Um ihre berufliche Existenz kämpfen viele Landwirt*innen in Deutschland, und das nicht nur aufgrund der vergangenen Hitzesommer. Seit 1990 hat die Hälfte aller Höfe ihren Betrieb aufgeben müssen, vielfach aufgrund von zu hohem Konkurrenzdruck und Einhalten neuer Auflagen, die Ertragsbußen verursachen. Von Wissenschaftler*innen und Landwirt*innen werden finanzielle Mittel eingefordert, die den Flächen- und Ertragsverlust ausgleichen, aber Gewässerrandstreifen und Feldränder von Pestiziden schützen soll. Das ist bislang im neuen Insektenschutzgesetz nicht vorgesehen und die Wut und Sorge bei vielen Landwirt*innen groß.
Die Bauern und Bäuerinnen möchten sich Gehör verschaffen und kämpferisch auftreten, die Politik, die in Berlin gemacht wird, adressieren. Bei der Suche nach dem verloren gegangenen „Wir-Gefühl“ in der Bauernschaft erinnern sich die Landwirt*innen an die Bauernproteste vor 100 Jahren. In den 1920er-Jahren standen viele Landwirt*innen ebenfalls unter starkem wirtschaftlichen Druck, doch es formierte sich eine große Protestbewegung. Wie damals möchten die Landwirt*innen in Schleswig-Holstein wieder zusammen „gegen die Politik kämpfen“. Die schwarze Fahne mit dem weißen Pflug und rotem Schwert wird von einem Landwirt und seiner Frau vergangenen Sommer wieder neu genäht und findet großen Anklang unter den Kolleg*innen.
Im Juni 2020 stellen über 200 beleuchtete Trecker in Nordfriesland auf einem Acker das Landvolk-Symbol nach und kassieren eine Welle der Empörung. Der Deutsche Bauernverband und Politiker*innen aller Parteien distanzieren sich von den Bauernprotesten, selbst Beiträge zu den historischen Hintergründen der Symbolik in diversen Bauernzeitungen kommen bei den demonstrierenden Landwirt*innen nicht an. Sie „verstehen die Welt nicht mehr“ und halten an der Landvolk Symbolik fest.
„Wer auf Symbolik rumreitet, leidet an Argumentationsarmut. Wir kämpfen um unsere Existenz!“, heißt es auf Facebook. Unter dem Eintrag wird der Tagesspiegel-Artikel „Was es mit der ‚Landvolk‘-Bewegung auf sich hat“ von Ende Januar gepostet. Die Seite „Land schafft Verbindung – das Original“ gefällt über 30.000 Personen und mobilisiert bundesweit zu den Mahnwachen und Bauernprotesten, die seit Ende 2019 stattfinden.
Was steckt hinter der Symbolik von Pflug und Schwert?
Der Pflug ist eines der wichtigsten Werkzeuge, die in der Landwirtschaft benutzt werden, um den Boden zu bearbeiten und kann als verbindendes Element zwischen dem Landwirt und dem Acker gesehen werden. Das rote martialisch anmutende Schwert steht für das Kämpferische. Die Assoziation „Blut-und-Boden“ liegt recht nah, dennoch wollte die Landvolk Bewegung in den 1920er Jahren parteiunabhängig – auch von der NSDAP – agieren. Die bereits erwähnte wirtschaftliche Not der Landwirt*innen war in Schleswig-Holstein am schlimmsten und wirkte sich negativ auf ihr Demokratieverständnis aus, sie fühlten sich „verlassen“ und vergessen von der jungen Weimarer Republik. Protest unter den Landwirt*innen formierte sich. 1928 besuchten 140.000 Menschen in Schleswig-Holstein auf 20 Veranstaltungen Kundgebungen mit völkischer Agitation, woraufhin sich die Landvolk Bewegung gründete. Die Anführer der Bewegung waren Anhänger eines völkischen Nationalismus, Ablehner der parlamentarischen Staatsform und waren bereits in rechten Wehrverbänden organisiert. Aktionen und körperliche Auseinandersetzungen mit Behörden sorgten für Zusammenhalt unter den Landwirt*innen. Selbst gezielt verübte Bombenanschläge auf Verwaltungsgebäude führten zu keinen nennenswerten Einbußen in der Anhänger*innenschaft.
