkenntnisse aus dem Monitoring zum Einsatz und konnten positiv bestätigt werden.

Was sind die Besonderheiten von Digital Streetwork im Bereich Gaming in Abgrenzung zu anderen Feldern? Im Gaming treffen wir extrem große Communitys an, die vielfach plattformübergreifend aktiv sind (z.B. von Twitch zu YouTube, Instagram wirbt wiederum für YouTube usw.). Ihre Handlungen sind außerdem durch ein extrem hohes Maß an Professionalisierung gekennzeichnet, d.h. selbst kleinere Kanäle sind crossmedial angelegt und zumeist durch den Einsatz entsprechenden Equipments hochgradig professionell ausgestaltet. Hinzu kommt eine hohe sprachliche und symbolische Codierung der Communitys. Der Sprachgebrauch bei Twitch mutet wie eine eigene Sprache an. Symbole und sprachliche Codes weisen eine lange orale Tradition auf und sind für „Außenstehende“ oftmals nicht direkt verständlich. Dies ist ein Moment, das teilweise von politisch motivierten Personen genutzt wird, um zum Beispiel Ideologien der Ungleichwertigkeit als Ironie zu tarnen oder als scheinbar unpolitischen historischen Bezug in einem Spiel (wie etwa Naziprofile bei Steam).

Was treibt Dich um? Online pädagogisch sinnvoll wirken

In der analogen Jugend(sozial)arbeit entscheiden junge Menschen aufgrund vieler Informationen, ob sie sich gegenüber dem:der Pädagog:in öffnen. Im Internet ist ein Kontakt und eine Bindung zum:zur Adressat:in schwieriger herzustellen. Mit einem Klick kann einer Interaktion entgangen werden.

Das Augenmerk muss daher auf einer ansprechenden Profilgestaltung liegen: Es sollte wichtige Informationen (wann ist der Account erreichbar, Kompetenzen: wer bedient den Account) und ein sympathisches Auftreten vermitteln. Außerdem ist ein Kontakt mit Verantwortlichen der Plattform hilfreich, um dem Account die nötige Legitimation zu verleihen. Kriterien zur Auswahl geeigneter Interaktionen (z.B. in einem Frageforum) können sein: Aktualität der Frage; bestimmte Themen; Fachexpertise; Fragen, die unzureichend beantwortet werden oder bei denen andere User:innen rechtsextreme Codes, Verschwörungserzählungen oder Falschinformationen nicht als solche erkennen; aktuelle Ereignisse. Gerade bei knappen Ressourcen oder ersten Digital Streetwork-Testphasen gibt es viele Möglichkeiten der Fallauswahl.

In der Art der Kommunikation orientieren wir uns an pädagogischen Konzepten, die bedürfnisorientiert sind, grenzen uns aber von der akzeptierenden Jugendarbeit ab. Daneben arbeiten wir konfrontativ, um Verunsicherung über die getätigten Aussagen anzuregen. So grenzen wir uns von einem menschenverachtenden Weltbild ab und regen ein Umdenken an, bedienen jedoch gleichzeitig das persönliche Motiv des:der Kommentator:in, z.B. den Wunsch nach Anerkennung. Quasi eine konfrontative Verunsicherung auf Basis von Aufgeschlossenheit.

Digital Streetwork als eine Form pädagogischer Interaktion im
Gaming

Doppeltes Ziel von Digital Streetwork im Bereich Gaming bleibt jedoch: einerseits das Wirken in der Community selbst, andererseits die Lobbyarbeit für die Communitys nach außen. Dies heißt im Besonderen, dass wir in der One-to-Many-Kommunikation aktiv Stellung beziehen gegen Verallgemeinerungen, falsche Zuschreibungen wie in der „Killerspiel“-Debatte sowie die Überbetonung extrem rechter Akteur:innen. Digital Streetwork hat in diesem Sinne auch eine advokatische Rolle in seiner professionellen pädagogischen Ausgestaltung.

Dieser Text ist ein Auszug aus der Broschüre:

Amadeu Antonio Stiftung / Good Gaming – Well Played Democracy:
„Unverpixelter Hass. Toxische und rechtsextreme Gaming-Communities.“
Berlin 2022
90 Seiten

Mehr aus der Broschüre auf Belltower.News:

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