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Die merkwürdige Welt der Verschwörungsideologien Von Reichsbürgern und Angela Hitler

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(Quelle: Unsplash)

Belltower.News: Ihr schreibt im Vorwort darüber, wie schnell der eigene Facebook-Feed zum Verschwörungssumpf werden kann, sobald man selbst oder sogar Freunde ein paar der einschlägigen Seiten liken. Was müssen die Plattformen und Netzwerke anders machen?
Christian Schiffer: Es ist wichtig, dass wir über diese Mechaniken, gerade bei Facebook, diskutieren. Aber die Aufmerksamkeitsökonomie muss in diesem Bereich auch ein bisschen zurechtgezurrt werden. Ich halte beispielsweise YouTube für weitaus relevanter, was solche Inhalte angeht. Das hängt vor allem mit dem Algorithmus zusammen, der vor allem die „watch time“ belohnt. Also die Zeit, die man ein Video anschaut. Leute, die sich für Verschwörungsideologien interessieren, schauen diese Videos in der Regel von Anfang bis Ende. Das sind sehr lange Videos und sie schauen sehr viele Videos zum selben Thema. Das heißt, dass der YouTube-Stream ziemlich schnell voll davon ist. Es reicht aber nicht, das nur zu kritisieren, sondern, dass wir uns auch trauen müssen, auf solche Plattformen zu gehen und dort aktiv zu werden.

Mark Zuckerberg sieht die Zukunft von Facebook in Gruppen. Auch weil er die aktuellen Probleme hauptsächlich im Newsfeed sieht. Zu wenig Platz, zu viel Buhlen um Aufmerksamkeit, deswegen ist alles voller Clickbait und sogenannten Fake News. Du warst in vielen Gruppen unterwegs, wie bewertest du das?
Man kann da nicht von außen reinschauen. In diesen Gruppen gibt es gar nicht soviel direkten Hass, weil sie viel homogener aufgebaut sind. Für Zuckerberg löst das viele Probleme, aber ich glaube, wir werden uns noch in eine Zeit zurückwünschen, als die Timeline algorithmisch gesteuert war. Die Zukunft wird nämlich vermutlich aus Gruppen bestehen, bei denen man überhaupt nicht mehr nachvollziehen kann, was dort passiert. Ähnliches sieht man schon in anderen Ländern. Die Wahlen in Brasilien waren massiv von Whatsapp beeinflusst, weil dort sehr viele Menschen in vielen solcher Gruppen unterwegs sind. Dazu kommen die ganzen anderen Netzwerke, zum Beispiel das russische VK oder der amerikanische Dienst gab, die ich gerne als Dark Social Media bezeichne.

Ihr schreibt im Buch, dass Verschwörungsanhänger*innen nichts glauben und trotzdem alles glauben. Was heißt das?
Verschwörungstheoretiker sind auf der einen Seite radikale Skeptiker. Die misstrauen allem, was die sogenannten Systemmedien sagen. Davon glauben sie kein Wort. Auf der anderen Seite sind sie extrem affirmativ, was die eigenen oder verwandten Theorien angeht. Uns wird oft gesagt, dass es ja auch Verschwörungstehorien gibt, die sich als wahr herausgestellt haben und dass man Dinge hinterfragen muss. Und es stimmt, man muss immer skeptisch bleiben, gegenüber Medien, gegenüber Politik, selbst gegenüber der eigenen Arbeit. Aber wenn man mit einer radikalen Skepsis an die Welt herangeht, dann kann man sich doch keine Extrawürste leisten. Es kann doch nicht sein, dass man dann bestimmte Theorien davon ausnimmt. Ähnliches gilt für die ewige „Cui bono?“-Frage. Von praktisch jedem Vorgang profitiert irgendjemand, deswegen ist das ohnehin ein problematisches Argument. Aber wenn ich diese Frage stelle, dann muss ich sie doch allen stellen. Man kann nicht einerseits behaupten, dass alle irgendwelchen Gehaltschecks bekommen und von Israel gelenkt werden, aber es andererseits gutheißen, Videos von RT zu teilen oder nicht darüber nachzudenken, dass es ein offenbar gut funktionierendes Geschäftsmodell ist, dass im Kopp-Verlag Unmengen an Angst-Büchern vertrieben werden.

