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Mystische Menschenfeindlichkeit Über Esoterik Rechtsaußen

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(Quelle: Unsplash)

Ganzheitlichkeit, kosmische Bewusstseinserweiterung, Erwachen, Erleuchtung: Das sind Schlagworte, die in neueren spirituellen Büchern und Magazinen immer wieder zu finden sind. Seit längerem hat sich jenseits kirchlicher Religiosität und parallel zu Säkularisierungsprozessen in Deutschland eine alternative Spiritualität etabliert. Sie tritt meist in individualisierter Form in Erscheinung. Ihr wesentliches Merkmal ist eine starke Subjektzentrierung, d.h. der/die Einzelne wählt aus einem Angebot unterschiedlicher Offerten aus und konsumiert sie bedürfnisorientiert.

Spiritualität im Plural

Spiritualität“ hat den heute eher altbacken wirkenden Begriff „Frömmigkeit“ abgelöst und findet sich oft im Plural. Es handelt sich dabei um bewusst nichtdogmatische, individualisierte Spiritualitäten: Neben starr organisierten und konfliktträchtigen Gruppierungen, sogenannten „Sekten“, finden sich fluide neureligiöse Bewegungen und als wichtiger Faktor die zeitgenössische Esoterik.

Als Form alternativer Spiritualität erweist sie sich als besonders marktkonform und anpassungsfähig. Ein Blick in die Regale größerer Buchhandlungen zeigt ein verwirrendes Bild unterschiedlicher Themen und Praktiken: von Pendeln und Tarotkarten über Heilsteine, Bachblüten und Reiki bis hin zu Channeling-Kontakten mit außermenschlichen Wesenheiten (z.B. Engeln oder aufgestiegenen Meistern). Vermittelt werden sollen dabei einerseits unmittelbare, stark auf individuelle Bedürfnisse abgestimmte und angeblich auf höherer Erkenntnis basierende Praktiken, die der menschlichen Sehnsucht nach innerem Wohlbefinden, Harmonie und persönlicher Heilung entgegenkommen. Andererseits geht es um eine Selbstermächtigung durch Magie im Sinne von Kraftübertragung.

Milliardenmarkt Esoterik

Kritische Beobachter*innen sprechen inzwischen von einem „Milliardenmarkt Esoterik“. Die geschätzten Umsatzzahlen sind mitunter beträchtlich, besonders im Bereich kommerzialisierter Beratungsangebote, die über Telefon, Internet, durch thematische Zeitschriften oder crossmediale Kanäle (z.B. AstroTV) vermittelt werden. Darüber hinaus gibt sich die moderne Esoterik durch Bücher und Zeitschriften als literarisches Phänomen zu erkennen, das sich zwischen Unterhaltung und Lebenshilfe bewegt. Auffällig ist auch eine „Esoterisierung der Gesellschaft“: Esoterische Themen sind ihrem ursprünglich subkulturellen Nischendasein entwachsen und zu einem gesellschaftlich-kulturellen Faktor in der modernen Erlebnis- und Wohlfühlwelt aufgestiegen. Die vergangenen Jahre und nicht zuletzt die Corona-Pandemie haben gezeigt, dass die Esoterik für individuelle wie für gesamtgesellschaftliche Krisenlagen ein besonderes Sensorium zu besitzen scheint. Auf Querdenker und Hygiene-Demonstrationen waren ebenfalls esoterikaffine Personen zu finden. Auch der Gründer der Initiative „Querdenken-711“ Michael Ballweg zeigt sich für esoterisches Gedankengut offen. So hatte er bereits Anfang 2020 ein Retreat des US-Amerikaners und spirituellen Lehrers Joe Dispenza besucht und bekannte später im Interview, ein großer Fan seiner Meditationen zu sein. Dispenza ist ein sehr erfolgreicher Autor esoterischer Bücher wie „Ein neues Ich“. Darin vertritt er die in der Esoterik gängige Überzeugung, wonach jeder Mensch mit Hilfe der Kraft eigener Gedanken sich seine Wunsch-Wirklichkeit erschaffen könne.

Esoterische Verschwörungsspiritualität

In den vergangenen Jahren wurde besonders deutlich, dass die zeitgenössische Esoterik zwischen Alltagsphänomen und Krisensymptom changiert. Sie ist zum einen populär, zum anderen hat sie ein spezielles Gespür für gesamtgesellschaftliche Krisenlagen entwickelt.

Nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie wurde offensichtlicher als zuvor, wie eng Esoterik und Verschwörungsglaube verbunden sind und ein Zwillingspaar bilden. Diese Verschwörungsspiritualität (Ward & Voas 2011) erweist sich als besonders anschlussfähig an antidemokratische, antisemitische und rechtsextreme Auffassungen wie etwa die QAnon-Ideologie. Die Berührungspunkte zwischen dem Verschwörungsglauben und esoterischen Weltdeutungen sind evident: Beide gehen von einem höheren Wissen, einer Neo-Gnosis, aus. Damit grenzt man sich gegen den Mainstream bzw. die Nicht-Erleuchteten ab. Das Postulat einer Alternativ-Wirklichkeit sowie die Vorstellung, dass es keinen Zufall gebe und alles mit allem zusammenhänge, bilden weitere große Überschneidungsfelder zwischen verschwörungsgläubigen und esoterischen Weltdeutungen.

