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Good Gaming – Well played, Democracy Toxische Communitys und wie man ihnen begegnen kann

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Der Begriff der Toxizität stammt aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum und gilt in der Sozialforschung als Dachbegriff für Verhaltensweisen, die anderen Menschen schaden, sie herabsetzen oder ausgrenzen. Dazu gehören unter anderem Beleidigungen, Mobbing und Diskriminierung. Extreme Ausschreitungen wie Doxxing [Doxing oder Doxxing bezeichnet das internetbasierte Zusammentragen und Veröffentlichen personenbezogener Daten, mit Schädigungsabsicht gegenüber den Betroffenen.] und Swatting [Swatting bezeichnet eine Straftat, bei der ein Notfall per Notruf vorgetäuscht wird mit dem Ziel, dass die Polizei oder eine Spezialeinheit zu den Opfern geschickt wird. Mitunter wird der Zeitpunkt so gewählt, dass der Einsatz während eines Live-Streams zu sehen ist. In einigen Fällen werden die Opfer bei solchen Einsätzen getötet, vgl. z.B. Sueddeutsche) ] kommen glücklicherweise selten vor, können für Betroffene aber mit dem Tod enden. Öfter trifft man auf Beschimpfungen und diskriminierende Sprache. Das kann man ausgerechnet in Gaming-Communitys immer wieder beobachten, in denen Menschen eigentlich freiwillig zusammenkommen, um gemeinsam Spiele zu spielen. Dies dokumentiert zum Beispiel das Video einer Streamerin, die ihre Spielrunden in dem Shooter „Overwatch“ dokumentiert. Ein Spieler fordert sie auf, in die Küche zurückzugehen, ein anderer ruft in den Chat, dass Frauen einfach schlecht in Computerspielen seien. Solche Diskriminierungserfahrungen können unmittelbar dazu führen, dass Personen sich aus den Spielen und ihren Communitys zurückziehen. Langfristig können sie aber nicht nur das Wohlbefinden senken, sondern die psychische Gesundheit erheblich beeinträchtigen.

Das YouTube-Video mit den diskriminierenden Kommentaren ist schockierend und unangenehm. Vielleicht, so möchte man hoffen, handelt es sich nur um ärgerliche Einzelfälle? Doch das Problem ist schwerwiegend und systematisch. Das zeigen mittlerweile empirische Untersuchungen. Die Anti-Defamation League (ADL), eine Organisation, die sich gegen Antisemitismus und Diskriminierung einsetzt, hat 2020 eine Studie zu Erfahrungen mit Online-Games veröffentlicht (vgl. ADL). Befragt wurden mehr als eintausend US-Amerikaner:innen im Alter zwischen 18 und 45 Jahren. Wie die Ergebnisse zeigen, sind 81 % der Befragten in Multiplayer-Games bereits Opfer von „Harassment“ (Belästigung) geworden – ein Anstieg um sieben Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr. Das beinhaltet laut Studie: Beleidigungen, diskriminierende Äußerungen, Androhungen von Gewalt und sogar besonders schwere Formen wie Stalking und Doxxing. Doch nicht alle sind von diesen Angriffen gleichermaßen betroffen. Den Daten der ADL ist zu entnehmen, dass über die Hälfte der Personen aufgrund ihrer Identität angegriffen werden besonders häufig trifft es Frauen, Mitglieder der LGBTQI+-Community sowie nicht-weiße Menschen.

