Netz gegen Nazis hat zu diesem Thema eine Serie erstellt: „Warum ich das nicht mehr hören will!“ Hier geht es nicht darum, Schimpfwörter zur Diskussion zu stellen, sondern Menschen, die nicht darüber hinweg hören wollen, die Gelegenheit zu geben, zu erklären warum. Denn wie der deutsche Schriftsteller Victor Klemperer in seinen „Notizen eines Philologen“ schrieb: „Worte können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“
Mark Terkessidis, Publizist, Mitglied bei „Kanak Attak“ und Erfinder des Begriffs ?rassistisches Wissen?
„Erstmal ist „Kanake“ eine rassistische Beschimpfung. Denn seit den 1950er Jahren wurde jede Gruppe von Migranten in Deutschland irgendwann mal als „Kanaken“ bezeichnet. Mittlerweile ist das Schimpfwort eher für die Leute türkischer Herkunft reserviert. Damit ist es eine rassistische Beleidigung und deswegen will ich es nicht mehr hören.
Allerdings wurde die Bedeutung auch umgedreht: Als offensive Selbstbezeichnung im Kampf gegen Rassismus, um das eigene Selbstbewusstsein zu stärken und darauf aufmerksam zu machen, dass man von dieser Art von Beleidigung betroffen ist. Indem man es umkehrt, erlangt man eine gewisse Position der Stärke. Diese Version lehne ich nicht ab, weil sie von der Minderheit selbst gewählt wurde.
Aber es gibt nicht nur diese zwei Fälle: Irgendwann wurde die Bezeichnung inflationär benutzt und so wie Leute ständig „Bitch“ oder „Nigger“ sagen, fällt dann auch das Wort „Kanake“. Da kann man dann gar nicht mehr so richtig unterscheiden, ob das eine Art Selbstaufwertung sein soll im antirassistischen Sinne oder ob es eine Art „Normal werden“ eines Wortes ist, das besser nicht im Umlauf sein sollte.
Doch auch trotz dieser Verwässerung bleibt es ein Unterschied, ob ein Kind türkischer Herkunft seinem Kumpel auf die Schulter klopft und einen Witz über „Kanaken“ macht oder ob Einheimische einen Menschen ausländischer Herkunft als „Kanaken“ bezeichnen.
Praktisch allgegenwärtig sind aber auch Diskriminierungen, in denen das Wort „Kanake“ überhaupt nicht auftaucht – dabei reicht die Palette von sehr unterschwellig bis offensichtlich: Vor kurzem hat mir ein befreundeter Arzt türkischer Herkunft erzählt, der in der Unfallchirurgie arbeitet, dass es regelmäßig vorkommt, dass Verletzte in die Notaufnahme kommen, ihn sehen und dann sagen: „Ich will nicht von Ihnen behandelt werden.“ Das passiere mindestens einmal in der Woche.
Subtiler wird es in Situationen, in denen einer sagt: „Ich weiß ja nicht, wie das bei Ihnen zu Hause gemacht wird, aber hier wird es so und so gemacht.“ Das ist eine beliebte Art und Weise, Leute auf ihre Herkunft zu reduzieren und sich selbst gleichzeitig aufzuwerten. Es gibt eine ganze Palette an Möglichkeiten abwertend über Migranten zu reden. Während der hitzigen Diskussion über Zwangsheirat wurden in schöner Regelmäßigkeit gebildete Frauen türkischer Herkunft gefragt, ob ihre Eltern oder sie selbst zwangsverheiratet worden sind. Damit setzt man voraus, dass der extreme Fall deckungsgleich ist mit dem individuellen Fall. Oder man regt sich über gewalttätige Jugendliche auf und sagt zum anwesenden türkischen Kind: „Du bist ja die Ausnahme.“ Eine gern benutzte Beschimpfung auf der Straße ist auch: „Lern‘ doch erst mal richtig Deutsch!“
Ich glaube, dass das Wort „Kanake“ gar nicht mehr so häufig gebraucht wird, und damit ist ja schon einmal etwas gewonnen. Aber es gibt vielfältige Formen von rassistischen Vorverurteilungen subtiler Art, die immer nach dem gleichen Muster ablaufen und die sind allgegenwärtig.“
Hintergrund: Wo kommt das Wort eigentlich her?
Im „Modernen Lexikon“ von Bertelsmann von 1973 wird das Wort noch eingeführt als eine scheinbar wertneutrale Bezeichnung: „Kanaken [polynes., „Menschen“], ursprünglicher Name für Bewohner von Hawaii, jetzt für Südseebewohner im allgemeinen“. Tatsächlich war es angeblich noch im späten 19. Jahrhundert in der Version „Kannakermann“ oder „Kannaker“ positiv besetzt: Deutsche Seemänner nannten ihre Kameraden aus der Südsee so, die in der Regel als sehr zuverlässig und treu galten.
Spätestens jedoch in den 1970er Jahren bekam das Wort eine extrem abwertende Färbung. Hintergrund war die penetrante Anwerbung von Gastarbeitern aus den südlichen Ländern durch die Bundesrepublik Deutschland. „Kanake“ wurde im deutschen Sprachgebrauch salonfähig als Schimpfwort für alle Ausländer aus südlichen Ländern. Durch seine beliebige Verwendung ist das Wort kein Ethnophaulismus (herabsetzende Volksbezeichnung) im engeren Sinne, weil es unspezifisch auf unterschiedliche Ethnien angewandt wird. Pauschal wurde es für Menschen aus dem arabischen oder süd- und südosteuropäischen Raum gebraucht als aggressive Abgrenzung. Besonders inflationär verwendet wurde es ? und wird bis heute ? als diskriminierendes Schimpfwort für junge türkischstämmige Menschen.
Die antirassistische Initiative „Kanak Attak“ hat die positive Bedeutung des Begriffs zurückerobert. Damit will sie die „Kanakisierung bestimmter Gruppen von Menschen durch rassistische Zuschreibungen mit allen ihren sozialen, rechtlichen und politischen Folgen“ angreifen, schreibt die Initiative. Mit dem Problembewusstsein der Diskriminierung und der Integrationsprobleme von Menschen mit nicht-deutschem Hintergrund wählte sie „Kanake“ als offensive Selbstbezeichnung der gesellschaftlichen Außenseiter. Diese sprachliche Wendung eines stigmatisierenden Begriffs ins Positive – ähnlich wie bei „Nigger“ – wird als Kennzeichnung benutzt, um sich einer selbstbewussen „Kultur zwischen den Kulturen“ zuzuordnen.
Aufgezeichnet und erstellt von Pamo Roth.
| Teil 1 Warum ich das nicht mehr hören will!
Petra Rosenberg zu „Zigeuner“
| Teil 2 Warum ich das nicht mehr hören will!
Abini Zöllner zu „Neger“
Zum Thema:
| Mark Terkessidis: Die Banalität des Rassismus – Migranten zweiter Generation entwickeln eine neue Perspektive.
| Feridun Zaimo?lu: Kanak Sprak: 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft.
| Gründungsmanifest von „Kanak Attak“ gegen den „Mültikültüralizm“