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NPD-Jugend Warum ein Wasserturm einen völkischen Verein in Bedrängnis bringt

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Das „Jugendheim Hohenlohe“ ist ein altes Bauernhaus (rechts) in Herboldshausen (Lkr. Schwäbisch Hall/Baden-Württemberg). (Quelle: Timo Büchner)

29. August 2020, 19.00 Uhr: Die JN postet via Telegram mehrere Fotos vom „Gemeinschaftstag“ in „Süddeutschland“. Ein Foto zeigt junge Frauen und Männer. Die Frauen tragen alte Trachten, die Männer weiße Hemden und schwarze Hosen. Sie stehen auf einer Wiese, singen im Halbkreis. Weitere Fotos zeigen sie auf einer Wanderung und beim Sport. Sie machen Liegestützen auf einer großen Wiese. Im Hintergrund: ein rot-weißer Wasserturm. Das sind, wie die JN schreibt, „erste Impressionen“. Es heißt: „Ein Bericht folgt bald.“

Die NPD-Jugendorganisation „Junge Nationalisten“ veranstalteten Ende August 2020 ihren „Gemeinschaftstag Süd“. (Screenshot aus dem Telegramkanal der JN)

4. September 2020: Die JN veröffentlicht den „Erlebnisbericht eines jungen Kameraden“. Anreise: 28. August; Frühsport; ideologische Schulung und Diskussionsrunde; 20km-Wanderung mit Besuch einer alten Burgruine; gemeinsames Singen und Tanzen; Aufnahme neuer Mitglieder im nächtlichen Fackelkreis; Abreise: 30. August. Der Bericht, der zweifelsohne an die „Hitlerjugend“ erinnert, wird durch zahlreiche Fotos illustriert. Ein Foto zeigt die Liegestütze – aber der rot-weiße Wasserturm fehlt.

10. September 2020, 13.30 Uhr: Die JN veröffentlicht via Telegram ein Video ihres „Gemeinschaftstags“. Das zweiminütige Video zeigt junge Frauen und Männer beim Sport und auf einer Wanderung. Die Aufnahmen scheinen im ersten Moment mit den veröffentlichten Fotos übereinzustimmen. Aber rasch wird deutlich: Das sind alte Aufnahmen aus dem Vorjahr, die offenbar den Veranstaltungsort verschleiern sollen.

Der Wasserturm, das Detail eines Fotos, ist der Beweis: Die JN veranstaltete ihren „Gemeinschaftstag Süd“ im „Jugendheim Hohenlohe“, einem alten Bauernhaus des völkischen „Bund für Gotterkenntnis (Ludendorff) e.V.“ (BfG). Das Haus befindet sich in Herboldshausen im Norden Baden-Württembergs. Der Weiler, der im Wesentlichen aus drei Bauernhöfen besteht, liegt unmittelbar an der Autobahn. Das sind ausgezeichnete Voraussetzungen für die extreme Rechte: Neonazis und Völkische haben schnelle Zufahrt und können ihre Veranstaltungen ungestört durchführen.

Der BfG, der bundesweit über einige hundert Mitglieder verfügt, gibt sich harmlos, aber seine Ideologie ist radikal. Sie ist stark von den antisemitischen und rassistischen Lehren Mathilde Ludendorffs (1877-1966) geprägt. Mathilde begründete in den 1920er-Jahren die „Deutsche Gotterkenntnis“ und heiratete Erich Ludendorff, General des Ersten Weltkrieges und Mitinitiator des „Hitler-Ludendorff-Putsches“ (09.11.1923), im Jahr 1926. Durch Erich hatte Mathilde eine Reihe persönlicher Begegnungen mit Adolf Hitler. Sie waren Geschwister im Geiste.

