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Interview Ein Torwart mit MUT!

Von|
Bene Pliquett (4.v.l.) als Ehrengast unter den Spendern und Stiftern der Amadeu Antonio Stiftung bei ihrem 10-jährigen Jubiläum am 1.12.2008. Fotos: Kulick

MUT: Dass ein Fußballprofi einen größeren Geldbetrag für ein Projekt gegen Rechtsextremismus spendet, ist eher selten. Was hat Sie dazu bewogen?

Benedikt Pliquett: Ich bin (das Interview wurde 2008 geführt) vor einem Jahr aus der Kirche ausgetreten und habe mir gesagt, dass ich dann lieber einen Betrag spenden möchte. Ich mache schon seit 3 Jahren immer wieder etwas für „Laut gegen Nazis“ und bin dann darüber auf die Amadeu Antonio Stiftung und ihr MUT-Projekt gestoßen.

Inwieweit nehmen Sie denn Rassismus und Rechtsextremismus im Fußball-Alltag wahr?

…eine sehr umfassende Frage. Ich habe da eine recht extreme Meinung, aber leider sehe ich es so, dass Fußball leider im Generellen rassistisch und faschistisch ist. Dies beziehe ich auf den allgemeinen Sprachgebrauch und das oftmals aufkommende Verhalten zwischen den Menschen, die sich in und um den Fußball bewegen. Dieses erlebt man leider noch immer zu häufig in  Bundesliga-Stadien, wo ganze Kurven Gesänge singen die für mich politisch nicht tragbar sind. Aber auch in nahezu jedem „Dorfverein“ wo häufig in der Bierlaune rassistische Alltagsäußerungen fallen. Das Hauptproblem hier ist  das politisch korrekte Bewusstsein, das häufig einfach nicht vorhanden ist. Es ist schon fast erschreckend, dass viele Vereine die Stellung einnehmen, lieber unpolitisch zu sein, als gegen Nazis zu sein und somit vielleicht Zuschauer zu verlieren. Deshalb bin ich umso glücklicher, dass ich mit meinem Verein, dem FC St. Pauli, einem Verein angehöre welcher keinerlei Rassismus duldet.

Hatten sie selber auch schon persönliche Erfahrungen mit Neonazis?

Grundlegend kommt meine antifaschistische Haltung von meinen Eltern die mich liberal erzogen haben und mir immer klar gemacht haben, dass es keine Unterschiede zwischen Menschen gibt…Ansonsten: Ja. ich habe allerlei Erfahrungen gemacht, bei Diskussionen, auf Demos, in Situationen des sich bedroht fühlens, aber auch, wenn es darum ging, Nazis mal entschieden, aber friedlich, entgegen zu treten und klar zu machen, dass sie unerwünscht sind.

Was ist, wenn ein Fußballspieler beim Spiel rassistische Sprüche zu Ohren bekommt oder Fans mit Heil Hitler-Gesten auf der Tribüne sieht. Könnte er dann eigentlich den Schiedsrichter bitten, das Spiel zu unterbrechen?

Sicher könnte der Schiedsrichter darauf eingehen und den Stadionsprecher dazu auffordern eine Ansage zu machen, dass dies zu unterlassen sei, nur leider ist das zu selten der Fall.
Das ist gar kein direkter Vorwurf an den Schiedsrichter, da er ja auch häufig nur das Spiel im Kopf hat. Gerade da liegt aber das Problem, viele Schiedsrichter sind dafür kaum sensibilisiert. Ich habe aber auch schon mehrfach die Schiedsrichter darauf aufmerksam gemacht und manche waren dankbar und andere hat es leider null interessiert.

Rechtsextreme potenzieren ja gesellschaftliche Vorurteile und grenzen  ganze Gruppen aus, seien es Ausländer oder Schwule. Wie sind denn Fußballer selber? Herrscht da wirklich Teamgeist oder Grenzen die auch aus?

Meine persönlichen Erfahrungen gehen da sehr auseinander. Klar herrscht immer Teamgeist, da man ja für ein gemeinsames Ziel arbeitet. Nur untereinander, sei es im Spaß oder im Ernst, ist es leider teilweise zu häufig der Fall, dass es Äußerungen gibt die teilweise schon erschreckend sind. Da ist es mir dann aber auch egal wenn ich dann da zum Außenseiter mutiere und nicht mitlache oder klar sage, dass es „so“ nicht geht.

Nehmen denn Ihrer Meinung nach DFB und Fußballverantwortliche das Thema inzwischen ernst genug?

… ganz ehrlich…NEIN. Aus meiner Sicht ist es häufiger eine reine Gewissensberuhigung, so in dem Sinne: lieber Kleinreden, Wegschauen und mal eine Alibi-Aktion starten. Hier sind aber auch die Fanprojekte der Vereine gefragt, welche klare Ansagen machen müssten, um rechte Strukturen und Gedanken nicht zu dulden.

