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Michaela Dudley Wohnrecht ist Menschenrecht – auch für BIPoC?

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"Wir Marginalisierten leisten schon bedeutende Vorschüsse mit Blut, Schweiß und Tränen. Es ist längst Zeit, dass dies anerkannt wird – und das wir nicht gegeneinander, sondern gemeinsam mit der sogenannte Dominanzkultur die Frage der Wohnungsknappheit endlich unter Dach und Fach bringen." (Quelle: Michaela Dudley, Pixabay)

„Es ist zum Verzweifeln“, lamentiert Sally, eine 29-jährige Französin, den Kopf schüttelnd. „Am Anfang stellt man sich darauf ein, es würde nicht wenige Wochen, sondern mehrere Monate dauern. So weit, so gut. Aber die Monate werden schnell zu Jahren. Man muss laufend improvisieren und immer wieder neue Enttäuschungen ertragen.“

Sally ist Übersetzerin. An den Universitäten in Lyon und Lorraine hat sie unter anderem Germanistik studiert. Sie arbeitet in Berlin, wo es ihr nicht an anspruchsvollen Aufträgen mangelt. Als Dolmetscherin, Lektorin, Sprachlehrerin schlägt sie sich tapfer durch. Allerdings hat sie dazu noch eine Nebenbeschäftigung, die ihr dauernd zu schaffen macht. Denn sie ist konstant auf Wohnungssuche. Eine Zeit lang hatte sie in Paris gewohnt, eine der teuersten Städte Europas. Aber Berlin, ihr schillernder Lebensmittelpunkt, entpuppt sich ebenfalls als ein unerbittlich hartes Pflaster: Hier eine bereits überfüllte WG, da eine Frauenpension ohne warmes Wasser, dann Couchsurfing bei wenig begeisterten Kolleg*innen und zwischendurch ein paar Tage Airbnb. Darüber hinaus erfolgt das ebenso zeitaufwendige wie zermürbende Scrollen durch eine Endlosschleife illustrierter Immobilienannoncen. Welches überteuerte Mietobjekt käme vielleicht doch irgendwie infrage? Gibt es überhaupt noch genug Geld für drei Monate Kaution? So verläuft es. Sie lebt buchstäblich aus dem Koffer, sie sitzt vielmehr zwischen den Stühlen.

Erschwerend kommen einige Punkte hinzu: Zum einen ist Sally eine trans* Frau. Nach ursprünglichem Zögern geht sie sehr offen mit ihrem Transgendersein um. Auch und gerade während sie auf Angebote am Immobilienmarkt antwortet, erwähnt sie diesen Aspekt von sich aus.

Einmal als sie sich beim Vorgespräch am Telefon outete, beschwichtigte der Berliner Eigentümer, das sei gar kein Problem. Dieser gab sich angetan von ihr und ihrem Akzent. Stolz erklärte er, er sei selber schwul. Somit vermutete sich Sally endlich auf der Zielgeraden. Anderntags erschien sie also pünktlich zu der Privatbesichtigung in Prenzlauer Berg. Als Business-Lady mit modischer Brille, dezenten Pumps und einer monogrammierten Mappe traf sie ein. Doch derselbe Eigentümer, der sie ach so höflich eingeladen hatte, versperrte nun mit verschränkten Armen den Eingang zu seiner Altbauwohnung. Er verweigerte ihr dazu den Handschlag. Stattdessen schloss er die Tür hinter sich und begleitete sie treppab ins Foyer. Ihr Stimmlage mag ihm gefallen haben, ihre Hautfarbe freilich nicht. Zischelnd warf er Sally vor, ihm ihre „Rasse“ verheimlicht zu haben. Sally ist nämlich Schwarz. Seine Reaktion ließ sie wie eine ertappte Escortdame fühlen.

„Mein Ruf ist sehr gut, und ich will ihn nicht aufs Spiel setzen“, begründete er. „Du sollst es in Wedding versuchen. Sowieso habe ich inzwischen einen festen Mieter.“

Das ist leider kein Einzelfall. Als ich Sallys Erlebnisse jüngst im LGBTQ-Magazin Siegessäule schilderte, erhielt ich eine Menge Zuschriften, in denen Betroffene ähnlich demütigende Erfahrungen beschrieben. Wenige Wochen später war ich selbst dran.

Die Vermieterin, die ihren neugierig schnuppernden Dackel in den Armen wog, begrüßte mich mit einem Lächeln. Es war mir übrigens gelungen, den ersten Besichtigungstermin bei ihr zu ergattern. Sie,  Millennial, und ich, eine Black Boomerin, verstanden uns offenbar gut. Geradezu enthusiastisch zeigte ich ihr diverse Referenzen und betonte meine Bereitschaft, Miete und Kaution in Echtzeit zu überweisen. So hoffte ich ernsthaft auf den Vertrag und auf den Stift zum Unterzeichnen. Sie kam jedoch erst zwei Tage später als versprochen auf mich zurück. Mit einem kurzen WhatsApp-Text informierte sie mich, sie habe sich für ein queeres Pärchen entscheiden. Denn die beiden nachträglich auftauchenden Mitbewerbenden aus der Regenbogen-Community hätten so lange nach ihrem Glück gesucht, und sie wolle ja „fair“ zu ihnen sein. Es stellt sich heraus, es handelt sich dabei um Weiße. Kam Unconscious Bias, also unbewusste Voreingenommenheit, ins Spiel? Aus Fairness zu der Vermieterin möchte ich über ihre wahren Beweggründe und ihr Urteilsvermögen überhaupt nicht spekulieren. Als 61-jährige Schwarze trans* Frau hätte ich dennoch gehofft, auch mal ein bisschen Fairness zu spüren, anstatt nicht rechtzeitig über die Ablehnung informiert zu werden.

