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Kultur Identitäres Denken ist in der Architektur weit verbreitet

Ein Teil der rekonstruierten Frankfurter Altstadt (Quelle: Flickr / photoheuristic.info / CC BY 2.0)

„Alle glauben sich in Sachen ‚Schönheit‘ und ‚Stadtraum‘ einig zu sein.“ – Geschichtsrevisionismus ist da oft nicht weit, sagt Stephan Trüby im Interview mit dem Forum Democratic Culture and Contemporary Art. Er spricht mit uns über die Frankfurter Altstadt, den Walter-Benjamin-Platz, das Marx-Engels-Forum und „harmlose Bösartigkeiten“.

Forum: Vor circa einem Jahr, im April 2018 haben Sie mit dem Artikel „Wir haben das Haus am rechten Fleck“ in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) eine Fundamentalkritik an der Neugestaltung der Frankfurter Altstadt publiziert. Sie wiesen nach, dass die erste parlamentarische Initiative für die Rekonstruktion von Rechtsradikalen kam. Wie waren die Reaktionen auf Ihre Recherche?
Stephan Trüby: Eine heftige Debatte folgte, bei der zwischen Lob und Kritik zwar alles dabei war, aber unter Architektinnen und  Architekten doch eine gewisse Zurückhaltung überwog. Was mich nicht überraschte, denn vielen war die Thematik offenbar zu heiß für eine öffentliche Positionierung. In der Theater- und Kunstwelt stießen wir dagegen auf viele offene Ohren. Bei einem Wettstreit in puncto Politisiertheit würde die Architektur derzeit im Vergleich zu anderen künstlerischen Disziplinen wohl eher schlecht abschneiden. Jedenfalls in Deutschland. Gut ein Jahr nach dem FAS-Artikel, im Mai 2019, legte ich mit meinem Stuttgarter Institut für Grundlagen moderne Architektur und Entwerfen (IGmA) nach, und wir publizierten die ARCH+ „Rechte Räume“. Damit rührten wir endgültig am architektonischen Tabu einer Rede über basale politische Orientierungen – die Gegenreaktionen waren erwartungsgemäß heftig.

Warum war die Reaktion auf Ihre Arbeit so stark?
Ich glaube, das hat auch mit der hiesigen architektonischen Kultur der Moderatheit zu tun, die über alles reden möchte, nur nicht über Ideologie und politische Orientierungen. Die vermeintlich autonome Architekturkategorien wie Raum, Form und Typus thematisiert, sich dabei gerne auch auf den italienischen Architekten Aldo Rossi bezieht, aber dessen Kommunismus so gut wie nie mitreflektiert. Wir müssen hier wohl auch über eine spezifisch deutsche 68er-Generation sprechen, und ich sage das ausdrücklich als jemand, der das emanzipatorische und progressive Erbe der Achtundsechziger gegen den gegenwärtigen Rollback hochhält. Aber mit ein Grund für das Einigeln im Architekturkonservatismus, den ich derzeit in Deutschland wahrnehme, hat sicherlich auch damit zu tun, dass es hierzulande – im Unterschied etwa zu Großbritannien und den USA – kaum eine technikaffine 68er-Generation gab. Denken Sie beispielsweise an das berühmt-berüchtigte Protest-Plakat „Alle Häuser sind schön, hört auf zu bauen“, das 1967 einige Studierende der TU Berlin im Rahmen eines Architekturtheorie-Kongresses entrollten. Heute dürften manche von ihnen wohl rufen: „Alle Häuser sind schön, rekonstruiert sie“. Die überaus starke Dominanz von konservativen Bautraditionen quer durch fast alle politische Lager in Deutschland ist sicherlich mit darauf zurückzuführen, dass das Experiment – gerade auch das technisch getragene Experiment – in Deutschland seit 1968 latent unter Technokratie-, ja sogar Faschismusverdacht gestanden hat. In der Folge wurde gerade auch die Planungsrationalität im Fahrwasser einer Horkheimer-Adorno’schen Dialektik der Aufklärung kritisiert. Die Konsequenzen sind derzeit in der deutschen Debatte um Rekonstruktionen zu spüren, wo stellenweise Linke oder ehemalige Linke, die aus der Stadterneuerungsbewegung kommen, mit rechten Geschichtsrevisionisten fraternisieren. Und alle glauben sich in Sachen „Schönheit“ und „Stadtraum“ einig zu sein.

