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Rechter Terror 40 Jahre nach dem Doppelmord an Shlomo Lewin und Frida Poeschke

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In Gedenken an Frida Poeschke und Shlomo Lewin in Erlangen. (Quelle: Erika Balzer)

Am Abend des 19. Dezembers 2020 klingelte es in der Ebrardstraße 20 in Erlangen an der Tür: Sofort nachdem Rabbiner Shlomo Lewin sie öffnet, wird er von drei Schüssen in Brust, Arm und Kopf getroffen. Als der 69-jährige schon am Boden liegt, gibt der Täter noch einen vierten Schuss in den Kopf ab. Frida Poeschke, die in einem anderen Zimmer ist, wird gleich danach ebenfalls durch vier Schüsse ermordet. Eine Freundin von Poeschke wollte sie an diesem Abend besuchen, aber als sie eintrifft, ist die Polizei schon am Tatort. Ein politisches Motiv für die Tat schließen die Ermittlungsbehörden relativ schnell aus und ermittelten stattdessen im persönlichen Umfeld der beiden Opfer – sie werden in den Medien als zwielichtig und mit fragwürdiger Vergangenheit dargestellt. Doch der Täter war niemand aus ihrem sozialen Kreis, sondern Uwe Behrendt – Mitglied der „Wehrsportgruppe Hoffmann“ und der rechten Studierendenvereinigung „Hochschulring Tübinger Studenten“. 

Shlomo Lewin wurde 1911 geboren, entkam dem NS-Regime und lebte in Israel, bis er 1960 wieder nach Deutschland zurückkehrte. Er war Rabbiner und als Gesellschafter des Judaicaverlages „Ner Tamid“ tätig und Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg und der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Frida Poeschke wurde 1928 geboren und war die Witwe des ehemaligen Erlanger Bürgermeisters. Gemeinsam mit Lewin setzten sie sich für einen christlich-jüdischen Austausch ein und bemühten sich um einen öffentlichen Diskurs über Antisemitismus in der Gesellschaft (vgl. Initiative Kritisches Gedenken Erlangen). Poeschke und Lewin waren sich der Gefahr von rechts bewusst und haben auch vor der neonazistischen „Wehrsportgruppe Hoffmann“ gewarnt.

Die „Wehrsportgruppe Hoffmann“

Die WSG wurde 1973 von Karl-Heinz Hoffmann in Mittelfranken gegründet und war bundesweit eine der wichtigsten Neonazi-Vereinigungen. Sie setzten vor allem auf Aktivitäten und Strukturen paramilitärischen Charakters und wurden erst im Januar 1980 vom damaligen Bundesinnenminister Gerhard Baum verboten (vgl. nordbayern). Der damalige Ministerpräsident Bayerns, Franz Josef Strauß (CSU), wollte in diesem Jahr zum Bundeskanzler gewählt werden, weshalb seine Prioritäten eher bei der Eindämmung des Kommunismus als der inneren Sicherheit des Bundeslandes lagen. 

Nach dem Verbot seiner Wehrsportgruppe stellte sich Hoffmann als das Opfer einer „jüdischen Verschwörung” dar und nach dem Oktoberfest-Attentat verfasste er eine Erklärung, wonach die Tat vom israelischen Geheimdienst Mossad begangen wurde, um, sie Hoffman in die Schuhe zu schieben. Der Wehrsportgruppen-Anführer pendelte von da an zwischen Franken und dem Libanon und druckte für die PLO („Palästinensische Befreiungsorganisation“) Falschgeld und besorgte ihnen militärische Ausrüstung und ausrangierte Fahrzeuge der Bundeswehr. Im Gegenzug dazu, wurde der WSG ein Trainingsgelände zur Verfügung gestellt.

Shlomo Lewin war für den Neonazi kein Unbekannter. Er hatte ihn als Teil der „jüdischen Verschwörung” wahrgenommen: Bei einer Versammlung von Holocaust-Leugner*innen aus Deutschland und den USA – darunter war auch der Autor des Buches „Die Auschwitz-Lüge“ und Hoffmann-Freund Thies Christophersen – im August 1977, stellte sich Lewin ihnen gegenüber und konfrontierte die Lügen. Bei einer Hausdurchsuchung von Hoffmann fand man außerdem eine italienische Zeitschrift, in der eine Aussage Lewins über Neonazis und Hoffmann explizit zitiert wurde. Die Hausdurchsuchung fand am 27. September 1980 statt, im Rahmen der Ermittlungen zum Oktoberfest-Attentat, also vor dem Mord an Lewin und Poeschke. 

Ein Täter oder mehrere Täter*innen?

Eine am Tatort des Doppelmordes in Erlangen gefundene Sonnenbrille hätte die Ermittelnden zu einer weiteren Spur führen müssen: Sie gehörte Franziska Brinkmann, der Freundin von Karl-Heinz Hoffmann. Jedoch wurde sie erst im Februar 1981 vernommen und erst im Mai 1981 kam es zu Durchsuchungen des gemeinsamen Wohnsitzes von ihr und anderen WSG-Mitgliedern. Es dauerte über ein halbes Jahr, bis Hoffmann und Brinkmann festgenommen wurden und fast vier Jahre nach der Tat, erst im September 1984, begann der Prozess gegen sie. Obwohl Mitglieder der „Wehrsportgruppe Hoffmann“ angaben, Hoffmann hätte versucht, sie zu rekrutieren, um einen Mord an Juden zu begehen und obwohl Franziska Brinkmann nickte, als sie danach gefragt wurde, ob Hoffmann etwas mit dem Mord zu tun hatte, wog doch das Alibi eines Freundes, der aussagte, er wäre die ganze Nacht bei ihnen gewesen, vor Gericht stärker. 