Skepsis ja, aber dann für alle?
Genau, aber gleichzeitig hat die Skepsis auch irgendwann Grenzen. Wir können nicht alle 400 Jahre neu diskutieren, ob die Erde eine Scheibe ist oder doch eine Kugel. Es gibt so einige gesellschaftliche Fragen, die ich wichtiger finde, als dieses Thema jetzt nochmal neu zu definieren.

Im Buch geht es auch um Verschwörungsideologien als Religionsersatz. Ihr habt dazu ein Buch von 1924 ausgegraben: „Verkappte Religionen“. Der Autor beschreibt da ziemlich genau, wie auch heute noch diese Theorien funktionieren.
Tolles Buch von Carl Christian Berg, kaum jemand kennt es, aber es ist auch heute noch sehr gut lesbar. Er spricht noch nicht von Verschwörungsideologien, aber von Ideologien und er bezeichnet sie als „verkappte Religion“. Und es gibt sehr deutliche Parallelen zwischen Verschwörungsideologien und Religionen. Es ist kein Zufall, dass gerade die Sektenberatungsstellen sich mit diesen Themen sehr gut auskennen. Wir haben für das Buch einen Auftritt von David Icke besucht, der die Echsenmenschen-Geschichte verbreitet und das hätte auch eine religiöse Veranstaltung mit ihm als Prediger sein können. Berg sieht die größte Gemeinsamkeit darin, dass sowohl Religionen als auch Ideologien ein „Welt hinter der Welt“ sehen. Für religiöse Menschen ist ja alles nur Kulisse vor der Welt dahinter. Bei Verschwörungsideologen ist es das gleiche. Berg benennt aber auch die Unterschiede, die oft zu kurz kommen. Viele religiöse Menschen glauben, dass die Welt dahinter, eine gute Welt ist, die vom „lieben Gott“ regiert wird, während für Verschwörungsgläubige die Welt dahinter und vor allem die, die da die „Fäden ziehen“ das abgrundtief Böse ist.

„Die, die die Fäden ziehen“ sind fast immer Juden und Jüdinnen. Wie viel Antisemitismus steckt in Verschwörungserzählungen?
Da gibt es einen großen Zusammenhang. Die Verschwörer haben unendliche Ressourcen, die machen nie Fehler, es passieren nie Zufälle. Das sind fast schon unheimliche Mächte. Beim Antisemitismus ist das ganz ähnlich und wird auch schnell wahnhaft. Wir haben wenige Verschwörungstheorien gefunden, die nicht antisemitisch sind. Es gibt immer wenigstens die „Ostküste“, die „Eliten“, die „Banker“. Eine Ausnahme ist tatsächlich die Geschichte, die wir aufs Cover gepackt haben — dass Angela Merkel die Tochter von Hitler ist – da kommen unterschiedliche Gruppen vor: die katholische Kirche, Nazis, Kommunisten, aber erstaunlicherweise keine Juden. Aber ansonsten muss man sehr lange suchen.

Wie sieht es bei den Reichsbürgern damit aus?
Bei unseren Recherchen gerade in den Reichsbürger-Gruppen haben wir eher selten ganz klaren, offenen Antisemitismus gesehen — wobei es den auch gab – aber dafür sehr viel israelbezogenen Antisemitismus und vor allem auch sekundären Antisemitismus. Ich habe einmal ein Experiment gestartet und in einer dieser Gruppen gefragt, was eigentlich das Problem daran ist, dass Deutschland eine GmbH ist. Was würde sich ändern, wenn Angela Merkel es am nächsten Tag „zugibt“? Es gibt Leute, denen es in Deutschland schlecht geht, aber insgesamt betrachtete, geht es Deutschland ja gut. Also eigentlich müsste man anderen Ländern mal empfehlen, die Rechtsform zu ändern, denn mit so einer GmbH scheint es ja gar nicht so schlecht zu laufen. Innerhalb von zwei Tagen haben sich da gut 80 Kommentare darunter gesammelt, aber in fast keinem wurde diese Frage beantwortete, sondern es ging nur darum, warum, Deutschland eine GmbH ist, also um’s Rechthaben und überhaupt nicht darum, dass Leben von Menschen zu verbessern. Zwei haben geschrieben, dass wir „unfrei“ sind. Wenn man dann weiter fragt, sind wir ein besetztes Land. Die Amerikaner stehen dahinter und wer steht hinter den Amerikanern? Ganz schnell sind wir wieder beim Antisemitismus. Judenhass gehört zu diesen Erzählungen dazu.