Die Größenordnung des Problems bestätigt sich auch für den deutschsprachigen Raum. In einer Online-Befragung von „Behind the Screens“ mit 269 Teilnehmenden (vgl. BTS) gaben nahezu alle Befragten an, dass sie schon toxische Verhaltensweisen in Gaming-Communitys beobachtet haben. Rund 90 % berichteten, dass sie beim Spielen auch selbst angegriffen wurden. Mehr als die Hälfte der Befragten gab außerdem an, dass sie eine Gaming-Community deshalb schon verlassen haben. Etwa jede zweite Person berichtete von frauenfeindlichen Äußerungen. Eine von drei Personen gab an, LGBTQI+-feindliche Äußerungen mitbekommen zu haben. „Als Frau in ‚Battlefield‘ wird man sofort beleidigt, wenn man besser ist als die männlichen Spieler“, berichtet eine Teilnehmerin der Studie. Diejenigen, die sich nicht willkommen fühlen, ziehen sich aus der Community zurück. „Ich habe aufgehört, in Online-Communitys zu spielen, spiele nur noch Singleplayer oder lokal“, erklärt ein anderer Studienteilnehmer. Die Generalisierbarkeit der Ergebnisse ist zwar eingeschränkt, weil die Bedingungen bei einer Online-Befragung nur schwer kontrolliert werden können, sie decken sich aber mit Daten aus anderen Studien. So fand auch die aktuelle JIM-Studie, in der jedes Jahr Jugendliche zu ihrer Mediennutzung befragt werden, dass mehr als die Hälfte der Jugendlichen allein im Monat vor der Befragung mit Hass-
botschaften konfrontiert waren (vgl. mpfs.de).

GIFs, Memes und Rechtsextremismus in Teilen der Communitys

Toxisches Verhalten und Diskriminierung sind grundsätzlich ein gesamtgesellschaftliches Problem. In einem wesentlichen Aspekt unterscheiden sich Gaming-Communitys jedoch von anderen Bereichen: Weil Videospiele von vornherein digital waren, sind auch ihre Communitys vorrangig digital organisiert. Gleichzeitig sind ihre Beziehungen zu den Spielen in besonderer Weise partizipativ, also durch aktive Beteiligung bestimmt. Oft bringt das positive Seiten zum Vorschein. Beispielsweise organisiert die Community von „Guild Wars 2“ jedes Jahr einen Pride March als virtuellen Straßenzug durch die Spielwelt Tyria (vgl. en-foren.de). Als 2014 ein „Ultima-Online“-Spieler verstarb, hielt die Community eine Trauerfeier im Spiel ab. Einige Gaming-Communitys retten sogar Leben: Die Initiative „Extra Life“ hat seit 2008 rund 90 Mio. US-Dollar über Live-Streams gesammelt (vgl. extra-life.org). Die Spendengelder gehen jedes Jahr an kranke und verletzte Kinder. Oft organisieren diese Communitys sich eigenständig und dezentral in spielinternen Kanälen, Message Boards und Social Media. Sie sind aber nicht nur selbstorganisiert, sondern auch sich selbst überlassen. Multiplayer-Matches haben keine Schiedsrichter, Foren sind oft unmoderiert. Fehlende oder mangelhafte Strukturen führen dazu, dass Hassrede sich ungehindert ausbreiten kann. Steam, eine der größten Vertriebsplattformen für Games weltweit, zählte bereits 2019 mehr als eine Milliarde registrierte Accounts, 90 Millionen sind monatlich aktiv (vgl. pcgamesn.c0m).

Demgegenüber stehen – laut Angaben des Betreibers – lediglich dreizehn ehrenamtliche Moderator:innen und ein ebenfalls dreizehnköpfiges Supportteam des Anbieters Valve (vgl. Steamcommunity). Das Supportteam erhält jede Woche allein hunderttausende Anfragen zu technischen Themen und Rückerstattungen, Meldungen von Hassrede und Diskriminierung sind hier nicht enthalten (vgl. Steam). Das kleine Team des Betreibers kann den Moderationsaufgaben nicht aus-
reichend nachkommen.

Die Aufarbeitung rechtsradikaler Terroranschläge wie in Halle 2019 weist zudem darauf hin, dass unmoderierte Gaming-Communitys bei der Radikalisierung und Rekrutierung in extremistische Kreise eine erhebliche Rolle spielen können. Die Forschung in diesem Bereich zeigt, dass rechtsextreme Gruppierungen ihren Appell häufig hinter vermeintlichem Humor und Ironie verstecken. Rassistische Anschauungen, die ansonsten unangenehm wären, werden in dieser Verpackung bekömmlicher.