Rechte Esoterik

Die moderne Esoterik wendet sich gegen die Rationalität der Wissenschaften und postuliert einen alternativen Zugangsweg, der zu absolutem Wissen führen soll. Esoterik vertritt demnach einen höheren Erkenntnisanspruch: Es geht um ein Wissen, das sich nur sensiblen, sensitiven oder erleuchteten Menschen erschließt oder erschlossen hat (Grom 2002). Esoteriker*innen reagieren mit Misstrauen gegenüber der Wissenschaft, der evidenzbasierten Medizin, der institutionalisierten Religion, den Medien und nicht zuletzt der Politik.

Damit kommt eine Form rechter bzw. rechtsoffener Esoterik ins Spiel: Es handelt sich dabei um Gruppierungen, Bewegungen und Einzelakteure, die Esoterik als Möglichkeit für die Verbreitung von Feindbildern sowie von antidemokratischem und rechtem bzw. geschlossenem Denken nutzen. Das Spektrum umfasst rechtsesoterische Sinnfluencer in Sozialen Medien (z.B. Jo Conrad – bewusst.tv oder Robert Stein – ehedem steinzeit.tv) und einschlägige Verlage wie den Amadeus Verlag von Jan Udo Holey alias Jan van Helsing. Der Schweizer Ivo Sasek, Gründer der rund 2.500 Mitglieder umfassenden Organischen Christus Generation, verfolgt u.a. mit seinem Internetsender kla.tv und der massiven Verbreitung von Verschwörungsnarrativen eine gezielte Strategie der Verunsicherung. Die teilweise millionenfach geklickten Videos wenden sich besonders an Menschen im christlich-evangelikalen wie auch im esoterischen Spektrum.

Zu erwähnen ist in diesem Kontext die rechtsesoterische Anastasia-Bewegung, die mit ihren Siedlungsprojekten („Familienlandsitze“) gezielt an ökologische Bedürfnislagen anknüpft. Einzelne Akteur*innen versuchen das antidemokratische und antisemitische Gedankengut auch in der sogenannten Freilerner-Szene mit Lerngruppen sowie mit Schulgründungen zu verbreiten.

Problematische Allianzen

Esoterisch-verschwörungsideologische „Überwisser*innen“ berufen sich teilweise auf obskure Quellen, richten sich gegen herkömmliche Geschichtsdeutung, den „Mainstream“ sowie gegen „die“ Medien und etablierte politische Parteien. Sie propagieren – wie etwa Jo Conrad – problematische alternative Heilungsofferten wie die Germanische Neue Medizin. Auffällig sind bisweilen Bezüge zur Reichsbürgerszene. Einzelne Akteure sind personell sehr gut vernetzt und haben es – wie im Fall Erich Hambach – geschafft, Kooperationen mit Personen aus der Wissenschaft einzugehen, die gegenüber verschwörungsideologischem Denken offen sind.

Jüngstes Beispiel dafür ist die u.a. von Hambach initiierte Gründung von „Die Akademie“ mit Sitz in Gmund am Tegernsee: Sie will eigenen Angaben zufolge Online-Seminare im Rahmen eines Studium Generale als Gegengewicht zum angeblich nicht länger diskursfähigen akademischen Universitätsbetrieb schaffen. Auf ihrer Internetseite heißt es: „Unsere Dozenten genießen an der AKADEMIE uneingeschränkte Wissenschaftsfreiheit. Dies betrifft insbesondere die Auswahl der Methoden, der Themen, der Positionen und Perspektiven. Es herrscht Rede-, Meinungs- und Gedankenfreiheit unter kultivierten und gebildeten Personen. Sprachregulationen im Sinne der ‚political correctness‘ werden abgelehnt.“ Einer internen Liste zufolge zählen zu den Dozent*innen neben den Verschwörungsideologen Ken Jebsen, Daniele Ganser und Robert Stein auch zahlreiche Universitätsprofessor*innen.

Mögliches Gefahrenpotenzial nicht unterschätzen

Esoterisch-verschwörungsideologisches Überwissen verweigert den rationalen Diskurs. In manchen Fällen dient Esoterik als Trojanisches Pferd für extrem rechtes Denken. Mit der Übernahme esoterischer Auffassungen ist nach Beobachtungen in der Beratungsarbeit oftmals der Boden für verschwörungsideologisches und antidemokratisches Gedankengut bereitet.

Für manche wird dies zur spirituellen Flucht in irrationale Gegen-Welten, die sich zum Einstieg in den Ausstieg aus dem verhassten „System“ steigern kann. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist: Mit einer esoterisch-individualisierten Weltsicht kann eine spirituelle Egozentrik einhergehen, die jegliche Empathie und Mit-Menschlichkeit vermissen lässt, indem sie Leidenden oder Opfern eine karmische Verantwortung für ihr erlittenes Schicksal zuschreibt.


Matthias Pöhlmann ist Theologe und Publizist, 2021 hat er bei Herder das Buch Rechte Esoterik — Wenn sich alternatives Denken und Extremismus gefährlich vermischen veröffentlicht.

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