Ihr habt euch eingehend mit Wolfgang P. beschäftigt. P. hatte im Oktober 2016 in Georgensgmünd einen Polizisten erschossen. Habt ihr eine Erklärung für seine Tat gefunden?
Viele Reichsbürger haben unterbrochene Erwerbsbiographien. Adrian Ursache war Mister Germany und hat sogar das Kunststück geschafft, eine Ms. Germany zu heiraten. Aber irgendwas ist dann geschäftlich was schief schief gelaufen. Ähnlich war es bei Wolfgang P. Vielleicht gab es wirklich einen Fehler bei irgendeiner Behörde. Deswegen finde ich es auch tatsächlich problematisch, dass sich der Staat vor allem auf dem Land immer weiter zurückzieht. Die Leute können ja wirklich niemanden mehr direkt erreichen. Briefe werden maschinell erstellt. Das könnte der „wahre Kern“ oder das zugrundeliegende Problem der Reichsbürger-Ideologie sein. Sowas findet sich oft in diesen Erzählungen. Chemtrails gibt es nicht, aber Luftverschmutzung. Impfen verursacht keinen Autismus, aber die großen Pharmaunternehmen bekleckern sich tatsächlich nicht immer mit Ruhm. Bei den Reichsbürgern ist dieses Problem eben nicht, dass wir keine Verfassung haben oder die Wehrmacht nicht die Kapitulation unterschrieben hat oder was auch immer sie sich ausdenken, aber dass der Staat sich vermehrt zurückzieht und auf den ersten Blick als eine Art Firma auftritt. Zugegebenermaßen ein sehr kleiner wahrer Kern.

Man sieht in vielen Bereichen, aber vor allem auch bei Reichsbürgern vermehrt eine Art Widerstands-Rhetorik. Das Brecht-Zitat „Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht“ wird in dieses Gruppen rauf und runter geteilt. Siehst du da Gefahren?
Das ist sehr gefährlich, denn wenn man im Widerstand ist, ist alles erlaubt, Dann darf man einen Polizisten erschießen oder Waffen horten. Wenn man sich die Videos von Adrian Ursache anschaut, erkennt man ganz schnell wie stolz er ist, als er die – wie er es nennt – „Menschen mit der Wortmarke Polizei“ von seinem Grundstück „vertrieben“ hat. Die sind halt einfach gegangen und zwei Tage später mit mehr Unterstützung wiedergekommen. Man sieht ihm diesen Stolz an und er sagt das auch: „Ich habe euch hier vertrieben.“ Das macht was mit diesen Leuten und nicht nur mit denen, denn erstaunlicherweise haben die ja auch Anhänger. Als die Polizei dann wiederkam, es zu einer Schießerei kam und ein Polizist gebissen wurde, waren da Dutzende seiner Anhänger.

Du warst in Georgensgmünd und hast mit Menschen gesprochen, die Wolfgang P. persönlich kennen. Was hast du da erfahren?
Einer hatte mal einen Autounfall mit ihm und mit einem Reichsbürger einen Autounfall zu haben, ist eine der beschissensten Sachen, die einem passieren können. P. hat schon in der Schule Military-Klamotten an, ist einem immer hinterher gelaufen und hat irgendwelche Storys erzählt. Er war immer ein Rechthaber und wollte immer etwas darstellen. Es gab dann finanzielle und berufliche Probleme. Er war Vermögensberater, was nicht gut lief. Dann hat ihn seine Frau verlassen.

Wie konnte es soweit kommen, dass er schließlich den Polizisten ermordet hat?
Es war ein großer Fehler, dass man sich von staatlicher Seite nicht viel früher mit diesem Thema beschäftigt hat. Hätte man das getan, hätte dieser junge Polizist nicht sterben müssen. Jetzt werden die Reichsbürger in jedem Verfassungsschutzbericht erwähnt.  ie Behörden realisieren sehr langsam, wie viele es überhaupt gibt. In Bayern gab es mindestens elf Verdachtsfälle in der Polizei selbst.