Unter Gerhard Mayer-Vorfelder im DFB wurde das Thema fast gar nicht thematisiert. Unter Theo Zwanziger dagegen häufiger. Auch mit genügend Nachdruck?

Das Problem ist die Nachhaltigkeit. Es reicht nicht alle Monate mal die rote Karte gegen Rassismus hochzuhalten, aber mehr nicht zu machen. Klar erregt man bei dem ein oder anderem eventuell das Bewusstsein, aber richtige Fanarbeit, bzw. Basisarbeit ist das sicher nicht. Dennoch finde ich es gut und wichtig mit Theo Zwanziger jemanden zu haben, der für dieses Thema sensibilisiert ist.

Der FC St. Pauli spielt ja eine Vorreiterrolle bei der Positionierung gegen Neonazis. Was können andere Vereine in dieser Frage von Euch lernen?

Ich weiß nicht, ob andere Vereine von uns viel lernen können, denn es war weniger der Verein, sondern die Fans, die für unser Image des antifaschistischen Fußballvereins gesorgt haben. Aber als Verein muss man halt sobald man merkt, man hat antifaschistische Strukturen im Verein, diesen den Rücken stärken…und natürlich entschieden gegen Neonazis vorgehen.

Was sollten ein Verein auf Bezirks- oder Kreisklasseniveau oder auch eine Jugendmannschaft beherzigen, die merken, dass sich da immer mehr Rechtsextreme im Publikum tummeln?

Da ist dann die Zivilcourage die gefragt ist. Ich kann hier wirklich nur raten sich als Mannschaft geschlossen vor solche Leute zu stellen und sie mal nach ihren Intentionen zu fragen, denn da hapert es ja meistens schon und ihnen dann klar zu machen, dass sie als Neonazis auf dem Sportplatz nichts zu suchen haben.

Was wäre denn Ihre Idealvorstellung, was mit dem auch von ihnen gespendeten Geld bei der Arbeit gegen Rechtsextremismus getan werden soll?

…Plattformen wie diese am Leben zu erhalten! Denn Aufklärung und Hilfe sind nach wie vor die wichtigsten Taten um Menschen von rechtem Gedankengut fern zu halten, bzw. sie davon weg zu kriegen.

Wie glauben sie, kann man Jugendliche erreichen, um ihnen klarzumachen – Neonazis sind auf dem falschen Weg?

Gerade bei Jugendlichen ist es sicher ab und zu schwer, sie in ihren „Phasen“ zu erreichen, aber ich denke man muss ihnen mal klar vor Augen führen, für was sich Neonazis so einsetzen und dann an ihren hoffentlich vorhandenen Menschenverstand appellieren.

Was würden Sie Jugendlichen sagen, die meinen, Neonazis sind doch cool?

Also wenn sich so einer vor mich stellen würde, würde ich ihn fragen ob das sein Ernst sei und ihm versuchen klarzumachen, dass es ganz einfach nicht im Sinne der Gesellschaft und der Demokratie ist, was die Neonazis veranstalten.

Es gibt ja nicht viele Fußballer, die sich gesellschaftspolitisch einmischen, wie Sie. Wovor haben die Angst? Oder ist Fußball einfach unpolitisch?

Angst ist glaube ich genau das richtige Wort dafür. Leider spiegelt sich auch bei den Profifußballern, bzw. gerade da, das gesellschaftliche Bild der Gleichgültigkeit wieder. So ist es ja nun mal heute leider, dass es zu wenige gibt die sich nicht zu schade sind ihre Stimme zu erheben und sich für etwas zu engagieren. Bei mir ist es auch meine Person, die sich nie gerne irgendwelche Zwänge aufdrücken lassen wollte und jetzt wo meine Stimme Gehör hat, nutze ich diese sehr gerne für meine Sache…aktiven Kampf gegen rechte Gewalt!

Überrascht Sie das, wie viele Schlagzeilen momentan der Mordanschlag aus Passau  macht?

Ich finde es höchst fragwürdig, dass die Öffentlichkeit jetzt so laut aufschreit, da es einen Polizisten getroffen hat. Dabei passieren genug rechte Straftaten, tag ein tag aus. Aber so ist es halt. Für  Öffentlichkeit und Medien sind halt immer nur die neuen und oftmals noch krasseren Dimensionen interessant, was interessiert da schon der 500. Dunkelheutige der auf offener Straße verprügelt wird.

Aber wenn es denn schon Aufsehen gibt, zu welchem Nachdenken oder Umdenken sollten solche Schlagzeilen führen?

Auf der anderen Seite  tun  die Schlagzeilen ja auch ihr ihr Gutes, denn sie bewirken es, dass sich einige Menschen mehr mit dem Thema auseinander setzen und manche einen klaren Entschluss fassen, sich ebenfalls aktiv gegen rechte Gewalt einzusetzen.

Bene Pliquett – herzlichen Dank!

Das Interview führte Holger Kulick.

Das Interview ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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