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Humboldt Forum Die Schattenseiten des „Größten Kulturprojektes Europas“

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Die umstrittene Kuppel des neuen, alten Berliner Stadtschloss. (Quelle: Wikimedia / Gode Nehler / CC-BY-SA-4.0)

Fast zehn Jahre nach der Grundsteinlegung öffnete das Humboldt Forum im Juli 2021 seine Pforten für die Besucher:innen. Der Standort auf der Berliner Museumsinsel zählt womöglich zu den geschichtsträchtigsten Orten der Bundeshauptstadt. Das Berliner Stadtschloss diente als Hauptresidenz der preußischen Könige und Kurfürsten. Nachdem das alte Stadtschloss im Zweiten Weltkrieg teilweise zerstört wurde, wurden in der DDR die Reste der verhassten monarchistischen Prunkarchitektur  abgerissen. In den 1970er Jahren wurde der „Palast der Republik“ eröffnet, hier saß die Volkskammer der DDR. Angelehnt an die Architektur des  alten Berliner Stadtschlosses steht heute das Humboldt Forum an genau diesem Ort. Das Humboldt Forum beherbergt einer der größten ethnologischen Sammlungen, und Räumlichkeiten für Sonder- und Wechselausstellungen. Laut eigenen Angaben ist das Humboldt Forum ein “Ort für Kultur und Wissenschaft, des Austauschs, der Diversität und Vielstimmigkeit“. Die eigenen Ansprüche werfen jedoch große Schatten. 

Ausgestellte Raubkunst und mangelnde Provinzialforschung 

Mindestens 80 Prozent des kulturellen Erbes Afrikas befindet sich in europäischen Museen und Archiven. Die teilweise gewaltsam geraubten Kunstobjekte gelangten nahezu ausschließlich während der Kolonialzeit nach Europa. Heute wird der Besitz unter anderem durch eine mögliche unsachgemäße Unterbringung der Werke auf dem afrikanischen Kontinent gerechtfertigt.

Die ethnologische Sammlung des Humboldt Forums umfasst etwa 500 000 Objekte aus aller Welt. Ein großer Teil dieser Sammlung stammt aus den ehemaligen Kolonien Deutschlands. Die zuständige Stiftung Preußischer Kulturbesitz beauftragte vier Provenienz-Forscher:innen, sich mit der Herkunft und dem Besitzanspruch der Objekte auseinander zusetzen. Die Bestimmung der Herkunft eines einzelnen Objektes ist häufig ein jahrelanger Prozess, daher dürften die Bemühungen vor allem symbolischen Charakters sein.

Die Kuppel-Debatte

12 Meter ragt das Kreuz auf der Kuppel des neuen Stadtschloss in den Himmel der Berliner Stadtmitte. Das Kreuz, als Zeichen für das Christentum, symbolisiert für die Kritiker:innen die kolonialen Unterdrückungen. Die Kritik wird durch ein Zitat von Wilhelm II. am Fuße der Kuppel unterstrichen. Die Inschrift lautet: „Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.“ Befürworter:innen legitimieren die Schaustellung des Zitats mit dem Festhalten an dem originalen Vorbild. Kritiker:innen sehen es hingegen als problematisch an, unkommentiert ein Zitat zu reproduzieren, welches Kolonialismus und christlich-fundamentalistisches Gedankengut präsentiert.

Fragwürdiger Spender:innen

Die Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses ist der teuerste Kulturbau der deutschen Geschichte. Und er ist  trotz der rund halben Milliarden Staatskosten auf großzügige Spenden angewiesen. Großspender:innen werden für ihre Spende im Schloss mit einer Platte mit eingraviertem Namen oder mit einem Reliefmedaillon geehrt, so auch Maren Otto. Sie stiftete im Gedenken an ihren verstorbenen Ehemann Werner Otto das Kreuz auf der Schlosskuppel. Der Versandhändler Werner A.Otto sicherte 2001 dem ehemaligen Bundeswehr-Offizier und Geschichtsrevisionisten  Max Klaar drei Millionen Mark für den Aufbau der umstrittenen Potsdamer Garnisonskirche zu. An diesem Beispiel ist zu sehen, dass Initiativen die geschichtsrevisionistische und rechtsnationale Absichten vertreten, durch vermeintlich bürgerliche Spender:innen unterstützt werden. 