Rechtspopulist*innen arbeiten auch gerne mit Verschwörungserzählungen. Der „große Austausch“ ist so eine. Warum funktioniert das und was ist das Problem daran?
Rechtspopulismus arbeitet mit Narrativen und das kann sehr gut mit Verschwörungserzählungen funktionieren. Natürlich gibt es Dinge, die gesellschaftlich schief laufen und an denen wir arbeiten müssen: in der Bildung, im Gesundheitswesen, bei Behörden, bei der Umweltpolitik. Aber Verschwörungsideologien lenken im Endeffekt davon nur ab, denn sie sorgen dafür, dass man sich mit Bullshit beschäftigt. Bei rechtspopulistischen Politik-Entwürfen ist der Bullshit eben auch nicht gering. Da werden Nebelkerzen gezündet. Leuten wird suggeriert, dass ihre Probleme mit irgendwelchen Lobbys zu tun hätten oder Machenschaften im Hintergrund.  Bei der sogenannten Umvolkung kommen verschiedenen Sachen zusammen, einerseits Antisemitismus – denn die Umvolkung wird natürlich von dunklen Mächten im Hintergrund gesteuert und wie so oft, kommt man da sehr schnell bei Jüdinnen und Juden an. Dann soll das „deutsche Volk“ geschwächt werden – also auch eine völkische Komponente – gleichzeitig wird auch hier wieder der Widerstands-Gedanke hereingebracht, also „Wir müssen uns wehren“. Ich halte das für eine wirklich gefährliche Verschwörungsideologie.

Was kann man gegen Verschwörungsideologien machen? Wie erreicht man diese Leute noch?
Im persönlichen Umgang kann man sich beispielsweise gemeinsam an einen Rechner setzen und einfach Quellen recherchieren. Man ist dann auf der gleichen Augenhöhe. Grundsätzlich finde ich es wichtig, dass man diese Leute nicht auslacht. Man kann aber mit Satire auf einer Metaebene arbeiten. Vor allem gegenüber denjenigen, die keine Opfer sind, sondern Täter und damit Geld verdienen. Aber gerade im persönlichen Umgang würde ich sehr dafür plädieren, weiter in die Diskussion zu gehen und nicht abzublocken. Gerade auch weil viele dieser Menschen das Gefühl haben, dass die Welt sich gegen sie verschworen hat und man kann ihnen das Gefühl geben, dass sie weiterhin Herr über ihr Leben sind.

Und auf gesellschaftlicher Ebene?
Ich finde es sehr gut, dass die Sektenberatungsstellen in diesem Bereich aktiv sind, aber noch besser wären spezialisierte Beratungsstellen zu diesen Themen. Mehr Menschen in den Behörden wären besonders in den ländlichen Regionen sehr sinnvoll. Auch in der Schule muss vor allem in Sachen Medienkompetenz viel mehr passieren. Es muss viel klarer gemacht werden, wie soziale Medien funktionieren, gerade heute. Und das gilt nicht nur für Schülerinnen und Schüler sondern auch für die Älteren. Wir werden es nicht schaffen, Verschwörungstheorien komplett zu verhindern, aber vielleicht schaffen wir es, dass sie nicht mehr so toxisch sind und eher abstrakt werden. In den 90ern haben wir “Akte X” geschaut und das waren Verschwörungstheorien, die mit unserem Leben nicht direkt was zu tun hatten. Es hat keinen unmittelbaren Einfluss auf uns, ob es jetzt Aliens gibt oder nicht und wir können auch nichts daran ändern, dass angeblich ein Alien in der Area 51 aufgeschnitten worden ist. Anders sind eben die modernen Erzählungen, die ganz nah an den Leuten dran sind: Chemtrails, Impfen. Alles Dinge gegen die man sofort was machen kann. Sei es indem man seine Kinder nicht impfen lässt, sich eine Akasha-Säule für 4.500 Euro bestellt, oder weitaus schlimmer, Piloten mit Laserpointern blendet.

„Angela Merkel ist Hitlers Tocher – Im Land der Verschwörungstheorien“ ist bei Hanser erschienen (ISBN: 978-3-446-26028-3) und kostet 18,50 Euro.
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