Tatort: Das Bungalow in Erlangen.

Viele offene Fragen über den Doppelmord

Uwe Behrendt konnte nie für die Tat verurteilt werden: Seine Leiche wurde erst 1984 im Libanon identifiziert – doch wie kam er dorthin? Laut den Ermittlungsakten ist Behrendt nach dem Mord an Lewin und Poeschke über Weihnachten zu Verwandten in die DDR gereist und dann wohl weiter nach Österreich – Verwandte von ihm erhielten eine Postkarte aus Salzburg, die einen Stempel vom 26. Dezember 1980 hatte. Erst danach machte er sich auf den Weg in den Libanon, Hoffmann machte ihn dort zum „Leutnant“ (vgl. Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft). Einige Mitglieder der Gruppe haben ausgesagt, er wäre Anfang 1981 nochmal nach Europa gereist und hätte einen weiteren Mord begangen, er soll im Besitz eines gefälschten Ausweises gewesen sein. 

Im September 1981 soll er Suizid begangen haben. Diese Annahme beruht aber lediglich auf Aussagen von WSG-Mitgliedern und einer Obduktion, die erst im Jahr 1984 vorgenommen wurde. Gegensätzlich dazu gab es eine Meldung der Nachrichtenagentur Associated Press, wonach Behrendt bei dem Fluchtversuch aus einem Gefängnis erschossen worden sein soll. All diese Umstände werfen Fragen auf, die bis heute nicht geklärt wurden. Das heißt, auch 40 Jahre nach der Tat, ist nicht bekannt, wie Uwe Behrendt wirklich gestorben ist, ob er nicht noch weitere Taten begangen hat und wieso die Brille von Franziska Brinkmann am Tatort lag.

Was hat das Oktoberfest-Attentat damit zu tun?

Bis jetzt gilt es als der schlimmste rechtsterroristische Angriff in Nachkriegsdeutschland: Am 26. September 1980 wurde ein Terroranschlag auf das Oktoberfest in München ausgeübt, bei dem 13 Menschen starben. Anders als beim Doppelmord in Erlangen, kam die Polizei durch ihre Ermittlungen relativ schnell auf eine Spur, die sie zu Karl-Heinz Hoffmann und seine Terroreinheit führte. Nur einen Tag später fand eine Hausdurchsuchung bei ihm statt. Der konkrete Grund dafür war, dass der mutmaßliche Attentäter, Gundolf Köhler, Mitglied der „Wehrsportgruppe Hoffmann“ war. Der damals 21-jährige Student wurde jedoch als alleiniger Attentäter abgestempelt und alle anderen Ermittlungen somit für unnötig erklärt. Trotzdem oder gerade deswegen hätte nicht so viel Zeit verstreichen dürfen, bis die Ermittlungsbehörden bei dem Doppelmord in Erlangen die „Wehrsportgruppe Hoffmann“ ins Visier nahmen. 

Noch mehr offene Fragen zum Oktoberfest-Attentat

Ulrich Chaussy ist Journalist und beschäftigt sich seit über 35 Jahren mit dem Doppelmord und dem Oktoberfest-Attentat. Durch seine Beharrlichkeit schaffte er es, dass die Ermittlungen 2014 wieder aufgenommen wurden. Im Juli 2020 wurden sie erneut eingestellt und noch immer beschäftigen ihn Ungereimtheiten, die nicht aufgeklärt wurden. So verschwand bspw. eine Hand vom Oktoberfest-Attentat entweder beim Landeskriminalamt oder in der Rechtsmedizin spurlos, obwohl sie weder zum Täter Gundolf Köhler, noch zu den Opfern hätte gehören können. Des Weiteren haben mehrere Augenzeug*innen davon berichtet, zwei Verdächtige gesehen zu haben, nicht nur den angeblich alleinigen Täter Köhler. Beides lässt vermuten, es könnte Mittäter*innen gegeben haben, womit die Einzeltäterthese hinfällig gewesen wäre.

Die Tatsache, dass es eine*n Täter*in gibt, dem man ein Motiv zuschieben kann, ist bequem. Dass sich Täter*innen aber meist nicht von alleine radikalisieren und in einem Netzwerk agieren, hätte das Auseinandersetzen mit der menschenverachtenden Ideologie der „Wehrsportgruppe Hoffmann“ bedeutet. Dass diese Bereitschaft nicht gegeben war und zum Teil immer noch nicht gegeben ist, könnte man bei den Sicherheitsbehörden bei den zögerlichen Ermittlungen zum NSU-Komplex und den immer noch nicht aufgeklärten „NSU 2.0“ wieder unterstellen (vgl. Migazin). Martina Renner (MdB, Die Linke) sagt dazu: „Es gibt keinen Einzeltäter, man redet immer mit jemandem“.

Nach dem Erscheinen der Reihe „Baseballschlägerjahre“ von rbb und ZEIT wurde das Bewusstsein für die rechtsextremen und neonazistischen Gewalttaten aus den 1990er Jahren wieder geweckt. Jedoch war 1980 schon das Jahr, in dem der rechtsextreme Terror eskalierte: das Oktoberfest-Attentat in München und der Mord an Shlomo Lewin und Frida Poeschke in Erlangen, sowie der rassistische Brandanschlag in Hamburg, bei dem Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân aus Vietnam getötet wurden. 

Man sollte nicht nur an die letzten 40 Jahre erinnern, sondern sich dessen bewusst sein, dass Antisemitismus und Rechtsextremismus auch heute Motive für Gewalt und Hass sind. Und dass Fehler wie 1980 seitens der staatlichen Behörden nicht nochmal passieren dürfen und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit niemals verharmlost oder gar übersehen werden darf.

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