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Staufenberg Deutschland, deine Helden zwischen Sieg-Heil-Rufen und Heiligtumsansprüchen

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Claus Schenk Graf von Stauffenberg - ein Held? (Quelle: Gemeinfrei)

„Es lebe das heilige Deutschland!“, rief er aus, der Aufständische aus dem Adelsgeschlecht. Claus Philipp Maria Schenk Graf von Stauffenberg. So hieß der knapp 36 Jahre junge Oberstleutnant, der auf dem Schloss Jettingen im bayrischen Schwaben groß geworden war. Sein im Angesicht des sicheren Todes ausgestoßener Appell war in der Tat kürzer als sein Name. Kurz und bündig.

Der Spruch, ebenso geheimnisumwittert wie generell verständlich, entwich von Stauffenbergs Kehle, also während die Armesünderglocke schon läutete. Die Worte wurden durch Zeugen verbürgt. Durch Zeugen, die in der Nacht auf den 21. Juli 1944 auf dem Hof des Bendlerblocks zugegen waren. Ebendort in dem Gebäudekomplex im Tiergarten am Reichpietschufer, heute Zweitdienstsitz des Bundesministeriums für Verteidigung, stand anno dazumal das allgemeine Heeresamt im Oberkommando des Heeres. Es war ein Ort der Täter, aber auch ein Ort der Attentäter. Von hier aus wurden militärische Feldzüge gegen die Menschlichkeit geplant, von hier aus wurden Widerständler aus den Reihen der Wehrmacht gegen die nationalsozialistische Führung tätig. In der finsteren Gespensterstunde, Neumond mit bewölktem Himmel, trafen das perfektionierte Böse auf imperfekte Erretter. Letztere hatten das Nachsehen.

Ein Exekutionskommando nahm von Stauffenberg wortwörtlich ins Visier und drückte ab. Geschrien soll er haben, wie ein Mensch, der aus einem terrorisierenden Tiefschlaf erwacht, um sogleich von einem anderen Alptraum heimgesucht zu werden. Der Kloß in seinem Halse war ein Knoten. Ein Gordischer Knoten, der sich in den verbliebenen Bruchteilen von Sekunden nicht mehr auflösen konnte. Seine Zunge war wie ein verknäultes Seil. Trotzdem ist es ihm mit dem Ausruf gelungen, gehört zu werden. Eigentlich eine Errungenschaft. Denn die Volksempfänger des Reiches waren unterdessen gierig aufgedreht. Im Hörfunk konnten Soldaten und die Zivilbevölkerung zugleich ihren Führer Adolf Hitler zu Ohren bekommen, während sich dieser mit ungebändigter Genugtuung bei höheren Mächten für sein Überleben bedankte. Für ein Überleben, das von Stauffenberg und Kohorte ihm offenbar nicht gegönnt haben.

Gerade zwölf Stunden zuvor im Führerhauptquartier „Wolfsschanze“ in Ostpreußen war von Stauffenberg durch Hitler mit Handschlag begrüßt worden. Hitler ahnte wohl nicht, dass der junge Oberstleutnant zwei Bomben in der Aktentasche mitgebracht und diese unterhalb des Eichentisches in der hölzernen Baracke abstellte. Allerdings gab es für von Stauffenberg etliche Widrigkeiten. Er war Kriegsversehrter, halbblind und ohne einige Finger. Der ursprünglich vorgesehene Ort für das Attentat war ein Betonbunker, dessen Wände eine viel tödlichere Wirksamkeit als die Holzbaracke versprochen hatten. Die Zeit war außerdem sehr knapp. In Anbetracht des Besuches des Verbündeten Benito Mussolini war die Lagebesprechung plötzlich vorverlegt worden, und so hatte von Stauffenberg es nicht geschafft, den chemischen Zeitzünder der zweiten Bombe zu aktivieren. Immerhin konnte er unter Vorwand das Hauptquartier wenige Minuten vor der Explosion verlassen, ohne Aufsehen zu erregen. Trotz und gerade wegen des Durcheinanders nach der Detonation durfte er das Gelände verlassen. Im Flugzeug aus Rastenburg wähnte sich der Umstürzler auf der Zielgeraden, aber bei der Landung auf der Piste von Rangsdorf wurde er auf den Boden der Tatsachen geholt: Hitler war nur leicht verletzt.

Drei andere Festgenommene starben neben von Stauffenberg: Werner von Haeften, Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim und Friedrich Olbricht. Unter Berufung auf ein angebliches Standgericht hat Generaloberst Friedrich Fromm die vier an die Wand, vielmehr vor den Sandhaufen stellen lassen. Im Rahmen der darauffolgenden Vergeltungswelle wurden etwa 200 teils ranghohe Personen verhaftet und hingerichtet oder, wie der verdächtigte Generaloberst Fromm selbst, zum Suizid gezwungen.

Es ist von Stauffenberg, der als Gesicht und Kopf der Operation „Walküre“ ins Gedächtnis eingebrannt wurde. Das ist durchaus verständlich. Er nahm den Löwenanteil der Durchführung der eher zum Scheitern verdammten Aktion auf sich, und die tragische Tiefe seiner Fallhöhe ist nicht zu leugnen. Was bzw. wer wäre auf Hitler gefolgt? Eins ist klar, in den neun darauffolgenden Monaten nach dem Attentatsversuch, als der Zweite Weltkrieg in Europa weiter wütete, sind mehr Menschen gestorben als in den fünf Jahren zuvor.