Heißt das, dass Rekonstruktionsprojekte in der Umsetzung unideologisch sind?
Unideologisch nur in dem Sinne, als Ideologie oftmals im Unbewussten verbleibt. Um bei der Rekonstruktion oder besser Teilrekonstruktion der Neuen Frankfurter Altstadt zu bleiben: Die erste parlamentarische Initiative stammte hier bekanntlich von den „Bürgern für Frankfurt (BFF)“, in deren Reihen sich Rechtsradikale finden. Der BFF-Antrag wurde zunächst abgeschmettert, aber später dann inhaltlich ähnlich gelagert von Schwarz-Grün neu aufgelegt und durchgesetzt, um schlussendlich von einem SPD-Bürgermeister eingeweiht zu werden. Das zutiefst ideologisch geprägte Projekt – immerhin sprechen wir hier über ein mit öffentlichen Geldern teilsubventioniertes Luxuswohnprojekt – wurde in einem vermeintlich unideologischen Klima umgesetzt.

Kann man dennoch sagen, dass das Frankfurter Altstadt-Projekt ein Beispiel für eine Renaissance bzw. eine Kontinuität antimoderner Vorstellungen ist?
Zumindest insofern, als die Moderne ihre antimodernen Strömungen stets mitgebiert. Bei der Frankfurter Altstadt-Rekonstruktion wurde mit modernsten Mitteln einer anti-modernen Ideologie zum Bild verholfen. Aber Architektur ist nicht nur etwas, was am Ende eines langen Prozesses steht. Ebenso kann sie, die angeblich „langsamste“ aller Künste, als Frühwarnsystem betrachtet werden. Es ist sicherlich nicht abwegig, wenn Nikolaus Kuhnert, einer der Mitherausgeber der ARCH+, behauptet, dass im Berliner Architekturstreit der 1990er Jahre, bei dem erbittert über Blockrandbebauung, Steinverkleidung, Glasfassaden, „Berlinische Architektur“ und „Preußischer Stil“ gestritten wurde, die geschichtspolitischen Ideale der AfD vorweggenommen wurden. Die Architektur verfügt – wie andere Kunstformen auch – über seismografische Eigenschaften. Sie ist Teil eines weiten metapolitischen Feldes, auf dem künftige Politikformen abgesteckt werden. In Deutschland geht es insbesondere darum, das Projekt einer besseren Zukunft zugunsten einer besseren Vergangenheit aufzugeben.

Gibt es gegenüber dem Berliner Architekturstreit der 1990er Jahre etwas Neues an der aktuellen Debatte um „Rechte Räume“?
Das Novum der aktuellen Debatte um „Rechte Räume“ ist neben der veränderten politischen Großwetterlage und der örtlichen Entgrenzung vor allem die Rolle der sozialen Medien, die es in den 1990er Jahren natürlich nicht gab. Das macht die aktuelle Debatte so enthemmt – bis hin zur offenen Gewaltbereitschaft, die sich in entsprechenden Kommentarspalten niederschlägt. Eine seltsame Fusion hat sich zugetragen: Das ganz Junge – das technische Medium entsprechender Internetplattformen wie Facebook und Twitter – perpetuiert das ganz Alte: Baudenkmäler als Symbole für eine vermeintlich „christliche Identität“ Europas. Beim Brand von Notre-Dame ist diese Fusion so richtig deutlich geworden – und hat millionenfach antiislamische Verschwörungstheorien bzgl. der Brandursache um den Globus getragen – nicht zuletzt auch auf rechten Facebook-Architekturseiten wie Architectural Revival. Dort stört sich kaum jemand an den Tausenden von Kommentaren mit deutlichem Rechtsdrall.

Bei vielen dieser Kommentare geht es wahrscheinlich auch um den Glauben, in der Vergangenheit etwas Ursprüngliches zu erkennen. Durch diesen Rückgriff glauben dann manche zu erkennen, was z.B. europäisch oder deutsch ist, oder?
Ja. Ich würde sogar noch weiter gehen: Viele der Posts auf Architectural Revival, die sich auch bei deutschen Rekonstruktionsfans großer Beliebtheit erfreuen, propagieren eine rechtsradikale, ethnopluralistische, also neorassistische Argumentation. Vor einiger Zeit wurde beispielsweise eine Visualisierung des Siegerentwurfs von Staab Architekten für die Neugestaltung der südlichen Domumgebung in der Kölner Innenstadt mit folgenden Worten untertitelt: „Die Moderne ist demoralisierend. […] Die Tilgung der deutschen Identität ebnet den Weg für den Austausch des deutschen Volkes“. Eine klassische neurechte Erzählung – den „abendländischen“ Nationen stehe der „Große Austausch“ durch überwiegend muslimische Einwanderer*innen bevor – wird hier mithilfe von Architektur illustriert. Ein solches Denken, bei dem versucht wird, jeglicher universalistische Architekturansatz durch identitäres Denken in Misskredit zu bringen, ist in der Architektur übrigens durchaus weit verbreitet – und kommt nicht selten auch von links. Und zwar in Gestalt einer Globalisierungsskepsis oder –feindlichkeit, oft gepaart mit einer Prise Antiamerikanismus. Dies ist perfekt zu vereinnahmen von rechts.