Der verstorbene  Unternehmer Rudolf-August Oetker, Enkel des Dr.-Oetker-Firmengründers August Oetker, zählt auch zu den Großspendern des Humboldt Forums. Rudolf-August Oetker war ab 1933 freiwilliges Mitglied der Reiter-SA und ab 1942 der Waffen-SS. Das Familienunternehmen profitierte von der Nähe zu dem NS-Regime und legte so einen Grundstein für den fortlaufenden Erfolg. Erst nach Rudolf-August Oetkers Tod arbeitete das Unternehmen die eigene Geschichte auf.

Wiederaufbau-Projekte preußischer Bauwerke ziehen Rechtsextreme und Geschichtsrevisionist:innen an. Bei dem Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche engagierten sich neben Initiativen aus der Mitte der Gesellschaft der von dem rechtsnationalen Max Klaar initiierte Verein „Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel“ (vgl. PNN). Die Garnisonkirche und das Berliner Stadtschloss vereinigen Monarchie-Nostalgiker:innen und Kulturliebhaber:innen.  

Der Fall Ehrhardt Bödecker

Unter den elf Reliefmedaillons der Großspender:innen fanden die Besucher:innen bis vor wenigen Tagen das Konterfei des 2016 verstorbenen Juristen, Bankiers und Preußen-Fanatikers Ehrhardt Bödecker und seiner Ehefrau Anneliese. Bödeckers Lebenslauf ist gespickt von antisemitischen und rechtsextremen Äußerungen, wie jüngst der Architekturkritiker Phillip Oswalt für den Tagesspiegel berichtete. Demnach hat Bödecker die Zahl der Opfer des Holocaust infrage gestellt, befürwortete den Ausschluss von Juden aus der Armee zur Zeiten des Kaiserreiches und pflegte engen Kontakt zur Szene der rechtsextremen sogenannten “Neuen Rechten“. 

In seinem Buch „Preußen und die Wurzeln des Erfolges“ behauptet Bödecker, dass die westlichen Siegermächte sich auf eine „besondere Demütigung“ des besiegten Deutschland geeinigt hätte, indem sie eine „Art Gehirnwäsche verordneten, die als Reeducation oder Umerziehung in die Nachkriegsgeschichte eingegangen ist“. Die Strippenzieher für diese Demütigung seien exilierte jüdische Soziologen. Wenig verwunderlich also, dass rechtsextreme Seiten wie „Nationale deutschvölkische Revolutionsbewegung“ das Buch bewarben und so Bödeckers krude Weltvorstellung auf Gleichgesinnte traf.

Die Familie Bödecker distanzierte sich nach den veröffentlichten Vorwürfen von den Ansichten ihres Vaters und forderte das Humboldt Forum auf, die öffentliche Ehrung des Ehepaars Bödecker zurückzuziehen. Das Humboldt Forum kam der Forderung nach, distanzierte sich ebenfalls und versicherte in einem Statement Ende Oktober, dass ihnen bis dahin zu Bödeckers „Engagement in rechtsextremistischen Kreisen (…) keine Kenntnisse“ vorgelegen hätten. Laut der Plattform SCHLOSSDEBATTE lagen  dem Humboldt Forum jedoch bereits im Februar diesen Jahres Kenntnisse zu Bödeckers Engagement bei dem rechtsextrem „Institut für Staatspolitik“ vor. 

Der Gründer des Fördervereins für den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses, Wilhelm von Boddin, schrieb gemeinsam mit Bödecker 2001 und 2005 für das Jahrbuch der Staats- und Wirtschaftsgesellschaft, welche vermehrt Holocaustleugner:innen eine Bühne bot, wie der Tagesspiegel berichtete

Das Humboldt Forum verpasste bereits in der jungen Geschichte die Chance, den eigenen Ansprüchen eines Ortes für „Austausch, der Diversität und Vielstimmigkeit“ gerecht zu werden. Die Institution gibt öffentlichkeitswirksam an, an Debatten interessiert zu sein und wirbt mit der Auseinandersetzung kritischer Fragen, jedoch ist eine ernsthafte Veränderung nicht zu erwarten. Durch das kritiklose architektonische Außenbild des totalitären Preußen lässt das Forum weiterhin Raum für Geschichtsrevisionismus und demokratiefeindliches Gedankengut zu. Inhaltlich spiegelt das Forum den gesamtdeutschen Umgang mit der Kolonialzeit wider, leere Phrasen der Reue, die zumindest in Teilen rassistische Rechtfertigung gestohlenen Besitzes und lässt dabei eine ernsthaft Anerkennung der kolonialen Verbrechen vermissen.

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