„Die Judenmacht, ihr Wesen und Ende“ (1939) © Timo Büchner

Das Buch Die Judenmacht, ihr Wesen und Ende (1939), herausgegeben von Mathilde Ludendorff, ist ein Sammelsurium antisemitischer Texte aus dem „Haus Ludendorff“. Mathilde sah im „volkrettenden Antisemitismus“ eine dringend erforderliche und legitime „Abwehrbewegung […] gegen den Antigojismus des Juden“. Denn „der Jude“ strebe die „Enteignung und Versklavung aller Völker der Erde“ an. Das antisemitische Weltbild ist offenkundig, aber der BfG, der aus der völkischen Bewegung Mathilde Ludendorffs entstanden ist, behauptet bis heute, sie sei keine Antisemitin gewesen.

Seit Jahrzehnten sind die Völkischen im Süden Deutschlands verwurzelt: Der BfG hat seinen Sitz in Tutzing (Bayern), der langjährige, 2010 verstorbene Bundesvorsitzende Gunther Duda (*1926) lebte in Dachau (Bayern) und die aktuelle Bundesvorsitzende Gudrun Klink (*1962) wohnt in Ingelfingen (Baden-Württemberg). Das mehrstöckige Bauernhaus befindet sich seit 1972 in den Händen des Vereins. In der Hochphase des BfG, in den 80er- und 90er-Jahren, fand jedes Wochenende eine Veranstaltung in der Immobilie statt. Wie oft die Räumlichkeiten heutzutage genutzt werden, ist weitestgehend unbekannt.

Dass der Veranstaltungsort des „Gemeinschaftstags“ verschleiert werden sollte, ist kein Zufall: Üblicherweise agiert der BfG fernab der kritischen Öffentlichkeit. Die „Ostertagung“ in Dorfmark (Niedersachsen) und die Sonnenwendfeiern in Herboldshausen, die in der Regel zwei Mal pro Jahr stattfinden, sind die wenigen Veranstaltungen, die öffentlich bekannt sind. Dass der Shoahleugner Nikolai Nerling („Der Volkslehrer“) die „Ostertagung“ 2019 filmen und die BfG-Bundesvorsitzende Gudrun Klink vor der Kamera interviewen durfte, ist eine Rarität. Nun lässt der „Gemeinschaftstag“ erahnen, dass die Immobilie in der extremen Rechten herumgereicht wird.

Der „Bund für Gotterkenntnis (Ludendorff) e.V.“ veranstaltet, wie das Sonnenwendfeuer im Jahr 2016, regelmäßige Brauchtumsfeiern. © Julian Feldmann

Um Näheres zum „Gemeinschaftstag“ herauszufinden, beantragte die baden-württembergische Landtagsabgeordnete Jutta Niemann (Bündnis 90/Die Grünen) eine Stellungnahme des Innenministeriums. Die Antwort, die Belltower.News exklusiv vorliegt (Drucksache 16/9322), ist ein Offenbarungseid: Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) hat keinerlei Kenntnis von der Veranstaltung. Mehr noch: Abseits der Sonnenwendfeiern, die in der Stadtverwaltung angemeldet werden, hat das LfV keinerlei „konkrete Erkenntnisse“ über Veranstaltungen in der Immobilie. Es ist nicht das erste Mal, dass Journalist*innen und Zivilgesellschaft besser über die lokalen Aktivitäten extrem rechter Strukturen informiert sind.

Weil der Verein keine öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen durchführt und sich innerhalb seiner gewachsenen Netzwerke bewegt, sind die Behörden überzeugt, dass der BfG und seine Immobilie keine Rolle in der extremen Rechten spielen. Der konspirative „Gemeinschaftstag“ beweist, dass das ein fataler Trugschluss ist. Jutta Niemann erklärt: „Der BfG beteuert, er sei weder antisemitisch noch rassistisch, aber stellt militanten Neonazis seine Immobilie zur Verfügung. BfG und JN eint die Feindschaft gegen das politische System und unsere offene, vielfältige Gesellschaft.“ Daher fordert sie mehr Sensibilität für die Aktivitäten der extremen Rechten: „Sicherheitsbehörden und Öffentlichkeit müssen wissen, wann und wo sich Neonazis und Völkische treffen.“

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