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Völkische Siedlungsbewegung „Anastasia“-Bücher machen Schule

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Heimatromantik: Die völkische Siedlungsbewegung "Anastasia" träumt von autarken Familienlandsitzen auf dem Land. Zum "natürlichen Leben" gehört auch "natürliches Lernen" in eigenen Schulen.
(Quelle: Harald Arlander/Unsplash)

Mit strahlendem Lächeln und freundlicher Stimme begrüßt der Niederösterreicher Ricardo Leppe sein Publikum: „Grüß dich, schön, dass du hergefunden hast!“ Seine Kritik am Schulsystem und der Handhabung der Covid-19-Pandemie an den Schulen spricht zurzeit viele Eltern an. Er ist das Gesicht des Vereins „Wissen schafft Freiheit“ und verbreitet seine Videos hauptsächlich über die Plattformen YouTube und Telegram. Die Inhalte: Lernen müsse Spaß machen, alle sollen in ihrem eigenen Tempo das lernen, was sie interessiere und auch nur, was sie später im Leben noch bräuchten.

Der hilfsbereite und hochmotivierte Freilerner Leppe weiß genau, wie der weiße Hase läuft: „Glaubt’s nicht, was die euch da draußen sagen, ich hab‘ noch kein einziges Thema gefunden, wo sie uns nicht belügen.“ Innerhalb von einem Jahr legt er, wie viele andere Verschwörungsideolog*innen, eine steile Karriere hin. Sogar in dem verschwörungsideologischen Internetsender „Klagemauer.TV“ darf er von seiner Arbeit erzählen. Mit seinen vermeintlich 600 Vorträgen im letzten Jahr hat er innerhalb kürzester Zeit ein breites Netzwerk zwischen freie Schulgründungsbewegten, Verschwörungsideolog*innen, „Anastasia“-Anhänger*innen und der „Reichsbürger“-Szene gespannt. Er referiert über die Probleme im Schulsystem bis zu Verschwörungserzählungen von „Hohlerde“ und Co. Auch beim Online-Kongress „Energize you – Kinder der Zukunft“, der am 14. Mai 2021 stattfindet, spricht er neben Xavier Naidoo und anderen „Querdenken“-Aktivist*innen.

Unter dem Label des Vereins „Wissen schafft Freiheit“ gibt Leppe nicht nur Lerntipps. Er wirbt vielmehr offensiv für die Gründung von freien Schulen, berät diese und vernetzt Interessierte in einer Telegram Gruppe, die knapp 18.500 Menschen abonniert haben. Er unterstützt die Gründung freier Schulen nach dem Konzept der „Schetinin-Schule“. Dies geht auf den 2019 gestorbenen Musiklehrer Michail Petrowitsch Schetinin zurück. Die erste „Schetinin-Schule“ in Tekos, Russland, gilt im deutschsprachigen Raum vor allem in der rechtsesoterischen „Anastasia“-Bewegung als großes Vorbild, nicht zuletzt, weil sie in der zehnbändigen antisemitisch geprägten „Anastasia“-Romanreihe ausführlich beschrieben wird (vgl. Belltower.News).

In einem YouTube-Video auf seinem Kanal spricht Ricardo Leppe beispielsweise mit einer Lehramt-Studentin über ihre Praktika an einer russischen „Schetinin-Schule“. Beide zeigen sich in voller Begeisterung: Theoretische und praktische Unterrichtseinheiten lösten sich ab, alles würde von den Kindern und Jugendlichen selbst gestaltet. Die esoterische Zeitschrift Sein zeigte sich 2013 und noch einmal 2019 begeistert von dieser Schulform: Eine ganzheitliche Erziehung würde umgesetzt im Wechsel von künstlerischen und naturwissenschaftlichen Fächern – mit dem Resultat, dass die Schüler*innen in wenigen Jahren einen Schulabschluss erlangten. Wenn sie die Schule verließen, seien sie angstfreie, durchtrainierte „Allround-Genies“ und „Krieger“.

Disziplin und Gehorsam

Der Begeisterung wird aber auch widersprochen: Die Schweizer Fachstelle für Sektenfragen „Infosekta“ stellt hochproblematische Tendenzen dort fest (vgl. Infosekta). In der internatsähnlichen Einrichtung würden die Kinder und Jugendlichen indoktriniert mit einer Mischung aus nationalistischen Inhalten, Spiritualität und Naturverbundenheit. Disziplin, Gehorsam und Unterwürfigkeit sollen geschult werden. Als sei das noch nicht problematisch genug, soll die Bildung des Nationalstolzes durch militärische Erziehung, Kampfübungen bis hin zur Sprengstoffherstellung im Unterricht gefördert werden. Auch der Sein-Artikel von 2013 stellt fest: „Wie ausgelassene Kinder wirken sie kaum.“ Das Resümee der Zeitschrift bleibt allerdings positiv.

