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Rudolf Steiner Anthroposophische Krankenhäuser behandeln Covid-19 mit Meteorstaub und Ingwer

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When you wish upon a star: Covid-19-Patient*innen werden in anthroposophischen Krankenhäusern unter anderem mit Meteoreisen behandelt (Quelle: Michał Mancewicz / Unsplash)

In Deutschland gibt es 14 stationäre Einrichtungen der anthroposophischen Medizin, die den Lehren des esoterischen Philosophen und selbsternannten Hellsehers Rudolf Steiner folgen – darunter neun Akutkrankenhäuser. Diese anerkannten medizinischen Kliniken ergänzen konventionelle Behandlungen mit anthroposophischen Ansätzen. Ob und wie Menschen dort behandelt werden, soll ihre freie Wahl sein. Der „DAMiD“, der „Dachverband Anthroposophische Medizin in Deutschland“, schreibt auf seiner Webseite: „Patient/innen wollen heute mit entscheiden, wie und wo sie behandelt werden – auch wenn sie ins Krankenhaus müssen.“ Aufgrund der Covid-19-Pandemie ist das Gesundheitswesen allerdings am Limit: Jedes Intensivbett zählt. So werden manche Patient*innen mit einem schweren Verlauf des Virus in anthroposophische Krankenhäuser eingeliefert – auch ohne ihre Einwilligung. So kann es in kritischen Fällen dazu kommen, dass sie nicht mehr zustimmen können, ob sie mit pseudowissenschaftlichen Medikamenten wie Meteorstaub und Ingwerwurzeln behandelt werden wollen, deren Wirksamkeit keine medizinische Studie nachgewiesen hat.

Die anthroposophische Bewegung ist dem 1861 geborenen Rudolf Steiner zu verdanken, einem selbsternannten Visionär mit einer esoterischen, spirituellen Weltanschauung, die heute allein in Deutschland in 249 Waldorfschulen, über 500 Kindergärten und 263 Einrichtungen für Menschen mit Behinderung praktiziert wird. Die Anthroposophie hat viele Anhänger*innen in Deutschland, darunter etwa Götz Wolfgang Werner, Gründer der Drogeriekette „dm“, der bekennender Anthroposoph ist. Auch Götz Rehn und seine Bio-Supermarktkette „Alnatura“ und die 1932 gegründete Bio-Marke „Demeter“ stehen den anthroposophischen Lehren Rudolf Steiners nahe.

Steiners Thesen basieren auf der rassistischen „Wurzellehre“. Er entwickelte eine Evolutionslehre der vermeintlichen Völker- und Rassengruppen und schrieb Menschen je nach Hautfarbe unterschiedliche Eigenschaften zu. Vor allem Schwarze Menschen wurden in Steiners Lehren abgewertet. Auch Antisemitismus wird Steiner vorgeworfen: Er verbreitete Verschwörungsmythen und finanzierte Schriften, die den Juden die Schuld für den Ersten Weltkrieg gaben. Mittlerweile haben sich deshalb viele Anhänger*innen der Anthroposophie von Rudolf Steiner distanziert: In der 2007 veröffentlichten und 2020 aktualisierten „Stuttgarter Erklärung“ des „Bundes der Freien Waldorfschulen“ positionieren sich etwa seine Mitglieder klar gegen Diskriminierung und Rassismus.

Zu den größten anthroposophischen Krankenhäusern in Deutschland zählen die „Filderklinik“ nahe Stuttgart sowie die Gemeinschaftskrankenhäuser „Havelhöhe“ in Berlin und „Herdecke“ in Witten-Herdecke. Dort kommen neben konventionellen, wissenschaftlich entwickelten ärztlichen Behandlungen auch anthroposophische Ansätze zur Anwendung, deren Wirksamkeit medizinisch nicht belegt sind. Der „Verband Anthroposophischer Kliniken e.V.“ schreibt auf seiner Webseite: „In Anthroposophischen Kliniken werden sowohl moderne medizintechnische und schulmedizinische Verfahren als auch ergänzend Kunsttherapie oder Heileurythmie sowie spezifische Arzneimittel eingesetzt.“ Auch homöopathische Arzneimittel, für die es keine Nachweise gibt, dass sie über einen Placebo-Effekt hinaus wirken, gehören zum Werkzeugkasten der anthroposophischen Medizin.

Die marxistisch-verjudete Schulmedizin

Die Unterscheidung von „Schulmedizin“ und „Alternativmedizin“ ist aus mehreren Gründen problematisch. Zum einen unterliegt die Medizin wissenschaftlichen Prinzipien. Das macht sie inklusiv: Wenn eine neue Behandlung, ein neues Medikament, nachweislich wirksam ist und zugelassen wird, gehört es ebenfalls zur medizinischen Praxis. Schon deshalb ist der Begriff „Alternativmedizin“ äußerst bedenklich. Niemand würde von „alternativer Physik“ oder „alternativer Mathematik“ sprechen. Ein Ansatz, der wissenschaftlicher Überprüfung nicht standhält und dennoch praktiziert wird, ist eine Ideologie – eine gefährliche. Eine solche faktenresistente und nicht evidenzbasierte Denkweise bietet einen fruchtbaren Boden für Verschwörungsideologien. Es zählt, was man fühlt und glaubt, nicht was mit Fakten und experimentellen Prüfungen bewiesen werden kann.