Die Hinterbliebenen von Stauffenbergs wurden vom NS-Regime in Sippenhaft genommen, ins Kinderheim und KZ gesteckt. Wenige Wochen nach dem fehlgeschlagenen Attentat vom 20. Juli ätzte Heinrich Himmler als Reichsführer SS: „Wenn eine Familie als vogelfrei erklärt wurde, dann hieß es: Dieser Mann hat Verrat geübt, das Blut ist schlecht. Das Verräterblut muss ausgerottet werden. Die Familie Stauffenberg wird ausgelöscht werden, bis ins letzte Glied.“ Himmler war ja ein Hauptverantwortlicher des Holocausts. Es war übrigens auch Himmler, der den sogenannten „Flaggenbefehl“ erließ: Jedwede männliche Person aus einem Haus, an dem eine weiße Fahne, das Zeichen der Kapitulation, sichtbar hänge, sei unverzüglich zu erschießen. Dementsprechend waren es Angehörigen der Wehrmacht, der SS und sogar Zivilisten erlaubt, Männer in willkürlicher Selbstjustiz wegen Fahnenflucht bzw. Wehrkraftzersetzung zu exekutieren. Es sei fürsorglich erwähnt, dass Himmler schließlich durch Anordnung Hitlers steckbrieflich gesucht wurde, und zwar wegen Verrats.

Stopp? Oder nicht? Ist es wirklich angebracht, Claus Schenk Graf von Stauffenberg und Heinrich Himmler im selben Atemzug zu erwähnen? Und das an diesem „heiligen“ Tage?

Eine Gegenüberstellung ist nicht unbedingt eine Gleichstellung. Aber damit will ich es uns allen nicht so leicht machen. Ob es angebracht sei oder nicht, das ist im Grunde genommen einerlei. Es ist unvermeidbar. Denn von Stauffenberg und Himmler waren Opportunisten. Der eine war wesentlich aristokratischer als der andere, aber beide konservativ-katholisch geprägten Männer waren Nationalisten. Keiner wollte sich damit begnügen, ewig den Steigbügelhalter für andere Zeitgenossen zu spielen. Nein, sie schwangen sich möglichst bald selbst in den Sattel. Als Fahnenjunker des Faschismus anfangend, nahmen sie führende Positionen in Hitlers Vernichtungsapparat ein. Viele der Berufsoffiziere wie von Stauffenberg lachten heimlich über Hitler, den GröFaz, Größten Feldherrn aller Zeiten, aber sie schlugen immer noch die Hacken zusammen und wurden zu tief verstrickten Erfüllungsgehilfen. Denn sie versprachen sich etwas vom Nationalsozialismus. Für solche Konjunkturritter ist Kadavergehorsam eine tolle Sache, solange sie selbst die Befehle erteilen.

Dass von Stauffenberg gewissermaßen früher abgesprungen ist, soll gebührend zur Kenntnis genommen werden. Gleichwohl muss man feststellen, dass der Massenmord an Juden offenbar keine große Rolle bei Stauffenbergs Plan gespielt hat. Wer Hitler bereits Ende der 1920er und Anfang der 1930er Jahre begeistert zugehört hat, kann nicht von der Brutalität des Führers überrascht gewesen sein. Außerdem waren einige der Verschwörer vom 20. Juli sogar selbst an der Shoah und an diversen Kriegsverbrechen beteiligt.

Der Mitverschwörer Arthur Nebe, Polizist und Reichskriminaldirektor, hatte als Kommandeur der SS-Einsatzgruppe B am 22. Juli 1941 süffisant berichtet: „In Minsk gibt es keine jüdische Intelligenz mehr.“ Nebe wirkte zudem an der Verfolgung der Roma-Minderheit mit. Stichwort: Porajmos. General Erich Hoepner, ein weiterer Mitverschwörer erklärte kurz vor Operation „Barbarossa“, dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion im Jahre 1941, enthusiastisch: „Es ist der Kampf der Germanen gegen das Slawentum, die Abwehr des jüdischen Bolschewismus!“

Oje, Deutschland, deine Helden zwischen Sieg-Heil-Rufen und Heiligtumsansprüchen.

Dass heutzutage ausgerechnet die AfD versucht, den lange von Rechtsnationalisten verfemten Stauffenberg für sich zu reklamieren, spricht für sich – und leider auch ein wenig gegen – von Stauffenberg. Die versuchte Vereinnahmung ist Statement und Stunt zugleich, und zwar mit einem heftigen Schuss Revisionismus dazu.

Allerdings gibt es echte deutsche Held*innen, die den Titel wirklich verdienen. Dazu zählt Georg Elser (1903 – 1945). Der schwäbische Schreiner hatte bereits am 8. November 1939 versucht, Hitler sowie weite Teile der nationalsozialistische Führungsspitze im Münchener Bürgerbräukeller mit einer Bombe umzubringen. Wie durch einen bösen Schicksalsschlag bestimmt, beendete Hitler seinen Auftritt etliche Minuten vor der Explosion. „Ich habe den Krieg verhindern wollen“, begründete Elser, der April 1945 im KZ Dachau ermordet wurde. Elser war zwar kein Adeliger, aber trotzdem ein Ritter ohne Tadel und Fehl. Ein einfacher Handwerker, kein eifriger Handlanger.

Held*innen brauchen wir heutzutage. Diese müssten nicht unbedingt eine neu herangezüchtete Generation von Tyrannenmördern verkörpern, sondern vielmehr den Willen zeigen, Zeitgenoss*innen mit Respekt zu behandeln und solidarisch einzuschreiten, wenn die Menschenwürde verletzt wird, ob in der U-Bahn, an der Kasse, auf der Behörde oder online. Bombenbastelkünste sind nicht nötig, Zivilcourage und Zuversicht aber schon. Unsere Wunderwaffen sind Wissen, Würde und Willenskraft.

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