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„Wenn man irgendwo Nazismus bekämpfen kann, dann in Chemnitz“

Nachdem die Aufmärsche in Magdeburg, Dresden und Cottbus für die Nazis eher ein Schlag ins Wasser waren, wollen sie am 5. März in Chemnitz demonstrieren. Anlass für ihren so genannten „Trauerzug“ ist der 68, Jahrestag der Bombardierung der Stadt. Tobias Berndt, Vertreter des Netzwerk für Kultur- und Jugendarbeit e.V. und Mitglied von „Chemnitz nazifrei“, im Interview über die geplanten Gegenproteste und die Bedeutung des Aufmarschs für die rechtsextreme Szene.

 
Proteste gegen Nazi-Aufmarsch in Chemnitz (Quelle: Netzwerk für Kultur- und Jugendarbeit e.V.)

netz-gegen-nazis.de: Welche Bedeutung hat der Aufmarsch in Chemnitz für die rechtsextreme Szene?

Tobias Berndt: Das lässt sich nur vermuten. In den vergangenen Jahren gab es Hinweise darauf, dass die Nazis für Chemnitz stärker mobilisieren, wenn es in Dresden für sie zuvor mies lief. Tatsächlich gelang es ihnen ja auch im letzten Jahr noch etwas nach außen gedrängt eine kürzere Strecke durch Chemnitz zu marschieren. De facto haben wir allerdings in diesem Jahr keine großen Mobilisierungsversuche im Internet beobachten können. Vielleicht haben sie nach den Märschen in Magdeburg, Dresden und Cottbus, die für sie ja eher ein Schlag ins Wasser waren, nicht mehr so viel Lust auf Chemnitz. Es kann aber genauso gut sein, dass sie andere als die offensichtlichen Mobilisierungsstrategien nutzen und doch einige am 5. März in die Stadt kommen – was wir natürlich nicht hoffen.

Nun rufen verschiedene Gruppierungen dazu auf, gegen die Nazi-Demo zu protestieren oder sie zu blockieren – wie hängen diese unterschiedlichen Bündnisse zusammen?

Es ist vielleicht ganz sinnvoll, einen Überblick zu geben, welche Aktionen am 5.3. laufen. Zum einen gibt es die Demo des Bündnisses „Chemnitz Nazifrei“, die am Hauptbahnhof startet und dann die Demo des Studentenrats (StuRa) der TU Chemnitz, die an der Mensa in der Reichenhainer Straße beginnt. Der StuRa ist auch Mitglied im Bündnis Chemnitz Nazifrei, da besteht eine enge Kooperation. Der Effekt dieser beiden Demos mit unterschiedlichen Startpunkten wird hoffentlich sein, dass von zwei Seiten gegen den Nazi-Aufmarsch protestiert wird.

Dann gibt es noch die AG Chemnitzer Friedenstag, die verschiedene Aktionen auf dem Neumarkt plant. Die von den Kirchen organisierten Friedenswege führen in Sternform zu diesem Markt. Der Sinn dahinter ist auch, auf dem Weg in das Zentrum viele potentielle Nazirouten zu schneiden. Nach einer anschließenden Kundgebung der AG Friedenstag auf dem Neumarkt lassen sich hoffentlich noch viele Besucherinnen und Besucher dieser Veranstaltung dazu motivieren, sich an anderen Formen des Protests gegen die Nazis zu beteiligen.

Neben diesen Akteuren gibt es noch weitere Gruppierungen, wie etwa „Nazis in Chemnitz blockieren 2013 (nicb2013)“, die gezielt zu Blockaden aufrufen – mit diesem Vorhaben erklären wir uns als Bündnis solidarisch, wir werden sehen was passiert. Insgesamt hoffen wir einfach, dass die Informationsstruktur an diesem Tag steht, und es gelingt, sinnvolle Absprachen zwischen allen Akteuren zu schaffen. Fast alle eint schließlich die Hoffnung, dass die Nazis perspektivisch gar nicht mehr durch Chemnitz laufen können.

Sind denn die Vorbereitungen in diesem Jahr anders als in den Jahren zuvor?

Vergleicht man es etwa mit 2012, dann bemerken wir definitiv einen Unterschied: Im vergangenen Jahr spielte die Band Kraftclub am Hauptbahnhof, das hat uns einen sehr großen Schub gegeben. Dieses Jahr ist leider keine ganz so berühmte Band dabei, allerdings wird es natürlich wieder Unterhaltung mit Live-Musik geben. Insgesamt fühlt es sich vielleicht in diesem Jahr ein wenig konfuser an, daher ist mein Tipp: Liest man die verschiedenen Aufrufe, ist es sicher keine schlechte Idee, zum Hauptbahnhof zu kommen.

 

 

Lässt sich denn schon eine Voraussage treffen, wie der 5. März laufen wird?

Das ist alles noch sehr unsicher für mich. Nimmt man die Veranstaltungen, die es im Vorfeld gab, als Maßstab, dann war die Resonanz sehr hoch – das lässt also hoffen. Natürlich wäre ein Zugpferd in Form einer ganz großen Band schön gewesen, aber so lässt es sich eben sehr schwer einschätzen. Wir hoffen natürlich, dass auch viele Menschen von außerhalb kommen und sich am Protest beteiligen – wo, wenn nicht in Chemnitz?

Was meinst Du damit?

Wenn man irgendwo Nazismus bekämpfen kann, dann hier in Chemnitz. Hier gibt es die entsprechenden rechtsextremen Strukturen, hier sitzt einer der europaweit größten -Musikvertriebe der Szene, hier fand der NSU Unterschlupf. Damit hat Chemnitz eine besondere Symbolkraft.

Kann man denn einschätzen, welche Rolle die NPD bei der Mobilisierung spielt?

Die NPD ist offiziell nicht mehr Anmelder des so genannten „Trauerzuges“, sondern die „IG Stadtgeschichte Chemnitz“. De facto stehen allerdings die gleichen Nasen dahinter wie in den vergangenen Jahren bzw. NPD-nahe Personen.

Was sind denn Deine ganz persönlichen Erwartungen für den 5. März?

Ich hoffe, dass wir noch mehr Menschen auf die Straße bekommen als in der Vergangenheit und dass sich gleichzeitig die Zahl der Nazis reduziert. Auch denen, die sich für „Frieden“ einsetzen wollen, muss klar sein, dass ein „friedliches Miteinander“ auch Protest gegen Nazismus braucht, der für Rassismus, Krieg, Hass und Ausgrenzung steht. Einigen hat eine Teilnahme an den Friedenstagsveranstaltungen im vergangenen Jahr nicht gereicht, sie wollten nach dem Programm auch protestieren – dieses Möglichkeit sollen sie haben, und hoffentlich auch zahlreich nutzen. Möglichkeiten gibt es genug.

Das Interview führte Alice Lanzke.

Mehr Infos:

Website des Bündnisses „Chemnitz Nazifrei“

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