Punkteabzug für „nichtdeutsche“ Nachnamen

Mitglieder der BIPoC-Community, die auch blitzschnell auf Mietwohnungsangebote antworten, müssen immer wieder mal als Platzhalter*innen herhalten, bis genug Weiße in die Auswahl kommen. Wer einen Nachnamen hat, der „nichtdeutsch“ klingt, muss sich sowieso hinten anstellen oder gleich das Handtuch werfen. Die Praxis ist gang und gäbe, ganz egal, ob bei privaten Untervermieter*innen oder großen Wohnungsbaugesellschaften. Selbst wenn eine Einladung doch noch erfolgt, sind Mikroaggressionen nicht ausgeschlossen, sondern durchaus vorprogrammiert.

Aufgrund seines Nachnamens wurde ein libanesisch-stämmiger Professor bei der Besichtigung einer Charlottenburger Wohnung gefragt, ob er familiäre Verbindungen zu einem gleichnamigen „kriminellen Clan“ hätte. Dieselbe Frage kennt eine ähnlich betroffene Bekannte, die seit drei Jahren und sieben Mietverträgen herumrennt, um eine unbefristete Wohnung zu finden. Sie ist eine deutsche Beamtin türkischer Abstammung, sie arbeitet sogar für die Berliner Justiz. Bei der Schufa kann sie sich durchaus blicken lassen. Trotzdem ist sie nicht vor herabwürdigenden Vorurteilen gefeit. Man erblickt in ihr eine alleinerziehende, „ausländische“ Mutter, und bei Besichtigungen kommen die plump-vertraulich gestellten Fragen wie aus der Pistole geschossen. Sitze ihr Mann eigentlich im Knast? Sei sie lesbisch? Würden ihre Töchter schon Kopftücher tragen? Habe sie vor, Verwandtschaften aus Anatolien nachzuholen?

Entschuldigung, aber so geht es nicht weiter. Um aus meinem Essayband Race Relations zu zitieren: „Wir fristen unser Dasein mit etwas Glück als Steuerzahlende im Streichelgehege des selbsternannten Sozialstaates, dem Menschenzoo der Moderne. Denn auch da sind wir angekettet.“ Fakt ist, wir sind nicht auf der Durchreise. Wir sind hier, um zu bleiben, um aufzubauen, um diese alternde, grau gewordene Republik bunter zu machen.

Nichtbetroffene, die solche Demütigungen leugnen oder als Unannehmlichkeiten verharmlosen, haben entweder keine Ahnung oder kein Interesse daran, in einer gleichberechtigten, multikulturellen Gesellschaft zu leben. Oft behaupten sie: „Es sind eh diese Flüchtlinge, die für die Wohnungsknappheit verantwortlich sind!“ Eine populistische und nicht minder populäre Lüge.

Ist es aber zu viel verlangt, die Frage der Beherbergung in Zeiten empfundener Knappheit nicht lediglich durch den White Gaze zu betrachten? Allzu oft ignoriert der Weiße Blick die Bedürfnisse der BIPoC-Mitbürger*innen.

Die Rechtslage: Vorgaben und Nachholbedarf

An und für sich verstoßen viele der hierin geschilderten Erfahrungen gegen das im August 2006 in Kraft getretene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Denn dieses schützt bei der Wohnungssuche sowie auch in bestehenden Mietverhältnissen vor Diskriminierung. Wenigstens in der Theorie. Opfer können laut § 21 AGG zwar Entschädigung, Schadensersatz und Unterlassung verlangen. Das Nachweisen vor Gericht kann aber schwierig sein. Oft ist es Aussage gegen Aussage. Zudem kann das Prozessieren, ob mit oder ohne Mieterrechtsschutz, in etlicher Hinsichten an die Ressourcen gehen. Am Ende besteht sowieso kein Anspruch auf den Abschluss eines Mietvertrages. Höchstens auf eine eher knapp bemessene Entschädigung.

Doch damit nicht genug. Es herrscht die „Fünfzig-Wohnungen-Regel“. Bei Eigentümer*innen, die einschließlich bis zu 50 Mietobjekte vermieten, kommt das AGG nur deutlich eingeschränkt zur Geltung. Gemäß Paragraf 19 (3) AGG ist „eine unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf die Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen und ausgewogener Siedlungsstrukturen sowie ausgeglichener wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Verhältnisse zulässig.“ Grob gesagt: Der kleine, besorgte Bürger mit bis zu 50 Wohnungen darf seine völkischen Vorstellungen ausleben. Diese in der Rechtsprechung bestätigte Ausnahmeregelung öffnet dem Rassismus Tür und Tor. Und ebenda, wo die fromme Menschenwürde dem „freien“ Markt unterliegt, grassiert der Futterneid, während der soziale Frieden mit Füßen getreten wird.

Im Artikel 31 der Europäischen Sozialcharta ist der Anspruch auf Wohnen ein fest verankertes Menschenrecht. Demzufolge verpflichtet sich Deutschland, den Zugang zu Wohnraum mit ausreichendem Standard zu fördern, der Obdachlosigkeit vorzubeugen und die Wohnkosten auf eine sozialverträgliche Weise zu gestalten. Einheimische, Migrant*innen, Queere, Flüchtlinge, Menschen mit Behinderung, Kinder, Arme und, und, und – alle müssen in Wort und Tat in den Genuss dieses allzu existenziellen Menschenrechtes kommen.

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