Wo ein solches Misstrauen gegenüber der Wissenschaft hinführt, sieht man auch in den verschwörungsideologischen „Querdenken“-Protesten seit dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie. In diesem Milieu fallen Botschaften der Anthroposophie auf fruchtbaren Boden. Da wissenschaftliche Evidenz hier so wenig wert ist, sind im Milieu der Anthroposoph*innen auch viele Impfgegner*innen zu finden. Rudolf Steiner äußerte sich häufig zum Thema Impfen. 1917 schrieb er, dass Impfungen künftig dazu führen könnten, dass der „menschliche Leib nicht zu dem Gedanken kommt: Es gibt eine Seele und einen Geist“. 1924 schrieb er: „Der Mensch kann sich nicht mehr erheben aus einem gewissen materialistischen Fühlen. Und das ist doch eigentlich das Bedenkliche an der Pockenimpfung“. Anthroposophische Zeitschriften wie beispielsweise Erziehungskunst kritisieren, dass gegen „relativ harmlose Krankheiten“ geimpft wird – und stuft Masern, Röteln und Grippe als „entwicklungsfördernde Krankheiten“ ein.

Waldorfschulen standen schon mehrfach im Zentrum von Masernepidemien. Einer Studie des „Journal of Infectious Diseases“ konnte zeigen, dass zwischen 2005 und 2009 sechs der neun größeren Masernausbrüche in Deutschland, Österreich und der Schweiz an Waldorf-Einrichtungen auftraten. Das Gesundheitsamt stellte 2013 nach einem Masernausbruch in einer Waldorfschule in Nordrhein-Westfalen fest: Nur 25 Prozent der 400 Schüler hatten ausreichenden Impfschutz. Dieser Trend ist angesichts der aktuellen Covid-19-Pandemie besonders alarmierend.

Interessant ist aber auch, woher der Begriff der „Schulmedizin“ stammt: Der Begriff stammt vom deutschen Homöopathen und Arzt Franz Fischer, der 1876 das Wort erfand, um mit diesem Kampfbegriff die evidenzbasierte Medizin zu diskreditieren. Diese Stigmatisierung führten die Nationalsozialisten fort: Die „jüdisch-marxistische Schulmedizin“ stand den Ansätzen der „Naturärzte“ gegenüber. Anstelle der „verjudeten Schulmedizin“ sollte eine „neue deutsche Heilkunde“ treten, die auf Volks- und Naturheilverfahren basiert. Dennoch benutzen bis heute nicht nur Organisationen wie der „Verband Anthroposophischer Kliniken e.V.“ den Begriff „Schulmedizin“, sondern beispielsweise auch die „Techniker Krankenkasse“.

Die „Alternativmedizin“ genießt in Deutschland – anders als in vielen anderen Ländern – ein besonderes Ansehen. Anthroposophische Medizin, zu der auch Homöopathie zählt, gilt in der Bundesrepublik als „besondere Therapierichtung“ – eine Sonderrolle, die bedeutet, dass homöopathische Arzneimittel und anthroposophische Therapien nicht denselben gesetzlichen Anforderungen unterliegen wie die übrigen Medikamente und Behandlungen. Das heißt: Anthroposophische Medikamente müssen in der Regel nicht zugelassen, sondern lediglich registriert werden. Ein Nachweis der Wirksamkeit wird nicht gefordert, auch nicht, wenn ein homöopathisches Mittel doch ein Zulassungsverfahren durchlaufen muss. Bislang wurde noch kein homöopathisches Mittel zugelassen, bei dem sich der Hersteller auf eine Studie berufen hätte.

Ein boomendes Geschäft

Die sogenannte „Alternativmedizin“ ist ein lukratives Geschäft: Der jährliche Umsatz der Homöopathie-Branche alleine beträgt 670 Millionen Euro. Die Kosten für einen stationären Aufenthalt und die Behandlung in einem anthroposophischen Krankenhaus übernehmen in Deutschland allerdings die gesetzlichen Krankenkassen. Auch in Italien, Schweden, Großbritannien und in der Schweiz gibt es anthroposophische Kliniken, in der Regel müssen sich allerdings Patient*innen in diesen Ländern selbst an den Kosten beteiligen.

Wie kommt es also, dass anthroposophische Krankenhäuser nun kritische Coronavirus-Fälle behandeln? Während der Covid-19-Pandemie wurde unter Aufsicht der Berliner Charité ein Netzwerk aus 16 Krankenhäusern etabliert, die kritische Covid-19-Fälle intensiv betreuen können. Dazu gehört unter anderem das „AnthroMed“-zertifizierte Gemeinschaftskrankenhaus „Havelhöhe“. Laut eigenen Angaben sowie Presseberichten werden Covid-19-Patient*innen in solchen anthroposophischen Krankenhäusern unter anderem mit homöopathischen Zuckerkügelchen mit stark verdünnten Meteoreisen-Fragmenten und warmen Brustkompressen mit Ingwerwurzelstock behandelt. Selbst eine Sprecherin des Gemeinschaftskrankenhaus „Havelhöhe“, wo diese Behandlungen laut dessen ärztlichen Leiter ergänzend zu konventionellen Covid-19-Behandlungen durchgeführt werden, bestätigte gegenüber dem britischen Observer, dass bislang keine wissenschaftliche Studie die Wirksamkeit dieser Behandlungen nachgewiesen habe.

