Weiter zum Inhalt

Superwahljahr 2009 Ist Rechtsextremismus eine überschätzte Gefahr?

Bei der Bundestagswahl blieben NPD und DVU bedeutungslos. Hat sich damit das Problem Rechtsextremismus erledigt? Sind Wahlen dafür überhaupt ein guter Indikator? Kommentar von Dierk Borstel.

 

Kommentar zur Bundestagswahl von Dierk Borstel

Das Wahlergebnis war noch nicht einmal knapp, sondern eindeutig. Die rechtsextremen Parteien waren am Sonntag ohne jede Chance und die Ergebnisse nahezu beschämend. Gut, einzelne Ausrutscher in Sachsen und Vorpommern waren zu erwarten; aber bundesweit ist das Ergebnis doch eindeutig. Kann somit Entwarnung gegeben werden? War der Rechtsextremismus eine überschätzte Gefahr?

Mitnichten. Es stellt sich nämlich die Frage, woran tatsächlich der Rechtsextremismus und sein Gefahrenpotential gemessen werden kann. Besonders konservative Extremismusforscher beziehen sich dabei gerne auf Wahlergebnisse. Doch das ist unterkomplex. Zum einen wählen viele Rechtsextreme gar keine rechtsextremen Parteien, weil sie das politische System insgesamt ablehnen und sich nicht daran beteiligen wollen. Zwar bemüht sich die NPD um diese Klientel. Doch selbst dieser radikalen Partei gelingt es nicht, größere Teile der gerade im Aufschwung befindlichen „Autonomen Nationalisten“ an sich zu binden. Das bedeutet, selbst die radikalsten Vertreter des rechtsextremen Spektrums wählen oft keine rechtsextreme Partei.

Zum anderen ist es wichtig, wenn man sich anguckt, welche Parteien von denjenigen gewählt werden, die ? auch nach konservativer Lesart ? als rechtsextrem eingestellt betrachtet werden müssen. Eine Untersuchung von Richard Stöss zeigt, dass selbst in dieser Wählergruppe nur eine sehr kleine Zahl rechtsextreme Parteien wählt. Sie wählen stattdessen zu 40% die Unionsparteien und zu 25% gar die SPD. 17% von ihnen gehen lieber gar nicht erst zur Wahl als ihr Kreuz bei der DVU oder der NPD zu machen.

Das bedeutet in Bezug auf die Bundestagswahl, dass von einer Entwarnung kein Rede sein kann. Die Wahl hat lediglich den langjährigen Trend bestätigt, dass die rechtsextremen Parteien nicht in der Lage sind, ihre eigene Klientel, nämlich die rechtsextrem orientierten Wähler erfolgreich an sich zu binden. Das ist überaus erfreulich, sollte jedoch nicht dazu verleiten, übereilte Rückschlüsse auf das Phänomen insgesamt zu ziehen. Der moderne Rechtsextremismus will sich nicht am politischen System beteiligen, sonders es überwinden. Dazu braucht er keine Wahlen, sondern subversive Strategien für den Alltag auf kommunaler Ebene. Und Beispiele für Teilerfolge dieser Strategie liegen zur Genüge vor, werden aber von einem Teil der Forschung nicht angemessen wahrgenommen. Dies hieße doch, sich selbst auch vor Ort begeben zu müssen und das ist unangenehm. Da ist eine Analyse der Wahlergebnisse doch einfacher.

Dierk Borstel arbeitet wissenschaftlich an zwei Universitäten in Bielefeld und Greifswald sowie praktisch im Themenfeld Rechtsextremismus im Rahmen der Initiative EXIT-Deutschland.

Zum Thema

| Rechtsextreme Ergebnisse der Bundestagwahl 2009

| Rechtsextreme Ergebnisse der Landtagswahlen 2009 in Brandenburg und Schleswig-Holstein

Belltower.News macht gemeinnützigen Journalismus, denn wir klären auf und machen das Wissen von Expert*innen zu Antisemitismus, Rassismus und
Rechtsextremismus und allen anderen Themen der Amadeu Antonio Stiftung für ein breites Publikum zugänglich.
Unsere Reportagen, Recherchen und Hintergründe sollen immer frei verfügbar sein und nie hinter einer Paywall verschwinden.
Dafür brauchen wir aber auch Ihre Hilfe.
Bitte unterstützen Sie unseren Journalismus, Sie helfen damit der digitalen Zivilgesellschaft!

Weiterlesen

plakat-laucha

Braune Strukturen Die bürgerliche Fassade der NPD ist in sich zusammengebrochen

Die NPD warb in Sachsen-Anhalt 2011 moderat und bürgernah um Stimmen. Ihrem (damaligen) Spitzenkandidaten wird vorgeworfen im Internet zu Straftaten…

Von
Zwei Verbotsversuche und immer noch da: Die NPD

Bundestagswahl NPD – die Neonazis von gestern

Schwerpunkt Bundestagswahl: Die einst einflussreiche NPD verschwindet in die politische Bedeutungslosigkeit, zur Bundestagswahl 2021 tritt sie aber mit Landeslisten in…

Von
NPD voelkischer fluegel 13430

„Der Völkische Flügel“ Die NPD will sich wieder stärker für die militante Neonazi-Szene öffnen

Die AfD hat gezeigt, dass Rechtsaußen kein Tabu mehr ist. Das hat auch Auswirkungen auf die NPD, die wahl-politisch kaum mehr relevant ist. Einige Nationaldemokraten ziehen nun Konsequenzen und positionieren sich mit dem „Völkischen Flügel“ neu – sie wollen wieder stärker an die militante Neonazi-Szene anknüpfen.

Von

Schlagen Sie Wissenswertes in unserem Lexikon nach.