Neben einigen Funktionären aus rechten Kreisen, spielten auch diverse Intellektuelle eine zentrale Rolle. In der Landvolkzeitung, die für die politische Bildung des Landvolks sorgen sollte, wurden antisemitische und republikfeindliche Texte veröffentlicht. Aufgrund der ideologischen Nähe stellte die „Landvolk“-Bewegung für Hitler und die NSDAP eine Konkurrenz dar, eine Beteiligung an den Protesten wurde Parteimitgliedern untersagt. Eine spätere Parteimitgliedschaft und das Belegen höherer Ränge im NS-Staat folgte jedoch bei vielen Akteur*innen der „Landvolk“-Bewegung. Die völkische Agitation der „Landvolk“-Bewegung ebnete jedenfalls der NSDAP und Nazi-Deutschland den Weg, was sich nicht zuletzt an den außerordentlich hohen Wahlergebnissen in Schleswig-Holstein 1932/33 widerspiegelte.
Einige „Landvolk“-Bewegte organisierten sich in deutsch-völkischer Abgrenzung von Hitlers Politik im „Tannenbergbund“ und „Deutschvolk“, gegründet von Mathilde und Erich Ludendorff. Zwar wurden diese Gruppierungen ab 1933 verboten, stellen aber die Vorgängerorganisationen vom „Bund für Gotterkenntnis“ dar (der BfG verbreitet antisemitische und rassistische Verschwörungserzählungen, gründet auf germanisch-heidnischen Glaubensansätzen mit ethnopluralistischen Vorstellungen und brauner Esoterik). Auch bekannt als „die Ludendorffer“ betreibt der Verein bis heute diverse Tagungshäuser und hat bundesweit mehrere Hundert Mitglieder. Auch wegen einstigen Anhängern der „Landvolk“-Bewegung wie Ernst Jünger oder Ernst von Salomon und der völkischen, antiparlamentarischen und antisemitischen Ausrichtung der Bewegung genießt sie bis heute in rechtsextremen Kreisen wie der „neuen“ Rechten hohes Ansehen.
Verschwörung erkannt, Morddrohung versendet
Das Feindbild heute bei den Bauernprotesten ist klar: „Die“ Politik, „die da oben“ wollen die Bauern kaputt machen und deswegen sei es nur richtig ein Symbol zu wählen, das Druck ausübt. Auch wenn in vielen Redebeiträgen oft nicht deutlich ist, wer mit „die“ gemeint ist, so wird es an anderen Stellen umso konkreter. Journalist*innen und Politiker*innen, die sich zu den Bauernprotesten äußerten, erhielten jüngst Morddrohungen per Post. Die Briefe mit angeklebten Patronen sind unterschrieben mit verschiedenen Verbänden der Landwirtschaft.
Der rechte Medienmacher Martin Lejeune – begeisterter „Querdenken“-Aktivist, Erdogan-Fan und Hamas-Versteher – hat längst das Mobilisierungspotential bei den Bauernprotesten gewittert. Auf dem Youtube-Kanal, den er mit seiner Freundin Anne Höhnen betreibt, lädt er zahlreiche, teilweise mehrstündige Interviews mit den Organisator*innen und Anmeldern der Bauernproteste hoch. Ein Widerspruch zu der erst kürzlich ausgesprochenen Distanzierung von „Querdenken“ auf einer Demonstration? Eigentlich schon. Zumal die Inhalte, die auf den Telegram-Kanälen „Landvolk-schafft-Verbindung“ und „Arminius Erben“ mit mehreren Tausend Abonnent*innen geteilt werden, ziemlich viel Nähe zu völkischem Gedankengut, Falschinformationen und Verschwörungserzählungen aufweisen.
Einsetzen für landwirtschaftliche Belange und Umweltschutz funktioniert auch ohne „Landvolk“-Bezug. Informationen zum Umgang mit völkischem Gedankengut können zum Beispiel der neuen Handreichung „Land unter? Handlungsempfehlungen zum Umgang mit völkischen Siedler*innen“ entnommen werden. Die „Fachstelle Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz“ (FARN) der „Naturfreunde Deutschlands“ bietet regelmäßig Bildungsveranstaltungen zu Rechtsextremismus in der Ökologie und in der Landwirtschaft an.
Tagung im März 2021, gefördet von der Amadeu Antonio Stiftung: „Kartoffel, Kürbis, Vaterland – Landwirtschaft aus rechter Hand“