Auf die Frage, ob Patient*innen oder ihre Angehörigen in solche Behandlungen einwilligen oder ob sie darüber informiert werden, dass sie wissenschaftlich nicht belegt sind, wollte das Gemeinschaftskrankenhaus „Havelhöhe“ Belltower.News keine schriftliche Antwort geben. Auch gab es keine Antwort auf die Frage, wie Patient*innen in solche Behandlungen einwilligen können, wenn sie zum Beispiel sediert sind.

Im Oktober 2020 behauptete Prof. Dr. med. Harald Matthes, ärztlicher Leiter und Geschäftsführer des Gemeinschaftskrankenhauses „Havelhöhe“, im Interview mit der anthroposophischen Zeitschrift Erziehungskunst, im Krankenhaus seien zu diesem Zeitpunkt keine Covid-19-Patient*innen gestorben. Dies spreche für einen Erfolg der anthroposophischen Behandlungen, so Matthes. Im Gespräch mit dem britischen Observer sagte Matthes, die Letalitätszahl liege mittlerweile bei 12,4 Prozent unter Patient*innen mit Covid-19 im Vergleich zum bundesweiten Durchschnitt von 24 Prozent – was ebenfalls für die Wirksamkeit der anthroposophischen Behandlungen spreche.

Diese statistische Diskrepanz wertet die Charité allerdings anders: Auf Anfrage des Observer sagte eine Sprecherin, dass die schwersten Verläufe des Coronavirus im eigenen Krankenhaus behandelt werden, nicht in Havelhöhe. Ähnlich sieht es Prof. Dr. med. Stefan Kluge, Klinikdirektor des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf: „Solche Behauptungen mitten in einer Pandemie zu machen, ist höchst unprofessionell und birgt das Risiko, Patienten*innen zu verunsichern“, sagte er ebenfalls dem Observer. Die Letalitätszahl in einem Krankenhaus sei immer von der Schwere des Zustands der Patient*innen abhängig, die dort eingeliefert werden, so Kluge weiter.

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Die pseudowissenschaftlichen Covid-19-Behandlungen, die in Krankenhäusern wie der Havelhöhe praktiziert werden, wurden erstmals im März 2020 auf „Anthromedics“ veröffentlicht – eine anthroposophische Internetplattform der „School of Spiritual Science“ in Dornach in der Schweiz, die als Hauptsitz der globalen anthroposophischen Bewegung gilt. Im Artikel heißt es, die Substanzen Phosphor, Quarz und Meteoreisen, die in Meteoriten vorkommen und in extrem verdünnten Mengen in den Kügelchen präsent sind, „zeigen eine starke Beziehung zu Licht“. Diese „innerliche Licht-Beziehung“ im menschlichen Körper werde durch die Kügelchen verstärkt, so die anthroposophische Medizin. Und so werden Covid-19-Erkrankte angeblich wieder gesund. Im Interview mit dem anthroposophischen Magazin Erziehungskunst sagt der „Havelhöhe“-Leiter Harald Matthes, dass anthroposophische Therapiekonzepte eine „Steigerung der Selbstheilungskräfte“ bewirken würden. In anderen Worten: Die anthroposophische Medizin geht davon aus, dass Menschen sich mit etwas Meteorstaub durch ihre eigene Gedanken selbst heilen können. Eine gefährliche Behauptung in einer Pandemie.

Bleibt die Frage: Woher kommen die Meteore? Die „Wala Heilmittel GmbH“, ein anthroposophischer Arzneimittelhersteller, sammelt offenbar fleißig Meteoritenstücke: Für 11,51 Euro kann man 20 Gramm „Meteoreisen Globuli Velati“ von Online-Apotheken kaufen. Auf Anfrage des Observer sagte eine Sprecherin des Unternehmens, die Kügelchen enthielten zermahlene Überreste von Meteoriten, die nicht vollständig verglüht seien, nachdem sie durch die Erdatmosphäre gefallen seien. Und so wird aus Sternschnuppen ein vermeintliches Heilmittel gegen das tödliche neuartige Coronavirus.

Falls die Kügelchen doch nichts bringen, wovon auszugehen ist, hilft womöglich auch etwas Liebe. Das glaubt zumindest Prof. Dr. med. Harald Matthes, leitender Arzt in „Havelhöhe“: „Ein risikostratifizierter angemessener Umgang mit der Pandemie ist nur durch verstehende Herzenskräfte möglich“, sagt er im Interview mit der anthroposophischen Zeitschrift Erziehungskunst. Was er damit konkret meint, steht in den sprichwörtlichen Sternen.

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