Ein Differenzdenken, wie es sich in der Rede einer „europäischen Identität“ zeigt, appelliert ja auch an einen Authentizitätscharakter von Städten oder Regionen. Lehnen Sie dies grundsätzlich ab? Oder geht es Ihnen darum, dass etwas nicht ins übertrieben Identitäre kippen darf? Über welches Maß an Differenz sprechen wir?
Natürlich will auch ich Differenzen erleben, nicht zuletzt auf Reisen. Was allerdings in den letzten dreißig oder vierzig Jahren im Architekturdiskurs und darüber hinaus passierte, kommt einer weitgehenden Diskreditierung universalistischer Positionen in der Architektur gleich, an der auch die globalen Erfolge des so genannten „Parametrizismus“, also des computergenerierten Entwerfens von Architekturen mit komplexen Geometrien, nicht allzu viel ändern konnte. Dieser Diskreditierung muss man nun, denke ich, wieder gegensteuern. Im Übrigen auch gegen gewisse Spielarten des Postkolonialismus, die „Kulturen“ auf vermeintliche Identitäten festschreiben wollen. Aber als Leiter des wahrscheinlich einzigen deutschen Architekturinstituts, in dem die Wortkombination „moderne Architektur“ auftaucht, sage ich auch: Ein simples Zurück zu einer Prä-Postmoderne, zu einer modernen Architektur westlich-kolonialistischer Vorherrschaft, kann es nicht geben. Wir fragen uns daher: Gibt es so etwas wie ein neues, multiperspektivische Moderneprojekt, das postkoloniale Sensibilitäten mitreflektiert? Die Schwierigkeit, ein Moderneprojekt für die Gegenwart zu reaktivieren, hat sicherlich auch mit der Dominanz von Märkten über Staaten zu tun; also mit dem, was Zygmunt Bauman mit der Transformation einer stabilen in eine verflüssigte Moderne beschrieben hat. Was Patrik Schumacher, der Chef von Zaha Hadid Architects propagiert – nämlich eine anarchokapitalistische Architektur des reinen Marktes – kann ja wohl nicht die Zukunft sein. Das ist rechts-libertäre Andienerei an eine verflüssigte Private-sector-Welt; öffentliche Bauherren kommen hier fast nur in Form von autoritären Regimen ins Spiel. Das ultimative Gegenmodell dazu – die partizipationsgeübte Demokratie – bringt allerdings auch Probleme mit sich: und zwar die vielerorts zu beobachtende ästhetische Regression in Richtung des Alten und Vertrauten; in Deutschland vor allem in Richtung Rekonstruktion. Zwischen den beiden Extremen „Parametrismus“ und „Rekonstruktion“ tut sich derzeit eine große Lücke auf – auch im Theorieangebot.

Wo sehen Sie interessante Bauvorhaben, die diesen Weg einschlagen?
Es gibt in Kopenhagen einen hochinteressanten Platz bzw. Park namens Superkilen, der von der Künstlergruppe Superflex in Zusammenarbeit mit der Bjarke Ingels Group (BIG) und Topotek1, einem deutschen Landschaftsarchitekturbüro, entworfen und 2012 eingeweiht wurde. Was dort entstanden ist, kann als Versuch eines öffentliches Raumes für eine multikulturelle Gesellschaft betrachtet werden. In unmittelbarer Nachbarschaft zu einem migrantisch geprägten Stadtviertel findet sich ein marokkanischer Brunnen, eine türkische Bank, japanische Kirschbäume, Trainingsgeräte vom Muscle Beach in L.A., Abwasserkanäle aus Israel und Palmen aus China bis hin zu Neonreklamen aus Katar und Russland. Bei jedem Objekt befindet sich eine kleine, in den Boden eingelassene Edelstahlplatte mit einer Beschreibung des Objekts auf Dänisch und in der jeweiligen Sprache des Herkunftslandes. Eine Art surrealistische Sammlung globaler Diversität ist entstanden, die jegliches Bild eines ethnisch homogenen Dänemarks dementiert. Dort wurde das Fragment einer „Weltgesellschaft“ symbolisch errichtet.