Formate wie bewegte GIFs, Memes und popkulturelle Referenzen sind in Gaming-Communitys bereits etabliert und deshalb besonders anknüpfungsfähig. Fehlt eine entsprechende Moderation der Plattformen oder schaut diese bei rechtsextremen Inhalten weg, werden sie zu einem Hintergrundrauschen, das in den Communitys zunehmend als normale Kulisse akzeptiert wird. Selbst wenn man den Äußerungen nicht zustimmt, trägt die wiederholte Exposition zu einer Gewöhnung bei. Die hohe Frequenz und Wiederholung, die für Meme-Postings typisch sind, führen außerdem dazu, dass Aussagen nicht individuell bewertet werden können. Unsere kognitiven Kapazitäten sind begrenzt, sodass wir die Flut von Inhalten nur oberflächlich verarbeiten können. Diese psychischen Mechanismen können den Weg für eine schrittweise Radikalisierung ebnen. Die Linie des Akzeptierten verschiebt sich – vormals als extrem empfundene Thesen erscheinen dann zunehmend moderat.

Dass diskriminierende Inhalte zunehmend normalisiert werden, geht auch aus der Befragung von „Behind the Screens“ hervor. „Eigentlich ist es traurig, dass ich mich bei Spielen wie ‚League of Legends‘ daran gewöhnt habe, dass sich meine Mitspieler wie absolute Arschlöcher verhalten, die Beleidigungen um sich werfen“, berichtet eine Teilnehmerin. Ein anderer resümiert:

„Auch ansonsten nutzen Teammates und Gegner gern beleidigende Sprüche, die rassistisch,
homofeindlich und sexistisch sind. Leider ist diese Seite im Gaming fest verankert.“

Schädlichen Verhaltensweisen begegnen

Den Community-Plattformen für digitale Spiele kommt ein erheblicher Teil der Verantwortung zu. Große Plattformen wie Steam müssen personell und strukturell in Moderation investieren, die sich gegen Diskriminierung und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit einsetzt und entsprechende Inhalte nicht unkommentiert stehen lässt. Auch die Teilnehmenden der ADL-Studie sehen vor allem die Games-Unternehmen in der Pflicht, Spiele sicherer und inklusiver zu machen. So gibt die ADL einige Empfehlungen dafür, wie man schädlichen Verhaltensweisen begegnen kann.

Die Organisation empfiehlt beispielsweise, Tools für die Moderation zu entwickeln und zu verbessern, insbesondere für Voice-Chats, die bislang völlig unbeschränkt sind. Ein weiterer Schritt könnte sein, Community-Richtlinien zu stärken und konsequenter durchzusetzen. Dabei ist es wichtig, genau zu benennen, welche Gruppen (z.B. Frauen, Mitglieder der LGBTQI+-Community und weitere) besonders geschützt werden, sogenannte „protected categories“. So setzt man für die betroffenen Personengruppen ein eindeutiges Signal, dass sie in der Community willkommen sind – das ist leider keine Selbstverständlichkeit. Je transparenter die Regeln formuliert sind und je konkreter bei Verstößen darauf verwiesen wird, desto geringer ist auch die Rückfallrate nach einem Verstoß. Das zeigt eine Studie von Riot zu ihrem Spiel „League of Legends“ (vgl. Nature.de).

Außerdem gilt: Je schneller das Feedback nach einem Verstoß, desto nachhaltiger die Wirkung. Schließlich schlägt die ADL vor, transparenter über Belästigung und Hassrede zu informieren und extremistische Tendenzen offen anzusprechen. Einerseits kann die Gesellschaft auf diesem Wege zu den Themen gebildet werden, andererseits wird dadurch Forschungsbedarf offengelegt, der von der Wissenschaft adressiert werden kann. Das brauchen wir auch in Deutschland: Deshalb klärt das Projekt „Good Gaming“ seit 2020 im deutschsprachigen Raum über solche Probleme auf. Zeitgleich wurde die Initiative „Keinen Pixel den Faschisten!“ aus den Gaming-Communitys selbst heraus gestartet, um diese Themen zu bearbeiten. Und schließlich können alle – ob Plattformbetreiber, Entwicklungsstudios oder Gaming-Communitys – einen Beitrag zur Bekämpfung von toxischen Communitys leisten: indem wir mehr Vielfalt in Unternehmen leben und uns aktiv gegen Menschenfeindlichkeit aussprechen.

Dieser Text ist ein Auszug aus der Broschüre:

Amadeu Antonio Stiftung / Good Gaming – Well Played Democracy:
„Unverpixelter Hass. Toxische und rechtsextreme Gaming-Communities.“
Berlin 2022
90 Seiten

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