Das „Schetinin“-Konzept stellt im deutschsprachigem Raum das Vorbild für die sogenannten „Lais“-Schulen bzw. Lerngruppen dar. Im Mittelpunkt des Lernkonzepts steht das „natürliche Lernen“, das, wie in den „Anastasia“-Büchern ebenfalls beschrieben wird, davon ausgeht, dass alle Kinder bereits Wissen in sich tragen würden, sie müssten es nur entdecken, „sich erinnern“. Laut der österreichischen „Lais“-Webseite solle alles, was erlernt wird, „egal, ob verstanden oder nicht“, direkt weitergegeben werden, alles was gesagt wird, würde stimmen und Fehler gäbe es nicht.

Zum „natürlichen Lernen“ gehört nach dem Autor der „Anastasia“-Bücher, Wladimir Megre, auch ein „natürliches Leben“. Darunter versteht er die Gründung sogenannter Familienlandsitze, auf denen sich eine Familie durch Landwirtschaft selbst versorgen soll. Der Zusammenschluss mehrerer dieser Landsitze soll eine autarke Siedlung bilden. An diese Idee anknüpfend, befinden sich in Deutschland nach letzten eigenen Angaben des Anastasia Netzwerks 17 Projekte im Aufbau. In offenen Chats zur Familienlandsitzgründung vernetzen sich einige tausend Menschen dazu und suchen Anschluss und Kontakte für den Aufbau weiterer Projekte.

Freundlich aber völkisch

Die Fassade der friedlichen „Aussteiger*innen“ versuchen viele zu halten, allerdings sind den Bewohner*innen des Projekts im brandenburgischen Grabow bereits Verbindungen zu völkischen Gruppierungen wie den „Ludendorffern“ und der seit 2009 verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ nachgewiesen. Zudem fand ein Zeltlager des rechten „Jugendbunds Sturmvogel“ 2015 auf ihrem Gelände statt. Ebenso gut vernetzt in die rechte Szene sind nach Berichten von blick nach rechts die Akteur*innen des Anastasia-Projekts in Wienrode, Sachsen-Anhalt (vgl. Belltower.News). Zum Julfest kamen Mitglieder des völkischen Vereins „Artgemeinschaft“, der AfD und der „Identitären Bewegung“ zu Besuch. Einschüchterungsversuche wie zerstochene Reifen und Bedrohungen in Form von persönlich adressierten E-Mails erreichen Kritiker*innen des Projekts.

In einem der ältesten deutschen Projekte in Grabow hat beim vergangenen Herbstfest ein Austausch zum Thema „Freilernen“ stattgefunden (vgl. blick nach rechts). Eine eigene Schule nach dem Schetininer Vorbild ist in Planung, noch werden die Kinder zu Hause unterrichtet. Nach eigenen Angaben wollen die „Anastasia“-Anhänger die Covid-19-Pandemie nutzen und „freie Bildung“ etablieren.

„Jeder Schmerz, der zu dir kommt, hat etwas mit dir zu tun“, sagt Ricardo Leppe in einem Erklär-Video auf seiner Webseite. Grippeerkrankungen gäbe es nicht und Impfungen seien eine reine Vermarktungsstrategie, deren Wirkung sinnlos und die Inhaltsstoffe giftig. In seiner Online-„Wediathek“ informiert er nicht nur zu „alternativen“ Lernmethoden. Er ist ein großer Verfechter der pseudomedizinischen „Germanischen neuen Medizin“ bzw. „germanischen Heilkunde“. Diese geht davon aus, dass hinter allen Krankheiten ein seelischer Konflikt stecke (vgl. Belltower.News). Er hat es nicht verpasst, ein Videogespräch mit dem Hauptvermarkter der germanischen Heilkunde Helmut Pilhar hochzuladen, worin er ihm die Möglichkeit gibt, die Grundsätze, die von Ryke Gerd Hamer begründet wurden, zu erläutern. Der „Reichsbürger“ Pilhar brachte in den 1990er Jahren seine krebskrankte Tochter mit der „Behandlung“ durch Hamer in Lebensgefahr (vgl. Der Standard). Leppe richtet sich von dieser Ideologie ausgehend an seine Zuschauer*innen: „Du hast die Krankheit in der Ernährung oder in der Psyche, das hat nichts mit Außen zu tun.“ Seine Schlussfolgerung lautet, sich vegan und möglichst basisch zu ernähren und viel Sport zu treiben.

Was tun gegen völkische Akteur*innen in Bildungseinrichtungen?

 

Eine Version dieses Textes erschien zuerst in der Wochenzeitung Jungle World.

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