Künstler entziehen sich oft der politischen Diskussion, indem sie die Autonomie des Kunstwerks betonen. Gibt es diese Tendenz auch in der Architektur, oder werden die Debatten, die diese Art von Verteidigung notwendig machen, erst gar nicht geführt?
Auch in der Architektur gibt es ein sehr starkes Autonomiedenken, und zwar in völlig unterschiedlichen Lagern. Es findet sich beispielsweise sowohl bei Patrik Schuhmacher – der glaubt, dass Architektur ein System sei, das autonomen Gestaltungsentscheidungen gehorchen würde –, als auch bei Hans Kollhoff. Letzterer ist ja kürzlich wegen seines 2001 fertig gestellten Walter-Benjamin-Platzes in Berlin massiv unter Beschuss geraten, weil der Platz erstens formale Anleihen bei bestimmten Architekturen des italienischen Faschismus macht und zweitens der Architekt dort ein antisemitisch konnotiertes Ezra-Pound-Zitat aus den 1930er Jahren anbringen ließ: „Bei Usura hat keiner ein Haus von gutem Werkstein. Die Quadern wohlbehauen, fugenrecht, dass die Stirnfläche sich zum Muster gliedert.“ Mit dem Codewort „Usura“ (Wucher) sind natürlich „die Juden“ gemeint, denen Pound die Schuld an allem Möglichen, auch eben an schlechter Architektur ohne “guten Werkstein” anlastete. Beides, die Architektur des Platzes wie das Zitat, wird vom Architekten mit Bezug auf die Autonomie der Architektur bzw. Dichtkunst verteidigt.

Sind reaktionäre Architekturtendenzen vor allem ein deutsches Phänomen oder gibt es Ähnliches auch woanders in Europa?
In der „Rechte Räume“-ARCH+ gehen wir auf verschiedene europäische Länder ein. Zum Beispiel auf Polen und Ungarn. Im Unterschied zu Deutschland, wo es von Seiten der Rechten ein starkes Interesse an Rekonstruktionen gibt, ist in Polen zumindest die Rekonstruktion der Warschauer Altstadt antifaschistisch grundiert. Dafür finden sich dort viele aktuelle kirchliche Projekte, die dem rechtskatholischen Kontext zuzuordnen sind. Ungarn dagegen ist beim Thema „Rechte Räume“ vor allem für seine Denkmalpolitik interessant, etwa wenn sozialistische Denkmäler an die Peripherie verlegt werden; wenn – wie auf dem Szabadság-Platz in Budapest geschehen – neue Denkmäler errichtet werden, die die Kollaborationsgeschichte Ungarns mit Nazi-Deutschland verschweigen; oder wenn – wie 2013 am Eingang zur Budapester Reformierten Kirche Hazatérés Temploma geschehen – , gar eine Bronzebüste von Miklós Horthy aufgestellt wird, Unter Horthys autoritärem Regime war 1920–44 eine antijüdische und pro-nationalsozialistische Politik in Ungarn betrieben worden.

Die Entsorgung der sozialistischen Moderne spielt wahrscheinlich bei den deutschen Rekonstruktionsprojekten eine große Rolle, oder?
Natürlich. Das sieht man besonders in Berlin deutlich. Beim Humboldtforum etwa, das an die Stelle des Palastes der Republik trat. Oder bei der geplanten Rekonstruktion der Schinkel’schen Bauakademie, für die ein Meisterwerk der Ostmoderne geopfert wurde, nämlich das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR, errichtet 1972 von Josef Kaiser, Heinz Aust, Gerhard Lehmann und Lothar Kwasnitza. Oder ganz aktuell bei der Debatte über die Zukunft des Marx-Engels-Forums. Hierfür hat vor knapp einem Jahr der bekannte Berliner Stadtsoziologe Harald Bodenschatz den Vorschlag gemacht, eine Berliner Altstadt nach dem Vorbild der Frankfurter Altstadt zu rekonstruieren. Und zwar mit dem – wie ich finde – sehr bizarren Argument, hier eine Art „christliche-jüdische Toleranztopografie“ wiedererstehen lassen, die es dort natürlich niemals gegeben hat, trotz der bemerkenswert hohen Dichte von Immobilien im Besitz jüdischer Familien vor 1933. Aber Juden durften bekanntlich erst ab 1918 einen Ministerposten oder Ähnliches in Deutschland bekleiden. Eine lange Diskriminierungs- und Pogromgeschichte nun mit einem angeblichen Zeitalter christlich-jüdischer Toleranz zu verklären und auf dieser Argumentationsbasis dann eine Altstadt zu rekonstruieren, halte ich für geradezu obszön. Mein Vorschlag lautet einerseits entschlossene Restitution und Entschädigung – da ist noch viel zu wenig getan worden – und andererseits die Erhaltung des Bruches in Form des Marx-Engels-Forums. Hier eine Art Happy-End-Rekonstruktion zu bauen wäre meines Erachtens städtebaulich ein Fehler und historisch auch das falsche Signal.

Gibt es rechte oder linke Architekturen?
Ich meine nein. Aber es gibt rechte oder linke Architektinnen und Architekten. Und vor allem natürlich auch Opportunisten. Architektur kann allerdings meist dann eindeutig in einem politischen Rechts-links-Spektrum verortet werden, wenn Inschriften ins Spiel kommen, was häufig und nicht zuletzt ja auch beim Walter-Benjamin-Platz der Fall ist. Uns wurde unter anderem von den beiden FAZ-Architekturkritikern Niklas Maak und Arnold Bartetzky vorgeworfen, dass wir nicht mit Hans Kollhoff reden, ihn nur diffamieren würden. Dieser Vorwurf ist schlicht falsch und eine Verdrehung der Tatsachen: Die Architekturtheoretikerin Verena Hartbaum, die die ganze Causa mit dem Ezra-Pound-Zitat für die ARCH+ „Rechte Räume“ aufgearbeitet hat, hat sehr wohl Hans Kollhoff kontaktiert und ihn um eine Stellungnahme gebeten. Diese hat sie auch erhalten und publiziert. Und abgesehen davon ist es doch völlig egal, was Kollhoff denkt und sagt. Wichtig ist, was da auf dem Platz steht.

Wie geht man nun mit dem Zitat auf dem Platz um?
In der ZEIT hat Adam Soboczynski vor ein paar Wochen eine lesenswerte Milieustudie veröffentlicht. Unter dem Titel “Eine AfD des Bauens?” berichtet er von der Reaktion des Schriftstellerpaars Durs Grünbein und Eva Sichelschmidt auf die “Rechte Räume”-ARCH+, in der Kollhoffs Pound-Zitat vehement kritisiert wurde. Das Paar sitzt auf dem Berliner Walter-Benjamin-Platz im „italienischen Restaurant, das sehr gut und sehr teuer ist”, legt “Wert auf feine Gesten”, “blättert befremdet” im Heft – und mokiert sich über “Jogginghosen”, während man mit dem antisemitisch konnotierten Pound-Zitat ganz offenkundig seinen relativen Frieden gemacht hat: “Wenn Sie in Deutschland einen richtig rechten Raum sehen wollen, dann müssen Sie auf die deutsche Autobahn”, so Grünbein am Ende. Ein ziemlicher Whataboutismus, finde ich. Jedenfalls bin ich gegen eine simple Zitatentfernung. Das würde den Ort nur auf falsche Art und Weise adrett machen. Vielmehr plädiere ich für eine Ergänzung des Pound-Zitats mit zwei Sätzen von Walter Benjamin: „Alle Bemühungen um die Ästhetisierung von Politik gipfeln in einem Punkt. Dieser eine Punkt ist der Krieg.“ Das steht so in Benjamins berühmtem Text Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Geschrieben hat Benjamin diese beiden Sätze 1936, also etwa zeitgleich zu Pounds Usura-Dichtung.

Die Antwort könnte also die Erzeugung von Ambivalenz sein?
Die Antwort sollte jedenfalls ein Kommentar sein, der nicht nur das Pound-Zitat, sondern auch die gesamte Kriegsbereitschafts-Ästhetik des Platzes in die Schranken verweist. Wissen Sie, was mich umtreibt in der Architektur, ist ihr Verdammtsein zum Optimismus. Daniel Libeskind hat mal gesagt: „Als Architekt musst du an die Zukunft glauben. Du kannst weder Zyniker noch Skeptiker sein, sonst wärst du kein Architekt. Vielleicht ein Politiker oder Historiker oder ein Autor, aber nie ein Architekt. Aufgabe eines Architekten ist es, das Leben besser zu machen.“ Aber auf was baut quasi die gesamte Hochkultur und Unterhaltungsindustrie auf? Auf dem Faszinosum und der Attraktivität des Bösen und Verbrecherischen. Dagegen steht der grundsätzliche Optimismus der Architektur. Um diesen Optimismus weiterhin attraktiv zu halten, muss man künftig vielleicht noch entschlossener dazu übergehen, in kulturellen Artefakten – und eben auch in der Architektur – künstlich Ambivalenzen einzubauen: so etwas wie „harmlose Bösartigkeiten“ im grundsätzlich Guten.

Foto oben: Flickr / photoheuristic.info / CC BY 2.0

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